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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.02.2019

Ein toller Jugendbuchkrimi in der Tradition Arthur Conan Doyles

Der Fall des verschwundenen Lords
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Wenn Sie noch nie von Enola Holmes gehört haben, dann liegt das daran, dass sie als extremer Nachzügler auf die Welt gekommen ist und aufgrund dessen, wenn überhaupt, dann nur hinter vorgehaltener Hand ...

Wenn Sie noch nie von Enola Holmes gehört haben, dann liegt das daran, dass sie als extremer Nachzügler auf die Welt gekommen ist und aufgrund dessen, wenn überhaupt, dann nur hinter vorgehaltener Hand über sie getuschelt wird. Aber ja, Sie liegen richtig, bei Enola handelt es sich um die kleine Schwester von Mycroft und Sherlock Holmes. Doch nun tritt sie aus dem langen Schatten ihrer Brüder, weil ihre Mutter gerade an ihrem vierzehnten Geburtstag verschwunden ist und Enola sich nun auf die Suche nach ihr macht. Gleichzeitig muss sie vor ihren Brüdern fliehen, die beschlossen haben, sie für den notwendigen Feinschliff auf ein Internat zu schicken. Doch Enola hat ganz andere Pläne. Zusammen mit Enola begibt sich der Leser auf die abenteuerliche Flucht nach London, wobei er der kleinen Detektivin gebannt über die Schulter schaut, während diese ganz nebenbei den Fall des verschwundenen Lords Tewksbury löst.

„Der Fall des verschwundenen Lords“ ist der erste Band der sechsbändigen Reihe um Enola Holmes. Enola ist eine Figur, die einem bereits nach wenigen Seiten ans Herz wächst und mit der sich so manche junge Leserin wunderbar identifizieren kann (für die männlichen Leser gibt es Lord Tewksbury). Sie ist intelligent, schlagfertig, stürmisch und rebellisch. Gleichzeitig ist sie unsicher und voller Zweifel wie es für ein Mädchen im Alter von vierzehn Jahren typisch ist. Ihre pointierte, humorvolle Art machen den Roman zu einem wahren Lesegenuss. Bis auf einige wenige etwas unglaubhafte Aspekte ist „Der Fall des verschwundenen Lords“ ein wunderbares, spannendes und zugleich lustiges Jugendbuch, bei dem der junge Leser mitdenken, -lachen und -rätseln kann!

Veröffentlicht am 24.02.2019

Ein Romandebüt voller Witz und Wärme

Liebe geht durch den Garten
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Was soll man tun, wenn man Kinderbuchillustratorin und alleinerziehende Mutter von zwei Jungen im Alter von zehn und acht Jahren ist, und einem seit Wochen Bauarbeiten und Hitze alle Lebensgeister und ...

Was soll man tun, wenn man Kinderbuchillustratorin und alleinerziehende Mutter von zwei Jungen im Alter von zehn und acht Jahren ist, und einem seit Wochen Bauarbeiten und Hitze alle Lebensgeister und künstlerische Inspiration rauben? Genau, man sucht sich einen Schrebergarten! Für kleines Geld bietet einem so ein eigener kleiner Garten mit Laube alle Annehmlichkeiten, die man sich als fried- und naturliebender Mensch wünscht. Gesagt, getan. Ehe sich Anna versieht, ist sie stolze Besitzerin eines Schrebergartens. Vielleicht zu Anfang doch nicht ganz so stolz, denn der Garten ist äußerst heruntergekommen. Doch Anna lässt sich nicht abschrecken. Voller Elan stürzt sie sich in ihre neue Aufgabe. Tatkräftig wird Anna von ihren hilfsbereiten Schrebergartennachbarn unterstützt, sodass im Handumdrehen Ordnung in die kleine Gartenwelt einkehrt. Ganz besonders gerne geht der äußerst sympathische und extrem gutaussehende Paul Anna bei allen Gartenarbeiten zur Hand. Es könnte das Paradies auf Erden sein, wenn nicht plötzlich Sabine aufgetaucht wäre, die Paul ganz für sich in Anspruch nehmen möchte...

