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Veröffentlicht am 21.07.2020

Die Geschichte einer besonderen Frau

Die Dirigentin
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„Meine Füße spüren die Erde, die Hände den Takt, die Ohren hören die Musik, die Augen verfolgen die Noten, meine Aufmerksamkeit gilt den Musikern, meine Seele gehört dem Komponisten. Kurz vergesse ich, ...

„Meine Füße spüren die Erde, die Hände den Takt, die Ohren hören die Musik, die Augen verfolgen die Noten, meine Aufmerksamkeit gilt den Musikern, meine Seele gehört dem Komponisten. Kurz vergesse ich, wem mein Herz gehört. Ich bin siebenundzwanzig. Ich stehe vor den weltberühmten Berliner Philharmonikern, und das ist meine Weltpremiere.“

Haben Sie schon einmal von Antonia Brico gehört? Ich bis vor kurzem auch nicht. Wie gut, dass die niederländische Schriftstellerin Maria Peters das ein für allemal geändert hat. Denn genau so sehr wie wir Frauen brauchen, die für etwas brennen, brauchen wir auch Frauen, die für diese Frauen brennen. Und so fällt die Entscheidung schwer, welche der beiden Frauen nun die größere ist: Ist es Antonia Brico, die ihr Leben der Musik gewidmet hat und die erste studierte Dirigentin war, oder Maria Peters, die in Bricos Leben eingetaucht ist und dieses wundervolle Buch über ihren musikalischen Werdegang geschrieben hat? Diese schwierige Frage mag jeder für sich selbst beantworten, ich bin jedenfalls von beiden Frauen gleichermaßen begeistert.

Kommen wir zunächst auf Antonia Brico zu sprechen. Als kleines Kind wird sie von ihrer jungen Mutter, die von ihrem Liebhaber verlassen und von dem Vater verstoßen wurde, zur Adoption freigegeben. Unter dem Namen Wilhelmina Wolters reist sie mit ihren Pflegeeltern von den Niederlanden nach Amerika. Dass die beiden nicht ihre leiblichen Eltern sind, erfährt sie erst als Erwachsene. Bereits im Alter von fünf Jahren hat sie ihre erste prägende Erfahrung mit der Musik: „Ich ging an einer Kirche vorbei, und die Orgel spielte. Das hatte ich noch nie gehört, denn wir sind nie in die Kirche gegangen. Ich huschte hinein und ging die Treppe hinauf. Da saß der Organist. Ich war vollkommen verzaubert. Viel später erfuhr ich erst, dass es Albert Schweitzer war… Seit diesem Erlebnis habe ich um ein Klavier gebettelt.“ (Wie man im Nachwort erfährt, war Antonia Brico Zeit ihres Lebens eng mit Albert Schweitzer befreundet.) Auf diese Weise beginnt ihr intensiver und steiniger Kampf um musikalische Bildung und Entfaltung. Ihr Weg führt sie in die Niederlande, dann nach Deutschland und schließlich wieder zurück in die USA. Doch trotz abgeschlossenem Studium ist weiterhin kein Licht in Sicht: Antonia muss weiterhin um Akzeptanz als weibliche Dirigentin auf amerikanischem Boden kämpfen. Doch Antonia hat nicht nur Widersacher, sie hat auch Freunde und Fürsprecher, die sie unterstützen. Und niemand Geringeres als Eleanor Roosevelt gibt Antonia die Worte „Machen Sie, was Ihnen Ihr Herz sagt, denn Kritik gibt es so oder so“ mit auf den Weg.

