Profilbild von Girdin

Girdin

Lesejury Star
offline

Girdin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Girdin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.05.2020

Abschließender dritter Teil der Serie "Trilogie der Weißen Stadt" - durchgehend spannend

Die Herren der Zeit
0

Der Thriller „Die Herren der Zeit“ von Eva García Sáenz ist der dritte und abschließende Teil der Serie „Trilogie der Weißen Stadt“. Der Titel der Reihe bezieht sich auf den Haupthandlungsort Vitoria im ...

Der Thriller „Die Herren der Zeit“ von Eva García Sáenz ist der dritte und abschließende Teil der Serie „Trilogie der Weißen Stadt“. Der Titel der Reihe bezieht sich auf den Haupthandlungsort Vitoria im Baskenland. Hier wohnt der Protagonist und Ich-Erzähler des Buchs Inspector Unai López de Ayala, den seine Freunde wegen seiner langen Arme von Jugendtagen an „Kraken“ rufen, und hier ist er bei der Kriminalpolizei als Spezialist für Täteranalysen angestellt. Bei den Fallermittlungen ist auch diesmal wieder seine Kollegin Estíbaliz Ruiz de Gauna an seiner Seite, die ihn als Spezialistin für Opferanalysen unterstützt und arbeitsmäßig ergänzt. Der dritte Band kann ohne die Kenntnis der beiden ersten Teile gelesen werden, was aber sehr schade wäre, weil man dadurch viele spannende Einzelheiten der bisherigen Ermittlungen verpassen würde.

Die Handlung setzt ungefähr 2 ½ Jahre nach dem Zeitpunkt der Ereignisse im Buch „Das Ritual des Wassers“ ein. In Vitoria findet eine Lesung zum historischen Roman „Die Herren der Zeit“ statt, die mit Spannung erwartet wird, weil sich der Autor bisher noch nicht in der Öffentlichkeit gezeigt hat. Unai und seine Famile sowie Estibaliz nehmen daran teil. Der Autor erscheint nicht, stattdessen wird in den Toilettenanlagen ein Mann gefunden, der vergiftet wurde. Es ist der Beginn einer Serie von Verbrechen, die Unai in Verbindung mit dem Roman sieht, weil sie denjenigen ähneln, die dort beschrieben werden. Die Begebenheiten im Buch spielen im Mittelalter und basieren auf dem für den vorliegenden Thriller geschichtlichen, tatsächlich aber fiktivem Hintergrund der Stadt Vitoria. Sie stehen im Zusammenhang mit den alten Familiengeschlechtern, die die Stadt bevölkerten und deren Nachfahren heute noch, wie beispielsweise Unai, vor Ort leben.

Eva García Sáenz baut von Beginn an Spannung auf. Unai ist ein Ermittler, der sich voll und ganz der Aufklärung seiner Fälle widmet und trotzdem versucht, sein Familienleben damit in Einklang zu bringen. Zum Glück haben seine Verwandten, Freunde und Bekannten Verständnis dafür. Manchmal sind sie sogar selbst darin involviert, was Unai durchaus bewusst ist. Diesmal sorgt er sich vor allem um seine kleine Tochter und dennoch vermag er es nicht, all diejenigen zu schützen, die ihm am Herzen liegen.

Die Autorin erzählt abwechslungsreich und vielschichtig. Die Kapitel werden immer wieder unterbrochen mit dem Inhalt des fiktiven Romans, der dem Thriller seinen Titel gibt. Dadurch konnte ich die Parallelen zwischen den aktuellen Taten und den beschriebenen Delikten im grausamen Mittelalter sehen, die Unai im Rahmen der Ermittlungen sehr beunruhigten. Vor allem war dem Inspector aufgrund des gelesenen Buchs bewusst, dass weitere Verbrechen entsprechend der Erzählung folgen könnten. Geschickt legt Eva García Sáenz wieder Fährten zu mehreren potentiellen Tätern.

