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Veröffentlicht am 27.05.2023

Da bekommt Marx Schnappatmung

Das Palais muss brennen
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Wie Marx bekommt Schnappatmung? Die historische Persönlichkeit? Ja, die auch. Aber auch der aus Trotz angeschaffte Mops der Protagonistin Luise. Diesen nennt sie nämlich ganz rebellisch Marx, ist ihre ...

Wie Marx bekommt Schnappatmung? Die historische Persönlichkeit? Ja, die auch. Aber auch der aus Trotz angeschaffte Mops der Protagonistin Luise. Diesen nennt sie nämlich ganz rebellisch Marx, ist ihre Mutter doch die aktuelle rechtskonservative Bundespräsidentin Österreichs, die man mit linkem Gehabe zu schocken versucht. Luise und ihre Schwester Yara leben als junge Studentinnen bei ihrer Mutter im Palais Wiens und bringen im Laufe des Buches eher zufällig die Regierung ihrer Mutter zu Fall.

Das passiert aber alles viel weniger spektakulär, als man sich nach dieser kurzen Beschreibung vorstellt. Das gesamte Buch besteht nämlich eigentlich aus „Rich Kid“ Alltagsbeschreibungen, die aus Sicht von Luise geschildert werden. Zur Elite scheinen Luise und Yara allerdings nicht zu gehören, es wird mal kurz erwähnt, dass sie im Plattenbau aufgewachsen seien, mehr zu ihrem Weg ins Palais erfährt man allerdings nicht. So bewegt man sich nun gemeinsam mit Luise durch ihr Leben zwischen Wiener Cafés, Partys, Sex und Koks, welches einem durch einfache Hauptsätze vonseiten Luises nahegebracht wird à la „Ich tauchte mit Marx im Café auf. Ich hielt ihn auf dem Arm...Ich setzte mich… Ich schaute…Ich sagte“ Oh, wie viel Luise in diesem Roman sagt. Ich sagte, Jo sagte, Yara sagte usw. aber hauptsächlich Ich, Ich, Ich. Das ist mir alles zu simpel und wenig anspruchsvoll. Zwischendrin kann man durchaus das ein oder andere Mal schmunzeln, wenn Luise keck kontert. Meist gehen die lässigen antikapitalistischen/kommunistischen Sprüche aus dem Munde, in dem der Goldlöffel steckt (ach nein, der steckt ja im Mund von Marx, also dem Hund), in ihrem dichten Auftreten aber eher auf die Nerven. Es wirkt dann so, als ob die Autorin zwingend all ihr Wissen aus der alternativen, studentischen Szene ins Buch packen wollte und damit aber häufig neunmalklug klingt. Luise spricht wie eine schlagfertige, linksliberale Poetry Slammerin, die eigentlich gern Marc-Uwe Kling wär‘ und statt eines Mopses vielleicht lieber ein Känguru an ihrer Seite hätte. Wer weiß.

Sehr viel passiert im Roman nicht. Wir blicken mit Wiener Humor auf Sex, Drugs und Möpse. Selbst der Mops konnte nicht meine Lektüreerfahrung verbessern, tat er mir doch mehr leid als alles andere. Somit kann ich nicht unbedingt eine Lektüre empfehlen. Bei den 180 kleinformatigen, nur locker bedruckten Seiten kommt man auch nicht gleich um, wenn man das Büchlein liest, aber mehr als kurze Unterhaltung mit dem (scheinbar eigenen) Wunsch und Anspruch Satire zu sein, bekommt man eben auch nicht. So würde wahrscheinlich nicht nur der Mops Marx mit seiner Qualzucht-Schnauze sondern auch die historische Persönlichkeit Marx bei der Lektüre Schnappatmung entwickeln.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Der fröhliche Wahnsinn des Hungers

Hunger
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Der Manesse Verlag hat dieser Tage eine Neuauflage des Klassikers „Hunger“ des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun herausgebracht, auf welche es sich lohnt, einen genaueren Blick darauf ...

