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Veröffentlicht am 21.10.2016

Authentisches Dorfleben

Unterleuten
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Fernab von aller Großstadt-Hektik liegt das Dorf "Unterleuten" in Brandenburg. Hier kennt noch jeder jeden und Zugezogene haben es nicht leicht, denn wer sich nicht an die dörflichen Regeln hält, wird ...

Fernab von aller Großstadt-Hektik liegt das Dorf "Unterleuten" in Brandenburg. Hier kennt noch jeder jeden und Zugezogene haben es nicht leicht, denn wer sich nicht an die dörflichen Regeln hält, wird zum Außenseiter. Ein geplanter Windpark und die damit verbundenen Flächennutzungen lassen das Geflecht aus ungeschriebenen Schuldverhältnissen und gegenseitigen Gefälligkeiten auseinanderfallen. Jeder will ein Stück des Kuchens ergattern und bringt damit das Dorfgefüge ins Wanken. Lange unterdrückte Missgunst, alte DDR-Seilschaften und falschen Ambitionen von Neubürgern ergeben eine explosive Mischung.

Juli Zeh beschreibt ein Dorf, das sicherlich viele schon so vor Augen hatten. Auf den ersten Blick eine ländliche unberührte Idylle, die man erst auf der Karte suchen muss. Die 250 Bewohner lieben es schlicht und ruhig. Die ehemalige LPG, jetzt ein Agrarbetrieb mit Bio-Siegel ist der einzige große Arbeitgeber weit und breit. Neu ist der Aufwand, der um das Buch herum betrieben wurde. Die Autorin sagt selbst über das Buch: "'Unterleuten' hatte von Anfang an die Tendenz, über die Buchdeckel hinaus zu wuchern." Im Internet findet man eine eigene Website http://www.unterleuten.de/, die nicht nur das Dorf mit Ortsplan und die Bewohner akribisch genau in Steckbriefen beschreibt, sondern auch Medien wie facebook und youtube nutzt, um Charaktere des Buches "lebendig" werden zu lassen. Zum Verständnis der Handlung sind diese zusätzlichen Angebote aber nicht erforderlich.

Nach Veränderung strebt in Unterleuten niemand. Die Charaktere sind nicht sympathisch, glatt und nett anzuschauen, sie polarisieren. Jeder hat sich sein eigenes kleines Weltbild geschaffen und lässt daran nicht rütteln.

"Am liebsten sprach er davon, dass das Drama der modernen Politik im fanatischen Streben der Menschen nach Veränderung liege. Die
Menschen von heute konnten nichts lassen, wie es war, auch das Gute nicht. Wenn etwas funktionierte, machten sie es mit ihrer Änderungswut kaputt, bis es wieder Probleme gab, mit deren Lösung sie sich profilieren konnten."


Die Handlung, die nicht mehr als zwei Monate (Juli und August 2010) einnimmt, überrascht durch immer neue Wendungen. Man bewegt sich von der Oberfläche in immer tiefere menschliche Abgründe. So wie man seinen Nachbarn vermeintlich kennt, hat man auch bei den Unterleutenern schnell Schubladen geöffnet und sich eine Meinung gebildet. Doch es kommt anders, dramatisch und unvorhersehbar.

Das Spiel um Missverständnisse und Schuldzuweisungen wird von der Autorin gekonnt inszeniert. Ein gesellschaftskritisches Lesevergnügen der besonderen Art.

Veröffentlicht am 17.10.2016

Die Sprache siegt über die Handlung

Der Hydrograf
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Das Jahr vor dem 1. Weltkrieg ist für den Hydrografen Graf Franz von Karsch-Kurwitz der Aufbruch in ein neues Leben. Auf der Flucht vor gesellschaftlichen Zwängen reist er per Schiff nach Valparaíso, um ...

Das Jahr vor dem 1. Weltkrieg ist für den Hydrografen Graf Franz von Karsch-Kurwitz der Aufbruch in ein neues Leben. Auf der Flucht vor gesellschaftlichen Zwängen reist er per Schiff nach Valparaíso, um das Meer zu erforschen. Eine geheimnisvolle Schönheit kommt in Lissabon an Bord und verdreht nicht nur Karsch den Kopf. Vorgezeichnete Wege und Pflichtgefühl scheinen fern der Heimat ihren Wert zu verlieren.

