Handwerklich leider kein gut gemachtes Buch zu einem eigentlich interessanten Thema
Schwerkraft der TränenDie Autorin Yara Nakahanda Monteiro behandelt im vorliegenden Roman ein Thema, welches vermutlich mit ihrer eigenen Geschichte eng verbunden ist. Sie selbst ist, wie die Protagonistin Vitória, 1979 in ...
Die Autorin Yara Nakahanda Monteiro behandelt im vorliegenden Roman ein Thema, welches vermutlich mit ihrer eigenen Geschichte eng verbunden ist. Sie selbst ist, wie die Protagonistin Vitória, 1979 in der Region Huambo in Angola geboren und als kleines Kind nach Portugal, welches noch bis kurz davor Kolonialherrschaft über Angola besaß, ausgewandert. Im Roman flüchten die Großeltern mit Vitória vor dem Unabhängigkeitskrieg, welcher zu dieser Zeit schon in einen Bürgerkrieg übergegangen ist, nach Portugal, ins „Mutterland“. Eine ihrer drei Töchter, Rosa, die Mutter Vitórias, bleibt zurück, da sie als Soldatin kämpfen will. In 2003 kehrt nun Vitória zurück nach zunächst Luanda (Hauptstadt von Angola) und reist später weiter nach Huambo, um ihre Mutter zu finden. Wie viel davon einen biografischen Hintergrund hat, ist mir nicht bekannt, aber wie gesagt, ist der Autorin sicherlich viel am Thema gelegen.
So gern ich dieses Buch aufgrund der Grundthematik und meinem Interesse dafür gemocht hätte, hat es mich leider mit fortschreitender Lektüre mehr und mehr enttäuscht.
Gleich zu Beginn (und durchgängig bis zum Ende) ärgerte ich mich über den Schreibstil der Autorin. Dieser besteht von Anfang bis Ende aus den banalsten Satzaufbauten (Subjekt, Prädikat, Objekt) ohne gleichzeitig eine gewollte Einfachheit oder Redundanz als Stilmittel an den Tag zu legen. Das Buch klingt von vorn bis hinten wie der Aufsatz einer Schülerin des Abiturjahrgangs (bestenfalls). Als Beispiel diese Passage, obwohl man jede Seite des Buches aufschlagen könnte und eine ähnliche finden würde. Diese habe ich gezielt mit allen Zeilenumbrüchen übernommen:
„Nádia und Katila fragen, ob sie aufstehen dürfen. Sie wollen sich umziehen gehen.
Katila fragt, ob ich mitkommen will, etwas trinken und tanzen.
'Es wird bestimmt lustig', ermuntert mich Romena. 'Es sind schon viele zurück vom Studieren in Lissabon, London, Houston.'
Ich entschließe mich mitzukommen.
Ich will helfen, den Esstisch abzuräumen. Romena sagt, ich solle bloß nichts tun:
'Du bist zu Besuch.'
Cousine Salala darf weiter abräumen helfen. [usw. usf.]“
Neben dem zu simplen Satzaufbau und der geringen Aussagekraft der mitunter banalen, vermittelten Inhalte, fällt der nicht nachvollziehbare Wechsel der Erzählperspektive negativ auf. So beginnt der Text aus der Perspektive von Vitória in der Ich-Form erzählt, wechselt nach 50 Seiten kurz in einen personalen Erzählstil, wobei hier von Person zu Person innerhalb der Kapitel wild hin und her gewechselt wird. Diese Personen, in die wir hineinhören, sind aber keine für den Plot wichtigen Figuren. Vielleicht handelt es sich auch um einen allwissenden Blick, das ist tatsächlich schwer zu eruieren. Dann erfahren wir ganze gedankliche Monologe von einer bisher unbekannten und später auch nicht mehr wichtigen Figur in Kursivschrift, ein Stilmittel, was viel später im Roman noch einmal für Vitória angewandt wird. Die Perspektive wechselt zurück zur Ich-Erzählerin Vitória, nur um irgendwann wieder innerhalb eines Kapitels von einem Satz zum nächsten personal/allwissend zu werden. Dahinter scheint aber kein Muster durch, welches stilistisch oder inhaltlich diese Wechsel begründet würde. So scheint es eher, als ob die Autorin ihre eigene Erzählstimme noch finden müsse und sich hier und dort mal ausprobiert. Es wirkt tatsächlich weniger geplant als vielmehr aus Versehen so passiert.