Maria Peters war so fasziniert von Antonia Bricos Leben, ihrem Werdegang und ihrer grenzüberschreitenden Leidenschaft für die Musik, dass sie ihr Leben sowohl auf Papier als auch auf die Leinwand gebannt hat. (Das auf dem Cover zu sehende Foto stammt aus dem Film.) Im Gespräch mit Rex Brico (Antonias Cousin) erfuhr sie viele Details über die historische Person, die sie in ihrem Roman auf künstlerische Art aufleben ließ. Und wie sie sie aufleben lässt – so authentisch, so lebendig und so ergreifend! Man braucht von Antonia Brico nichts zu wissen und auch von klassischer Musik nichts zu verstehen, um der Handlung mit angehaltenem Atem zu folgen. Die Autorin hat ihren ganz eigenen Stil, weit ab vom Bekannten und Althergebrachten. Gekonnt spart sie gerade die Momente aus, die zu Pathos, Übertreibung oder Kitsch verleiten könnten. Besonders gelungen und originell sind oftmals die Dialoge (weswegen dieses Buch auch wunderbar als Film funktionieren wird!). Ganz bemerkenswert ist Antonia Bricos Talent, immer die richtigen Worte für diejenigen Personen zu finden, die über ihr Schicksal entscheiden sollen. „In seinem Buch über Bach schreibt Schweitzer, es sei einer der Charakterzüge schöpferischer Menschen, dass sie auf ihren großen Tag warten würden und dass sie, bis es soweit ist, alles in dieses Warten investieren, bis zur Erschöpfung. Das ist meine Geschichte.“

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Veröffentlicht am 13.07.2020

Anders als erwartet

Die Perlenfarm
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„So lag ich da, die ganze Nacht, lauschte dem endlosen Echo und begriff, dass Einsamkeit überall gleich ist.“ (S. 201)

Der neue Roman von Liza Marklund kommt in einem farbenfrohen Cover daher. Ein Strand ...

„So lag ich da, die ganze Nacht, lauschte dem endlosen Echo und begriff, dass Einsamkeit überall gleich ist.“ (S. 201)

Der neue Roman von Liza Marklund kommt in einem farbenfrohen Cover daher. Ein Strand mit Palmen und Blick auf das türkisfarbene Meer. In der Ferne sieht man eine kleine, grüne Insel. In großer sandfarbener Schrift prangt der Titel „Die Perlenfarm“ darüber. Der Umschlagseite eines Reisekatalogs sieht es so ähnlich, dass man nicht umhinkann, als sich dahin zu wünschen – wo auch immer dieser äußerst ansprechend aussehende Ort sein soll. Im Klappentext heißt es, dass „die junge Kiona im Paradies lebt“, auf einer Perlenfarm, an deren Küste eines Tages ein Segelboot mit einem verletzten Mann an Bord strandet. „Kiona pflegt ihn gesund und verliebt sich in ihn“, heißt es weiter, bis Erik eines Tages die Insel fluchtartig verlässt und Kiona sich auf die Suche nach ihm begibt. Klingt spannend, nicht wahr? Und was erwartet man bei diesem Cover, Titel und Klappentext? Genau, einen romantischen Abenteuerroman. Den habe ich jedenfalls erwartet und ich denke, es ging den meisten Lesern so. Es kann wohl niemand leugnen, dass genau diese Erwartungshaltung aufgebaut wird. Aber wozu, frage ich mich. In der Vermarktung dieses Buches ist ziemlich viel falsch gelaufen, würde ich sagen. Ein Abenteuerroman mit Liebesgeschichte und nachfolgendem Roadtrip ist es nämlich keineswegs. Am ehesten würde ich „Die Perlenfarm“ als Politthriller bezeichnen. (Der Titel ist im Original allerdings derselbe und das Cover der schwedischen Ausgabe der deutschen sehr ähnlich, der Klappentext ist aber bei weitem nicht so schnulzig wie der von der vorliegenden deutschen Ausgabe, sondern ist viel nüchterner verfasst. Wie man sieht, ist der Fehler nicht nur dem List-Verlag unterlaufen.)