Wie in jedem Band der Serie vermittelte mir die Autorin auch diesmal interessante geschichtliche und kulturelle Details rund um Vitoria, den Sehenswürdigkeiten, den Bewohnern und der Umgebung, woraus ihre Liebe zur Heimat spricht. Am Ende des Buchs findet sich eine Übersicht über die handelnden Personen in der Gegenwart wie in der Vergangenheit sowie ein Glossar mit Erläuterungen von Orten, Erklärungen zu Begriffen und weiteren im Buch genannten besonderen Bezeichnungen. Ich begegnete vielen aus den vorigen Teilen bekannten Figuren wieder. Der Ich-Erzähler Unai ist ein sympathischer Charakter gerade wegen einiger Macken und Marotten. Interessiert habe ich die Entwicklung seines Privatlebens über die Teile hinweg verfolgt. Er setzt sich genauso wie weitere Familienmitglieder für einen starken Zusammenhalt ein, für den er bereit ist, Kompromisse einzugehen.

Mit dem Buch „Die Herren der Zeit“ hat Eva García Sáenz wieder einen fesselnden, durchgehend spannenden Thriller geschrieben zu dem ihre Kenntnisse historischer Begebenheiten und eine sehr gute Handlungskonstruktion beitragen. Leider schließt der dritte Band die Serie ab, ich hätte mir eine weitere Fortsetzung gewünscht. Aufgrund meiner Begeisterung für alle drei Teile vergebe ich eine große Leseempfehlung an alle Thrillerfans.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.05.2020

Neuanfänge sind möglich, gebotene Chancen sollte man ergreifen

Unsere glücklichen Tage
0

In ihrem Debütroman „Unsere glücklichen Tage“ schreibt Julia Holbe über die Freundschaft der vier jungen Frauen Elsa, Fanny, Marie und Lenica. Die drei erstgenannten stammen aus Luxemburg und verbringen ...

In ihrem Debütroman „Unsere glücklichen Tage“ schreibt Julia Holbe über die Freundschaft der vier jungen Frauen Elsa, Fanny, Marie und Lenica. Die drei erstgenannten stammen aus Luxemburg und verbringen jahrelang ihre Sommerferien im Ferienhaus von Elsas Eltern an der Atlantikküste der Bretagne. Lenica wohnt mit ihrer Familie vor Ort und hat sich mit den Frauen angefreundet. In einem heißen Sommer an der Küste bringt Lenica Sean mit, einen Freund seit vielen Jahren. Vom ersten Augenblick an fühlt Elsa sich von ihm magisch angezogen. Doch am Ende der Ferien ist plötzlich alles vorbei, der Kontakt der Frauen zueinander bricht abrupt ab. Etwa 30 Jahre später trifft Elsa Marie durch Zufall wieder. Beiden ist die Sehnsucht nach der gemeinsam verbrachten Zeit deutlich anzumerken und sie beschließen, die alte Gewohnheit wieder aufleben zu lassen.

Julia Holbe lässt von Beginn an keinen Zweifel daran, dass etwas Bedeutsames zum Schluss des Aufenthalts an der Küste geschehen sein muss, so dass die Freundinnen von weiteren Treffen und Telefonaten abgesehen haben. Daher war ich zunächst etwas verwundert über die Freude des Wiedersehens von Elsa mit Marie. Schnell wurde deutlich, dass man schon deswegen nicht an die Vergangenheit anknüpfen konnte, weil Lenica inzwischen verstorben ist. Mir wurde aber auch bewusst, dass der Grund für das jahrelange Schweigen umso tragischer sein musste, denn Elsa war nicht einmal bei der Beerdigung ihrer Jugendfreundin, obwohl sie davon erfahren hatte.

