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Veröffentlicht am 15.07.2019

Suche der Protagonistin nach den eigenen Wurzeln verbunden mit der Geschichte Armeniens

Hier sind Löwen
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„Hic sunt leones“ (lat.), ins Deutsche übersetzt „Hier sind Löwen“ wurde früher von den Römern auf die Bereiche einer Landkarte geschrieben, die außerhalb des römischen Reiches lagen. Dort war für sie ...

„Hic sunt leones“ (lat.), ins Deutsche übersetzt „Hier sind Löwen“ wurde früher von den Römern auf die Bereiche einer Landkarte geschrieben, die außerhalb des römischen Reiches lagen. Dort war für sie unbekanntes Gebiet auf dem ihre Gesetze keine Geltung hatten und der Aufenthalt risikoreich war. „Hier sind Löwen“ heißt auch Katerina Poladjans Roman, in dem sie von Helene Mazavian erzählt, einer deutschen Buchrestauratorin die beruflich nach Jerewan fliegt, der Hauptstadt Armeniens. Für Helene ist es eine Reise entsprechend des Titels ins Neuland. Eigentlich freut sie sich nur darauf, weitere Kenntnisse und Fertigkeiten im Job zu erlangen, doch für sie führt die Fahrt auch zu ihren familiären Wurzeln und in die Vergangenheit Armeniens.

Ihr Vor- und Nachname ist Helene bisher nicht wichtig gewesen. Von Freunden wird sie Helen gerufen, von ihrer Mutter Lena, mit den Abwandlungen ihres Namens hat sie in Kinderjahren gespielt. Ihren Nachnamen hat sie von ihrer Mutter, die armenischer Abstammung ist. Aufgrund seiner Phonetik fällt er in Deutschland auf. Bei ihrer Ankunft in Jerewan reiht sich ihr Name in den Klang der Sprache ein, was bei ihr ein gutes Gefühl auslöst. In den Werkstätten des zentralen Archivs für armenische Handschriften kommt ihr die Aufgabe zu, ein Evangeliar aus dem 18. Jahrhundert zu restaurieren. Bei diesem Erzählstrang lässt Katarina Poladjan ihre profunden Kenntnisse über Buchbinderei immer wieder einfließen. Helen versieht ihre Arbeit mit Achtung gegenüber dem Buch. Zwar versteht sie kein Armenisch, doch die Ausgestaltung des Textes zieht sie immer mehr in ihren Bann. In Helens Gedanken entsteht eine Geschichte um ein armenisches Geschwisterpaar in der Zeit der Massaker und Todesmärsche des Jahres 1915, die das Buch auf ihrer Flucht im Gepäck haben.

Helen ist die Tochter einer Künstlerin. Als sie noch ein Kind war, hat ihre Mutter ihre Spielsachen in ihre Kunst eingearbeitet und so versucht, ihren Bildern mehr Tiefe zu geben und sie zum Betrachter sprechen zu lassen. Helen nimmt diesen Spirit mit in ihre eigene Arbeit. Mit dem Restaurationsgegenstand in ihren Händen formen sich Bilder in ihrem Kopf über dessen Gebrauch und Nutzen. Durch eine Randnotiz im Evangeliar verbindet die Autorin die Zeitebene der Gegenwart mit derjenigen der Vergangenheit. In eingeschobenen Kapiteln erzählt sie in bewegender Weise von der Flucht des armenischen Jungen Hrant, der erst sieben Jahre alt ist, und seiner einige Jahre älteren Schwester Anahid, die die einzig Überlebenden ihrer Familie sind. Bei ihrer Flucht vor Deportationen haben sie das Buch im Gepäck.

Von ihrer Mutter hat Helen ein Familienbild aus den 1950ern vor der Reise erhalten mit dem Wunsch, nach den darauf abgelichteten Verwandten zu suchen. Statt sich nur dem Erlernen der besonderen armenischen Buchbindekunst zu widmen, beginnt sie aufgrund des Bilds und des Evangeliars, sich für die Geschichte des Landes zu interessieren. Immer stärker wird ihr bewusst, welches Leid die Bewohner im vergangenen Jahrhundert erfahren haben, das bis heute nachhallt. Spätestens jetzt interessierte ich mich für die Geschichte Armeniens und warum die Armenier in großer Zahl verfolgt, ausgewiesen und getötet wurden.

