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Veröffentlicht am 27.02.2017

Belebte Sprache und Dialoge mit Wortwitz

Tante Poldi und die sizilianischen Löwen
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„Tante Poldi und die sizilianischen Löwen“ ist ein turbulenter Kriminalroman aus der Feder von Mario Giordano. Doch zunächst einmal beginnt die Geschichte ziemlich ruhig. Erzählt wird sie von dem fiktiven ...

„Tante Poldi und die sizilianischen Löwen“ ist ein turbulenter Kriminalroman aus der Feder von Mario Giordano. Doch zunächst einmal beginnt die Geschichte ziemlich ruhig. Erzählt wird sie von dem fiktiven Neffen der Protagonistin Poldi, dessen Stelle in meiner Vorstellung beim Lesen immer vom Autor des Buches eingenommen wurde. Nach Angabe von Mario Giordano trägt der Roman tatsächlich autobiographische Züge, wurde aber zum Vergnügen des Lesers mit entscheidend erheiternden Elementen fiktiv aufgefrischt. Die sizilianischen Löwen im Titel spielen übrigens eine wichtige Rolle im Zuge der Ermittlungen.

Tante Poldi ist kräftig gebaut dabei aber nicht zu groß, trinkt gerne und eher regelmäßig einen über den Durst, trägt ständig eine schwarze Perücke und legt viel Wert auf angemessene Kleidung für jeden Anlass. Die Abbildung auf dem Cover kommt meinem Bild von ihr sehr nahe. Kurz vor ihrem 60. Geburtstag äußert sie den Wunsch, schwermütig wie sie manchmal ist, sich ins Jenseits zu saufen und das mit Meerblick in der Nähe der Familie ihres verstorbenen Ex-Mannes in Sizilien. So packt sie ihre Koffer und reist in Begleitung ihres Neffen zu ihrem Wunschziel. Mit Hilfe der Familie findet sie bald ein passendes Häuschen. Auf den Innenseiten der Klappen finden sich zur besseren Einordnung der Handlungsorte zwei sehr schön gestaltete Karte von Sizilien beziehungsweise von einem Teil der Insel.

Poldis schriftstellernder Neffe besucht sie einmal im Monat und ihm erzählt sie jedes Mal was sich inzwischen ereignet hat. Hin und wieder hilft ihr der junge Valentino. Als dieser eines Tages nicht erscheint, beginnt sie sich Sorgen zu machen. Schließlich begibt sie sich auf die Suche und findet, wie sie es schon geahnt hat, seine Leiche am Meer. Sie hat auch schon eine Vermutung, wer der Täter sein kann, aber ihr fehlen die Beweise. Statt die Aufklärung des Falls dem zuständigen und wie Poldi findet attraktiven Commissario Montana zu überlassen, beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln.

Mit Tante Poldi erschafft der Autor einen ganz besonderen Charakter. Ihr Bayrisch, in das sie ungewollt in gewissen Situationen verfällt und in dem sie ihrem Neffen ihre Geschichte erzählt, ist zwar für einen Rheinländer wie mich gewöhnungsbedürftig, aber es gibt der Geschichte eine besondere Note. Hin und wieder bedient Poldi sich unkonventioneller Methoden bei ihren Ermittlungen. Sie ist keine rundum liebenswürdige Figur, wurde mir im Laufe der Erzählung aber immer sympathischer.

Mario Giordano nimmt den Leser mit auf eine Reise nach Sizilien und lässt ihn dort an den Schönheiten der Insel wie auch an den Lebensgewohnheiten der Sizilianer teilhaben. Ein Schreibstil mit belebter Sprache und Dialoge mit Wortwitz machen das Buch zu einem lesenswerten Kriminalroman. Der letzte Satz lässt auf eine Fortsetzung hoffen, bei der man vielleicht auch erfährt, was sich eigentlich in Tansania ereignet hat.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Wohnstile kennenlernen und in der eigenen Wohnung umsetzen

Das große Wohn-Ideen-Buch
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Annie Sloan ist Innenraumdesignerin und bekannt für ihre dekorative Malerei. Mit diesem Buch möchte sie dem Leser zeigen, welche grundlegenden Wohnstile es gibt. So kann jeder für sich anhand der Fotos ...

