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Veröffentlicht am 01.03.2021

Faszinierende Handlung mit dem Hintergrundthema Bewusstsein und damit verbundener Persönlichkeit

Sprich mit mir
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Der US-Amerikaner T.C. Boyle widmet sich in seinem Roman „Sprich mit mir“ dem Verhältnis von Menschen zu Menschenaffen, genauer gesagt zu Schimpansen. Der Titel des Buchs entspricht der Aufforderung zur ...

Der US-Amerikaner T.C. Boyle widmet sich in seinem Roman „Sprich mit mir“ dem Verhältnis von Menschen zu Menschenaffen, genauer gesagt zu Schimpansen. Der Titel des Buchs entspricht der Aufforderung zur Kommunikation im Rahmen der Möglichkeiten der Tiere. Während es in den 1940er Jahren einen Versuch gab, einer Schimpansin Englisch beizubringen, basiert die Geschichte von T.C. Boyle auf entsprechenden Experimenten in den 1970ern zur Verständigung durch Gebärdensprache.
Der 32-jährige Guy Schermerhorn ist Professor für vergleichende Psychologie an einer kalifornischen Universität. Im Rahmen einer Studie an einer Hochschule in Iowa zum eventuell möglichen Spracherwerb bei Primaten wurde ihm der Schimpanse Sam überlassen. Aimee Villard, Studentin der Frühpädagogik, bewirbt sich im Jahr 1978 bei ihm als Hilfskraft zur Pflege von Sam. Schon bald fasst Sam Vertrauen zu ihr. Unter der Anleitung von Guy und Aimee macht Sam große Fortschritte und wird zunehmend menschlicher. Seine natürlichen Instinkte suchen sich aber immer wieder ihren Weg.
Im zeitlichen Ablauf wird es schwieriger, Forschungsgelder zu erhalten und eines Tages wird Sam vom Leiter des Forschungsprogramms aus Iowa zurückgefordert, um ihn wirtschaftlich besser nutzen zu können. Vor allem Aimee kann sich damit nicht abfinden und sucht auf ihre eigene Weise nach einer Lösung, um Sam nicht nur in ihrer Nähe zu haben, sondern auch weiter mit ihm arbeiten zu können.
T.C. Boyle wirft in seinem Roman unter anderem das ethische Problem auf, welche Eigenschaften untrennbar mit dem Bewusstsein verknüpft sind, damit sie uns Menschen so einmalig machen, um über andere Lebewesen zu richten. Es ist aber zu bedenken, dass wir vielleicht gar nicht so besonders sind. Wenn wir die Möglichkeit hätten, uns mit Primaten zu verständigen, könnten diese uns ihre Gefühle mitteilen und wir würden erkennen, dass sie in der Lage sind ihre Schlüsse aus Situationen zu ziehen und zu bluffen. Spinnt man den Gedanken weiter, ist zu überlegen, welches Potential sich uns Menschen dadurch bieten könnte, wenn wir erfahren, was Primaten im Allgemeinen beschäftigt und welches Urwissen sie mit sich tragen.
Mit Guy und Aimee schafft der Autor gegensätzliche Charaktere im Umgang mit dem Sprachexperiment und bietet dadurch auch zwei unterschiedliche Ansichten über Sinn und Zweck von Forschung. Sicherlich hat Guy eine enge Beziehung zu Sam aufgebaut, aber es geht ihm auch darum, sich durch die Studien berufliche Anerkennung zu verschaffen. Dadurch macht er sich abhängig von Finanzgebern und fügt sich den Gegebenheiten. Aimee widmet sich ihrer Aufgaben mit Leidenschaft und entwickelt zu Sam eine nahezu mütterliche Liebe. Ihre Beurteilung in bestimmten Situationen ist manchmal arglos, dem von ihr gesetzten Ziel ordnet sie ihr Leben unter und widmet ihm ihre ganze Kraft.
Die Kapitel wechseln ab zwischen solchen, bei denen Aimee und Guy in ihrer Beziehung zu Sam im Vordergrund stehen und anderen, bei denen der Autor die potentiellen Gedanken des Schimpansen beschreibt. Die beiden Sichtweisen sind zeitversetzt, wobei die Wiedergabe des Denkens von Sam zunächst Fragen aufwirft und äußerst beunruhigend ist.
Beim Lesen des Romans „Sprich mit mir“ von T.C. Boyle entwickelte sich bei mir ein Lesesog, der sich aufgrund der faszinierenden Darstellung der Handlung mit dem Hintergrundthema zum Bewusstsein und der damit verbundenen Persönlichkeit ergeben hat. Die Geschichte überrascht mit einigen Wendungen und bleibt dadurch, obwohl sie wahre Geschehnisse beinhaltet, unvorhersehbar. Gerne vergebe ich hierzu eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 23.02.2021