In Armenien erlebt Helen so viel Neues, Ungewohntes, dass sogar ihr Lebensgefährte in Deutschland für sie in den Hintergrund tritt. Ihre Neugier treibt sie dazu, Grenzen auszuloten und sich auf Unbekanntes einzulassen. Die Autorin schaffte es, die Empfindungen ihrer Protagonistin an mich zu übermitteln. Nicht nur durch das Fremde ist Helen von einer Unruhe ergriffen, sondern auch von den Gefühlen zu einem Mann, über deren Tiefe sie sich nicht im Klaren ist und die für sie nicht vergleichbar sind. Deutlich spürte ich den Zwiespalt in ihr, die richtigen Entscheidungen in Bezug auf ihre Zukunft zu treffen.

Katerina Poladjan nahm mich in ihrem Roman „Hier sind Löwen“ mit nach Armenien. Ihre Protagonistin und Ich-Erzählerin Helen entwickelt sich durch das Erlernen einer neuen Bindetechnik eines Buchs nicht nur beruflich weiter, sondern nähert sich durch die Beschäftigung mit Land und Leuten auch ihren eigenen Wurzeln. Durch die Begegnung mit der Fremde und dem Vergleich mit ihren bisherigen Wertvorstellungen erfährt sie mehr über sich selbst. Die Schilderungen der Autorin berührten mich und von den Erlebnissen des armenischen Geschwisterpaars in der Nebenhandlung war ich erschütternt. Gerne bin ich an der Seite Helens in die Geschichte Armeniens eingetaucht und empfehle daher den Roman weiter.

Veröffentlicht am 06.07.2019

Unterhaltsamer, spannender und bewegender Roman, der im Jahr 1920 spielt

Mehr als die Erinnerung
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m Roman „Mehr als die Erinnerung“ nahm Melanie Metzenthin mich mit auf das fiktive Gut Mohlenberg in die 1920er Jahre. Auf dem Gut hat Dr. Meinhardt vor einigen Jahren eine Einrichtung für psychisch kranke ...

m Roman „Mehr als die Erinnerung“ nahm Melanie Metzenthin mich mit auf das fiktive Gut Mohlenberg in die 1920er Jahre. Auf dem Gut hat Dr. Meinhardt vor einigen Jahren eine Einrichtung für psychisch kranke Menschen errichtet. Die Patienten dort versuchen nach ihren Möglichkeiten, sich selbst zu versorgen. Das Coverbild illustriert, dass die Arbeitsgrundlage der Anstalt nicht nur die Erziehung zur Selbständigkeit ist, sondern den Hilfesuchenden Ruhe und Entspannung auf dem weitläufigen Gelände bietet. Der Titel verdeutlicht, dass es nicht nur auf schöne Erinnerungen ankommt, die man mit lieben Menschen teilt, sondern auch gemeinsame Empfindungen.

Friederike ist die Tochter des Gründers. Sie war eine der ersten Frauen, die in Heidelberg zum Medizinstudium zugelassen wurden. Dort begegnete sie ihrem späteren Ehemann, dem vormaligen Leutnant Bernhard von Aalen, der sich im Weltkrieg eine schwere Kopfverletzung zugezogen hat, die seine Erinnerungen beeinträchtigt. Friederike brach daraufhin ihr Studium ab, um ihren Mann zu pflegen. Beide wohnen auf Gut Mohlenberg. Eines Tages ersucht ein junger Mann um Arbeit. Er leidet unter den schweren Verbrennungen im Gesicht, die er sich ebenfalls im Krieg zugezogen hat. Seine Papiere sind zweifelhaft, doch schnell entsteht eine Freundschaft zwischen Bernhard und ihm. Kurz nacheinander geschehen zwei schreckliche Morde in der Nähe des Gutes. Es entstehen Gerüchte bei den Ortsansässigen und der Verdacht fällt auf einen Bewohner von Gut Mohlenberg. Friedericke glaubt nicht an die Vorwürfe und beginnt Fragen zu stellen, die nicht jedem Recht sind, weil sie an Begebenheiten heranreichen, die bewusst verschwiegen wurden.

Melanie Metzenthin flechtet in ihren Roman ein Stück Geschichte der Behandlung von psychisch Kranken ein. Sie greift die damaligen Begrifflichkeiten auf und beschreibt viele Behandlungsmethoden, die mich staunen ließen über die Mittel, die man zur Heilung der Psyche einsetzte. Als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie schafft sie es, die Erkrankungen der Patienten realistisch darzustellen. Mit viel Einfühlungsvermögen versetzt sie sich in ihre Figuren und lässt sie wirklichkeitsgetreu handeln. Neben den interessanten Einblicken in das medizinische Geschehen entwickelt die Autorin in ihrer Erzählung eine kriminelle Handlung, bei der sich der Spannungsbogen langsam steigert und bis zum Ende hält. Des Weiteren kommt auch die Liebe nicht zu kurz auf besondere Art in der gefühlvollen Zuneigung des Ehepaars von Aalen. Die Schilderung des Zusammenhalts von Frontsoldaten, unterschiedliche Auffassungen über medizinische Heilweisen und Frauen als Opfer von Männern, die ihre Fantasien ausleben und vertuschen sind Themen die den Roman auf spezielle Weise ausschmücken. Angenehm überrascht hat mich der Gastauftritt des noch jungen Richard Hellmer, einer Figur aus vorigen Romanen von Melanie Metzenthin.