Annie Sloan ist Innenraumdesignerin und bekannt für ihre dekorative Malerei. Mit diesem Buch möchte sie dem Leser zeigen, welche grundlegenden Wohnstile es gibt. So kann jeder für sich anhand der Fotos und Beschreibungen auf Entdeckung gehen, um den für ihn passenden Stil zu finden. Gleichzeitig bietet sie genügend Tipps dazu, den entsprechenden Stil auch in der eigenen Wohnung umzusetzen. Ihr Sohn Felix, ebenfalls Raumdesigner, hat sie bei der Arbeit am Buch unterstützt. Aus der beruflichen Erfahrung heraus entwickelte sie eine besondere Kollektion Kreidefarben, die sie auch im vorliegenden 'Das große Wohnideenbuch' vorstellt.

In einem Vorwort geht sie zunächst auf den Begriff des Stils ein. Wesentlich für die Ausgestaltung der eigenen Wohnung beziehungsweise des eigenen Hauses ist die persönliche Note, die vom Besitzer selbst erzählen soll. In einer kurzen Übersicht erklärt Annie Sloan die Grundregeln des Raumdesigns bevor sie auf die Möglichkeit eingeht Stile zu mixen. Denn in der Regel findet sich im eigenen Zuhause mehr als ein Stil.

In neun Kapiteln greift die Autorin neun verschiedene Stile auf, von modernem Klassizismus, schwedischem Stil über Retro, Behème, floralem Vintage und französischer Eleganz bis hin zum rustikalen Country, maritimem Look und Industrie-Chic. Bewusst arbeitet sie im jeweiligen Buchabschnitt Gegensätze zwischen den Stilen heraus. Die Kapitel beginnen mit einer Erklärung warum der jeweilige Stil entsprechend bezeichnet wird. Daraufhin folgt die Beschreibung der Möbel und Accessoires sowie die Farben die typischerweise vorherrschen.

Besonders schön finde ich die Idee, die nun in jedem Kapitel folgt, denn zu jedem Stil haben Annie Sloan und ihr Sohn eine entsprechende Wohnung oder ein Haus gefunden, das man als Leser nun von innen anschauen darf, während die Autorin die Stilelemente erläutert. Die Fotos des Buchs sind aussagekräftig und nehmen oft sogar eine ganze Seite ein, für mich ein Grund mehr das Buch auch in Zukunft immer gerne zur Hand zu nehmen und wieder neu inspirieren zu lassen. Jedes Kapitel schließt mit einer Idee zum farblichen eigenen Gestalten von Möbeln, Wänden oder Türen.

Das Buch ist generationsübergreifend von Interesse, denn es spiegelt den Geschmack unserer heutigen Zeit wieder. Es wurde nicht jeder mögliche Wohnstil aufgegriffen, stattdessen zeigen Annie und Felix Sloan beispielhaft grundverschiedene Stilrichtungen und unterstützen den Leser dabei, die wesentlichen Elemente zu erkennen, so dass er in der Lage ist, diese nach seinem Geschmack bei der Dekoration seiner eigenen Wohnung umzusetzen.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Ein Kriminalfall, nachdenklich stimmende Storys, blasse Liebesgeschichte

Mit jedem neuen Tag
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Der Journalist Andrew wird auf seiner morgendlichen Joggingrunde von einer unbekannten Person angegriffen. Ein vorsätzlich geführter, geübter Messerstich lässt ihm wenig Zeit ärztliche Hilfe in Anspruch ...

Der Journalist Andrew wird auf seiner morgendlichen Joggingrunde von einer unbekannten Person angegriffen. Ein vorsätzlich geführter, geübter Messerstich lässt ihm wenig Zeit ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch Andrew erhält wunderbarerweise vom Leben eine zweite Chance und wacht nach einer Bewusstlosigkeit zwei Monate vor dem Angriff, in seiner Vergangenheit wieder auf.

Am Beginn seines Buchs „Mit jedem neuen Tag“ schildert Marc Levy zunächst den Überfall. Die eigentliche Erzählung beginnt dann damit, dass Andrew eine Freundin aus Jugendzeiten wiedertrifft. Valery ist zwar in einer Beziehung, aber beide zieht es zueinander hin, so dass Andrew beschließt, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Noch vor der Hochzeit lernt er eine andere Frau kennen, in die er sich verliebt. Seine Gefühle kann er nicht gänzlich unterdrücken und so gesteht er sie seiner Frau am Abend der Heirat, woraufhin sie ihn verlässt.