Gut inszeniert, hält die Spannung bis zum Schluss und lässt noch einiges offen

Kein Entkommen
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„Trauma – Kein Entkommen“ von Christoph Wortberg ist der erste Band einer Thriller-Trilogie. Das erste Buch ist in drei Teile gegliedert, deren Bezeichnungen Wasser, Eis und Feuer sich mittelbar auf die ...

„Trauma – Kein Entkommen“ von Christoph Wortberg ist der erste Band einer Thriller-Trilogie. Das erste Buch ist in drei Teile gegliedert, deren Bezeichnungen Wasser, Eis und Feuer sich mittelbar auf die dann geschilderten aufzuklärenden Taten beziehen. Für die Ermittlungen ist Katja Sand von der Mordkommission München zuständig, assistiert von ihrem Kollegen Rudi Dorfmüller. Katja ist alleinerziehend und hat momentan große Sorgen um ihre fünfzehnjährige Tochter Jenny, die eine Beziehung zu einem vier Jahre älteren Mann eingegangen ist, der auf die schiefe Bahn geraten zu sein scheint. Während sie versucht, ihr Privatleben wieder in Ordnung zu bringen, wird sie damit konfrontiert, dass ein Mann in einem See ertrinkt und nur kurze Zeit später ein Mann in einem Kühlschrank, der in einem Wald abgestellt wurde, erstickt. Beide Fälle deuten auf Selbstmord hin, aber daran will Katja nicht glauben.

Die einzelnen Teile werden unterbrochen von einer berührenden, entsetzlichen Geschichte über eine kleine Familie, in der der Vater nicht nur körperliche Gewalt anwendet, sondern seinem kleinen Kind auf perfide Art zeigt, welche Macht er ausüben kann. Man ahnt, dass die Schilderungen mit den Ermittlungen zusammenhängen könnten, der dritte Teil des Thrillers verschafft darüber Klarheit.

Der Thriller beginnt unüblich nicht mit einem Verbrechen, welches der Ermittler oder das Ermittlerteam aufzuklären hat, sondern zunächst mit einem privaten Problem der Hauptkommissarin Katja Sand. Ihr ist bewusst, dass ihre Arbeit sie manchmal sehr in Anspruch nimmt und ihre Tochter dabei zu kurz kommt. Das schlechte Gewissen plagt sie, zumal Jenny nun in einem Alter ist, um ihrer Enttäuschung über die geringe Aufmerksamkeit, die sie durch ihre Mutter erfährt, Ausdruck zu verleihen. Daher herrscht von Beginn an eine bedrückte Stimmung, die sich auch dadurch fortsetzt, weil die Ermittlungen nicht zum Ziel führen.

Obwohl Katja Sand als Mutter immer wieder an sich zweifelt, ist sie doch eine starke Frau, die es versteht, ihre Meinungen zu vertreten und ihre Intuitionen in die Ermittlungen einfließen lässt. Auf ihren Assistenten Dorfmüller kann sie sich verlassen und arrangiert sich mit seinen Vorlieben. Zu ihrer Mutter hat sie ein zwiespältiges Verhältnis, dass in der Vergangenheit begründet ist und immer wieder blitzt durch, dass sich Katjas privates Trauma, über das sie bis heute nicht offen reden will, vor vielen Jahren ereignet hat. Hier liegt noch einiges an Potential für die folgenden beiden Bände der Trilogie bereit, was mich neugierig darauf macht.

