Scheinreich- Eine Wiener Geschichte über Liebe, Lust, Lüge und Leid
Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels
Die bekannte, mit vielen Preisen ausgezeichnete Autorin Vea Kaiser hat mit ihrem neuen Roman “Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels” ein Bild von Wien von den neunzehnhundertachtziger Jahren bis ...
Die bekannte, mit vielen Preisen ausgezeichnete Autorin Vea Kaiser hat mit ihrem neuen Roman “Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels” ein Bild von Wien von den neunzehnhundertachtziger Jahren bis in die Jetztzeit gezeichnet. Der gediegene Schutzumschlag des Buches zeigt einen Luster der Wiener Manufaktur Lobmeyr, der so in Hotels auf der ganzen Welt hängen könnte. In diesem Roman hängt er in Wien im fiktiven Traditionshotel Frohner.
Angelika, Ende zwanzig, ist dort Buchhalterin. Jeden Tag sieht sie, die in einem Gemeindebau im roten Wien aufgewachsen ist, die Reichen und Schönen mit ihrem wie selbstverständlich herablassenden Benehmen und ungehobelten Manieren. Angelika ist eine Partymaus, trägt gerne Miniröcke und frequentiert neben Discos durchaus auch einmal mit ihrer Freundin Ingi den Branntweiner ums Eck. Doch in ihrer Arbeit ist sie sehr penibel und ehrgeizig, denn ihre Mutter, Hausmeisterin im Gemeindebau, hat ihr als Kind zwar keine Liebe gegeben, aber Prinzipien: Haltung bewahren und keine Fehler machen, dann könne niemand etwas sagen.
Auch der Hoteldirektor ist von Angelikas Fleiß beeindruckt. Gegen eine Manipulation der Buchhaltung könne sie Karriere machen. Aber Angelika wird schwanger, bekommt einen Sohn, Sebastian, hat einen notorisch unzuverlässigen Partner und das Geld ist knapp. Angelika sinnt auf Abhilfe, was der Direktor kann, kann sie auch.
“Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels” erzählt die Geschichte einer Frau, die sich mit den falschen Männern umgibt, die wenig Hilfe bieten und noch weniger Geld haben. Doch um Hilfe von den Großeltern von Sebastian anzunehmen, ist sie zu stolz. Dieser Roman ist eine Entwicklungsgeschichte von der Kindheit der vaterlos aufgewachsenen Angelika über die Kindheit ihres Sohnes bis zu seinem Erwachsenenalter. Immer wieder macht sich Angelika vor, dass sie sich ja nur einen Kredit gewähre, wenn sie Geld des Hotels auf ihre Privatkonten abzweigt. Die schwierigen ersten Jahre als Mutter - zwischen Glück und Verzweiflung- können die Lesenden ebenso mitverfolgen wie den steigenden Wohlstand der Familie mit Kauf einer Villa in der besten Gegend Wiens. Auch Sebastian entwickelt sich von einem schwierigen pubertierenden jungen Mann zu einem scheinbar äußert erfolgreichen Erwachsenen. Doch dann ist Sebastian wieder in finanziellen Schwierigkeiten…
Vea Kaiser hat einen gelungenen Kunstgriff gemacht, um ihre Geschichte zu erzählen, die auf einem wahren Kriminalfall beruht. Sie lässt die Autorin, vielleicht Vea Kaiser selbst, Angelika im Gefängnis besuchen und rollt so das Leben einer Frau auf, die alles für ihr Kind tun wollte, aber letztlich jedes Maß verloren und einen enormen Schaden verursacht hat. Besonders hervorheben muss man den typischen Wiener Lokalkolorit, der die Schilderungen der Sprache und des Lebens im Gemeindebau genau so authentisch wiedergibt wie die Bussi-Bussi-Welt der Reichen. Manchmal erscheint die Sprache derb, die Dialektausdrücke sind aber zu dieser Zeit durchaus gebräuchlich und werden auch im Anhang erklärt.
Der Roman bietet ausgeprägte Charaktere. Die Hauptfigur ist Angelika, die die gehobene Gesellschaft einerseits verachtet- wer einmal in der roten Wolle gefärbt wurde, wird das ein Leben lang nicht vergessen- andererseits aber gerne dazugehören möchte, vor allem um ihres Sohnes willen. Das scheint zu gelingen, doch auch hier nimmt das Leben unglückliche Wendungen. Alle anderen Figuren sind ebenso bezeichnend ausgearbeitet, Männer, die entweder nicht fähig oder willig sind, Verantwortung zu übernehmen. Angelikas Freundin Ingi steht für das Abrutschen ins Drogenmilieu, doch selbst in dieser Situation bleibt Angelika ihr gegenüber loyal. Trotz ihrer ausgeprägten Begabung für Zahlen fällt Angelika jedoch selbst auf Betrüger herein. Neben allen Problemen leidet ihre Mutter an fortschreitender Demenz, eine enorme Belastung und ein weiterer Faktor, der großteils nur ein fremdbestimmtes Leben ermöglicht.
Vea Kaiser schreibt lebendig und beobachtend, niemals wertend. Die Milieuschilderungen sind exakt gelungen und die Lesenden nehmen direkt an Angelikas Leben teil. Dennoch fokussiert sich das Buch weniger auf den Kriminalfall, sondern mehr auf Angelikas Mutterrolle, eine zwar sehr interessante Perspektive, die aber vielen Leserinnen aus eigener Erfahrung bekannt sein wird, wodurch für diese Gruppe vielleicht Längen entstehen könnten. Freude werden aber alle Wien- Liebhaber haben, denn Vea Kaiser erwähnt nicht nur die wichtigsten Wiener Sehenswürdigkeiten, sondern auch die oftmals heute noch existierenden Lokale und Kaffeehäuser, die Würstelstände, den Opernball und sogar die Branntweiner, wo man schon am frühen Morgen Alkohol bekommt. Nicht nur wegen dieses typischen Wien-Flairs bietet dieser vielschichtige Roman gute Unterhaltung, ist absolut lesenswert und ich empfehle ihn gerne weiter.