Mit „Mehr als die Erinnerung“ schreibt Melanie Metzenthin einen unterhaltsamen, spannenden und bewegenden Roman über die Behandlung psychischer Erkrankungen in den 1920er Jahren und zeigt damit gleichzeitig, wie viel das Leben solcher Patienten zur damaligen Zeit wert war. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und daher ich empfehle gerne an Leser historischer Romane weiter.

Veröffentlicht am 01.07.2019

Mit scharfem Blick und feiner Ironie

Der Zopf meiner Großmutter
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Im Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ von Alina Bronsky erzählt der inzwischen erwachsene Maxim von seiner Kindheit und Jugend. Er wurde von seinen Großeltern erzogen, an seine Eltern kann er sich nicht ...

Im Roman „Der Zopf meiner Großmutter“ von Alina Bronsky erzählt der inzwischen erwachsene Maxim von seiner Kindheit und Jugend. Er wurde von seinen Großeltern erzogen, an seine Eltern kann er sich nicht erinnern. An ihrer Seite kam er aus der russischen Großstadt nach Deutschland als Kontingentflüchtling, denn zu denen zählte die Familie, weil ein entfernter Verwandter angeblich jüdisch wäre, wie seine Großmutter Margarita Iwanowna, kurz Margo gerufen, ihm erklärt. Um seine Oma kreist sein gesamter Kosmos, sie behütet und beschützt ihn vor allen äußeren Einflüssen, von denen sie glaubt, dass sie Max schaden könnten. Die ungewohnte Umgebung im Wohnheim für Flüchtlinge in einem Ort in der Nähe von Frankfurt bringt neue Herausforderungen für die Großmutter mit und so fällt es ihr nicht auf, dass ihr Ehemann sich in die alleinstehende Nachbarin verliebt mit der sie sich umständehalber angefreundet hat.

„Der Zopf meiner Großmutter“ ist der erste Roman, den ich von Alina Bronsky gelesen habe. Die Vielschichtigkeit mit der sie ihre Figuren gestaltet, hat mir sehr gut gefallen. Zunächst war ich irritiert darüber, warum die Großeltern den Weg nach Deutschland gesucht haben, warum sie ihren Enkel großziehen und warum Margo ihn von allem absondert. Ist es unbändige Liebe mit der sie ihn erdrückt oder vielleicht eher Berechnung? Erst ganz zum Ende hin klärte sich, wie von mir erwartet, meine Verunsicherung. Bis dahin erfuhr ich von der früheren Karriere der Großmutter als Tänzerin, die sie für ihre Familie aufgegeben hat. Langsam wurde mir deutlich, dass sie jeder Sache, auf die sie sich einlässt mit Leib und Seele nachgeht, allerdings auch unter ständigem Klagen, dass auf Dauer zusammen mit ihren fehlenden Sprachkenntnissen zu ihrer Vereinsamung führt. Sie reagiert oft unwirsch, ist aber sofort um eine Lösung bei Problemen bemüht, sie sucht sowohl nach Mitleid wie auch nach Bewunderung. Letzteres erhält sie in ausreichendem Maße von ihrem Ehemann, der ihr fast jeden Wunsch erfüllt. Sein fehlendes Durchsetzungsvermögen sucht er durch Heimlichkeiten zu ersetzen. Durch seinen Fleiß ernährt er die Familie. Für Max ist er ungeahnt ein Vorbild, denn auch er entzieht sich im Laufe der Jahre immer mehr dem Einfluss seiner Großmutter durch stillschweigendes Ausprobieren von ihr verbotener Handlungen und durch seine Fantasie. Trotz der zunehmenden Infragestellung ihrer Anweisungen, bleiben ihm ihre Ermahnungen dennoch ständig präsent.

Alina Bronsky schildert mit scharfem Blick fürs Detail und feiner Ironie eine Geschichte über eine durch das Schicksal reduzierte Familie, bei der es eine Auseinandersetzung mit Schuld und Unvermögen lange nicht gegeben hat. Gleichzeitig ist es eine Suche nach Neuorientierung und heimisch werden. Symbolisch dazu lässt die Autorin zum Schluss einen alten Zopf abschneiden, eine veraltete Methode um sich neuen Ideen zuzuwenden. Ich habe mich köstlich beim Lesen dieser bitter-süßen Erfahrungen von Max amüsiert, die unterhalten aber auch bewegend sind. Daher empfehle ich den Roman gerne weiter.