Der Manesse Verlag hat dieser Tage eine Neuauflage des Klassikers „Hunger“ des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun herausgebracht, auf welche es sich lohnt, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Es handelt sich dabei um die 1890 erschienene Urfassung des Romans, welcher bis 1934 insgesamt viermal in immer wieder geänderten Ausgaben neu vom Autor veröffentlicht wurde. Denn Hamsun wurde, wie aus der ausführlichen editorischen Notiz zu erfahren ist, im Alter immer reaktionärer, nationalchauvinistischer und duldete sein progressives Frühwerk zunehmend nicht mehr. Die aktuelle Ausgabe wurde außerdem von Ulrich Sonnenberg neu übersetzt und mit einem Nachwort der Autorin Felicitas Hoppe versehen.

Im Roman selbst geht es um einen mittlerweile mittellosen Ich-Erzähler und Schriftsteller, der sich im Oslo des ausgehenden 19. Jahrhundert, damals noch Kristiania genannt, die Tage und Nächte auf der Straße um die Ohren schlug, unter ständigem Geld und vor allem Nahrungsmangel. Dieser titelgebende Hunger wirkt sich nun auf den Bewusstseinsstrom und die geschilderten Handlungen des Erzählers signifikant aus. Er schwankt zwischen Hochmut, Stolz und Ehrgefühl und Selbstzweifeln, Selbstmitleid sowie im wahrsten Sinne des Wortes verrückten Ideen. Immer wieder bringt er sich selbst um Möglichkeiten an eine Mahlzeit zu kommen, kann nicht mit Geld umgehen und irritiert die Menschen in seiner Umwelt.

So wandert man „in vier Stücken“, den vier Teilen des Romans, mit dem Erzähler durch Kristiania, bangt mit ihm um seine nächste Mahlzeit und verflucht ihn genervt ob seiner Unfähigkeit rational zu denken und zu handeln. Die Ungeduld mit dem Protagonisten wird durch die ständigen Wiederholungen seiner Gedanken, Handlungen und Situationen, in welche er sich selbst katapultiert, im Verlaufe des Romans zunehmend gesteigert. Erwartet man immer das Schlimmste, kommt es wieder zu einer kurzfristigen glücklichen Fügung. Nur wenig Veränderungspotential gesteht der Autor seinem psychisch auffälligen Protagonisten zu. Denn der Erzähler scheint bereits vor seiner Hungerphase eine prämorbide Persönlichkeitsakzentuierung gehabt zu haben, welche ihn zum einen in seine missliche Lage gebracht zu haben scheint und sich nun - durch den Nährstoffmangel und den daraus resultierenden physischen aber eben auch psychischen Symptomen, die Hamsun sehr gut beschreibt – in besonders starken Ausprägungen äußert. Schwankt er doch stets zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Sprachlich, in der aktuellen Übersetzung von Ulrich Sonnenberg, kann Hamsun definitv überzeugen. Man sieht den Erzähler vor sich, wie er durch die Straßen Kristianias flaniert, rennt, schwankt, oder fast kriecht; wie er vor Erschöpfung kaum mehr die Augen offen halten kann und dann schon wieder einem Passanten hoch erregt eine Lügengeschichte auftischt. Oft fragt man sich, was davon der Erzähler tatsächlich erlebt und bei was es sich um Halluzinationen handeln könnte. Da weiß der Autor zu fesseln.

Letztlich hätte mir der Roman allerdings ohne die vielen Wiederholungen bzw. Variationen ähnlicher Situationen etwas mehr gefallen. Das Format einer Novelle hätte dem Inhalt des Textes durchaus auch gut zu Gesicht gestanden. Quasi etwas abgespeckt. Eine Formulierung, die einem nach der Lektüre von „Hunger“ allerdings doch ein wenig im Halse stecken bleibt.