„Trauma – Kein Entkommen“ von Christoph Wortberg ist ein Thriller, der nicht nur gut inszeniert ist, sondern den Leser auch an den zerrissenen Gefühlen der Mordermittlerin Katja Sand teilnehmen lässt. Die Spannungskurve bleibt bis zum Schluss erhalten. Obwohl Katja manchmal Rückblick auf ihr Leben gewährt, bleiben wichtige Details verborgen zu denen ich mir Aufklärung in den beiden folgenden Bänden erhoffe. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung an alle Thrillerfans.

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Veröffentlicht am 16.02.2021

Persönliche Schilderung über eine wichtige Phase im Leben einer Frau

Fliegende Hitze
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Die US-Amerikanerin Darcey Steinke schildert in ihrem Buch „Fliegende Hitze“ ihre Erfahrungen während ihrer Wechseljahre. Mit der umgangssprachlichen Floskel „Fliegende Hitze“ wird die bekannteste Begleiterscheinung ...

Die US-Amerikanerin Darcey Steinke schildert in ihrem Buch „Fliegende Hitze“ ihre Erfahrungen während ihrer Wechseljahre. Mit der umgangssprachlichen Floskel „Fliegende Hitze“ wird die bekannteste Begleiterscheinung des Klimakteriums bezeichnet, auch unter dem Begriff Hitzewallungen bekannt. Sehr offen und ehrlich berichtet die Autorin von ihren Erfahrungen, beispielsweise auch darüber, welche Bemühungen sie unternimmt um ihre nächtlichen Anflüge von Hitze abzumildern, die sie als unangenehm empfindet.

Um zu verstehen, was in der Menopause mit ihrem Körper geschieht, hat Darcey Steinke einiges an Fachliteratur dazu gelesen und mit vielen Frauen darüber gesprochen. Neben dem Menschen durchlaufen nur einige Walarten die Phase der Wechseljahre. Verschiedene Annahmen zu diesem Lebensabschnitt sind spekulativ. Die Autorin stellt fest, dass Frauen verunsichert sind und schamhaft darüber schweigen.

Zunehmend interessierte sich die Autorin für das Schicksal eines Schwertwals, einer Art, die ebenfalls das Klimakterium durchläuft. Sie findet es schwierig, ihr diesbezügliches Engagement zu erklären, sieht aber darin einen Zusammenhang mit dem Animalischen in sich, das sie durch die Menopause zunehmend wahrnimmt. Daher bilden ihre Schilderungen über ihre Reisen zu Walen einen angenehm passenden unterhaltsamen, aber auch nachdenklich stimmenden Rahmen für die Lektüre des Buchs.

Darcey Steinke gelangt zu dem Schluss, dass das Klimakterium im Vergleich zu anderen Lebensphasen eine Herabwürdigung erfährt. Sie nimmt wahr, dass weibliche Sexualität an von Männern gesetzten Werten gemessen wird. Von zu Vielen wird die Menopause als etwas angesehen, dass geheilt werden sollte. Sie nennt Möglichkeiten dazu, bleibt aber bei der Darstellung von Fakten und entscheidet sich für sich selbst für einen natürlichen Umgang mit den Begleiterscheinungen. Sie scheut nicht davor zurück auch über ihre Erfahrungen und ihr gewonnenes Wissen in Bezug auf ihr Sexualleben während der Wechseljahre zu berichten und auf die Chancen und Möglichkeiten eines diesbezüglich veränderten Umgangs mit dem Partner hinzuweisen.

Da ich nur wenig jünger bin als die Autorin kann ich zu ihren Berichten sagen, dass ich die beschriebenen Empfindungen nachvollziehbar finde und nicht alles, aber vieles auch bei mir wahrgenommen habe. „Fliegende Hitze- Die Wechseljahre neu erzählt“ ist eine persönliche Auseinandersetzung der Autorin und im amerikanischen Umfeld zu sehen, kann aber meiner Meinung nach gut als Gesprächsgrundlage hierzulande für weitere Debatten über einzelne Aspekte genutzt werden. Gerne empfehle ich das Buch an alle weiter, die sich über die wichtige Lebensphase des weiblichen Klimakteriums informieren möchten.