Veröffentlicht am 24.06.2019

Höhen und Tiefen der Bewohner eines Dorfs an der ligurischen Riviera in den 1960ern

Marina, Marina
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Der Roman „Marina, Marina“ wurde nach dem gleichlautenden italienischen Hit der 1960er Jahre von Rocco Granata benannt, der ebenfalls in Deutschland ein sehr großer Erfolg war. Auch die Protagonistin ...


Der Roman „Marina, Marina“ wurde nach dem gleichlautenden italienischen Hit der 1960er Jahre von Rocco Granata benannt, der ebenfalls in Deutschland ein sehr großer Erfolg war. Auch die Protagonistin des Romans von Grit Landau, dem Pseudonym einer deutschen Autorin, heißt Marina. Überhaupt spielt Musik eine große Rolle im realen Leben der Autorin wie auch in ihrem Roman. Die Geschichte, die sie in ihrem Buch erzählt, beginnt im Jahr 1960, spielt in Episoden und endet zunächst 1968. Jedes Jahreskapitel ist mit einem Hit aus den italienischen Charts dieser Zeit betitelt und umfasst ein oder mehrere Unterteilungen. Die Lieder sollten fast jedem Leser bekannt sein und sorgten während des Lesens bei mir für Ohrwürmer.

Nicht nur die handelnden Figuren sind fiktiv, sondern auch der Handlungsort Sant’Amato an der ligurischen Riviera. Grit Landau hat den Ort in der Nähe von Imperia angesiedelt und mit zahlreichen Dorfbewohnern besiedelt. In Imperia habe ich vor ein paar Jahren selbst Urlaub gemacht und so habe ich mich durch die Beschreibungen der Autorin gerne wieder daran zurück erinnert an die vielen engen Straßen, das quirlige Miteinander und das karge Hinterland. Vor allem zwei Familien spielen im Roman eine bedeutende Rolle: Zum einen ist es die Familie des Lanteri, die Oliven anbaut und verarbeitet, zum anderen die Familie Vassallo, die im Ort einen Friseursalon betreibt. Alle anderen Charaktere, denen im Buch eine mehr oder weniger wichtige Rolle zukommt, stehen zu ihnen in verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehung. Zu Beginn der Geschichte findet sich zur besseren Übersicht und für ein kurzes Nachschlagen während des Lesens eine nützliche Auflistung der Charaktere.

Marina Vasallo stammt eigentlich aus ärmlichen Verhältnissen in Rom. Sie ist ihrem Gatten an die Riviera gefolgt. Gemeinsam haben sie zwei Kinder im Teenageralter. Nini, der halbwüchsige Sohn des Olivenbauern Davide Lanteri, ist unglücklich in sie verliebt. Aber niemand weiß, dass Marina ihrerseits ihr Herz an jemand anderen verschenkt hat. Außereheliche Affären wurden damals mit Strafen belegt und so scheint es für Marina und ihren Geliebten keine Zukunft zu geben. Grit Landau lässt auch ein Erlebnis in ihren Roman einfließen, das ihre Mutter in den 1960 selbst erlebt hat, und verbindet es mit einer weiteren romantischen Liebesgeschichte.

Zunächst ist es eine kleine Herausforderung sich an die italienischen Wörter zu gewöhnen, die die Autorin einflechtet, die allerdings eine typische Stimmung wie man sie vom Urlaub in Italien her kennt zaubern. In einem Glossar im Anhang konnte ich die Übersetzung nachschlagen, wenn sie sich nicht aus dem Textzusammenhang ergeben hat. Doch Sprache und Figuren im Blick zu behalten lohnt sich und es entspinnt sich eine Erzählung mit zahlreichen Intrigen und Verwicklungen eines ganzen Dorfs. Ich merkte rasch, dass im Hintergrund noch einige Geheimnisse in der Vergangenheit lauern, die das Verhalten einiger Bewohner in bestimmten Situationen begründen könnten und deren Schatten bis in den Zweiten Weltkrieg zurück reichten. Die Autorin schreibt dazu ein eigenes Kapitel im Anschluss an das Jahr 1968, das offene Fragen und viele Zusammenhänge klärt. Als Historikerin verbindet die Autorin hierin geschickt geschichtliche Ereignisse mit dem fiktiven Schicksal des Ortes Sant’Amato. Beendet wird der Roman mit einem Sprung ins Jahr 1980, was ich als Leser besonders angenehm fand, denn dort durfte ich erfahren, welche Entwicklungen die mir sympathisch gewordenen Figuren inzwischen durchlaufen hatten.