Im noch einmal zur aktuellen Ausgabe zurückzukommen: Das Gesamtpaket der vorliegenden Veröffentlichung vom Manesse Verlag finde ich wirklich sehr gut gelungen. Endlich gab es, die von mir immer so schmerzlich vermissten, durchnummerierten und im Text gekennzeichneten Anmerkungen. Diese haben geholfen nicht nur das Romangeschehen aber auch die nachträglichen Abänderungen durch den Autor besser zu verfolgen bzw. zu verstehen. Die editorische Notiz ist ausführlich und erhellend, ebenso wie das Nachwort von Felicitas Hoppe. Es hat mir sehr gefallen, dass sich das Nachwort auch wirklich ausführlich mit dem vorliegenden Werk beschäftigt und gut verständlich ist. So war ich erleichtert zu lesen, "die Geschichte von Hunger hat keinen Kern, genauso wenig, wie man von einem bündigen Plot sprechen könnte". Tatsächlich ist dies nämlich schwer greifbar beim vorliegenden Roman. Toll finde ich, dass das Nachwort mit einer Quellenangabe unterfüttert ist, die eine vertiefende Beschäftigung mit dem Werk anregt und leicht nachvollziehbar macht. Meines Erachtens hat hier der Verlag in der Zusammenstellung dieser Ausgabe wirklich alles richtig gemacht.

Den Roman an sich würde ich insgesamt mit 3,5 Sternen bezüglich meiner Lektüre bewerten. Da mir die Ausgabe des Manesse Verlags in ihrer Ausstattung sehr gut gefällt, runde ich auf 4 Sterne auf.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.05.2023

„Von den falschen Taten die allerfalschesten.“

Baby Jane
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Mit „Baby Jane“ erscheint dieser Tage der zweite Roman der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen, ins Deutsche übersetzt von Angela Plöger. Dieser 2005 erstmals auf Finnisch erschienene Roman enthält ...

Mit „Baby Jane“ erscheint dieser Tage der zweite Roman der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen, ins Deutsche übersetzt von Angela Plöger. Dieser 2005 erstmals auf Finnisch erschienene Roman enthält bereits alle Bestandteile späterer Werke der Autorin. Es geht um die toxische Beziehung eines lesbischen Paares, verwebt darin das Leben mit und den sozialen Abstieg aufgrund von psychischen Erkrankungen, wirft einen Blick auf den Broterwerb im Zwielicht der Gesellschaft und verortet das Ganze in der Homosexuellenszene Helsinkis.

Wie auch schon in ihrem aktuellstem Werk „Hundepark“ erfahren wir gleich zu Beginn, in welchem Zeitraum sich die Romanhandlung abspielen wird. So legt die Autorin die Handlung von 1995 bis 2005 an. Die Ich-Erzählerin berichtet uns von ihrem Ankommen in der Gay Szene Helsinkis Mitte der 1990er Jahre. Dort initiiert wird sie durch die burschikose Piki. Eine Beschützerin, die die sehr feminine Erzählerin aufnimmt und mit Haut und Haaren in eine leidenschaftliche, lesbische Beziehung umschließt. Doch das Glück beginnt nach und nach zu bröckeln. Durch einen Zeitsprung nach nur wenigen Seiten des Buches ans Ende des genannten Zeitraums erfahren wir, dass diese Liebesbeziehung nicht gut ausgehen wird.

Oksanen nimmt uns ganz selbstverständlich mit in die lesbische Beziehung der beiden Protagonistinnen, führt uns ein in die Szene Helsinkis, die noch halb in verborgenen Nachtclubs stattfindet und mit den Ausläufern der AIDS-Epidemie zu kämpfen hat. Sie hebt das Tabu um die Beschreibung lesbischer Sexualität auf und beschreibt intensiv die erste, leidenschaftlich-sexuelle Phase der Liebesbeziehung. Und genauso ungeschönt bewegen sich die Frauen auf eine Katastrophe zu und wir erkennen nach und nach die toxischen Anteile der Beziehung. Denn die Ich-Erzählerin, selbst an Depressionen erkrankt, erfährt nicht nur immer mehr über die stark einschränkenden psychischen Erkrankungen ihrer Geliebten und verstrickt sich in (CAbhängigkeiten zu ihr, sondern findet sie auch heraus, dass eine längst verflossene Ex-Freundin Pikis, Bossa, ebenso in einer Abhängigkeit zu Piki steht und sie durch Aufrechterhaltung wiederum einer Abhängigkeit von Piki zu ihr ein gefährliches Beziehungsgeflecht heraufbeschwört. Immer stärker gewinnt die Phrase „Leidenschaft, die Leiden schafft“ hier an Bedeutung und lässt bei den Leser:innen schlimme Vorahnungen aufkommen. Es ist dabei hervorzuheben, dass die Autorin nicht einem Narrativ folgt, indem nur eine Person in der Beziehung zu deren Untergang beiträgt, sondern alle Beteiligten Fehler machen. So sagt die Erzählerin über sich selbst an einer Stelle, die habe „von den falschen Taten die allerfalschesten“ begangen. Das Aufschlüsseln dieser Beziehungsdynamiken und der entsprechenden Mechanismen gelingt der Autorin einfach ganz hervorragend.

