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Veröffentlicht am 09.12.2016

High Fantasy mit Steampunk-Elementen und höfischem Szenarium

Der Winterkaiser
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Maia ist erst 18 Jahre alt als er durch den Unfalltod seines Vaters, dem Elfenkaiser, und seiner Brüder zum Thronerben wird. Seine Mutter war die vierte Frau seines Vaters und aus der herrschenden Linie ...

Maia ist erst 18 Jahre alt als er durch den Unfalltod seines Vaters, dem Elfenkaiser, und seiner Brüder zum Thronerben wird. Seine Mutter war die vierte Frau seines Vaters und aus der herrschenden Linie der Kobolde. Die Ehe basierte nicht auf Liebe, sondern wurde aus politischen Gründen arrangiert. Maias Mutter verstarb früh. Lange Jahre lebte er im Exil und wurde von einem Cousin nach strengen Regeln erzogen. Schnell wird ihm klar, dass er so bald wie möglich, die Nachfolge antreten muss. Trotz seiner Flugängste besteigt er wenig später ein Luftschiff um sich so schnell wie möglich zum Regierungssitz seiner Familie bringen zu lassen.

So beginnt der Fantasyroman „Der Winterkaiser“ von Katherine Addison. In der nun folgenden Geschichte begleitet der Leser Maia bei seinen täglichen Verrichtungen. Als erstes beschließt er seine Krönung und unmittelbar darauf hat die Beerdigung seines Vaters stattzufinden. Obwohl er nicht dazu erzogen wurde, Regierungsgeschäfte zu beschließen, sagt sein Verstand ihm, dass er als zukünftiger Kaiser die Entscheidungen ab sofort zu treffen hat, was er auch direkt in die Tat umsetzt. Damit gibt er eine klare Ansage an den bisherigen Berater seines Vaters. Maia bewegt sich auf dünnem Eis, denn er hat weder das Wissen dazu, den Elfenstaat zu führen, noch kennt er vertrauensvolle Personen von denen er sich Rat holen kann.

Katherine Addison, einem Pseudonym der Autorin Sarah Monette, schafft für ihren Roman eine eigene Welt von der der Leser auf der Innenseite der Klappbroschur eine Übersichtskarte erhält. Ihre Elfen sind ein altehrwürdiges Volk, sehr höflich und haben der allgemeinen Vorstellung entsprechend spitze bewegliche Ohren. Gewöhnungsbedürftig fand ich in diesem Zusammenhang die Form „Wir“ die Maia zu benutzen hat wenn er von sich selber spricht. Es gibt Hofrituale und Gesetze die uneingeschränkt auf für den Kaiser gelten. Bei Zuwiderhandeln drohen ein schneller Tod oder Verbannung. Die Namen der Elfen folgen eigens von der Autorin erdachten Regeln die im Anhang des Buches kurz erläutert werden. Für mich war es jedoch stellenweise schwierig, die Namen ihren jeweiligen Trägern zuzuordnen und dadurch wurde der Lesefluss gelegentlich gehemmt, zumal am Hof des Kaisers und in seinem Umfeld eine stattliche Anzahl Figuren angesiedelt sind. Im Anhang gibt es daher ebenfalls ein hilfreiches Verzeichnis dazu.

Maia wirkte auf mich durchgehend unwissend und unerfahren. Ohne um seinen Vater, zu dem er nie engeren Kontakt hatte, zu trauern, ist er sofort bereit die Thronfolge anzutreten. Er ist froh darüber, seinem bisherigen Lehrer, der ihn streng erzogen hat, aufgrund seiner neuen Machtbefugnisse eine neue Rolle fern von ihm zuzuordnen mit der Folge, dass er nun niemand Vertrautes mehr an seiner Seite hat. Reglementierungen hätte er ohnehin aufgrund seiner neuen Stellung von seinem Cousin nicht zu befürchten gehabt. Jetzt steht er im Fokus ohne dass er beurteilen kann, wer für ihn oder gegen ihn ist. Sein Handeln orientiert er daher sogar an den Beobachtungen, die er am Dienstpersonal im Exil gemacht hat. Und natürlich unterwirft sich nicht jeder diesem unerfahrenen, unbekannten Kaiser. Keine Figur des Buches konnte mir sympathisch werden, dazu agierte jeder Charakter zu sehr zu seinem eigenen Nutzen.