Zunächst ist die Insel Manihiki, auf der Kiona mit ihrer Familie wohnt, keineswegs als Paradies zu bezeichnen. Recht karge Verhältnisse herrschen auf dieser Insel und Kiona muss auf der Perlenfarm ihrer Familie mithelfen, indem sie mit ihrem Bruder nach Perlenmuscheln taucht, was eine anstrengende und gefährliche Arbeit ist. Wenn sie nicht taucht oder mit dem Öffnen von Muscheln beschäftigt ist, hilft sie ihrer Mutter im Krankenhaus oder im Haushalt. Trotz großem Wissensdurst stehen ihr nur wenige Bücher zur Verfügung. Klingen die beschriebenen Verhältnisse nach einem Paradies? Ich würde eher nein sagen. Die Beschreibungen des Lebens auf der Insel wirken äußerst fade und trostlos, so dass sich der Teil, der auf Manihiki spielt (ungefähr ein Viertel des Romans), sehr in die Länge zieht. Dass der geheimnisvolle Schwede Erik dabei auf der Bildfläche erscheint, ändert auch nicht viel daran. Die angebliche große Liebe, die sich zwischen Kiona und Erik entwickelt (und aus der sogar zwei Kinder entstehen) ist ebenfalls so fade beschrieben, dass an keiner Stelle ein Funke auf den Leser überspringen kann. Die wenigen Gespräche, die sie miteinander führen und die den Leser kalt erwischenden recht unappetitlichen Sexszenen lassen auf keine tiefe Liebe schließen. Umso mehr überrascht dann der weitere Verlauf des Romans, in dem Kionas entbehrungsvolle Suche nach Erik beginnt. Und hier beginnt wirklich eine Handlung, die sich geradezu überschlägt. Zunächst landet Kiona in Los Angeles, wo sie unbedarft wie sie ist (schließlich ist sie noch nie weiter als bis zur Nachbarinsel in ihrem Leben gekommen) in die Hände von vier Kriminellen gerät. Von ihren physischen und psychischen Schäden erhölt sie sich bei einer buntzusammengewürfelten Wohngemeinschaft, deren Oberhaupt Clay (eine Person, die ihre geschlechtliche Identität mehrmals gewechselt hat) darstellt. Weitere Mitglieder sind ein versehrter Kriegsveteran, ein drogenabhängiges Model, ein homosexuelles aidskrankes Pärchen sowie drei Teenagermädchen aus schwierigen familiären Verhältnissen. Wenn sie nicht gerade Zeitschriftenabonnements verkaufen, diskutieren sie leidenschaftlich über den Glauben und die Evolution. Als es zu einer verhängnisvollen Verwicklung kommt, bricht Kiona mit Clay nach London auf und später nach Daressalam. Und hier verwundert bereits sehr, wie gut Kiona zurechtkommt, immer genau weiß, bei welchem Problem sie sich an welche Institution wenden muss und sich außerdem glaubwürdige Geschichten aus dem Stegreif ausdenkt. Bei jemandem, der sein ganzes Leben auf einer Insel verbracht hat und mit der restlichen Welt keinerlei unmittelbaren Kontakt hatte, ist das ein äußerst ungewöhnliches und damit unglaubwürdiges Verhalten. Insgesamt halten einen die geschilderten Geschehnisse ab Los Angeles bis zum Ende allerdings in Atem und lassen einen auf die Lösung des Rätsels mitfiebern. Auf emotionaler Hinsicht bleibt die Geschichte allerding in höchstem Maße farblos. Und so bleibe ich ziemlich ratlos zurück. Der Roman war zugegebenermaßen streckenweiße interessant und spannend, einige Stellen haben einem auch zu denken gegeben, aber insgesamt, weiß ich wirklich nicht, was ich von Liza Marklunds neuestem Werk halten soll. Eine klare Linie konnte ich nicht erkennen.

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Veröffentlicht am 01.07.2020

Von Helena Rubinstein zu Elizabeth Arden

Die Farben der Schönheit - Sophias Träume (Sophia 2)
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Nachdem Sophia einen anonymen Brief erhält, in dem geschrieben steht, dass ihr Sohn am Leben ist, bricht Sophia Hals über Kopf nach Paris auf, wo sie jedoch nichts in Erfahrung bringen kann. Ein Detektiv ...