Besonders eindrücklich schafft es Oksanen - mal wieder - sehr gut recherchierte, gesellschaftliche Themen in den Romanplot einfließen zu lassen, ohne dass es belehrend wirkt. So erfahren die Lesenden sehr viel über psychische Erkrankungen, deren Behandlung und der, wenn nicht genügend finanzielle Ressourcen vorhanden sind, soziale Abstieg, der damit in Verbindung stehen kann. Somit verbindet sie nicht nur den Themenbereich „class“ mit psychischer Gesundheit sondern auch sexueller Orientierung. So müssen sich die Protagonistinnen einen Broterwerb (rund um sexuelle Fetische) im Zwielicht der Gesellschaft suchen, ein Themenkomplex, der immer wieder in den Werken Oksanens eine Rolle spielt. So packt sie nicht einfach nur aktuelle Problemthemen in einen Roman und erwähnt diese Probleme nur am Rande, um sie in den Ring zu werfen und en vogue zu sein. Nein, sie verhandelt ausgesuchte Bereiche, die wie oben bereits erwähnt, sehr ausführlich und gut recherchiert sind. So ist dieser Roman nicht nur erzählerisch interessant sondern auf jeden Fall ebenso intellektuell anregend.

Sprachlich geht die Autorin gewohnt schonungslos und rasant vor. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und das muss man mögen. Ich mag ihre Sprache, in der tollen Übersetzung von Angela Plöger, ebenso sehr, wie den Aufbau des Romans mit seinem zu Beginn angedeutetem Unheil, welches aber en detail erst ganz zum Schluss zutage gefördert wird und überrascht. So avanciert der Roman zu einem echten Pageturner mit Niveau. Ich wurde in die Geschichte dieser Frauen, die nicht mit aber auch nicht ohne einander sein können, hineingezogen und habe entsprechend das Buch kaum weglegen können. Wegen mir hätte der Roman gern den Umfang von „Hundepark“ haben können. So bleibt es aber ein kleiner, rasant erzählter Roman, der mich trotzdem vollkommen überzeugt hat vom schriftstellerischen Können der Autorin.

Wer also den Sprung in eine ungemütliche, schonungslose und gleichzeitig literarisch ansprechende Geschichte wagen möchte, dem empfehle ich diesen Roman aus dem Frühwerk von Sofi Oksanen sehr. Ein kleines Highlight in diesem noch jungen Jahr 2023.

5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Die Früchte von Salomés Zorn

Salomés Zorn
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Salomé ist die Tochter einer niederländischen Mutter und eines kamerunischen Vaters. Sie ist den Niederlanden geboren und aufgewachsen, wird aber seit dem Bau eines Flüchtlingsheims im Dorf plötzlich automatisch ...