In dieser Fantasy werden Kämpfe nicht mit Waffen ausgetragen, sondern mit Worten. Die Autorin beschreibt gerne die Art und Weise der sprachlichen Mitteilung, wodurch der Leser erst ein Bild über die weitere Bedeutung erhält. Freundschaft und Liebe sind den Elfen zur Erhaltung ihrer Stellung im gesellschaftlichen Leben nicht wichtig. Ehen werden aus politischen Gründen geschlossen. Intrigen und Ränkespiele sind an der Tagesordnung. Auch besteht eine ständige Gefahr, selbst für den Kaiser, Unwillen auf sich zu ziehen und es nicht allen recht machen zu können.

Mir persönlich war die Fantasy etwas zu ruhig, das Gebaren am Hof zu aufgesetzt. Wer klirrende Schlachten und Zaubereien mag ist bei diesem Buch leider nicht richtig. Wer eine High Fantasy mit Elementen aus dem Steampunk und ein höfisches Szenarium mit politischen Rangeleien mag ist hier willkommen.

Veröffentlicht am 06.12.2016

Komplexer, gut konstruierter Thriller

Totenfang
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Der forensische Anthropologen Dr. David Hunter ermittelt im Buch „Totenfang“ von Simon Beckett zum fünften Mal. Der Fall zu dem er hinzugezogen wird führt ihn in die Backwaters, einem Flussmündungsgebiet ...

Der forensische Anthropologen Dr. David Hunter ermittelt im Buch „Totenfang“ von Simon Beckett zum fünften Mal. Der Fall zu dem er hinzugezogen wird führt ihn in die Backwaters, einem Flussmündungsgebiet in Essex. Die Wetterlage spült ihm Unerwartetes vor seine Füße, so dass der Titel des Thrillers zum Programm wird. Besonders gut finde ich die Aufmachung des Buchs. Obwohl die letzte Ermittlung an der Dr. Hunter beteiligt war schon ein paar Jahre zurückliegt hat das Cover eine ähnliche Aufmachung wie die bisherigen Bände der Reihe.

Seit den Geschehnissen im vierten Teil der Serie „Verwesung“ ist kein ganzes Jahr vergangen. Dr. Hunters Arbeitsvertrag mit der Universität läuft in wenigen Wochen aus, eine Verlängerung ist ungewiss. Als ihn Detective Inspector Lundy aus Essex anruft und um Mithilfe bei der Untersuchung einer Leiche bittet, überlegt er nicht sehr lange und verspricht sein sofortiges Kommen. Im Mündungsgebiet eines Flusses wurde ein Körper gesichtet, der nun an Land gebracht werden soll. Die Leiche ist bereits stark verwest, aber es besteht ein bestimmter Verdacht, wer es sein könnte. Die Kleidung deutet auf Leo Villiers hin, einem Mann knapp über 30 Jahre aus wohlhabendem Haus, der vor einigen Monaten verschwunden ist. Dr. Hunter erhält die Informationen, dass Leo Villiers kein gutes Verhältnis zu seinem Vater hatte. Außerdem unterhielt er wahrscheinlich ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau, die noch vor seinem eigenen Verschwinden als vermisst gemeldet wurde.
Der Funde der Leiche zieht einige Fragen nach sich: Hat Leo Villiers sich selbst gerichtet oder wurde er ermordet? Ist die verschwundene Frau ebenfalls tot und wenn ja, wer hat sie umgebracht? Noch bevor Dr. Hunter mit der Analyse des Materials beginnen kann wird ein Fuß angeschwemmt, der definitiv nicht zu dem bisherigen Fund passt …