Während sein Privatleben im Aufruhr ist, recherchiert Andrew für einen neuen großen Artikel über eine unglaubliche Geschichte, die sich in Argentinien in den 70er Jahren zugetragen hat. Erst kurz vorher hat er einen Skandal aufgedeckt, der ihn nach China führte. Besonders ein Kollege neidet ihm seinen Erfolg. Mit seiner zweiten Chance erhält er nun die Gelegenheit in seinem Privatleben zu vermeiden, Valerys Gefühle zu verletzen und gleichzeitig bei seinen Recherchen zu verhindern dem Gegner ins Visier zu geraten, denn in diesem Bereich vermutet er seinen Attentäter. Valery, seine Freunde und Kollegen hält er für ungeeignet, die Tat vollbracht zu haben oder täuscht er sich in dieser Ansicht?

„Mit jedem neuen Tag“ schreibt Andrew auf sein Notizheft in dem er Rechercheergebnisse festhält, als ihm die zweite Chance gegeben wird. Denn ihm wird bald klar, dass er durch wenige Abweichungen in seinem eigenen Verhalten durchaus eine Änderung in seinem Umfeld hervorrufen kann und so kommt er mit jedem neuen Tag der Lösung des Falls näher. Im vorliegenden Roman steht die Liebe weniger im Vordergrund, sondern die Aufklärung des Überfalls. Dabei konfrontiert der Autor den Leser mit zwei ungeheuerlichen Ereignissen der Geschichte.

Mit den Charakteren des Romans konnte ich mich im Laufe der Erzählung nicht anfreunden. Andrew war mir als Figur zu flattrig in Bezug auf seine Liebe, zu schnell wendete er sich von Valery ab nachdem er die andere Frau kennengelernt hatte, zu bedacht ist er darauf, Karriere zu machen. Aber auch Valery konnte mir nicht sympathisch werden, vielleicht war ihr Verhalten während ihrer Jugendzeit Andrew gegenüber dabei ausschlaggebend.

Die Gestaltung des Covers finde ich zu allgemein, es führte mich weder zum Titel noch zum Inhalt. Der Schreibstil von Marc Levy war leicht und flüssig zu lesen. Gerade auf den ersten Seiten entwickelte sich die Geschichte rasch weiter und wartete mit einer überraschenden Lösung auf. Ich war von den Themen im Buch betroffen. Sie machen den Leser nachdenklich und werden mir sicher in Erinnerung bleiben. Ich empfehle dieses Buch Lesern, die gerne Thriller mit Liebesgeschichte im Hintergrund lesen.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Erwartungen ans Leben enden mit körperlichen und seelischen Blessuren

Ellbogen
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Hazal begegnete ich im Roman „Ellbogen“, dem Debüt von Fatma Aydemir zum ersten Mal zwei Tage vor ihrem 18. Geburtstag. Doch die für sie damit verbundene Volljährigkeit wird für die junge Türkin kaum Änderungen ...

Hazal begegnete ich im Roman „Ellbogen“, dem Debüt von Fatma Aydemir zum ersten Mal zwei Tage vor ihrem 18. Geburtstag. Doch die für sie damit verbundene Volljährigkeit wird für die junge Türkin kaum Änderungen in ihrem Leben bringen, denn in der Familie hat sie sich weiter dem Diktat der Eltern zu beugen. Sie geht auf eine berufsvorbereitende Schule und jobbt in der Bäckerei ihres Onkels, die auf dem Papier ihrer Mutter gehört. Ihr Vater ist Taxifahrer, ihre Mutter arbeitet selber nur gelegentlich in der Bäckerei, was ihr genügend Zeit gibt, den nötigen Respekt gegenüber den Eltern bei Hazal einzufordern. Wird der Vater wütend scheut er nicht davor zurück, Hazal zu bestrafen. Aber längst liebt ihre Mutter ihren Vater nicht mehr, hat ihn vielleicht nie geliebt, denn die Ehe wurde arrangiert. Für ein eigenständiges Leben fühlt Hazals Mutter sich nicht bereit und auch finanziell ist sie von ihrem Mann abhängig.

Mit ihren Freundinnen, alle mit Migrationshintergrund, hat Hazal geplant, in der ersten Nacht ihrer Volljährigkeit einen ganz bestimmten angesagten Club aufzusuchen, natürlich ohne dass ihre Eltern davon erfahren sollen. Doch dann kommen die Planungen für ihre geheime Party zwei Tage vorher ins Stocken. Als sie es endlich bis zum Eingang des Clubs geschafft haben, lässt sie der Türsteher nicht rein. Die drei Mädchen sind am Boden zerstört, die Stimmung ist entsprechend aufgeladen und dann fühlen sie sich auf der Heimfahrt von einer eher als harmlos einzustufenden Person derart provoziert, dass es zum Äußersten, Undenkbaren kommt. Hazal erscheint der einzige Ausweg die Flucht nach Istanbul zu einem zehn Jahre älteren alleinstehenden Mann den sie nur aus dem Chat im Internet kennt.