Salomé ist die Tochter einer niederländischen Mutter und eines kamerunischen Vaters. Sie ist den Niederlanden geboren und aufgewachsen, wird aber seit dem Bau eines Flüchtlingsheims im Dorf plötzlich automatisch als „ausländisch“ wahrgenommen. Mit dem Wechsel auf das Gymnasium beginnt ihr Martyrium unter dem Mobbing weißer Jungs, die sie auch körperlich angreifen. So schafft ihr der Vater einen Punchingball an und zeigt ihr, wie sie sich verteidigen kann. Sie solle hart arbeiten und sich nicht beklagen, sich aber auch nicht zum Opfer machen lassen, im Zweifel durch den Feind durchschlagen. Als viele Faktoren zusammenkommen übertreibt es Salomé mit der Verteidigung und begeht eine Körperverletzung. Ausgangspunkt des Buches ist nun ihr Einzug in ein Jugendgefängnis. Nach und nach erfahren wir die Umstände ihrer Handlung aber auch die Ursachen, die dazu geführt haben.

Simone Atangana Bekono lässt ihre Protagonistin als jugendliche Ich-Erzählerin auftreten. Wir lesen ihren Gedankenstrom rund um die Inhaftierung und erleben ihren holprigen Weg zum Wandel mit. Das ist sprachlich nicht schlecht gemacht, wähnt man sich doch noch während der ersten Hälfte des Romans in einem Jugendroman. Wobei Salomé sich sehr differenziert ausdrücken kann, ist sie doch eigentlich eine sehr intelligente Schülerin gewesen, bevor es bergab mit ihr ging. Manchmal dreht sie aber auch durch und das spiegelt sich dann in ihrem Gedankenstrom adäquat wieder.

Die Grundidee zu diesem Roman finde ich hochinteressant: Eine jugendliche, weibliche Gewalttäterin, mit dunkler Hautfarbe, aus der Arbeiterschicht kommend. Allem voran ist der Aufenthaltsort der Jugendstrafanstalt etwas Besonderes. Hinzu kommt ein Therapeut, der versucht Salomé bei der Aufarbeitung ihrer Tat zu helfen. Nur ist dieser Therapeut oder vielmehr seine Hintergrundgeschichte unglaublich abstrus. Dieser hat ein Jahr zuvor bei einer Reality-TV-Show mitgemacht, in welcher er mit seiner Partnerin in ein afrikanisches Dorf geschickt wurde. Obwohl er es gut meint mit allem, verhält er sich aber naiv-rassistisch und merkt es nicht mal. Dieses Thema wird in der ersten Hälfte des Buches äußerst stark ausgebreitet, ist einfach nur skurril. In der zweiten Hälfte spielt die ganze Sache aber plötzlich keine Rolle mehr, ja, eigentlich spielt der Therapeut an sich keine Rolle mehr, ohne eine Herleitung, warum das jetzt im Plot so angelegt wurde. Dieses Stilmittel auf der Handlungsebene wirkt somit nicht zielorientiert und obsolet. Ebenso eingeworfen wirkt ein Stilmittel, welches häufiger in der zweiten Hälfte des Romans auftritt. Salomé hat auf dem Gymnasium den Griechischunterricht besucht und bindet daher stets griechische Sagen- und Tragödienfiguren in ihre Gedanken ein. Diese wirken aber mitunter nicht wirklich passend und scheinen nur da zu sein, um etwas cooles Intellektuelles in den Text einzuweben.

Nachdem mich der Roman zu Beginn nicht packen konnte, habe ich ab der Mitte sehr interessiert die Geschichte um Salomé verfolgt. Gerade die Abläufe im Jugendgefängnis sowie der Umgang der jugendlichen Straftäterinnen mit Impulskontrollstörungen untereinander waren sehr realitätsnah erzählt. Nur das Ende wirkte dann wieder vollkommen wirr und auch nicht wirklich nachvollziehbar. Irgendwie ein insgesamt „unrundes“ Lektüreerlebnis, dem eine interessanten Konstellation zugrunde liegt, aber in der Gesamtheit mich nicht wirklich überzeugen konnte. Wäre der schräge Therapeut nicht im Buch aufgetaucht und hätte den Fokus von Salomés abgelenkt, hätte mir die Geschichte vielleicht insgesamt besser gefallen. Die Geschichte hat Potential, welches allerdings nicht vollständig ausgeschöpft wurde.