Das Buch kann ohne Kenntnisse der vorigen Bände gelesen werden. Zu Beginn geht der Autor kurz auf die Vergangenheit von Dr. Hunter ein und leitet vom vorigen Buch zur Gegenwart über. Ich habe mich als Leser darüber gefreut, Dr.Hunter zunächst in seiner heimatlichen Umgebung zu begegnen, bevor er zu einem neuen Fall gerufen wurde. So konnte ich verfolgen, wie sich die Atmosphäre veränderte. Das Flussmündungsgebiet ist wenig besiedelt, Straßen werden häufig überschwemmt oder sind bei Flut manchmal gar nicht mehr zu erkennen, es regnet viel. Die Umgebung sorgte bei mir für ein Gefühl des Unwohlseins und auch Dr. Hunter hat sich dort nicht gerne aufgehalten. Unerklärbar verschwundene Personen und eine Familie bei der die Familienmitglieder immer wieder gereizt reagieren tragen ihren Teil zu einer düsteren, unheilvollen Stimmung bei.

Zunächst läuft die Story eher ruhig ab und der Leser wartet an Dr. Hunters Seite darauf, dass die allgemeine Annahme über die Identität des ersten Fundes bestätigt wird. Der forensische Anthropologe gerät derweil in missliche Situationen. Andererseits entwickelt er am Rande des Geschehens ein Gefühl der tieferen Zuneigung für eine der handelnden Personen. Ich habe ihm gerne ein wenig privates Glück gegönnt und gehofft, dass ihn seine Gefühle nicht täuschen werden und die betroffene Person sich nicht als Mordbeteiligte herausstellen würde. Über eine weite Strecke läuft die Handlung eher schleppend bis es durch eine überraschende Wendung einen deutlichen Spannungsanstieg gibt, der bis zum Ende gehalten wird.

Der Autor konnte mich mit seiner Figur des Dr. Hunter auch im vorliegenden Fall wieder überzeugen. Am Rande vermittelt er einiges Wissen über die Arbeit des forensischen Anthropologen zur Identifizierung von Skeletten und Knochen. Die Charaktere des Buches sind neben dem Protagonisten Menschen mit Ecken und Kanten, die in dem wenig besiedelten Gebiet der Flussmündung zurechtkommen müssen.

„Totenfang“ ist in der Reihe der Dr. Hunter-Bände meiner Meinung nach nicht unbedingt der Beste, aber dennoch ein komplexer, gut konstruierter Thriller den es sich zu lesen lohnt. Ich hoffe auf baldige Fortsetzung.

Veröffentlicht am 28.11.2016

Ein bewegtes Leben, ein bewegendes Buch

Das verborgene Leben meiner Mutter
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„Das verborgene Leben meiner Mutter“ erzählt Adriaan van Dis im gleichnamigen Buch. Am Ende ihres Lebens erfährt er sehr viele Details von ihr, die ihm bisher unbekannt waren oder bekommt sie in einem ...

„Das verborgene Leben meiner Mutter“ erzählt Adriaan van Dis im gleichnamigen Buch. Am Ende ihres Lebens erfährt er sehr viele Details von ihr, die ihm bisher unbekannt waren oder bekommt sie in einem neuen Licht zu sehen. Der Schleier über den Geschehnissen der Vergangenheit lüftet sich für ihn immer mehr.

Marie van Dis wird 98 Jahr und lebt seit langem in einer Seniorenresidenz unweit der See. Nun fühlt sie, dass ihr nicht mehr viel Zeit auf dieser Erde bleibt. Zwei ihrer Töchter aus erster Ehe sind bereits verstorben, die dritte wohnt mit ihrer Familie in Italien. Daher wendet sie sich an ihren Sohn, der zu der Zeit in Paris lebt. Sie möchte noch einmal ihren Heimatort besuchen. Auf dieser kurzen Reise erfährt Adriaan zum ersten Mal den Namen seiner Großmutter. Er ist erstaunt, denn er hatte gedacht, dass er deren Namen nicht erwähnen darf, wenn er seine Mutter nicht erzürnen möchte. Doch Marie antwortet ihm, dass er nie danach gefragt hätte. Das ist einer der kleinen Momente im Buch, mit denen sich der Autor auseinandersetzt, ob sie für ihn die Möglichkeit bedeuten sich seiner Mutter anzunähern, denn sie Nähe zu ihm nie zugelassen. Geboren ist er in den Niederlanden, aber Marie hat ihren zweiten Mann, den Vater von Adriaan van Dis, mit dem sie offiziell nie verheiratet war, in einem Rotkreuzlager in Indonesien kennengelernt. Doch bis er zu diesem Punkt der Erzählung kommt, ist es ein langer Weg für die beiden.