Gleich zu Beginn hat man das Gefühl, ein viel älteres Buch zu lesen. Der Schreibstil wirkt poetisch entrückt. Allard Schröder setzt auf die Sprache, die er spielerisch und gekonnt verwendet. Die Handlung und selbst die Charaktere werden zur Nebensächlichkeit. Eine Epoche, in der Zeit noch nicht so wertvoll war wie heute. An Karsch kann man erkennen, wie langsam er seine Tage vergehen lässt.
Mit der Emotionslosigkeit von ihm hatte ich anfangs so meine Probleme. Leidenschaft scheint für diesen Mann ein Fremdwort zu sein. Für ihn gibt es nur Pflicht. Er sieht die Sinnlosigkeit allen Tuns (seines Standes) und kapituliert. Die Doppelmoral der damaligen Zeit wird sehr deutlich herausgearbeitet.

"Sein Leben war ihm oft wie eine Flucht erschienen. Nicht
vor etwas, sondern zu etwas. Er suchte ein Refugium, ein Asyl,
einen stillen, weiblich duftenden Ort, an dem sich alles in sei-
ner regungslosen Herrlichkeit zeigte. "


Karsch wie seine Reisebegleiter, der Salpeterhändler Moser und der Lehrer Todtleben, stehen für die sozialen Stellungen. Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges befindet sich die Welt im Aufbruch. Adel, Unternehmer und Gelehrte müssen sich neu orientieren, dies wird erlebbar herausgearbeitet.

Die geheimnisvolle Asta Maris lässt Karsch all seine Vorsätze hinterfragen und ihn für eine kurze Zeit frei von Zwängen an die Zukunft denken.
Doch am Ende bleibt Karsch für mich eine tragische Figur, die zeitlebens keinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat.

Meine positive Bewertung liegt an der wundervoll eingesetzten Sprache, die über die Handlung gesiegt hat. Es ist schwer zu beschreiben, was den Reiz des Buches ausmacht, man muss es erleben.

Veröffentlicht am 17.10.2016

Man möchte mit auf Zeitreise gehen

Federflüstern
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Bevor Oliver, Iris und Rosa sich versehen, reisen sie versehentlich zusammen mit Lucia ins Jahr 1891. Gut, dass Lucia eine erfahrene Zeitreisende aus dem 23. Jahrhundert ist und den Kindern hilft, im Berlin ...

Bevor Oliver, Iris und Rosa sich versehen, reisen sie versehentlich zusammen mit Lucia ins Jahr 1891. Gut, dass Lucia eine erfahrene Zeitreisende aus dem 23. Jahrhundert ist und den Kindern hilft, im Berlin des 19. Jahrhunderts nicht aufzufallen. Der Schreck ist groß als sie erfahren, dass sie womöglich keine Chance zur Rückkehr in die Gegenwart haben. Der berühmte Schriftsteller Mark Twain, der gerade in Berlin wohnt, soll ihnen helfen. Er ist wohl der einzige Mensch, der ihre abenteuerliche Geschichte glauben wird.

Holly-Jane Rahlens hat mit Federflüstern den zweiten Band der Zeitreiseabenteuer geschrieben. Auch wer den ersten Teil "Blätterrauschen" nicht kennt, ist schnell mit den Charakteren vertraut. Das Cover passt perfekt zum ersten Band und hat dadurch einen hohen Wiedererkennungswert. Hilfreich ist eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse, auf die auf der ersten Seite sehr sympathisch von Rosa im Jahr 2040 hingewiesen wird. Der Schreibstil ist leicht, humvorvoll, verständlich und fesselnd. Das empfohlene Lesealter ab 11 Jahren entspricht dem Inhalt. Viele liebevolle Details und Augenzwinker-Momente lassen dieses Buch auch für Erwachsene zu einem besonderen Erlebnis werden.

Die Kombination von Menschen aus der Zukunft, die Zeitreisen als alltägliches Schulfach erleben und den überraschten Kindern, die plötzlich in der Vergangenheit landen, ist sehr gelungen. Lucia erscheint tough, sehr selbstbewusst und sicher in ihrem Auftreten, zeigt aber auch kleine Schwächen und Ängste, die sie dadurch umso sympathischer erscheinen lassen. Die Charaktere Oliver, Iris und Rosa besitzen sehr viel Charme und wirken authentisch.