„Marina, Marina“ ist eine Spiegelung des Lebens der Bewohner eines italienischen Dorfs an der ligurischen Riviera. Dabei thematisiert Grit Landau deren Wünsche, Träume und Vorstellungen von einer sinnerfüllten Zukunft, die jedoch den orts- und familiengegebenen Abhängigkeiten bei der Verwirklichung unterliegen. Gerade das macht den Roman realistisch und nachvollziehbar. Gerne empfehle ich ihn weiter.

Veröffentlicht am 17.06.2019

Spannung auf subtile Weise, die bis zum Schluss nicht abbricht

Die stumme Patientin
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Die stumme Patientin im gleichnamigen Psychothriller von Alex Michaelides heißt Alicia Berenson. Sie ist Malerin und wird mit blutigen Schnitten an ihren Armen neben ihrem toten Ehemann gefunden. Alles ...

Die stumme Patientin im gleichnamigen Psychothriller von Alex Michaelides heißt Alicia Berenson. Sie ist Malerin und wird mit blutigen Schnitten an ihren Armen neben ihrem toten Ehemann gefunden. Alles deutet darauf hin, dass sie ihren Gatten an einen Stuhl gefesselt und anschließend mit fünf Schüssen auf den Kopf getötet hat. Inzwischen lebt sie seit sechs Jahren in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Anstalt. Seit dem Mord spricht sie kein einziges Wort und verweigert sich jeder Therapie. Über ein Bild von ihr wird immer noch gerätselt, ob es in Bezug zur Tat stehen könnte. Es entstand während ihres Hausarrests nach dem Verbrechen und thematisiert eine griechische Sage.

Theo Faber ist ein engagierter Psychotherapeut, der dem Fall von Beginn an viel Aufmerksamkeit gewidmet hat. Als in der Sicherheitsabteilung, in der Alicia eingewiesen ist, eine Stelle frei wird, bewirbt er sich darum und wird angenommen. In der Folgezeit setzt er alles daran, die Geschehnisse in der Nacht der Tat aufzuklären. Er fungiert in diesem Psychothriller als Ich-Erzähler. Dadurch konnte ich auch an seinen Gefühlen teilhaben. Hielt ich ihn zunächst für absolut integer, so stellte sich im Laufe der Geschichte heraus, dass er eine schwierige Kindheit hatte und selbst immer noch mit psychischen Problemen kämpft. Erstaunlich ist sein Wissen und sein Interesse über die einzelnen Details der Gewalttat.

Seine Erzählung wird durch einige Kapitel im Buch unterbrochen, in denen ich im Tagebuch von Alicia über die letzten Wochen vor dem Mord lesen konnte. Ein erster Hinweis darauf wurde im Prolog gegeben. Doch was ursprünglich als „freudige Aufzeichnung von Ideen und Bildern“ der Titelfigur gestartet wird, geht bald über in düstere Schilderungen.

Nach einigen Seiten begann ich unwillkürlich mit zu rätseln, was sich tatsächlich in der Mordnacht ereignet hat. Obwohl Alicia durch ihr mündliches und schriftliches Schweigen keine Hinweise geben kann, präsentiert Alex Michaelides einige eventuelle Mitwisser an den Ereignissen. Natürlich habe ich ständig darauf gehofft, dass es Theo gelingen wird, das Schweigen von Alicia zu brechen. Ich fand es interessant, dass der Autor, der selbst eine Ausbildung zum Psychotherapeuten absolviert hat, einige Einblicke in Therapiemethoden gibt. Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen kleinen Weiterentwicklungen und Rückschritten im Verhalten von Alicia was die Spannung noch steigerte, denn der Weg zur Aufklärung der Tat war steinig. Neben seinem Vorgehen bei der Arbeit schildert Theo auch seine Eheprobleme und seinen Umgang damit. Er präsentiert sich einerseits als guter Therapeut, andererseits aber auch als Mensch mit Ecken und Kanten.

„Die stumme Patientin“ ist ein Psychothriller bei dem die Spannung auf subtile Art und Weise von Alex Michaelides herbeigeführt wird und bis zum Schluss nicht abbricht. Trotz möglicher eigener Lösungsansätze, die beim Lesen automatisch Gestalt annehmen, überrascht der Autor zum Ende mit einer großen Wende. Gerne gebe ich hierfür eine Leseempfehlung an alle Thrillerfans.