Marie ist ihres Lebens überdrüssig. Jeder Tag fällt ihr schwerer, sie kann kaum noch gehen. Als sie nach Tabletten aus der Schweiz fragt merkt Adriaan auf. Seine Mutter hat inzwischen sein gestiegenes Interesse an den Geschichten aus ihrer Vergangenheit registriert und bietet ihm einen Deal an: ihre Erzählungen gegen die Mithilfe zu einem schnelleren Ableben. Doch so einfach ist das nicht, weder für Marie noch für Adriaan und schon gar nicht wegen geltender Gesetze und Regelungen.

Viele Erinnerungen von Marie sind verschüttet. Dadurch, dass sie beginnt ihre persönliche Habe aufzuräumen, kehren Teile davon, verbunden mit Geschichten zurück. So gern Adriaan es auch hätte, dass sie ihm ihr Leben kontinuierlich mitteilen würde, so sehr kommen immer nur Gedankenfetzen an die Oberfläche, die sie ihm meist telefonisch mitteilt. Irgendwann beginnt der Autor sie nach den Gesprächen aufzuzeichnen, damit sie nicht verlorengehen. Er versucht seine Mutter, die zunehmend fordernder wird, zu verstehen. Ihr Leben war nicht einfach. Als junges Mädchen vom Lande verliebte sie sich in einen dunkelhäutigen Offizier aus der niederländischen Kolonie, heiratete ihn, bekam drei Töchter und folgte ihm nach Indonesien. Hitze, Einsamkeit, Lager, Repatriantenheim und immer ein Gefühl zwischen zwei Welten zu stehen, begleiteten sie durch die folgenden Jahre. Marie war eine starke Frau, nicht nur körperlich, sondern vor allem darin, ihre Kinder und sich selbst zu schützen. Dafür musste sie viele Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, die Adriaan erst jetzt in den Gesprächen mit seiner Mutter bewusst werden.

Der Autor fügt seine Aufzeichnungen zu einem Roman zusammen, der bewegend ist und betroffen macht. Der Autor erklärt sein Handeln in dieser Zeit des Ringens um Nähe zu seiner Mutter. Das Einfügen seiner eigenen Gefühle in den verschiedenen Situationen zeigte mir, dass es oftmals zwei Seiten gibt, mit denen man das Geschehene auffassen kann. Marie deckt immer mehr Begebenheiten, große und kleine, aber allesamt für sie bedeutsam auf, die sie in all den Jahren erlebt hat und vergessen wollte, um sich nicht dem Kummer und der Trauer hinzugeben, immer auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder hoffend.

„Das verborgene Leben meiner Mutter“ ist nur insoweit fiktiv, wie die Erinnerungen von Marie die Realität nicht mehr zugelassen haben. Es ist eine Geschichte, auf die man sich einlassen muss, um sowohl Mutter wie Sohn und ihr Verhältnis zueinander zu verstehen. Es ist ein Buch, das sich zu lesen lohnt, weil viele Szenen in Erinnerung bleiben werden. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 18.11.2016

Zurück in die Vergangenheit

Wir Kassettenkinder
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„Wir Kassettenkinder – Eine Liebeserklärung an die Achtziger“ von Stefan Bonner und Anne Weiss ist kein trockenes Geschichtsbuch mit einer Faktensammlung historischer Daten, sondern vollgepackt mit liebenswerten ...

„Wir Kassettenkinder – Eine Liebeserklärung an die Achtziger“ von Stefan Bonner und Anne Weiss ist kein trockenes Geschichtsbuch mit einer Faktensammlung historischer Daten, sondern vollgepackt mit liebenswerten und weniger angenehmen Erinnerungen der beiden Autoren an die Zeit von vor etwa 30 Jahren. Für mich ich das Jahrzehnt verbunden mit Abitur, Studium, Ausbildung und Heirat, also ganz schön bewegt.