Der Roman spielt in der Gegenwart, die Freundinnen sind inzwischen etwa 50 Jahre alt und stehen mitten im Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Fanny hat den Buchhandel ihrer Mutter übernommen, Marie ist Neurologin und Elsa Lehrerin. Die damaligen Erlebnisse sind scheinbar in Vergessenheit geraten. Die jungen Frauen haben sich weiterentwickelt, ihre eigenen Leben an der Seite anderer Personen gelebt und keine von ihnen möchte wieder in die frühere Rolle schlüpfen: Marie, die Unbeschwerte und Streitlustige, Fanny, die zurückhaltend und für ihre Kochkünste bekannt ist und die unternehmenslustige und sensible Elsa. Obwohl kein Zorn spürbar ist, gehen die Erinnerungen von Elsa, die als Ich-Erzählerin fungiert, oft zurück zu dem Bruch der Freundschaft, der über allem mit der Frage nach dem Warum bis fast zum Ende der Geschichte im Raum steht.

Wer selbst schon einmal den Sommer am Atlantik verbracht hat, wird sich gerne anhand der Schilderungen wieder dahin mitnehmen lassen. Die Sonne brennt, die Luft flirrt, das Wasser wartet kühlend auf den Schwimmer und über allem liegt eine Sehnsucht nach Nähe, Berührungen und Genießen der gemeinsamen Zeit. Nur die Schönheit der ungetrübten Tage möchte man erinnern. Doch Julia Holbe zeigt auf bewegende Weise, dass man seine Vergangenheit nicht beschönigen kann und sie für die Freundinnen auch verbunden ist mit Neid und Eifersucht, mit verletzenden Geheimnissen und Vertrauensbruch. Elsas Beziehung zu Sean wird erst im Laufe der Zeit verständlich, die Schilderungen der gemeinsamen Aktivitäten der beiden führen im mittleren Teil leider zu einigen Längen.

Julia Holbe schildert in ihrem Roman „Unsere glücklichen Tage“ die enge Freundschaft von vier jungen Frauen, die am Ende eines heißen Sommers plötzlich endet. Obwohl die Erinnerung verblasst, bleibt ein Schatten, der darauf wartet, an die rechte Stelle gerückt zu werden. Die Autorin zeigt, dass Neuanfänge möglich sind und macht Mut, gebotene Chancen aufzugreifen. Gerne empfehle ich den Roman weiter.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.04.2020

Gelungene Fortsetzung der Serie "Das Rosie-Projekt"

Das Rosie-Resultat
0

Der Roman „Das Rosie-Resultat“ ist der dritte Band einer Reihe des australischen Autors Graeme Simsion mit dem kühl und rational denkenden Genetiker Don Tillman, der autistisch ist, als Protagonisten. ...

Der Roman „Das Rosie-Resultat“ ist der dritte Band einer Reihe des australischen Autors Graeme Simsion mit dem kühl und rational denkenden Genetiker Don Tillman, der autistisch ist, als Protagonisten. Der erste Teil handelt davon, dass Don sich in die klinische Psychologin Rosie verliebt hat, unbeholfen die geliebte Frau umwirbt und dabei strikt nach Projektplan vorgeht. Im zweiten geht es darum, wie Don sich auf seine zukünftige Rolle als Vater vorbereitet. Der Titel „Das Rosie-Resultat“ bezieht sich auf Hudson, den gemeinsamen Sohn des Ehepaars, der im Laufe der Geschichte im Mittelpunkt des neuen Projekts von Don stehen wird. Das Buch kann unabhängig von den beiden Vorgängerbänden gelesen werden.

Hudson ist elf Jahre alt und in dessen Verhaltensweisen erkennt der inzwischen 52-jährige Don sich in vielerlei Hinsicht wieder. Nachdem Rosie ein lukratives neues Jobangebot in Melbourne erhalten hat, beschließt die Familie nach jahrelangem Aufenthalt in New York, zurück in die Heimat zu ziehen. Darüber ist Hudson nicht glücklich. Als dann Don bei seiner Stelle als Universitätsprofessor Schwierigkeiten bekommt, beschließt er zu kündigen und sich verstärkt um seinen Sohn zu kümmern, auch damit Rosie ihren Traum von einer Projektleitung verwirklichen kann, was fast nur in Vollzeit möglich ist.

