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Veröffentlicht am 20.07.2023

Biedere Hausmannskost ohne Raffinesse

Trügerisches Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 9)
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Urlaubskrimis haben Hochkonjunktur, und es gibt kaum eine Region, die außen vor bleibt. Mit Abstand am beliebtesten bei den Leserinnen und Lesern ist Frankreich, und neben der Bretagne insbesondere die ...

Urlaubskrimis haben Hochkonjunktur, und es gibt kaum eine Region, die außen vor bleibt. Mit Abstand am beliebtesten bei den Leserinnen und Lesern ist Frankreich, und neben der Bretagne insbesondere die sonnige Provence Hier ist Remy Eyssens Lavandou-Reihe verortet, in deren Zentrum der aus Deutschland stammende Gerichtsmediziner Leon Ritter samt seiner Lebensgefährtin Isabelle Morell, stellvertretende Polizeichefin der ortsansässigen Polizei, steht.

Im neunten Band „Trügerisches Lavandou“ hält eine Kindesentführung das Team rund um Isabelle in Atem. Die beiden Kleinkinder Lucas und Luisa sind verschwunden und die Lösegeldforderung des Entführers stellt die verschuldeten Eltern vor große Probleme. Es gibt zahlreiche Hinweise und Verdächtige, aber im Laufe der Ermittlungen erweisen diese sich immer wieder als falsche Fährten. Das Interesse der Medien ist groß, die Zeit drängt und mit jedem Tag, der ergebnislos verstreicht, sinkt die Wahrscheinlichkeit, die Kinder lebend aufzufinden und zu ihrer Familie zurückzubringen.

Dieser Band der Reihe hat meine Geduld deutlich überstrapaziert. 530 Seiten Ermittlungsarbeit, die sich permanent im Kreis dreht und zu keinen neuen Ergebnissen kommt. Verdächtigungen und Nachforschungen, die sich nach kurzer Zeit als heiße Luft entpuppen. Unnötig aufgeblasene, unglaubwürdige Story. Zäh, langatmig und mit jeder Menge Wiederholungen. Die üblichen Außenseiter mit ihren Macken, die sie natürlich sofort an exponierte Stelle im Kreis der Verdächtigen katapultieren. Konventioneller, altbackener Stil. Dazu dann noch die zahlreichen Passagen aus dem Zettelkasten, die wir fast wortgetreu bereits in den Vorgängern gelesen haben. Das unvermeidliche Boule-Match mit den überheblichen Touristen, „La Mer“ im Radio Nostalgie (haben die nur diesen einen Tonträger?) und die Beschreibung der Vegetation, wobei letzteres noch das Beste an diesem Krimi ist. Zuletzt die Hoppla Hopp-Auflösung mit dem wenig schlüssigen Motiv. Enttäuschend.

Biedere Hausmannskost ohne einen Funken Raffinesse. Schade, denn die Vorgänger habe ich gerne gelesen.

Veröffentlicht am 18.07.2023

Auf nach Torreira

Südlich von Porto lauert der Tod
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Anlässlich der Beerdigung ihres Großvaters kehrt die deutsch-portugiesische Polizistin Ria Almeida in das Land ihrer Kindheit zurück. Die Auszeit ist ihr willkommen, denn nicht nur in ihrem Job bei der ...

Anlässlich der Beerdigung ihres Großvaters kehrt die deutsch-portugiesische Polizistin Ria Almeida in das Land ihrer Kindheit zurück. Die Auszeit ist ihr willkommen, denn nicht nur in ihrem Job bei der Stuttgarter Kripo sondern auch in ihrem Privatleben häufen sich momentan die Probleme. Gemobbt von den Kollegen, auf eigenen Wunsch zurück im Streifendienst, eine gescheiterte Beziehung, alles scheint sich gegen sie verschworen zu haben. Zeit, zur Ruhe zu kommen und auf Reset zu drücken, sich darüber klar zu werden, wie es für die weitergehen soll.