Ulrike Hartmann gelingt mit „Liebe geht durch den Garten“ ein warmer, humorvoller und überaus authentischer Roman, der mit seinen mannigfachen Wendungen die Leserin die Romanhandlung bis zum Ende mit Anteilnahme und Vergnügen mitverfolgen lässt. Sehr liebevoll beschreibt die Autorin die Schrebergärten und alles, was damit verbunden ist – die Arbeit, den Kleingärtnerverein, die Gartenimpressionen zu jeder Jahreszeit. Eine ganz besondere Stärke des Romans sind die runden Figuren: Da ist Anna, die Ich-Erzählerin und ihre beste Freundin Martha – die Frau möchte ich sehen, die sich nicht in ihren Gesprächen wiederfindet! – die beiden eigenwilligen und schlagfertigen Söhne, die überaus putzige Vermieterin, Paul, Sabine, die herzensgute Schrebergartennachbarin Lene und viele mehr. Spritzige Dialoge und viel Situationskomik runden den ausgesprochen gelungenen Roman ab. Lachfältchen sind garantiert!

Veröffentlicht am 20.02.2019

Eine wunderschöne Fabel über die Liebe

Liebende
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„Begegnungen sind geheimnisvoll, genauso wie die Liebe. Sobald wir einander begegnen, fangen wir an, die Geschichte unseres Lebens zu schreiben.“

Seit Blauperlenauge zusammen mit Schwarzperlenauge für ...

„Begegnungen sind geheimnisvoll, genauso wie die Liebe. Sobald wir einander begegnen, fangen wir an, die Geschichte unseres Lebens zu schreiben.“

Seit Blauperlenauge zusammen mit Schwarzperlenauge für die Glocken des Tempels Unju-sa gekauft wurde, ist es Liebe auf den ersten Blick. Doch schon bald wandelt sich Schwarzperlenauges Liebe in Gleichgültigkeit. Voller Schmerz fragt sich Blauperlenauge: „Gibt es denn keine Liebe, die nie vergisst, wie sich das Herz anfangs gefühlt hat; keine Liebe, die sich niemals verändert?“ Nachdem Blauperlenauge die Auseinandersetzung mit Schwarzperlenauge sucht, stellt sich heraus, dass beide ein grundverschiedenes Verständnis von Liebe haben. Schwarzperlenauge sagt: „Wenn Liebe neu ist, spricht man viele Worte. Alte Liebe hingegen ereignet sich schweigend.“ Blauperlenauge kann diese Wahrheit nicht akzeptieren. Er verlässt Schwarzperlenauge, um in der großen weiten Welt die Antworten auf die ihn quälenden Fragen zu suchen. Auf seiner Reise lernt er das große weite Meer, die Großstädte, die Menschen, Vögel sowie andere seiner Art kennen. Das Wichtigste, was er lernt, ist, dass Liebe stets dem Wandel unterworfen ist, sie untrennbar mit Schmerz verbunden ist, und das einzige ist, was ewig bestand hat. Und Blauperlenauge erkennt, dass nicht die äußere Form des Lebens wichtig ist, sondern die grundlegende Wahrheit seines Daseins und die Essenz seines Lebens darin besteht als Windspiel des Tempels die schönsten und klarsten Klänge der Welt hervorzubringen.

Jeong Ho-seung legt dem Leser mit „Liebende“ eine berührende Fabel über die Liebe und den Sinn des Lebens vor. Tiefes Verständnis für die menschliche Seele und große Weisheit über das Leben zeichnen diesen südkoreanischen Schriftsteller aus. Der Zauber des dünnen und doch so dichten Bändchen nimmt den Leser gefangen und hallt lange nach. Nicht wegzudenken sind die wunderschönen Illustrationen von Gisela Goppel, die das Büchlein ergänzen und vervollkommnen. Eine klare Kauf- und Leseempfehlung für alle, die sich nach Weisheit und Tiefe sehnen.

Veröffentlicht am 06.02.2019

Geschichte neu schreiben

Wallace
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„Selbst die größten Umwälzungen der Geschichte beginnen bekanntlich mit einer Kleinigkeit. Und selbst die kleinste Kleinigkeit ist kaum klein genug, um nicht doch am Ende eine große Wirkung zu zeitigen.“

Albrecht ...