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Veröffentlicht am 15.02.2021

Der mit viel Bürokratie gepflasterte Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft

Eine Formalie in Kiew
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[Werbung] *Ingrid / Dmitrij Kapitelman kam 1994 als Achtjähriger mit seinen Eltern und seiner Schwester aus der Ukraine nach Leipzig. Nachdem 25 Jahren in Deutschland, in denen er zur Schule ging, hier ...

[Werbung] *Ingrid / Dmitrij Kapitelman kam 1994 als Achtjähriger mit seinen Eltern und seiner Schwester aus der Ukraine nach Leipzig. Nachdem 25 Jahren in Deutschland, in denen er zur Schule ging, hier studierte und berufstätig wurde, hat er nun den Wunsch, die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen. Deutscher zu sein, würde für den Journalist und Autor bedeuten, hier wählen zu dürfen, bei bestimmten Verträgen mehr Vertrauen zu erhalten und auch, dass die auf dem Papier bestehende Residenzpflicht des Kontingentflüchtlings, als welcher er eingereist ist, aufgehoben würde. Aus diesem Anlass beantragt er bei der Ausländerbehörde im Technischen Rathaus der Stadt Leipzig einen deutschen Ausweis. Über seine Erlebnisse in diesem Rahmen, die ihn nach Kiew führten und warum er aufgrund der Erkrankung seines Vaters sogar länger in der ukrainischen Hauptstadt verweilte, erzählt er in seinem Buch „Eine Formalie in Kiew“.

Mit den Jahren ist bei dem Autor das politische Verständnis gewachsen, sein Wunsch ist es inzwischen, sich klar zu positionieren. Ihm ist bewusst, dass er einen Wust Papiere beizubringender hat, doch dass hält ihn nicht ab. Als Leserin ist man aber mit Dmitrij Kapitelman gemeinsam darüber verwundert, dass eine bestimmte Apostille nur in der Geburtsstadt Kiew erhältlich ist. Von Beginn an weiß er durch Gespräche innerhalb der Familie, dass es schwierig sein wird, ohne längere Wartezeit an das begehrte Dokument zu gelangen und vermutlich nur Schmiergeld helfen wird. Der Autor schildert die Begebenheiten mit einem feinen Humor und Sarkasmus. Bestimmte Szenarien, die nicht nur bei ihm ein unsichtbares Kopfschütteln aufgrund der Eigenwilligkeit hervorrufen, führt er zur Spitze hin aus, so dass es ein Vergnügen ist, daran teilhaben zu dürfen.

Der Autor lässt mich als Leser an seinen Gefühlen teilhaben. Sein bürokratisches Abenteuer startet er vor dem Hintergrund der Zerstrittenheit seiner Eltern. Seine Reise ist nicht nur die Suche nach der eigenen passenden Identität, sondern auch nach dem Verständnis für das Verhalten von Vater und Mutter aufgrund ihrer Herkunft. Deutlich wird seine Scheu davor, sich der Korruption in der Ukraine zu stellen. Für die besondere Form der Anerkennung der Dienste bestimmter Personen erfindet er sogar ein Wort, sowie er überhaupt in seinem Buch Freude daran findet, mit Worten und Wortwitz zu spielen. In die Geschichte mischt sich zunehmend seine Sorge um seine Eltern und deren Zwistigkeiten. Spürbar ist seine innere Befriedigung, als er sich endlich aktiv für beide zur Hilfe und Verständigung einsetzen kann.

Gerne bin ich Dmitrij Kapitelman in seinem Buch „Eine Formalie in Kiew“ auf seinem Weg zur Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit in die Ukraine gefolgt, begleitet von Bürokratie und Korruption. Obwohl er für sich eine neue staatliche Identität beansprucht, versucht er nie seine familiären Wurzeln abzustreifen, sondern strebt nach Verständnis und Einigkeit, auch in Erinnerung an seine Kindheit. Seine wortgewandten Schilderungen beim Wiederbegegnen von Altbekanntem, aber meist dem Entdecken von Neuem, stimmten manchmal traurig, verloren aber nie ihren heiteren Unterton. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung, nicht nur an kulturell interessierte Leser.