In der neuen privaten Schule, die Hudson besucht, findet er wenig Freunde, weil er andere gerne belehrt, dabei möchte er nur sein Wissen weitergeben und hilfreich sein. Auch Don hat in seiner Kindheit und Jugend ähnliche Probleme gehabt. Zusammen mit Rosie macht er sich Gedanken darüber, welche Kompetenzen Hudson erwerben sollte und Don hat einige Ideen dazu, wie er diese seinem Sohn vermitteln könnte. Seiner neuen Aufgabe kommt er mit der von ihm gewohnten Akribie nach. Aber Hudson hat seine eigenen Vorstellungen davon, wie er sein will und was er lernen möchte.

Don fehlt die Möglichkeit, sich in andere Personen, in ihr Denken und Handeln, einzufühlen. Im Laufe seines Lebens hat er daher gelernt, durch Beobachtung und Recherche bestimmte Situationen anhand gewisser Kriterien zu beurteilen und wendet die dabei gewonnen Fakten im sozialen Miteinander an. Ebenso wenig wie Don im Alter von Hudson nimmt dieser die Ratschläge seiner Eltern ungefragt an, sondern fühlt sich ungerecht behandelt.

Als Ich-Erzähler lassen sich die Gedankengänge von Don nachvollziehen, die einem rationalen Verständnis folgen. Auf Außenstehende wirkt sein Verhalten manchmal seltsam, aber durch seine jahrelange Erfahrung hat er sich genügend Übung angeeignet, um weniger als früher aufzufallen. Dennoch kommt es immer wieder zu amüsanten Szenen aufgrund seiner besonderen Denkweise.

Don und Rosie haben viele Fragen rund um die Erziehung ihres Sohns zu klären, mit denen sich Eltern alltäglich auseinanderzusetzen haben. Einen breiten Raum nimmt dabei auch die Aufteilung der Betreuung in Anspruch, denn es ist nicht immer einfach zwischen dem Wohl des Kindes und der Karriere zu entscheiden.

Graeme Simsion behandelt das Abweichen vom Verhalten, dass von der Gesellschaft erwartet wird, behutsam und mit viel Feingefühl. Dabei greift er neben Autismus auch die Themen körperlicher Behinderung und Geschlechterklischees auf. Interessant fand ich die Frage, die der Autor aufwirft, ob eine Testung auf bestimmte Abweichungen von der Norm im Ergebnis zu Vorteilen der getesteten Person führen könnte.

Graeme Simsion ist mit dem Roman „Das Rosie-Resultat“ eine würdige Fortsetzung der Serie rund um seinen Protagonisten Don gelungen. Der Autor zeigt auf einfühlsame Weise wie sich seine liebenswerten Figuren gegen Vorurteile wehren und für Toleranz einsetzen. Dabei bietet er unkonventionelle Lösungen für Streitigkeiten an. Die Geschichte bietet Unterhaltung mit Tiefgang und brachte mich zum Nachdenken. Daher vergebe ich gerne eine uneingeschränkte Leseempfehlung für dieses Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.04.2020

Die Wahrheit zu finden ist schwierig, aber faszinierend

Die Wahrheit ist
0

Seinen Roman „Die Wahrheit ist“ hat der israelische Autor Eshkol Nevo auf eine besondere Weise gestaltet. Er setzt sich zusammen aus den Antworten, die ein Alter Ego des Schriftstellers als fiktiver Ich-Erzähler ...

Seinen Roman „Die Wahrheit ist“ hat der israelische Autor Eshkol Nevo auf eine besondere Weise gestaltet. Er setzt sich zusammen aus den Antworten, die ein Alter Ego des Schriftstellers als fiktiver Ich-Erzähler auf über hundert Fragen gibt, die ein Onlineredakteur aus einer Reihe von Fragen der User ausgewählt hat. Der Ich-Erzähler vermutet, dass es sein letztes Interview sein wird, denn er rechnet mit einem Herzinfarkt in den nächsten zwei Jahren, wobei seine Befürchtung auf seinen familiären Erfahrungen beruht.