Nachdem Sophia einen anonymen Brief erhält, in dem geschrieben steht, dass ihr Sohn am Leben ist, bricht Sophia Hals über Kopf nach Paris auf, wo sie jedoch nichts in Erfahrung bringen kann. Ein Detektiv bietet ihr seine Hilfe an, die Sophia nach einigem Zögern annimmt. Doch die Nachforschungen gestalten sich schwieriger als gedacht. Unverrichteter Dinge fährt sie wieder nach New York zurück. Dort angekommen nimmt Sophia ihren ganzen Mut zusammen, Elizabeth Arden um eine Anstellung zu bitten. Diese willigt freudig ein, wobei sie Sophia jedoch nicht als Chemikerin, sondern als Kosmetikerin in einem ihrer Schönheitssalons einsetzt. Sophia findet sich schnell in ihrer neuen Tätigkeit ein und wird bald zu einer beliebten Kosmetikerin. Doch unversehens wird sie von Miss Arden eines schönen Tages zu einer höheren Aufgabe erkoren: Sie soll den Aufbau und die Gestaltung eines Damenclubs auf dem Land leiten. Dabei soll ihr ein erfahrener Werbemann zur Seite stehen. Dieser ist niemand anderes als Darren O‘Connor, der Mann, der Sophia vor vier Jahren das Herz brach und den sie doch nie vergessen konnte. Wie wird sich ihre Zusammenarbeit und – was viel wichtiger ist – ihre Beziehung zueinander gestalten?

Corina Bomann stellt uns mit „Sophias Träume“ einen würdigen Nachfolger des ersten Teils der „Die Farben der Schönheit“-Trilogie dar. Der Ton der Geschichte und die Erzählerstimme ändern sich nicht. Weiterhin verfolgt die Leserin gespannt die Wendungen des Schicksals im Leben der starken und bewundernswerten Protagonistin. Statt im Chemielabor dürfen wir Sophia nun bei ihren Tätigkeiten im Kosmetiksalon und später auf dem Landsitz „Maine Chance“ über die Schulter schauen. Vor dem historischen Hintergrund des Börsencrash und des sich anbahnenden Nationalsozialismus wird das Leben der fiktiven Sophia aufs Detailreichste und Liebevollste herausgearbeitet. Man verfolgt die Handlung gebannt, mit angehaltenem Atem und klopfendem Herzen. Viele der geschilderten Entwicklungen haben mich bewegt, aber auch überzeugt – schließlich ist Corina Bomann stets um Realitätsnähe bemüht. Ich hätte mir nur gewünscht, dass Darren auch über die Zeit, als er von Sophia getrennt war, gesprochen hätte und auf ihre Ausführungen detaillierter eingegangen wäre. Außerdem hat mir ab und zu die von der Autorin gewählte Wortwahl nicht so gut gefallen, so glaube ich beispielsweise nicht, dass das Wort „hinverbrannt“ bereits im Jahr 1930 ein gebräuchliches Adjektiv gewesen ist. Das sind allerdings nur Kleinigkeiten. Im Großen und Ganzen hat mir auch der zweite Band sehr zugesagt und nun warte ich ungeduldig auf den dritten und leider auch den letzten Band der Trilogie um Sophia Krohn.

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Veröffentlicht am 26.06.2020

Vivian und ihr bewegtes Leben

City of Girls
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Vivian Morris, eine zähe alte Dame, die sich „ans Dasein klammert wie eine Seepocke an einen Schiffrumpf“, schaut im Alter von knapp 90 Jahren auf ihr vielbewegtes Leben zurück. Sie erzählt ihr Leben jedoch ...