Fatma Aydemir lässt in dem ersten der drei Teile des Buchs ihre Protagonistin aus ihrem Alltag erzählen in einem in ihrem Umfeld üblichen und realistischen Slang. Hineingeworfen in eine für Hazal sehr unangenehme Situation konnte ich sie gleich dabei kennenlernen wie sie alles daran setzt, sich durch Mitleid und Lügen herauszuwinden. Das wurde ihr bereits als Kind von ihrer Mutter so beigebracht. Die junge Frau erklärt im weiteren Verlauf der Geschichte, dass es immer darum geht, allen ein erfolgreiches Leben vorzuspielen. Gelingt das nicht, darf auch mal ein Selbstmordversuch vorgetäuscht werden. Bei all dem findet sie nicht zu ihrer eigenen Identität. Jeden Schritt den sie geht wird durch Regeln und Verbote gelenkt. Jede Abweichung von den Erwartungen der anderen an ihre eigene Person endet mit emotionalen und körperlichen Blessuren, die angewendeten Ellbogenschläge lauern überall.

Hazal als Figur ist keine Sympathieträgerin. Obwohl ihre Tante Semra, die anders lebt als die übrigen Familienmitglieder ihr als Vorbild dienen könnte eifert sie ihr nicht nach und sie scheint auch nicht aktiv nach Wegen für eine beruflich erfolgversprechende Zukunft zu suchen. Es sind die kleinen Momente und Erinnerungen und die Ausweglosigkeit die die Protagonistin für sich und ihre Freundinnen sieht die den Roman so erschreckend machen.

Der erste Teil endet abrupt, in den beiden folgenden begleitete ich Hazal nach Istanbul. Obwohl ihr sicher immer wieder gesagt wurde, dass man sich auf keinen Fall auf unbekannte Männer einlässt, ist sie zu ihrer Internetbekanntschaft gefahren und in seine Wohnung eingezogen, wobei sie von Beginn an weiß, dass er vermutlich eine Gegenleistung verlangen wird. Hazal ist natürlich durch die vorangegangenen Ereignisse aufgelöst, verwirrt und verzweifelt, doch auf mich wirkte sie manches Mal auch reichlich unbeholfen und unwissend. Schnell war sie immer bereit, ihre Mitmenschen zu attribuieren. Da gab es die Syrerin und den Studenten, die sie persönlich nicht kannte und diese dennoch als solche benennen konnte, nur um irgendwann später dann selbst die Frage aufzuwerfen, ob man die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft einer Person ansieht.

Führte mich der erste Teil noch in eine deutsche Subkultur die ich so persönlich nicht kannte, so folgte ich der Protagonistin in die türkische Hauptstadt um sie dort im Überlebenskampf wiederzufinden, dem sie doch eigentlich entrinnen wollte. In Form einiger Freunde drängt sich nun das aktuelle politische Geschehen in die Erzählung, was für Hazal aber nur neue Ängste bringt. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Gegenheiten erfolgt nicht weiter.

Ich habe auf eine Lösung für die Probleme von Hazal gehofft, was meine Lesegeschwindigkeit vorangetrieben hat. Mir war klar, dass ihre unfassbare Tat ihr Leben in erheblichem Maße verändert hat. „Ellbogen“ gab mir auf beängstigende Weise eine realistische Darstellung und eine mögliche Erklärung der Hintergründe für die immer wieder sich ereignenden gewalttätiger Übergriffe von Jugendlichen, ein Buch das beängstigend ist und so wichtig für das Verstehen.

Veröffentlicht am 25.02.2017

Wunderbarer Roman über Freundschaft, Selbstverwirklichung und Neufindung

Schlafen werden wir später
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„Schlafen werden wir später“ von Zsuzsa Bánk ist ein Briefroman in moderner Form. Johanna und Mártha sind Freundinnen seit Kindertagen und schreiben einander E-Mails über das, was sie gerade bewegt. Sie ...