Der Spannungsbogen wird gleichmäßig hoch gehalten. Man fiebert mit den Kindern mit, bangt darum, ob sie es schaffen wieder in ihre Zeit zurückzugelangen und ist begeistert von den Berlin-Schilderungen im Jahr 1891. Dass sich die Autorin intensiv mit der Vergangenheit beschäftigt hat, ist der Geschichte anzumerken und verleiht ihr einen besonderen Flair. Die Figur Mark Twain ist besonders gelungen. Auch wenn die Autorin ihn für die Geschichte geformt hat, möchte man diese Romanfigur liebend gern selbst kennenlernen.

"Aber was nutzt einem das gesamte Wissen der Menschheit, wenn man das alles nicht versteht? Und was ist mit dem Herzen? Dort liegt doch der wahre Wert des Lebens. Ohne Herz ist Wissen nichts" ...

Interessant sind die Schilderungen wie die Menschen in der Zukunft leben. Leider beurteilen sie sich immer noch nach Herkunft und Gesellschaftsschicht. Krit und Lucia stehen für unterschiedliche Lebenseinstellungen. Sie zeigen aber auch, dass wenn man vom Schubladendenken abweicht, überraschende Übereinstimmungen finden kann.

Viele humorvolle Szenen lockern die Handlung auf. Ein Uhrmacher versucht Olivers vermeintliche Uhr (dessen Smartphone) zu öffnen und erschrickt sich fürchterlich als plötzlich ein Song von den Beatles läuft.

Ein wunderschönes Familienbuch, um für ein paar Stunden dem Alltag zu entfliehen und auf Zeitreise zu gehen. Holly-Jane Rahlens garantiert absoluten Lesegenuss.
Unsere Familie ist schon sehr gespannt auf die Fortsetzung.

Veröffentlicht am 06.10.2016

Fesselnder Krimi mit außergewöhnlichem Hintergrund

Wintertod
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Sein erster Fall in der neuen Dienststelle in Berlin scheint ein vertuschter Suizid zu sein, doch Hauptkommissar Arne Larsen hat Zweifel. Trotz Verbot des Vorgesetzten ermittelt er weiter und stößt schnell ...

Sein erster Fall in der neuen Dienststelle in Berlin scheint ein vertuschter Suizid zu sein, doch Hauptkommissar Arne Larsen hat Zweifel. Trotz Verbot des Vorgesetzten ermittelt er weiter und stößt schnell auf Ungereimtheiten. Zusammen mit seiner Kollegin Mayla Aslan entdeckt er Spuren, die in eine Grundschule und in die DDR-Vergangenheit führen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn ein Kind wird vermisst.

Wintertod ist der 2. Band um Hauptkommissar Arne Larsen. Obwohl es für mich der erste Krimi mit dem Ermittler war, hatte ich nicht das Gefühl etwas zu vermissen. Der Krimi ist in sich geschlossen und verständlich. Thomas Nommensen hat einen fesselnden und sehr lebendigen Schreibstil. Man fühlt sich direkt an der Seite von Arne Larsen und kann seine Gefühle deutlich spüren.

Verschieden aufeinander zulaufende Erzählstränge erhöhen den Spannungsbogen. Gegenwart, Vergangenheit und Rückblicke sind harmonisch aufeinander abgestimmt. Puzzlestein für Puzzlestein werden die Vorgänge immer mehr verfeinert und trotzdem kommt man einfach nicht auf die Lösung. Das führt dazu, dass man einfach immer weiterlesen möchte.

Die Beschreibungen der Handlungsorte sind sehr gelungen. Eine von Schülern gequälte Lehrerin kehrt an ihre Grundschule zurück und muss erkennen, dass sich nichts verändert hat. Die beklemmende Situation in der Lehrer voller Hilflosigkeit wegschauen und aufgeben statt zu helfen macht sehr nachdenklich. Noch intensiver werden die Schilderungen der Waldsiedlung während der DDR-Zeit. Hier lebt ein kleiner elitärer Kreis abgeschottet vom Rest der Bevölkerung. Geschützt vor fremden Blicken wächst hier ein Kind unter extremen Bedingungen auf. Fassungslos verfolgt man dessen Werdegang und ahnt, dass es Verbindungen zum aktuellen Fall geben muss.