Vivian Morris, eine zähe alte Dame, die sich „ans Dasein klammert wie eine Seepocke an einen Schiffrumpf“, schaut im Alter von knapp 90 Jahren auf ihr vielbewegtes Leben zurück. Sie erzählt ihr Leben jedoch nicht einem breiten namenlosen Publikum, sondern einer Frau mit dem Namen Angela – wer diese Frau ist, erfahren wir erst im letzten Fünftel des 488-seitigen Romans. Auslöser für Vivians Memoiren in Briefform ist Angelas Frage danach, was jene für ihren Vater gewesen ist. Um diese Frage beantworten zu können, muss Vivian weit ausholen: Sie beginnt mit ihrer Erzählung im Jahr 1940, als sie als 19-Jährige das Elternhaus verlässt, um bei ihrer Tante Peg im Lily Playhouse ihr neues Dasein zu fristen, nachdem sie vom College freigestellt wird. „Um ehrlich zu sein, verstand ich nicht, was ich am College sollte, außer einer Bestimmung zu folgen, deren Sinn zu erklären sich niemand bemüht hatte“, bringt Vivian äußerst prägnant das Problem auf den Punkt. Und so wissen sich die Eltern nicht anders zu helfen, als die junge ungestüme Tochter nach New York zu schicken. „Ich wusste, dass ich verbannt wurde, aber immerhin … mit Stil!“ Das Lily Playhouse – „es war die elektrisierende Verkörperung von Glamour, Wagemut, Chaos und Spaß“ – erweist sich als der passende Ort für die lebenshungrige Vivian, die sich mit dem Revuegirl Celia zusammentut und von nun an die Clubs der Stadt unsicher macht. Ihre Devise lautet, das Leben in vollen Zügen zu genießen, ihre Jugend zu „vergeuden“ und sich „an den Rand des Abgrunds und in Sackgassen zu führen, die sie sich selbst schafften“. Und so kommt es unweigerlich zu einer Katastrophe, die Vivians Leben eine Wende gibt.

Elizabeth Gilbert hat für den Hauptteil ihres Romans ein äußerst elektrisierendes, glamouröses aber auch sehr bewegendes, ja schmerzliches Setting gewählt – die 40er Jahre. Wahrlich ein schwieriges Unterfangen, die damalige Zeit mit ihrem Spagat zwischen entrückter Unterhaltungsindustrie und harter Realität in Form des Zweiten Weltkrieges authentisch einzufangen. Nach meinem Empfinden ist der Autorin das Romanprojekt nicht gänzlich gelungen. Habe ich am Anfang des Romans noch bei den herrlich selbstironischen Aussagen der Ich-Erzählerin geschmunzelt, machte die Amüsiertheit doch schnell der Langweile Platz. Ich fand die Beschreibung des Theaters und seiner Angestellten nicht besonders interessant und die Beschreibungen der nächtlichen Eskapaden mit all ihren Ausschweifungen haben mich ebenfalls ermüdet. Als die weltberühmte englische Bühnendarstellerin Edna Parker Watson auf der Bildfläche erscheint, blitzte für einen Augenblick mein Interesse wieder auf, um ebenso schnell wieder abzuklingen. Die sehr lange Beschreibung des Musicals, das alle mit vereinten Kräften auf die Bühne bringen und das zum vollen Erfolg wird, hat sich gezogen wie Kaugummi. Als große Anhängerin des Hollywoods der goldenenen Zeitalters habe ich an dem von der Ich-Erzählerin selbst wie auch von den Kritikern als Geniearbeit gerühmten Stück kaum etwas Bemerkenswertes ausmachen können. Und so war ich froh, als dieser Teil der Erzählung mit großem Krach ein Ende nahm und einem neuen Erzählstrang Platz machte. Obwohl auch nicht außergewöhnlich, hat mich der weitere Verlauf eher in seinen Bann gezogen, bis mich das letzte Fünftel des Romans, in dem es um die Beziehung zwischen Vivian und Frank (Angelas Vater) geht, sogar sehr berührt hat. Eine allgemeine Bewertung des Romans fällt mir daher schwer. Hätte die Autorin den Romanteil, in dem es um das Theater geht, zugunsten des letzten Teils gekürzt, hätte mir der Roman sicherlich besser gefallen. So bin ich ziemlich gespalten in meinen Gefühlen. Wie ich aus einem Interview mit Elizabeth Gilbert erfahren habe, ist ihre Lebenspartnerin und beste Freundin, Rayya Elias, ein Jahr vor Erscheinen des Romans an Krebs gestorben. Obwohl die Autorin noch vor Elias‘ Krankheit mit ihren Recherchen zu dem Roman begonnen hatte, konnte sich Gilbert nach der Krebsdiagnose nicht vorstellen, an der Geschichte weiterzuarbeiten. Nach Elias‘ Tod fühlte sie jedoch einen inneren Zwang, der sie zu dem Roman zurückzog. Höchstwahrscheinlich liegt es an der beschriebenen Situation der Autorin, dass ich nach wenigen Seiten einen Bruch in dem Ton der Geschichte empfand und der weitere Verlauf (insbesondere der Teil, der über die unbeschwerte und sorglose Zeit der Ich-Erzählerin berichtet) so gezwungen auf mich wirkte. Der innere Gram der Autorin hat sich womöglich doch zwischen den Zeilen festgesetzt. So fällt jedenfalls meine persönliche Einschätzung des Romans aus, was nicht bedeuten muss, dass jeder Leser und jede Leserin denselben Eindruck davontragen muss. Wer jedoch ebenso wie ich zwischenzeitlich seine liebe Mühe mit „City of Girls“ hat, dem möchte ich sagen, dass es sich lohnt bis zum Ende durchzuhalten, denn dann wird man mit einer ans Herz gehenden Liebesgeschichte belohnt. „Was waren wir füreinander? Wie waren Frank und Vivian, die zusammen durch New York City liefen, wenn alle anderen schliefen.“

