Familiengeschichte mit komplexem Tiefgang
Ein Mensch brenntDie titelgebende Figur des Romans „Ein Mensch brennt“ ist die historische Person Hartmut Gründler. Er hat sich am 16. November 1977 aus Protest gegen die Atompolitik der damaligen Regierung mit Benzin ...
Die titelgebende Figur des Romans „Ein Mensch brennt“ ist die historische Person Hartmut Gründler. Er hat sich am 16. November 1977 aus Protest gegen die Atompolitik der damaligen Regierung mit Benzin übergossen und angezündet und starb fünf Tage später im Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzungen. Erzählt wird die Geschichte von der fiktiven Figur des Hanno Kelsterbach. Als Hartmut Gründler 1975 ins Souterrain des Familienheims zieht, steht Hanno gerade kurz vor seinem achten Geburtstag. Durch die Augen dieses Kinds schildert der erwachsene Hanno die Haupthandlung in Rückblicken auf die Ereignisse in den 1970ern. Entsprechend gestaltet ist das Cover mit dem Seitenprofil eines Jungen, der interessiert in die Welt blickt, die er sich erst noch erschließen muss.
Der Roman beginnt im Jahr 2011 in der Zeit nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Inzwischen sind mehr als 33 Jahre vergangen seitdem sich Hartmut Gründler selbst angezündet hat. Hannos Mutter ist seit dieser Zeit überzeugte Umweltaktivistin und ein großer Anhänger der Ideen von Gründler. Hanno teilt deren Ansichten nicht, erinnert sich aber mit Bedenken an die Zeit als Gründler in die Kellerwohnung eingezogen ist und damit eine Veränderung im Wesen seiner Mutter begann. Er denkt zurück an den Kampf gegen die Atompolitik der Gruppe Lebensschutz, die Gründler ins Leben gerufen hat, und seine eigene Einbindung in die Aktivitäten durch das Engagement seiner Mutter in der Gruppe. Gleichzeitig versucht er durch den Rückblick besser zu begreifen, ob die schillernde Figur des Umweltaktivisten Anteil am Ende der Ehe seiner Eltern hatte.
Da auch ich in den 1970er Kind war, konnte ich die Agitation Hannos in dieser Zeit sehr gut nachvollziehen, sein Handeln auf Anweisung der Eltern, seine Freude am Hobby Fußball und gemeinsame Unternehmen mit der Familie. Ansonsten beobachtet man als Kind, hat seine Gedanken dazu, die viele Fragen aufwerfen, die man aber nicht abschließend formuliert oder sich nicht zu fragen traut, weil Kinder nicht alles wissen sollen. Die Sichtweise des Kinds bringt einen Anflug von Leichtigkeit in den Roman. Entsprechend der damals gängigen Vorstellung einer guten Ehe sorgte seine Mutter Martha sich ausschließlich um Haushalt und Kind. Der gemeinsame Kampf für die gute Sache gibt Martha die Möglichkeit im Engagement eine Art Befriedigung ihres Strebens nach Selbstbehauptung zu finden. Das Verständnis für die Ansicht seines Vaters als Familienoberhaupt und Versorger auf die Aktivitäten seiner Frau, das zum Zerwürfnis seiner Eltern führte, begreift Hanno erst später.
Beim Lesen habe ich manchmal vergessen, dass zwar Hartmut Gründlers wie auch mehrere andere Personen historisch verbürgt sind, die Geschichte aber an sich fiktiv ist. Geschickt wählt der Autor einen Protagonisten, der nur wenig jünger ist als er selbst, so dass er in seiner Wortwahl auf seine eigenen Erinnerungen zurückgreifen kann. Der Kontakt zu einem Mitstreiter Gründlers hat die Figur von Hannos Mutter nicht nur deutlich geprägt, sondern sie dadurch auch lebendig gemacht. Die Darstellung ist wirklichkeitsnah und nachvollziehbar.
Der erwachsene Protagonist wirft auch moralische Fragen auf. Beispielweise stellt er seine Rolle als Mitkämpfer im kindlichen Alter auf den Prüfstand. Hartmut Gründler war ein kompromissloser Idealist, der gewaltlosen Widerstand für die gemeinsame Sache forderte. Nicol Ljubic geht im Roman der Frage nach, wie viel man zu opfern bereit ist, um einer Idee zu folgen, bei der der Einzelne nichts zählt und allein dem Gemeinwohl dient.
„Ein Mensch brennt“ ist eine Familiengeschichte mit komplexem Tiefgang, die zwar als Hintergrund den Kampf gegen die Atomkraft in der Vergangenheit beinhaltet, aber gerade hier im Westen trotz des voraussichtlichen Endes der Atomenergie in Deutschland in Anbetracht des störanfälligen Kernkraftwerks Tihange/Belgien aktuell ist. Der Autor hat mit seinem Buch an ein verstörendes Ereignis erinnert, das uns beispielhaft den Kampf eines David in der Einzelperson des Hartmut Gründler gegen die mächtige Macht einer Bundesregierung als Goliath vor Augen führt. Die Geschichte bleibt in Erinnerung und ich empfehle sie gerne weiter, vor allem an Leser, die an geschichtlichen Ereignissen der jüngeren Vergangenheit interessiert sind.