Alte Schuld - späte Rache
Wasserfallsturz„Wasserfallsturz“ von Jennifer B. Wind ist ein beineindruckend vielschichtiger Regionalkrimi, packend, berührend und nachdenklich stimmend. Ein äußerst gelungener Auftakt zu einer neuen, in der Steiermark ...
„Wasserfallsturz“ von Jennifer B. Wind ist ein beineindruckend vielschichtiger Regionalkrimi, packend, berührend und nachdenklich stimmend. Ein äußerst gelungener Auftakt zu einer neuen, in der Steiermark beheimateten Reihe.
Worum geht es?
Chefinspektorin Franziska Fürst kehrt nach ihrer Scheidung mit ihren beiden Kindern in ihren Heimatort zurück, wo sie ein rätselhafter Fall erwartet. Eine Lehrerin liegt nach einem Sturz beim Günster Wasserfall im Koma. Je mehr Franzi ermittelt, desto mehr verstärkt sich ihr Eindruck, dass es kein Unfall war, sondern ein Mordversuch. Doch wer hätte ein Motiv?
Das Cover mit der für Murau signifikanten Ansicht, nämlich der Bogenbrücke über der Mur, stimmt hervorragend auf die Region ein, die Graufärbung und die geballten Wolken symbolisieren das Bedrohliche der Handlung. Zudem passt auch die Grün-Weiß-Gestaltung exakt zu den Farben der Steiermark. Auf der Innenseite des Umschlags befindet sich eine Skizze der wesentlichsten Örtlichkeiten von Schöder sowie der unmittelbaren Umgebung, wodurch man sich mit Leichtigkeit im Ort der Handlung zurechtfindet.
Das Buch erschien 2023, die Handlung spielt teils in der Gegenwart, teils in der Vergangenheit. Der Krimi ist in kurze Kapitel untergliedert, teilweise mit Überschriften versehen, wodurch sich die drei Handlungsstränge – Gegenwart, Vergangenheit und die Gedanken der im Koma befindlichen Frau – ausgezeichnet unterscheiden lassen. Der flüssige Schreibstil ist bildhaft und facettenreich, je nach Situation locker und humorvoll bis atmosphärisch packend und berührend. Gut dosiert ist auch der steirische Dialekt eingesetzt, der das Lokalkolorit ebenso unterstreicht wie Gebräuche und Landschaftsbeschreibungen.
Bereits der Prolog packt einen. Gefangen im Wachkoma. Welch eine alptraumhafte Vorstellung! Das erste Gänsehautfeeling. Die stetigen Wechsel zwischen den einzelnen Handlungssträngen lassen die Spannung nie versiegen. Man wird regelrecht eingefangen von all den rätselhaften Vorgängen in der Gegenwart, die einen ebenso beschäftigen wie die Frage, wie die eingeschobenen Szenen aus dem Leben der beiden Kinder Esther und Sophie zur Zeit des Zweiten Weltkriegs mit den Ereignissen der Gegenwart zusammenhängen. Und immer wieder das Bangen um die um ihr Leben kämpfende, wehrlos im Koma liegende Frau. Es gibt viel Raum für den Leser zum Mitfiebern und für eigene Vermutungen. Auch wenn die polizeilichen Ermittlungen nur langsam vorankommen, bleibt das Geschehen stets fesselnd. Man möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Selbst als sich für den Leser (allerdings noch nicht für die Polizei) langsam der Täter herauskristallisiert, ergeben sich noch überraschende Wendungen bis letztlich in einem dramatischen Showdown dieser gefasst wird und sich alle seltsamen Vorkommnisse geklärt haben.
Im Mittelpunkt steht Franziska, sympathisch, kompetent, mit den üblichen Problemen einer geschiedenen Alleinerzieherin mit zwei Kindern, wobei eines noch dazu mitten in der Pubertät steckt und gegen alles rebelliert. Verschärft wird die private Situation durch den Ortswechsel von der Stadt aufs Land, der die Kinder aus dem gewohnten Umfeld herausreißt, und durch das Zusammenleben am elterlichen Bauernhof mit dem im patriarchischen Weltbild verhafteten Vater. Doch Franzi weiß sich durchzusetzen, privat wie beruflich, wo sie einerseits mit ihrer Jugendliebe Max zusammenarbeiten muss, und andererseits sich auch mit ihrem Ex-Mann Nick auseinandersetzen muss, der sich zum LKA Graz versetzen ließ, um die Nähe zu seinen Kindern zu wahren. Franzi und Max bilden relativ rasch ein harmonisches Team. Noch knistert es sehr leise, doch da spürt man schon zwischen den Zeilen, dass sich hier mehr entwickeln könnte. Das Private ist gut dosiert. Man lernt die Protagonisten kennen, doch der Kriminalfall bleibt stets im Vordergrund. Ob Haupt- oder Nebenakteure, alle sind mehr oder weniger emotional bzw. tiefgehend gezeichnet, wirken aber stets authentisch und in den Handlungen nachvollziehbar.
„Wasserfallsturz“ hat mir prickelnde, auch nachdenkliche Lesemomente beschert, mich von Anfang bis zum Ende gefesselt und Lust auf weitere Fälle mit dem sympathischen Team Franzi und Max gemacht. Ein Regionalkrimi, den man nicht so schnell vergisst und den man sich nicht entgehen lassen sollte! 5 Sterne sowieso.