Berührender und eindringlich geschriebener Roman, der auf wahren Ereignissen basiert
Vardo – Nach dem SturmDie Engländerin Kiran Millwood Hargrave beschreibt in ihrem Roman „Vardo“, wie auch der Untertitel „Nach dem Sturm“ schon andeutet, die fiktiven Ereignisse nach dem historisch belegten Unwetter am Heiligen ...
Die Engländerin Kiran Millwood Hargrave beschreibt in ihrem Roman „Vardo“, wie auch der Untertitel „Nach dem Sturm“ schon andeutet, die fiktiven Ereignisse nach dem historisch belegten Unwetter am Heiligen Abend des Jahres 1617. Er betraf vor allem die Fischer von Vardo, der östlichsten Gemeinde Norwegens, deren Boote er versenkte. Vierzig, und damit alle erwachsenen Männer des Orts ertranken dabei. Die Frauen müssen den Kampf ums Überleben aufnehmen in einer kargen und abgeschiedenen Gegend. Dabei versuchen sie teilweise auch die Aufgaben ihrer Männer zu übernehmen. Durch die Konventionen ihrer Zeit sind sie dabei eingeschränkt. Im gleichen Jahr wird ein Dekret zu Zauberei und Hexerei erlassen, dass drei Jahre später in der Finnmark, zu dem Vardo gehört, durchgesetzt wird.
Zu den Opfern des Sturms gehörten der Vater, der Bruder und der Verlobte der 20-jährigen Maren, die jetzt mit ihrer Mutter allein in einem kleinen Haus lebt. Ihre Schwägerin ist samischer Herkunft, schwanger und hat ein Zimmer gleich nebenan. Während Maren und die meisten Frauen des Dorfs gläubige Christen sind, hängen die Samen ihrem eigenen Glauben an, zu denen der Kontakt zur Geisterwelt durch einen Schamanen gehört, wodurch sie besonders im Blickfeld des neues Gesetzes stehen.
Zur Durchsetzung des Dekrets wird Absalom Cornet, der sich in seiner Heimat Schottland bereits in der Hexenverfolgung einen Namen gemacht hat, nach Vardo geschickt. Bei seiner Zwischenstation in Bergen trifft er Ursa, die Tochter eines Reeders. Schnell wird eine Ehe zwischen den beiden arrangiert. Die als Hausfrau unerfahrene Ursa begleitet ihren Ehemann in den Norden. Die Frauen von Vardo begegnen ihr mit Misstrauen, doch zwischen ihr und der etwa gleichaltrigen Maren entwickelt sich zunehmend ein ganz besonderes Verhältnis.
Kiran Millwood Hargrave beschreibt behutsam und feinfühlig die zunehmenden Spannungen in einer Gemeinschaft, in der durch den Verlust der erwachsenen Männer jahrzehntelang bewährte Aufgabenverteilungen hinfällig geworden sind. Der tägliche Kampf darum, genug Nahrung besorgen zu können, überdeckt die Trauer, sie brauchen einander. Obwohl sie Hilfe aus anderen Ortschaften erhalten, ist die Enttäuschung über die Obrigkeit groß, der das Einhalten der Gesetze wichtiger zu sein scheint als das Überleben der Einwohner.
Ursa kommt an der Seite ihres Mannes in dieser Situation nach Vardo. Das Misstrauen gegenüber Absalom übertragt sich auf seine Frau. Dabei weiß Ursa wenig über ihren Mann, denn die insgesamt verbrachte gemeinsame Zeit ist kurz und geprägt von Bewunderung und Respekt, aber auch einer unterschwelligen Angst vor Absalom, der ihr wenig über sein bisheriges Tun erzählt hat. Ausgerechnet ihre Unfähigkeit zur Führung eines Haushalts bringt ihr die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit den Frauen der Gemeinde. Bei Maren findet sie das, was sie fern ihres Heimathauses vermisst hat: Sie wird zu ihrem Ankerpunkt, bringt ihr Verständnis entgegen und spendet ihr Trost.
Der Glaube an Hexerei und Zauberei treibt einen Keil in die Gemeinschaft, der Spalt öffnet sich immer weiter. Ursas Stand in der Gemeinde als Frau des Hexenverfolgers ist umstritten. Die beschriebenen Prozesse basieren auf den historischen Grundlagen und wurden von der Autorin sehr gut recherchiert. Sie sind grausam, abschreckend und bis heute unverständlich. Vardo hat ihnen ein Mahnmal gesetzt, damit niemand vergisst.
Kiran Millwood Hargrave erzählt im Roman „Vardo – Nach dem Sturm“ berührend und eindringlich über das reale Schicksal der Frauen in der titelgebenden Gemeinde Norwegens im Jahr 1617, die sich schon bald nach dem Unwetter und dem Verlust ihrer Männer der Macht der von der Regierung entsendeten Hexenverfolger gegenüber sehen, die die Gesetze erbarmungslos durchsetzen. Gleichzeitig schreibt die Autorin zart und behutsam über Liebe, die nicht zerstört werden kann und sich ihre eigenen Wege sucht. Ein Roman mit einem ganz eigenen Klang, der in Erinnerung bleibt. Leseempfehlung!