„Selbst die größten Umwälzungen der Geschichte beginnen bekanntlich mit einer Kleinigkeit. Und selbst die kleinste Kleinigkeit ist kaum klein genug, um nicht doch am Ende eine große Wirkung zu zeitigen.“

Albrecht Bromberg arbeitet als Nachtwächter im Museum für Natur- und Menschheitsgeschichte. Um sich die monotone Arbeit ein wenig interessanter zu gestalten, pflegt er Kreuzworträtsel im Kopf zu lösen, Vokabellisten des Mordwinischen zu erstellen sowie sich um seine prächtige Sammlung Epiphyten zu kümmern. Den Feierabend lässt er für gewöhnlich mit vier Freunden ausklingen, die sich selbst die Elias-Birnstiel-Gesellschaft nennt. Hier wird, zur großen Erheiterung des Lesers, glühend über Berufe und dazugehörende IQ-Werte, Autoren und ihre Übersetzer sowie das Prinzip der natürlichen Selektion diskutiert. Brombergs eingefahrene Routine wird jäh von einer Fotografie gestört, über die er während einer seiner Museumsgänge stolpert. Auf dieser ist ein bärtiger Mann mit wissendem Schmunzeln im Blick zu sehen, das Bromberg nicht mehr loslässt. Wie er bei seinem befreundeten Antiquariatsbesitzer Schulzen alsbald erfahren soll, handelt es sich bei jenem um den Forschungsreisenden Alfred Russel Wallace, der gleichzeitig mit Darwin die Evolutionstheorie formulierte. In die Analen der Weltgeschichte ist jedoch nur Charles Darwin eingegangen. Warum ist dem allerdings so? Aufkeimender Gerechtigkeitssinn und ein immer stärker werdendes Pflichtgefühl lassen Bromberg den Weg der Wahrheitssuche und Wiedergutmachung einschlagen. Doch lässt sich die Geschichte tatsächlich umschreiben?

Parallel zu Brombergs Ermittlung lernt der Leser den Naturkundler und Forschungsreisenden Alfred Russel Wallace unmittelbar kennen. Er durchstreift mit ihm die Tropenwälder Brasiliens, jagt seltenen Schmetterlingsarten nach und wundert sich über Kakadus auf Lombok. Er kann nicht anders als dem Forscher, den Wissensdurst die Gefahren und Strapazen langer Reisen auf sich nehmen ließ, Bewunderung und Sympathie entgegen zu bringen. Weit entfernt vom Kehlmannschen Karikieren und Durch-den-Dreck-ziehen bedeutender historischer Persönlichkeiten, zeichnet Anselm Oelze ein einfühlsames Portrait eines Forschers, den die Geschichte auf ewig dazu verdammt hat in Darwins Schatten zu stehen. Ob den Mann, der die Einsamkeit liebte, das jedoch jemals gestört hat?

Anselm Oelze ist mit seinem Roman ein vielschichtiges Werk über Alfred Wallace und seine Zeit gelungen. Es besticht durch fundiertes Wissen, Sprachvirtuosität, lebhafte Figuren, spritzige Dialoge und Situationskomik. Gleichzeitig liefert sein Roman Denkanstöße zu wichtigen Themen wie der Frage nach Gerechtigkeit. Als romankompositorischen Missklang empfand ich lediglich den Weg, welchen Bromberg einschlägt, um Wallace zu dem wohlverdienten Platz in der Weltgeschichte zu verhelfen. Nach meinem Empfinden steht dieser in innerer Unstimmigkeit zum restlichen Werk. Sehr gut gefallen hat mir dagegen die deutliche sprachliche Trennung zwischen den Kapiteln, die Bromberg respektive Wallace gewidmet sind. In den Wallace-Kapiteln greift der Autor gekonnt die attributschwangere, verschachtelte Sprache der vergangenen Jahrhunderte auf. Markante Merkmale früherer Romane mit Wiedererkennungswert sind nicht zuletzt auch die kurzen Kapitelinhaltsangaben, die wir unter anderem aus Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ oder Henry Fieldings „Tom Jones“ kennen, sowie das augenzwinkernde „Selbstverständlich ist dies eine wahre Geschichte“, das der Autor in Anspielung an die früher oftmals praktizierte Herausgeberfiktion an den Romananfang setzt. Nicht zuletzt ist Anselm Oelzes Roman somit als eine Art Hommage an die Literatur der vergangenen Jahrhunderte zu verstehen. Ich spreche hiermit gerne eine warme Empfehlung für diesen komplexen Roman aus!

Veröffentlicht am 04.02.2019

Die Matroschkas der menschlichen Psyche

Das Echo der Wahrheit
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„Gibt es einen Moment im Leben, von wo an eine einmal getroffene Entscheidung alles andere bestimmt, egal was noch passieren mag?“

Der sich intensiv mit dem Verfahren der Hypnose befassende Psychiater ...