Momentan schreibt er an keinem neuen Roman, weil es noch kein Jahr her ist, dass sein letztes Buch erschienen ist und er in der Zeit nach der Veröffentlichung immer besonders offen dafür ist, sich neu zu verlieben. Bereits nach dieser Aussage auf einer der ersten Seiten, stellte ich in Frage, ob der Erzähler sich tatsächlich an sein Versprechen dem Leser gegenüber hält, die Antworten der Wahrheit entsprechend zu geben, so wie es auch der Buchtitel andeutet, doch dazu weiter unten mehr. Im Cover drückt sich aus, dass sich Teile eines Ganzen, wie hier zum Beispiel die Wahrheit, in Ihrer Gestaltung verschieben lassen und dadurch ein neuer Eindruck entsteht.

Der Roman hat keine durchgehende Handlung und setzt sich aus vielen kurzen Geschichten als jeweilige Erwiderung zusammen. Lediglich zwei bis drei Fragen beantwortet der Protagonist täglich, so dass der Handlungsspielraum sich über einen längeren Zeitraum zieht. Aus den Antworten ergibt sich immer mehr das Bild eines Schriftstellers, der sich seine Wahrheiten zurechtbiegt entsprechend seiner Wünsche und Vorstellungen vom Leben. Die Schilderungen sind teils wie Vexierbilder doppeldeutig. Den Wahrheitsgehalt zu finden ist schwierig. Beispielsweise gibt er sich gerne als Liebhaber, obwohl er seit vielen Jahren verheiratet ist. Später nimmt er seine Aussagen zurück, auch weil seine Ehe darunter leidet.

Problematisch ist ebenfalls, dass er eigene Erfahrungen in seine Romanhandlungen einfließen lässt. Seine älteste Tochter hat dafür kein Verständnis und ihre Konsequenzen daraus gezogen. Auch in anderer Hinsicht hat er Sorgen, denn aufgrund eines lukrativen Auftrags hat er sich zur Unterstützung einer Meinung entschlossen, die nicht seine ist. Als er weitere Tätigkeiten dieser Art ablehnt, wird er vom Auftraggeber unter Druck gesetzt. Es wird deutlich, dass er auf ein positives Bild von sich in der Öffentlichkeit bedacht ist.

Die vorgenannten Gründe haben sicher auch dazu beigetragen, dass er unter einer ständigen Missstimmung leidet und vermutlich auch zu seiner momentanen Schreibblockade führten. Die Interviewfragen sind meist typisch für solche, die Schriftstellern gestellt werden und beziehen sich auf alles rund ums Schreiben, selten kommt es vor, dass Fragen zum familiären Hintergrund gestellt werden. Sie stehen in keiner Reihenfolge und führen zu Antworten, in die eine permanente zeitliche gegenwärtige Entwicklung einfließt, jedoch gehen die Gedanken des Ich-Erzählers häufig zurück zu Erinnerungen, die nicht immer positiver Art sind. Die örtlichen und zeitlichen Wechsel störten immer wieder meinen Lesefluss.

In seinem Roman „Die Wahrheit ist“ schreibt Eshkol Nevo über einen Autor, dem er seinen eigenen Namen gibt. Unweigerlich habe ich beim Lesen begonnen nach Parallelen zwischen Verfasser und fiktivem Schriftsteller zu suchen. Ähnlichkeiten zu sehen ist jedoch müßig, weil der Ich-Erzähler nach eigener Aussage die Schilderungen seinen Erwartungen an ein schönes Leben anpasst. Es ist unmöglich, die Wahrheit herauszufiltern, was den Roman überaus faszinierend macht. Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.04.2020

Ergreifend und bewegend

Jägerin und Sammlerin
0

In ihrem Roman „Jägerin und Sammlerin“ erzählt die in Berlin wohnende Autorin Lana Lux von der schwierigen familiären Beziehung zwischen der an einer Essstörung leidenden jungen Frau Alisa und ihrer Mutter ...