Als eine junge Frau tot aufgefunden wird, ist die Polizei des Fischerdörfchens Torreira in Gestalt ihres angeheirateten Verwandten João überfordert. Ein Kommissar aus der Kreisstadt wird mit dem Fall betraut, denn es ist nicht klar, ob dem Tod ein Unfall oder ein Gewaltverbrechen zugrunde liegt. Die Menschen misstrauen ihm, verschließen sich, denn seine arrogante, besserwisserische Art kommt nicht gut an. Aber glücklicherweise ist da ja auch noch Ria mit ihrem Instinkt und ihrer Erfahrung, die João tatkräftig bei den Ermittlungen unterstützen kann…

Seit Holger Karsten Schmidts genialer Fuseta-Reihe warte ich darauf, dass weitere Urlaubskrimis uns die unterschiedlichen Regionen Portugals vorstellen und näherbringen. Zwar gibt es da noch die Porto-Krimis mit Inspektor Fonseca, aber diese beschränken sich im Wesentlichen auf die Tätersuche. Ganz anders Mariana da Silva, die in ihrem Debüt „Südlich von Porto lauert der Tod“ neben der Polizeiarbeit auch noch jede Menge Dorf- und Familienleben, wunderbaren Landschaftsbeschreibungen und kulinarischen Highlights in die Handlung eingearbeitet hat. Die Autorin ist zwar in Deutschland aufgewachsen, hat aber portugiesische Wurzeln, und die Liebe zu Portugal merkt man jeder Seiten an. Nicht nur an ihren atmosphärischen Beschreibungen des Alltags, sondern auch an den Erläuterungen, die jedem Kapitel vorangestellt sind und typische Traditionen, geografische Besonderheiten oder alltägliche Redewendungen erklären, die man so weder in einem Reiseführer noch in einem Wörterbuch findet.

Diesen gelungenen, unterhaltsamen Krimi, der ohne großes Blutvergießen auskommt und Lust auf einen Urlaub an der portugiesischen Atlantikküste macht, empfehle ich gerne. Nicht nur denen, die ihre Koffer bereits gepackt haben, sondern auch allen, die in heimischen Gefilden bleiben und zumindest lesend in den Nordwesten Portugals reisen wollen.

Veröffentlicht am 14.07.2023

Heißer Juni 1994

Sommersonnenwende (Wolf und Berg ermitteln 1)
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Die schwedische Autoren/Journalisten Pascal Engman und Johannes Selånker nehmen uns in ihrem ersten Gemeinschaftsprojekt „Sommersonnenwende“ mit in den Stockholmer Juni im Jahr 1994.

Eine Hitzewelle hat ...

Die schwedische Autoren/Journalisten Pascal Engman und Johannes Selånker nehmen uns in ihrem ersten Gemeinschaftsprojekt „Sommersonnenwende“ mit in den Stockholmer Juni im Jahr 1994.

Eine Hitzewelle hat die Stadt im Griff, als nahe einer Flüchtlingsunterkunft die Leiche einer bosnischen Migrantin aufgefunden wird. Ein Fall für die Mordkommission, insbesondere für Kommissar Tomas Wolf, denn dessen Bruder, der einer rechtsradikalen Vereinigung angehört, hat im Vollrausch vor dem Kommissariat lautstark die Verantwortung für dieses Gewaltverbrechen übernommen. Und die junge Frau wird nicht das einzige Opfer bleiben, ein Umstand, der Tomas Wolf schwer zu schaffen macht. Während seines Blauhelm-Einsatzes in Bosnien hat er zu viele Leichen gesehen und leidet seither unter PTBS, kann die wiederkehrenden Panikattacken nur mit Tabletten in Schach halten.

Parallel dazu ist auch Vera Berg, eine Journalistin mit einem fragwürdigen Privatleben und noch fragwürdigerer beruflicher Moral, dem Täter auf der Spur. Berg, die erst kürzlich entlassen wurde, weil sie Geld, das für die Bezahlung von Informanten gedacht war, in die eigene Tasche gesteckt hat, muss sich jetzt in ihrem neuen Job bewähren, hat aber offenbar nichts dazugelernt.

Die Autoren beschreiben sowohl die Ermittlungen/Recherchen der beiden Protagonisten als auch deren Privatleben lange Zeit klar getrennt aus der jeweiligen Perspektive. Es dauert, bis sich deren Pfade kreuzen, und die zahlreichen Wiederholungen fördern nun auch nicht gerade das Tempo. Hier hätte man durchaus straffer erzählen können.