Wenn schon der Schreibstil nicht sonderlich originell erscheint, so möchte man meinen, dass es dies dann der Inhalt hergeben sollte. Eigentlich ist das auch der Fall, da dieser Blick auf sowohl das heutige Angola als auch dessen nähere Vergangenheit im Sinne des Unabhängigkeits-/Bürger-/Stellvertreterkriegs es nicht oft oder gar nicht nach Deutschland zwischen zwei Buchdeckel schafft. Nur leider wird hier die Autorin überhaupt nicht speziell im Geschilderten. Die Handlung könnte, um es hart auszudrücken, in jedem anderen afrikanischen Land spielen. Das an sich könnte auch schon eine Aussage sein, keine Frage. Aber doch wird zu stark, auch vom Verlag, genau dieses angolanische Thema propagiert, um es dann nicht auszureizen. Leider wird wenig bis gar nichts zum Geschehen, in welches die Mutter der Protagonistin im Krieg verwickelt war, ausgeleuchtet. Gerade diese Stellung zwischen Ostblock und dem Westen, welche Angola zu einem Paradebeispiel für Stellvertreterkriege machen würde, erfährt keine Zuwendung der Autorin. Es gibt derzeit aktuelle Bücher von Autor:innen verschiedenster afrikanischer Länder auf dem Buchmarkt, die diese Zerrissenheit ihrer heutigen Protagonisten mit der Historie ihres Heimatlandes oder des Heimatlandes ihrer Vorfahren viel besser zeichnen, als es Monteiro schafft. Wenn dann noch eine Konversation über den Krieg in einer Schlüsselszene folgendermaßen abläuft:
„ ‚Jeder Krieg ist Verbrechen.‘
‚Verbrechen und seelisches Elend.‘
‚Ein Verbrechen, das ungesühnt bleibt.‘ “
hat Monteiro zwar nichts falsches geschrieben, bleibt aber auch weit unter meinen Erwartungen an einen anspruchsvollen Roman zurück. Eine Reflexion über den Krieg oder eine tiefgründige Beschäftigung der Protagonisten damit sucht man hier leider vergebens.
Selbst wenn mein eigener Anspruch an ein Buch, etwas mehr über die Lebens- oder geschichtlichen Umstände der Protagonisten zu lernen, nicht der der Autorin dieses Buches ist, so sollte es zumindest der sein, ihren Protagonist:innen näher zu kommen und etwas Tiefgründiges über diese zu erfahren. Leider gelingt auch dies der Autorin nur schwerlich. Die Charaktere bleiben meines Erachtens eher flach, ihre Beweggründe und Motive erscheinen nur teilweise nachvollziehbar und eine Charakterentwicklung wird nur behauptet und wenig erfahrbar gemacht. Nie habe ich deshalb so richtig mit Vitória mitfiebern können. Leider.
Die Handlung des Romans bekommt im späteren Verlauf plötzlich neue Stränge, unabhängig von den nicht nachvollziehbaren Perspektivwechseln, die ebenso wenig nachvollziehbar bleiben und nicht zielführend für die Gesamtaussage des Romans scheinen. Letztendlich wirkt es fast unerheblich, dass die Mutter Soldatin war. Der Plot um die Tochter Vitória und ihre Selbstfindung in Angola hätte auch ohne dieses Detail erzählt werden können. So verpufft der Roman zum Schluss, obwohl ab und an gute Ansätze durchscheinen konnten, ohne irgendeinen Nachhall bei mir hinterlassen zu haben.
Somit komme ich auf eine Gesamtbewertung von 2,5 Sternen = „unterdurchschnittlich“ bis “okay“. Ich habe mich für ein Abrunden auf 2 Sterne entschieden, da ich diesen Roman einfach nicht weiterempfehlen würde und mir aus dem Stegreif mindestens vier andere Romane mit ähnlichem Inhalt einfallen, die meiner Meinung nach handwerklich viel besser gemacht sind. Schade, da mich auf den ersten Blick der Klappentext in Kombination mit dem Titel und der Covergestaltung direkt ansprechen konnte.