Die Autoren erzählen in der Wir-Form und aus der Erlebnissicht von Kindern beziehungsweise Jugendlichen, halt so wie die beiden es damals erlebt haben. Allerdings blicken sie in erwachsener Weise vor allem auf die politischen und geschichtlichen Hintergründe. Stefan Bonner ist im Bergischen Land aufgewachsen und Anne Weiss in Bremen. Bis auf einige Randbemerkungen beziehen sich die Erfahrungen daher auf Westdeutschland.

Das Buch gliedert sich nach einer kurzen Einführung in vier Kapitel. Im ersten Kapitel dreht sich alles um den ganz normalen Schulalltag verbunden mit der Freizeitgestaltung durch Bücher und Spiele. Das nächste Kapitel stellt den Leser vor Augen welche sorglosen Jahre die 1980er für Kinder und Jugendliche waren. Die Autoren widmen sich dem damaligen Fernsehprogramm, schildern den Ablauf eines typisch deutschen Urlaubs mit Kindern und die Gestaltung des Weihnachtsfests. Im dritten Kapitel geht es um Politik und Zeitgeschichte. Der verstörteste Moment und völlig unerwartet war sicherlich der Reaktorunfall von Tschernobyl. Ich persönlich erinnere mich sehr gut an den Morgen an dem ich ins Büro kam und von meiner Kollegin davon erfuhr. Umweltaktivismus und Friedensbewegung waren große Themen der Dekade. Der letzte Teil widmet sich der technischen Entwicklung. Schlagwörter hierzu sind Walkman, Videorekorder, Spielekonsole und die dafür benötigten titelgebenden Kassetten.

Das Buch ist in einem leicht lesbaren Plauderton geschrieben. Immer wieder fließen Werbesprüche in ihre Schilderung ein. Wenn auch ihre Ausführungen nicht abschließend sein können, so habe ich mich doch gerne mit in die
damalige Zeit nehmen lassen. Die 1980er waren eine intensive Zeit für mich verbunden mit vielen Erinnerungen an schönen und leider auch negativen Erlebnissen. Ausgelöst durch das Gelesene blitzten immer wieder Szenen in meinen Gedanken auf, wie es bei mir im Vergleich zu dem im Buch geschilderten gewesen ist. Und natürlich kannte ich auch den überwiegenden Teil der genannten Musik- und Filmtitel wie auch der Fernsehsendungen.

Das Buch ist nicht nur für den Leser eine Zeitreise in die 1980er sondern bietet auch eine ideale Gesprächsgrundlage zwischen Jung und Alt oder auch für einen gemeinsamen Rückblick, ebenfalls als Geschenk bestens geeignet.

Veröffentlicht am 16.11.2016

Ein Roman der betroffen macht und nachwirkt

Die Nachtigall
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Zwar beginnt das Buch „Die Nachtigall“ von Kristin Hannah im Jahr 1995 in Oregon/USA, doch die Handlung des Romans spielt zum größten Teil kurz vor und während des zweiten Weltkriegs in Frankreich. Es ...

Zwar beginnt das Buch „Die Nachtigall“ von Kristin Hannah im Jahr 1995 in Oregon/USA, doch die Handlung des Romans spielt zum größten Teil kurz vor und während des zweiten Weltkriegs in Frankreich. Es ist die Geschichte zweier Schwestern, Vianne und Isabelle Rossignol. Der Nachname bedeutet übersetzt „Nachtigall“ und hat dem Buch einerseits den Titel gegeben, andererseits ist er der Spitzname für Isabelle in ihrer Rolle als Fluchthelferin im Zweiten Weltkrieg. In kurzen Zwischenkapiteln, die im Jahr 1995 spielen, erzählt die Autorin dem interessierten Leser, was die Familienmitglieder in den Jahren nach dem Krieg erlebt haben.