„Schlafen werden wir später“ von Zsuzsa Bánk ist ein Briefroman in moderner Form. Johanna und Mártha sind Freundinnen seit Kindertagen und schreiben einander E-Mails über das, was sie gerade bewegt. Sie schreiben einander auch Briefe und Postkarten, telefonieren miteinander und besuchen sich gegenseitig. Doch es sind die E-Mails die ihnen den Platz einräumen, ihre Gedanken zu ordnen, der anderen ihre Gefühle begreifbar zu machen, Vergessenes zu erfassen, Ungesagtes zu äußern und zu kurz Gekommenes zu ergänzen. Sie ermöglichen eine schnelle Reaktion auf eine erhaltene E-Mail, nehmen Platz ein für ein nicht stattgefundenes Telefonat und erlauben eine wohldurchdachte Antwort auch nach mehreren Tagen. Selbst wenn in der Hektik des Alltags die Möglichkeit zum erholsamen Schlafen fehlt, sind meistens ein paar schnelle Zeilen an die Freundin rasch geschrieben, egal zu welcher Tageszeit.

Johanna und Mártha sind beide 42 Jahre alt. Johanna ist Lehrerin und wohnt in einem Haus im Schwarzwald. Sie hat sich vor nicht allzu langer Zeit von ihrem Freund Markus getrennt und eine schwere Krankheit überstanden. Außerdem schreibt sie an ihrer Doktorarbeit über die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff steht, deren Werke sie bewundert. Ihre Eltern sind früh verstorben, doch ihre Gedanken verweilen häufig bei ihnen und ihren besonderen Charakteren.
Mártha ist Autorin und hat bisher zwei Lyrikbände geschrieben. Sie arbeitet an einem Buch mit Erzählungen, wenn ihre Zeit als dreifache Mutter es erlaubt. Mit ihrem Mann Simon und den Kindern lebt sie in Frankfurt am Main in einer Erdgeschosswohnung. Wenn sie zu Lesungsterminen fährt kümmert sich oft eine alte Freundin der Familie oder ihre aus Ungarn stammenden Eltern um die Kinder. Ihr großer Wunsch ist es, von ihrer Arbeit ohne Not leben zu können.

Durch diese besondere Form des Romans hat der Leser es mit zwei Ich-Erzählerinnen zu tun. Die Gedanken beider Protagonistinnen liegen also offen vor ihm. Es sind nicht die großen weltpolitischen Ereignisse über die die beiden Frauen schreiben, sondern das ganz normale Leben und die Zwänge des Alltags. Beide sind in Frankfurt-Höchst aufgewachsen und immer füreinander da gewesen. Sie kennen einander so gut, dass ihre Unterhaltungen ganz tief gehen. Sie scheuen sich nicht den anderen zu kritisieren, ihren Ärger übereinander zu benennen oder ihre Enttäuschung. Sie nutzen die Möglichkeit, um sich zu beschweren und ihre Gefühle, die sie in bestimmten Situationen empfinden, von der Freundin bestätigen oder korrigieren zu lassen. Sie verzeihen einander und lassen sich auch gerne von der anderen ermutigen oder loben. Sie sprechen sich wie zu Kinderzeiten mit Kosenamen an und genießen dadurch die Erinnerung gemeinsamer wohliger Vergangenheit, sie streicheln sich mit Worten und verschenken ihre Aufmerksamkeit um der Freundin Halt und Wärme zu geben.

Zsuzsa Bánk schreibt ohne Kapiteleinteilung und lässt die Freundinnen immer im Wechsel mailen. Nicht jeder Tag wird verschriftlicht, denn dazwischen erfolgen Telefonate, Briefe und Besuche auf die die folgenden Mails dann eingehen. In manchen E-Mails sind die Sätze nicht ausformuliert, sondern eine Aneinanderreihung von Worten die direkt aus dem Gedankenkarussell des Alltags kommen und ungefiltert in den Text fließen. Der Roman beginnt im März 2009 und endet im Juni 2012. Natürlich ist es interessant zu verfolgen, ob Mártha in dieser Zeit ihre Erzählungen fertig stellen und Johanna ihre Doktorarbeit beenden wird. Aber was diesen Roman so besonders macht ist die Ehrlichkeit. Beide Charaktere sind aus dem Leben gegriffen und so, dass sie jedem schon einmal begegnet sind oder man sich in ihnen selbst erkennt. Sie wirken authentisch und ich denke, dass viele eigene Erfahrungen der Autorin in sie hinein geflossen sind. Ich habe mich immer tiefer in den Text hineingelesen und war stellenweise sehr berührt von den realistisch eingefangenen Stimmungsbildern des Alltags.

„Schlafen können wir später“ ist ein wunderbarer Roman über Freundschaft, Selbstverwirklichung, Zusammenhalt und Neufindung, der mich am Ende mit Wärme im Herzen zurücklässt und den ich gerne an empathische Leser weiterempfehle.