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Veröffentlicht am 08.02.2021

Bewegender, abwechslungsreich erzählter und unterhaltsamer historischer Roman

Die verstummte Liebe
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In den Fokus ihres historischen Romans „Die verstummte Liebe“ stellt Melanie Metzenthin die Engländerin Helen Mandeville, die den Lesern ihres Buchs „Im Lautlosen“ als Mutter der Figur Fritz Ellerweg schon ...

In den Fokus ihres historischen Romans „Die verstummte Liebe“ stellt Melanie Metzenthin die Engländerin Helen Mandeville, die den Lesern ihres Buchs „Im Lautlosen“ als Mutter der Figur Fritz Ellerweg schon bekannt ist. In der zuletzt genannten Geschichte kommt Helen nur eine Nebenrolle zu und dem Leser wird dabei nur wenig bekannt, denn sie hat ihre in Hamburg wohnende kleine Familie Richtung England verlassen, als Fritz zwölf Jahre alt war, worauf der Titel Bezug nimmt.

Im November 1945 steht Helen mit ihren inzwischen erwachsenen Kindern Thomas und Ellinor am Grab ihres Ehemann James, einem angesehenen englischen Anwalt. Nach dem Leichenschmaus, den Helen frühzeitig verlässt, spricht sie in einem vertrauten Gespräch mit ihrer Tochter abwertend über James. Ellinor möchte wissen, warum er ihren offensichtlichen Zorn und Unwillen auf sich zog. Bei der Beantwortung der Frage gehen Helens Gedanken zurück zum Jahr 1896 zu einem Tag, an dem sie als Siebzehnjährige den fünf Jahre älteren James kennen lernte, in der weiteren Entwicklung die Frau des Hamburger Arztes Ellerweg wurde und mit ihm den Sohn Fritz bekam. Für Ellinor ändert sich durch die Erzählung gänzlich ihre Meinung über ihre Eltern.

Der Roman „Die verstummte Liebe“ ist unabhängig von der Kenntnis des Buchs „Im Lautlosen“ lesbar. Aber es ist abzusehen, dass man nach dem Lesen mehr über Fritz und sein Leben in Deutschland erfahren möchte. Melanie Metzenthin greift mit ihrer Geschichte über Helen die Konventionen der damaligen Zeit auf, deren Beachtung von den Mitgliedern der gehobenen englischen Gesellschaft zur Wende ins 20. Jahrhundert und später erwartet wurde. Helens Vater stellt an die Protagonistin aufgrund schicksalhafter Entwicklungen die Forderung, einen Mann fürs Leben zu ehelichen, der die Familiengeschäfte weiterführt. Er setzt nicht auf Liebe, sondern auf Helens Verstand und daher erhält sie die besten Hauslehrer zur Förderung ihres Intellekts. Aber erste Verbindungen zu Frauenrechtlerinnen wecken in ihr den Widerstand gegen die väterliche Ordnung. Nicht nur Helen ist eine Figur im Roman, deren Handlungen nicht absehbar sind und die ihre Meinung im Laufe der Zeit ändert.

Die Autorin hat den Roman gekonnt in den entsprechenden historischen Kontext gesetzt. Dank bester Recherche mit fundierten Hintergründen wirkt die Geschichte realistisch und denkbar. Melanie Metzenthin bringt in der Schilderung und Behandlung bestimmter psychischer Krankheiten ihr Wissen ein als Psychiaterin und Psychotherapeutin. Behutsam, aber fundiert widmet sie sich dem Thema Schuldgefühle.

„Die verstummte Liebe“ ist ein bewegender, abwechslungsreich erzählter und unterhaltsamer Roman über eine Engländerin, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs ungewollt zwischen die Fronten ihres Geburtslands und ihrer neuen Heimat Deutschland steht, mit weitreichenden Konsequenzen für ihre Zukunft. Gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.

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