Zwischen den Schwestern gibt es einen Altersunterschied von 10 Jahren. Isabelle war erst fünf Jahre alt, als ihre Mutter starb. Vianne hat sich schon sehr früh in einen Mann verliebt, den sie später auch heiratete. Ihr Vater ist ein Buchhändler in Paris und an der Erziehung seiner Kinder völlig desinteressiert. Doch auch Vianne ist überfordert damit, sich um ihre kleine Schwester zu kümmern, die daher überwiegend im Internat aufwächst. Sie widersetzt sich immer wieder den Regeln des Schullebens und wechselt daher häufiger ihren Aufenthaltsort. Als der Krieg beginnt, wird der Ehemann von Vianne eingezogen, der kleine Ort in Frankreich von den Deutschen besetzt und ein Hauptmann der Wehrmacht wird bei ihr einquartiert. Isabelle ist zu dieser Zeit wieder einmal von der Schule verwiesen worden. Als die Lage sich immer mehr zuspitzt, wird sie ihrer Rebellenrolle weiter dadurch gerecht, dass sie sich dem Widerstand anschließt, auch gegen den Willen des Mannes den sie bei der Résistance kennengelernt hat. Gibt es für die Liebe der beiden eine Zukunft und wird Vianne nach dem Krieg weiter ein Leben an der Seite ihres Ehemanns führen können?

Vor allem Isabelle wurde in ihrer Kindheit nicht mit Liebe verwöhnt. Nach dem Tod der Mutter ist der Vater hilflos mit den Kindern überfordert und Vianne steckt als Jugendliche in der Selbstfindungsphase. Eine Heimat findet sie auf diese Weise nicht und Vertrauen aufzubauen, ist auch schwierig. Ohne Schulabschluss sucht sie nach einer Tätigkeit, die ihr Anerkennung bringen kann, mit dem Ziel sowohl ihrem Vater wie auch ihrer Schwester zu beweisen, dass sie nützlich ist und den Respekt der beiden verdient hat. Die Tätigkeit für die Widerstandsgruppe ist ihr eigener Kampf dafür, als erwachsen zu gelten und selbstbestimmt leben zu dürfen obwohl sie noch minderjährig ist.

„Die Nachtigall“ ist eine sehr emotional ergreifende Geschichte. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs erzählt Kristin Hannah das Schicksal von Vianne und Isabell stellvertretend für so viele Frauen, die zu Hause auf ihre Lieben gewartet haben, die ihren Kriegsdienst abzuleisten hatten. Sie versuchten den Alltag weiterzuleben wie bisher, doch die ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wurden immer weiter beschränkt von der deutschen Wehrmacht, die im Laufe der Zeit selbst in kleinsten Dörfern Einzug hielt.

Die Autorin hat die historischen Daten zum Roman gut recherchiert. Doch ihr Fokus bleibt auf den beiden Frauen, sie nutzt leider nicht die Möglichkeit der Geschichte von Randfiguren wie Rachel, der jüdischen Freundin von Vianne, eine größere Bedeutung zu geben. Für mich blieb beispielweise fraglich, womit Rachel und ihre Kinder in den Kriegstagen ihren Hunger gestillt haben. Auch einige andere Stellen waren ein wenig verschwommen dargestellt. In gewissen Situationen reagierten sowohl Vianne und Isabelle sehr impulsiv. Ich hätte den beiden an manchen Stellen aus ihrer Erfahrung heraus ein besonneneres Vorgehen zugestanden. Nichtsdestotrotz konnte mich der Roman in seinen Bann ziehen.

Obwohl ihr Roman sehr gefühlvoll geschrieben ist, wertet Kristin Hannah nicht über gute oder schlechte Eigenschaften der deutschen Besatzer. So neutral wie möglich schafft sie es, die Unterdrückung der Franzosen darzustellen und gesteht dennoch den Deutschen Menschlichkeit zu, die sich ihrer ausführenden Rolle als Befehlsempfänger bewusst sind.

Kristin Hannah gibt den französischen Frauen, die ihren Dienst für das Vaterland im Zweiten Weltkrieg auf ihre ganz eigene Weise geleistet haben mit diesem Roman ein Gesicht. Ihre Schilderung machte mich zunehmend betroffen und wird sicher noch sehr lange nachwirken. Das Buch ist definitiv eine Leseempfehlung!