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Veröffentlicht am 29.05.2020

Der Eindruck bleibt flüchtig

flüchtig
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„Alles ist flüchtig, aber nicht alles ist gleich flüchtig. Jedes Ereignis hat seine Halbwertszeit. Ich will dir jetzt meine Geschichte erzählen, bevor sie sich verflüchtigt.“

Mit diesen Worten beginnt ...

„Alles ist flüchtig, aber nicht alles ist gleich flüchtig. Jedes Ereignis hat seine Halbwertszeit. Ich will dir jetzt meine Geschichte erzählen, bevor sie sich verflüchtigt.“

Mit diesen Worten beginnt Marias Brief an Herwig. Maria und Herwig sind seit dreißig Jahren verheiratet, als Maria plötzlich ohne ein Wort des Abschieds aus Herwigs Leben verschwindet. Sie hat herausgefunden, dass ihr Mann eine Affäre mit einer jüngeren Frau hat, die ein Kind von ihm erwartet. Der Gedanke an das Ungeborene trifft Maria dabei härter als das Wissen um die Liebschaft selbst, denn ihr ist es verwehrt geblieben ein Kind zu bekommen. Daran ist Maria nicht nur innerlich zerbrochen, es hat auch ihre Ehe mit Herwig verändert: Statt miteinander lebten sie nebeneinander. Diesem Zustand möchte Maria nun ein Ende machen: Kurz entschlossen steigt sie in Herwigs Auto und fährt einem neuen Leben entgegen.

Hubert Achleitner, der uns aus der Musikszene bekannt ist, legt uns mit „flüchtig“ sein Romandebüt vor, das ebenfalls natürlich - wie könnte es anders sein - von Musik durchzogen ist. Das erste Treffen von Maria und Herwig wird von André Heller begleitet; Leonard Cohen motiviert Maria zu ihrem Weggang und die Zeit in Griechenland, wo es Maria verschlägt, wird von Theodorakis und Hadjidakis untermalt. Dieses Einweben von Musik in den Roman transportiert ein ganz eigenes Lesegefühl.