Meine Gefühle sind zwiespältig. Einerseits wurde meine Geduld durch den langatmigen Mittelteil schon sehr auf die Probegestellt, andererseits konnten aber die zahlreichen Verweise auf die Geschehnisse dieser ereignisreichen Tagen mir ein Gefühl für die Probleme vermittelt, mit denen sich die schwedische Gesellschaft (und nicht nur sie) schon zu diesem Zeitpunkt konfrontiert sah. Geändert hat sich daran bis zum heutigen Tag nichts. Weder dort, noch hier. Im Gegenteil.

Veröffentlicht am 08.07.2023

Alles Käse...

Bleich wie der Mond
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So schmeckt der Sommer auf Capri: Sonnengereifte Tomaten, aromatisches Basilikum, ein feines Olivenöl und natürlich Mozzarella, am besten aus der Milch von artgerecht gehaltenen Büffeln produziert. Und ...

So schmeckt der Sommer auf Capri: Sonnengereifte Tomaten, aromatisches Basilikum, ein feines Olivenöl und natürlich Mozzarella, am besten aus der Milch von artgerecht gehaltenen Büffeln produziert. Und genau darum geht es in Luca Venturas neuem Capri-Krimi „Bleich wie der Mond“, der Reihe mit den Inselpolizisten Enrico Rizzi und der aus dem Norden nach Capri strafversetzten Antonia Cirillo. Über den Grund dafür lässt uns der Autor selbst nach mittlerweile vier Bänden im Unklaren. Wahrscheinlich ist ihm selbst bisher noch keine schlüssige Begründung eingefallen. Man merkt es, I’m not amused…

Nino Castaldo, Inhaber eines Familienunternehmens in Anacapri, das sich auf die Herstellung von handgezogenem Büffelmozzarella spezialisiert hat, wird frühmorgens tot in einem seiner Milchbottiche aufgefunden. Rizzi wird in die Molkerei beordert und stellt fest, dass dieser ermordet wurde. Gemeinsam mit seiner Kollegin Antonia nimmt er die Ermittlungen auf und stößt in ein Wespennest aus familiären Zwistigkeiten und den erwartungsgemäßen Einlassungen zu Tier- und Umweltschutz.

Es gibt kaum etwas, was an diesem Kriminalroman lobenswert ist. Ein Urlaubskrimi lebt von den Beschreibungen der Orte. Die gibt es zwar, aber leider sind sie weder atmosphärisch noch informativ, so dass sie kaum Lust auf einen Capri-Urlaub machen. Am interessantesten sind noch die Beschreibungen der Mozzarella-Produktion. Was komplett vernachlässigt wird und dem Autor keine Erwähnung wert ist, sind die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Kampaniens, einer Region, die für ihre europaweit höchste Arbeitslosigkeit bekannt ist.

Die Story ist dünn, plätschert vor sich hin, unterbrochen von dem belanglosen Geplapper sowohl der Verdächtigen als auch Rizzis, der im familieneigenen Garten Gemüse erntet und sein Schrottauto fahrtauglich macht. Der Plot ist bieder, bietet weder Spannung noch Tempo, die Personen sind flach gezeichnet und uninteressant.

Aber falls sich jemand dafür interessiert, wie handgezogener Büffelmozzarella hergestellt wird, ist er hier an der richtigen Adresse.

Veröffentlicht am 06.07.2023

Wenn ein Autor in große Fußstapfen tritt...

Refugium
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„Refugium“ hat eine interessante Geschichte: Die Millennium-Trilogie des schwedischen Journalisten Stieg Larsson gehört zu den weltweit erfolgreichsten Krimireihen. So verwundert es nicht, dass sowohl ...

„Refugium“ hat eine interessante Geschichte: Die Millennium-Trilogie des schwedischen Journalisten Stieg Larsson gehört zu den weltweit erfolgreichsten Krimireihen. So verwundert es nicht, dass sowohl der Verlag als auch die Erben nach dem Tod des Autors an diesem Erfolg partizipieren wollten und deshalb einen Autor suchten, der die Reihe fortschreiben sollte.