3/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Zündet leider nicht so richtig

Idol in Flammen
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Für Akari, eine Teenagerin in Japan, steht ihr Idol Masaki, ein Mitte 20jähriger J-Popstar, metaphorisch in Flammen, nachdem er sich einem medialen Shitstorm stellen muss. Er hat nämlich angeblich einen ...

Für Akari, eine Teenagerin in Japan, steht ihr Idol Masaki, ein Mitte 20jähriger J-Popstar, metaphorisch in Flammen, nachdem er sich einem medialen Shitstorm stellen muss. Er hat nämlich angeblich einen weiblichen Fan geschlagen. Für Akari endet damit nicht etwa ihr Fanatismus für Masaki, nein, sie möchte ihn nun mehr denn je unterstützen und füllt damit eine Leere, die sich in ihr selbst schon seit längerem breitmacht.

Die junge japanische Autorin Rin Usami gewann mit diesem Debüt im Alter von nur 21 Jahren bereits einen angesehenen, japanischen Literaturpreis. Doch kann sie mit diesem Roman um die Fankultur, ja man kann sagen den Fanatismus einer Teenagerin, in Japan, die massive Konsumorientierung des Pop-Universums und die emotionalen Nöte der Protagonistin auch hier überzeugen?

Mich hat der Roman besonders zu Beginn stark gefangen genommen. Die Prämisse eines weiblichen Fans, dessen Leben sich tatsächlich ausschließlich um ihr Idol zu kreisen scheint, welcher potentiell ins Schwanken geraten könnte, durch die Enthüllungen um das angebetete Idol bietet viel Sprengkraft. Sehr genau und eindrücklich schildert Rin Usami, wie stark in Japan die Fankultur im Kapitalismus angekommen ist. Dass Fans für ihre Idole all ihr Geld ausgeben. Dass psychologisch geschickte Taktiken angewandt werden, um ihnen noch mehr Geld, mehr als sie vielleicht besitzen, auszugeben. Diese Vereinnahmung der Fans durch die verhängnisvollen Strategien der Pop-Industrie ist aber leider auch das einzige, was mir aus diesem Roman relevant vorkam und auch während und nach der Lektüre in mir weitergearbeitet hat. Diesbezüglich hätte ich mir allerdings auch einen Artikel zum Thema oder eine Doku anschauen können.

Bezüglich der Figuren, dem Plot und der Entwicklung dieser beiden Komponenten eines Romans bin ich leider enttäuscht worden. Obwohl Akari in ihrer Besessenheit aus der Ich-Perspektive heraus diese sehr deutlich darstellen kann, so bleibt mir die Figur ansonsten recht blass. Das kann Kalkül sein, wird doch – recht trocken – erwähnt, dass sie an einer Depression leide. Mit welcher Verbissenheit sie ihrem Fan-Dasein jedoch nachgeht, lässt jedoch an einer ausgeprägten depressiven Erkrankung zweifeln. Auch wenn man durchaus das Gefühl bekommt, dass diese Art Fanatismus für ein Pop-Idol nicht gesund sein kann. Er wirkt eher, als ob sie diese Diagnose, wie so viele junge Leute heutzutage, wie ein gelegenes Label vor sich herträgt. Der zunächst recht interessant wirkende Plot verläuft sich im Laufe des mit seinen nur 125 Seiten recht übersichtlichen Romans sehr schnell. Es entsteht kein Konfliktpotential und wir kochen auf kleiner Flamme so dahin, ebenso wie Akari.

Der Schreibstil bleibt ebenso blass und gewöhnlich. Durch große Zeitsprünge innerhalb der Geschichte, hat man das Gefühl hier ganz schnell und eher oberflächlich durch die Geschichte geschickt zu werden, ohne dass eine Bindung zur Figur entstehen kann. So bleibt zwar unterm Strich eine kurzweilige, solide Lektüre aber davon nur wenig letztlich im Kopf hängen. Kann man lesen bei Interesse an den Vermarktungsstrategien der J-Pop-Industrie. Man verpasst allerdings auch nichts, wenn man dieses Buch auslässt.

3/5 Sterne

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