Arne ist eigenwillig aber sympathisch. Obwohl er neu an der Dienststelle ist, setzt er sich gegen seinen Vorgesetzten durch, ignoriert die Kälte seiner neuen Kollegin und kämpft für seinen ersten Fall. Trotz der allgegenwärtig beklemmenden Düsternis macht das Lesen unheimlich Spaß. Intelligent und hochsensibel werden aktuelle Themen einbezogen und machen nachdenklich.

Dieser Krimi hat mir sehr gefallen und ich bin schon jetzt auf die Fortsetzung gespannt.

Veröffentlicht am 05.10.2016

Frauenschicksale in norwegischem Bergwerksstädtchen

Das Geheimnis der Mittsommernacht
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Auf dem Weg in ein neues Leben begleitet 1895 Clara Ordal ihren Ehemann in dessen norwegische Heimatstadt Røros. Durch ein Unglück ist Clara in der fremden Stadt allein auf sich gestellt und stößt als ...

Auf dem Weg in ein neues Leben begleitet 1895 Clara Ordal ihren Ehemann in dessen norwegische Heimatstadt Røros. Durch ein Unglück ist Clara in der fremden Stadt allein auf sich gestellt und stößt als Katholikin überall auf Ablehnung. Nur ihr kleiner 6-jähriger Sohn Paul gibt ihr den Halt weiterzumachen. In Røros lebt Sofie, die Tochter des Bergwerksbesitzers Ivar Svartstein. Sie leidet unter dem harten Regiment, das ihr Vater nach dem Tod der Mutter führt. Eine heimliche Liebe zu einem adeligen Deutschen scheint ihr Ausweg zu sein.

Die Bücher von Christine Kabus erzählen Geschichten aus der Vergangenheit, lassen Figuren lebendig werden und Landschaften und Orte bildlich hervortreten. Auch hier im Norwegen des 19. Jahrhunderts hat man gleich das Gefühl die kleine Bergwerksstadt Røros wahrhaftig zu betreten. Durch detaillierte Beschreibungen, wie z. B. der Kleidung der Protagonisten, kann man sich ein Bild machen.

Zwei Frauenschicksale werden in aufeinander zulaufenden Handlungssträngen betrachtet. Clara Ordal muss fern ihrer deutschen Heimat in Norwegen fast mittellos als Witwe einen Neuanfang wagen. Trotz Sprachschwierigkeiten findet sie eine Anstellung und die fehlende Unterstützung der Familie ihres Mannes ersetzt ihre sympathische Vermieterin.
Sofie Svartstein wächst wohlhabend und behütet auf. Durch den Tod ihrer Mutter muss sie sich der Realität stellen. Vater und ältere Schwester geben die strengen gesellschaftlichen Regeln vor, wie das zukünftige Leben der jungen Frau aussehen soll. Sofie wehrt sich dagegen und hadert mit ihrem Schicksal.

Politische Hintergrundinformationen, technische Beschreibungen wie Druckmaschinen und Bergwerksarbeit werden als Einschübe in die Handlung eingeflochten, wollen aber nicht immer zum leichten Schreibstil passen. Besonders die immer wiederkehrende Erwähnung der Arbeiterbewegung, die sich gegen die Übermacht des Bergwerksbesitzers auflehnt und langsam an Gewicht gewinnt war, für mich nicht genug in die Handlung eingebunden. Der Charakter Per hätte besser herausgearbeitet werden müssen. Das Anliegen der Autorin war aber dennoch spürbar.

Trotz eines Geheimnisses, das die Familien Ordal und Svartstein umgibt, konnte mich die Handlung nicht fesseln. Schon recht früh hatte ich das Gefühl die Schicksale der beiden jungen Frauen zu kennen. Man ahnt, in welche Richtung Sofies Rebellion sie bringt und auch Claras Schicksal ist nicht überraschend, als ein gutaussehender Mann auf der Bildfläche erscheint.

Nebencharaktere wie die Samin Siru, die als Hirtin in den Wäldern lebt oder der alte Knecht, der Clara hilfreich auf dem Hof zur Seite steht, wirken weitaus sympathischer als die Hauptprotagonistinnen.

Auch wenn am Ende der Spannungsbogen deutlich steigt und das Geheimnis der Mittsommernacht überraschend gelüftet wird, konnte mich die Autorin diesmal nicht wie gewohnt begeistern.

Für Fans von historischen Liebesromanen sicherlich ein Lesegenuss, mir fehlte Tiefgang.

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