Der Nachfolger wurde mit David Lagercrantz gefunden, dessen auf 10 Bände geplante Fortsetzung es allerdings bei Weitem nicht mit dem Original aufnehmen konnte und deshalb nach drei Romanen 2019 eingestellt wurde.

John Ajvide Lindqvist, ein erfolgreicher Autor, dessen bisherige Romane ausnahmslos dem Horrorgenre zuzuordnen sind, bekam nun die Möglichkeit, die Reihe fortzuführen. Dessen Sequel fand aber keine Gnade vor den Augen des Verlags und wurde abgelehnt. Also passte er die Geschichte an, änderte die Namen der Protagonisten und veröffentlichte sie unter dem Titel „Refugium“, ebenfalls geplant als Auftaktband der Stormland-Trilogie, die in 2024 und 2025 komplettiert wird. Die Fortsetzung der Millennium-Trilogie kommt nun von Karin Smirnoff und wird in der Übersetzung Ende August erscheinen.

Julia Malmros, eine ehemalige Polizistin und nun Krimi-Autorin, soll die Millennium-Trilogie fortschreiben und bekommt vom Verlag den Computernerd Kim Ribbing zur Seite gestellt. Obwohl das Exposé die Erwartungen der Lektorin nicht erfüllt und sie es deshalb ablehnt, freunden sich die beiden an und verbringen den Mittsommerabend gemeinsam in Julias Sommerhaus im Schärengarten. Doch dann bricht plötzlich ein Inferno los. Ein Boot nähert sich der Nachbarinsel, zwei Schützen eröffnen das Feuer und erschießen sämtliche Anwesende. Einzige Überlebende ist die Tochter der Familie. Verantwortlich für die Aufklärung dieser kaltblütigen Morde ist Julias Ex-Mann, der allerdings keinen Plan hat, wo er ansetzen soll. Und hier kommen Ribbing und Julia ins Spiel.

Einer der Toten ist ein Jugendfreund von Julia, und so zieht die ehemalige Polizistin alle Register, um die Verantwortlichen zu entlarven und zur Rechenschaft zu ziehen. Mit Ermittlungsmethoden ist sie vertraut, muss sich als Externe auch nicht an einschränkende Vorschriften halten und hat mit Kim Ribbing einen Hacker mit außergewöhnlichen Fähigkeiten an der Hand, der sie unterstützt. Sie recherchieren, verknüpfen die gefundenen Informationen, stellen Verbindungen her und sind bald mitten in einem Fall, der weitere Kreise zieht, als sie sich je hätten vorstellen können.

Wenn ein Autor in solch große Fußstapfen tritt, bleibt es nicht aus, dass Vergleiche gezogen werden. Und hier schneidet Lindqvist nicht schlecht ab, auch wenn die Passagen, in denen er sich seinen Frust über das abgelehnte Manuskript etwas zu oft von der Seele schreibt.

Natürlich gibt es offensichtliche Anleihen: Der Journalist Mikael Blomkvist wird zur Autorin Julia Malmros, beides Angehörige der schreibenden Zunft, Kim Ribbing ist die wiedergeborene Lisbeth Salander, ebenfalls schwer traumatisiert und mit Bindungsängsten, und um Big Money und mafiöse Männerbünde geht es hier wie dort.

Die Handlung ist bei Lindqvist in der Gegenwart angekommen und behandelt jede Menge Themen, die westlichen Gesellschaften unter den Nägeln brennen, aber auch einiges an Potenzial für kriminelle Aktivitäten bieten. Er erzählt spannend und in kurzen Kapiteln, wechselt zwischen den verschiedenen Akteuren hin und her, variiert zwischen Action und Recherche, was nicht nur das Tempo sondern auch das Interesse des Lesers/der Leserin durchgängig hoch hält. Und er schafft es problemlos, am Ende sämtliche Handlungsstränge souverän und ohne Logikfehler zusammenzuführen und offene Fragen hinreichend zu beantworten.

Ich habe mich jedenfalls sehr gut unterhalten gefühlt und die 524 Seiten in eineinhalb Tagen gelesen. Und auf die beiden Nachfolgebände freue ich mich bereits jetzt schon!