„Gibt es einen Moment im Leben, von wo an eine einmal getroffene Entscheidung alles andere bestimmt, egal was noch passieren mag?“

Der sich intensiv mit dem Verfahren der Hypnose befassende Psychiater James Cobb, eine Koryphäe in seinem Gebiet, wird eines Tages von Joshua Fleischer, einem an Leukämie erkrankten Multimilionär, kontaktiert. Sein größter Wunsch ist es, vor dem Tod zu erfahren, ob er an dem Mord an einer jungen Französin Mitschuld trägt, in die er und sein bester Freund, Abraham Hale, einst verliebt waren. Da Fleischer nur noch bruchstückhafte Erinnerungen an die verhängnisvolle Nacht hat, erhofft er sich in einer Hypnosesitzung die Wahrheit zu erfahren. Trotz anfänglicher Bedenken willigt Cobb schließlich ein. „Ich hatte noch nie einen Patienten gehabt, der dem Tod so nahe war wie Joshua Fleischer. Dieser Tod, sein Tod lauerte halb in einem Winkel versteckt nur noch auf den richtigen Augenblick.“

Die Hypnosesitzung, die keine handfesten Resultate liefert, endet mit einem Nervenzusammenbruch des Patienten und wird nicht mehr fortgesetzt. Den Psychiater lässt dieser Fall nicht los: „Irgendwo, Hunderte Meilen weit entfernt, lag ein Mann im Sterben, umringt von Gespenstern, inmitten eines Vermögens, das ihn vor nichts und niemandem mehr schützen konnte. Und er hatte mich nicht nur an die Hand genommen und in sein Spukhaus geführt, sondern auch meine eigenen Albträume wieder aufleben lassen.“

Obwohl der Patient wenige Wochen später seiner Krankheit erliegt, setzt James Cobb seine Forschungen in Bezug auf den Fall Simone Duchamp fort. Dabei stößt er unerwarteterweise auf die Aufzeichnungen Abraham Hales, der darin eine ganz andere Geschichte erzählt als Joshua Fleischer es getan hat – „Ich halte es weiterhin für meine Pflicht, den wahren Charakter dieses Mannes zu enthüllen, auch wenn er seine Aufzeichnungen bewusst dunkel hielt und ein Rätsel in einem anderen verbarg und dies wiederum in einem anderen, wie bei diesen russischen Puppen.“ Die Gespräche mit Zeugen, die Erinnerungen mit dem jungen Josh und dem jungen Abe teilen, bringen statt dem erhofften Licht nur noch mehr Dunkelheit in den Fall. Je mehr Cobb sich darin vertieft, umso verwirrender und undurchschauberer wird alles. Eine Erinnerung aus der eigenen Kindheit lässt ihn ganz unerwartet „jenseits der Lügen und Verwirrungen und Irrtümer und subjektiven Wahrnehmungen und Täuschungen“ den Schlüssel zu dem großen Rätsel finden.

Konsequenterweise stellt er sich damit auch seiner persönlichen Wahrheit. „Wir alle müssen Entscheidungen treffen und ein Leben lang mit den Folgen zurechtkommen. Josh entschied sich zur Flucht, um zu überleben, weil er damals einfach zu jung war und nicht wissen konnte, dass Überleben und Leben nicht ein und dasselbe sind und dass keine Mauern so dick und keine Schlösser so stark sind, einen vor dem eigenen Gewissen zu schützen.“

„Das Echo der Wahrheit“ ist ein Roman, dem man sich nicht einmal für ein paar Minuten entreißen kann. Der Psychiater, der zugleich Ich-Erzähler ist, lässt den Leser an seiner mühseligen Wahrheitssuche teilhaben. Jedes neue Indiz, das er findet, stellt er dem Leser zunächst unkommentiert dar, sodass er seine eigenen Schlüsse ziehen kann. Er lässt den Leser genauso ratlos miträtseln und zusammen mit ihm die Leiter der Wahrheit stufenweise erklimmen.

Als ausgesprochener Gegner der Eindimensionalität, legt Chirovici ein äußerst präzises Fundament der Geschichte mit den Pfeilern der einzelnen Perspektiven an, sodass wir beim Hausgang so vielen Details Bedeutung beimessen können, wie wir es wollen oder können – ganz wie im wahren Leben selbst, wo es immer wieder Neues zu entdecken und zu bedenken gibt.

Selten gelingt es einem Autor die Tiefen der menschlichen Psyche derartig zu durchleuchten wie Eugene Chirovici. Er weiß es, Spannung mit Psychologie und einem Funken Philosophie zu einem überzeugenden, runden und lange nachhallenden Werk zu komponieren.