Die Geschichte an sich wird uns von der fiktiven Lisa erzählt, die Maria am Anfang ihrer Reise kennenlernt. „Es sind die Erinnerungen an einen Sommer, den ich mit dieser außergewöhnlichen Frau zusammen verbringen durfte“, schreibt sie im Vorwort. „Darüber hinaus gebe ich die Dinge genau so wieder, wie sie geschehen oder, da, wo ich nicht dabei war, wie sie mir berichtet worden sind, das meiste von Maria selbst.“ Dementsprechend sind lediglich ihre eigenen Passagen in der Ich-Form geschrieben, die Perspektiven von Maria und Herwig werden dagegen vom personalen Erzähler wiedergegeben und hier schleicht sich auch schon ein Fehler ein: Mag Lisa auch alles von und über Maria gewusst haben, Herwigs Gedanken und Gefühle über den im Roman beschriebenen Zweitraum müssten zum größten Teil für sie im Dunklen liegen. Und so stellt sich die Frage danach, warum der Autor zu dieser Erzählinstanz gegriffen hat. Lisa hätte uns genauso gut aus der personalen Erzählperspektive entgegen treten können. Eine textimmanent begründete Rechtfertigung für die vom Autor gewählte Herangehensweise findet sich von meiner Seite nicht. Zudem ist Lisa keine kongruente Figur: Ist sie zu Anfang des Romans noch sehr hippiehaft und ihre Ausdrucksweise von Wörtern wie „geil“, „mega“ und „scheiße“ durchsetzt, ist sie später auffallend bedächtig und drückt sich, wie es meiner Meinung nach zu einer 25-Jährigen besser passt, gewählt aus.

Gut, Lisa ist im Grunde nur eine Nebenfigur. Doch mit Maria selbst konnte ich auch nicht viel anfangen. Sie bleibt den ganzen Roman über ziemlich blass. Die Passagen, die ihrer Perspektive gewidmet sind, sind blutarm und fahl. Dafür dass Maria daran zerbrochen ist, dass sie keine Kinder haben konnte, wird diese Tatsache ziemlich selten thematisiert - zweimal im gesamten Roman, um genau zu sein. So scheint vielmehr, als hätte der Autor krampfhaft nach einem Grund gesucht, aus dem die Ehe zwischen Maria und Herwig stagnieren sollte, damit sich Maria auf die Flucht begeben konnte. Mit dem Thema selbst konnte oder wollte sich der Autor nicht näher auseinandersetzen.

So gut kann sich Achleitner dann wohl leider doch nicht in eine weibliche Psyche einfühlen. In Herwigs Perspektive kann man dagegen ohne jegliche Vorbehalte selbstvergessen eintauchen. Herwig ist eine äußerst sympathische Figur, deren Gedanken und Gefühlen man mit Anteilnahme verfolgt und deren Reaktionen und Handeln man einfach mit Verständnis und Empathie begegnen muss. Bei Herwig handelt es sich um eine runde Figur mit menschlichen, aber keinen literarischen Schwächen.

Neben Maria, Lisa und Herwig werden noch einige weitere Figuren eingeführt und ihre Lebensgeschichten erzählt, was aus meiner Sicht etwas zu viel des Guten war. Auf diese Weise wurde man immer wieder vom Hauptstrang der Erzählung abgeführt und musste sich den Weg zurück jedes Mal von Neuem suchen. Es hat auch so schon lange genug gedauert, bis die Vorgeschichten von Maria und Herwig erzählt waren und die eigentliche Geschichte beginnen konnte. Doch auch diese eigentliche Geschichte verliert sich immer wieder. Insgesamt beschleicht mich der Verdacht, dass der Autor selbst nicht wusste, wohin die Reise gehen würde und so lässt mich „flüchtig“ etwas ratlos zurück.

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