In ihrem Roman „Jägerin und Sammlerin“ erzählt die in Berlin wohnende Autorin Lana Lux von der schwierigen familiären Beziehung zwischen der an einer Essstörung leidenden jungen Frau Alisa und ihrer Mutter Tanya. An bestimmten Tagen überkommt Alisa eine Gier nach Essen, die ihr keine andere Möglichkeit lässt als einer Befriedigung ihrer Gelüste nachzukommen. Der Titel nimmt Anspielung darauf, dass sie dann auf die „Jagd“ geht und die immer gleichen ungesunden Lebensmitteln „sammelt“. Gleichzeitig ist das auf dem Cover abgebildete Eichhörnchen, das als Jäger und Sammler bekannt ist, auch Titelbild einer Zeitschrift, in der der vorläufig letzte große Erfolg von Alisa in einem enthaltenen Artikel beschrieben wird. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg für die Protagonistin in dieser beeindruckenden, faszinierenden Geschichte.

Zu Beginn des Romans steht Alisa kurz vor ihrem Abitur. Ihre Mutter hat ihr die frühere gemeinsame Wohnung überlassen als mit ihrem neuen Freund zusammengezogen ist. An Alisas Seite ist eine Freundin aus Kindertagen, mit der sie häufig Auseinandersetzungen hat. Neben der Schule hat Alisa mehrere Jobs, denen sie zu aller Zufriedenheit nachkomggmt. Trotz ihrer sehr guten Noten ist sie kaum motiviert, am Schulunterricht teilzunehmen und riskiert dadurch ihre Zulassung zur Prüfung. Nicht nur dadurch ist sie mit sich selbst unzufrieden, sondern auch mit ihrem Aussehen. Sie weiß, dass sie nicht den Ansprüchen entspricht, die Tanya an sie stellt. Alisas Ringen danach, sich selbst und anderen zu genügen führt sie in eine Abwärtsspirale, die dazu führt, dass sich ihre Essstörung immer stärker ausprägt und damit ihre Selbstverachtung immer mehr steigert, bis sie keine andere Möglichkeit mehr sieht und sich professionelle Hilfe sucht.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten habe ich darüber darüber gelesen, wie die Krankheit Alina immer mehr zu schaffen macht. In den beiden weiteren Teilen habe ich mehr über die Hintergründe erfahren wie es dazu kommen konnte, dass Alina zunehmend über sich selbst enttäuscht ist. Lana Lux schildert außerdem, wie Tanya ihre Ansichten zur Mutterrolle entwickelt und welche eigenen Wünsche sie für ihre eigene Zukunft und die ihrer Tochter hat. Es gelingt der Autorin anfangs, mich neugierig auf den weiteren Weg Alisas zu machen. Ebenso räumt sie im weiteren Verlauf des Romans der Lebensgeschichte von Tanya einen breiteren Raum ein, die sehr zum Verständnis der Mutter-Tochter-Beziehung beiträgt.

Lana Lux beschreibt detailreich und in klaren und deutlichen Worten, sei es der Umgang mit der unreinen Haut Alinas oder ihre Reaktion auf den übermäßigen Konsum von Essen. Ihre Schilderungen sind authentisch, auch weil sie selbst Erfahrung in den von ihren verarbeiteten Themen hat und ihr Wissen einfließen lässt. Sie hat selbst erlebt, wie man sich als Kind als Emigrierte in Deutschland fühlt. Als Ernährungswissenschaftlerin hat sie sich mit der Wirkung von Ernährung auseinandergesetzt.

Mit ihrem Roman „Jägerin und Sammlerin“ hat Lana Lux mich beeindruckt. Die Darstellung des Verhältnisses zwischen Mutter und Tochter, ihrer Erwartungen ans Leben und ihre Träume sind glaubwürdig. Für mich war es sowohl verstörend wie auch informativ über Essstörungen zu lesen. Dieses sehr ergreifende und bewegende Buch empfehle ich gerne weiter.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere