Profilbild von Helena89

Helena89

Lesejury Star
offline

Helena89 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Helena89 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.05.2020

Der Ball der Verrückten

Die Tanzenden
0

„Ich bezweifle, dass es außerhalb dieser Mauern Freiheit gibt. Ich bin den größten Teil meines Lebens draußen gewesen und habe mich nicht frei gefühlt. Die Sehnsucht muss sich woanders erfüllen. Darauf ...

„Ich bezweifle, dass es außerhalb dieser Mauern Freiheit gibt. Ich bin den größten Teil meines Lebens draußen gewesen und habe mich nicht frei gefühlt. Die Sehnsucht muss sich woanders erfüllen. Darauf zu warten, dass man befreit wird, ist ein vergebliches und unerträgliches Gefühl.“

Paris, 1885: Schauplatz des Geschehens ist die Salpêtrière, Europas wohl bekannteste Nervenheilanstalt für geisteskranke Frauen. Für das von Zerstreuung und Sensation übersättigte Pariser Publikum stellt der alljährliche Ball an Mittfasten - von der Pariser Bourgeoisie schlicht „Ball der Verrückten“ genannt - eine willkommene Abwechslung dar, um der eigenen Schaulust zu frönen. Die Insassinnen flößen Angst ein und üben gleichzeitig Faszination aus, sie verursachen Unbehagen und regen gleichzeitig die Phantasie an. Für die Patientinnen selbst stellt der Ball den Höhepunkt des Jahres dar. An diesem Tag weicht jegliches Unwohlsein der allumfassenden Festtagsstimmung. Ein jede darf sich an diesem Tag ihren Träumen und Sehnsüchten hingeben. Für zwei von ihnen, Eugénie und Louise, sollen die Träume von Freiheit und Selbstbestimmung eine konkrete Realisierung finden. Doch damit Eugénie in die Freiheit gehen darf, muss eine andere ihren Platz einnehmen.

Vicoria Mas nimmt sich in ihrem Erstlingswerk einem Thema an, das eher zu den blinden Flecken von Paris zu zählen ist. Dem deutschsprachigen Leser mag die Salpêtrière aus „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ - Rilkes einzigem Roman von 1910, in dem er seine Parisaufenthalte von 1902/03 verarbeitet - ein Begriff sein. Weitere fiktive Werke, die sich diesem Thema widmen, sind rar gesät. Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, ist ein Ort der Weltoffenheit. Es ist die Stadt, die die Moderne erfand. Sie steckt voller Schwung, Eleganz und Zauber. Als kulturelles, wirtschaftliches und politisches Zentrum Europas bietet sie eine unausschöpfliche Quelle an schillernden und funkelnden Geschichten.

Doch Victoria Mas entscheidet sich für die Kehrseite dieser blendenden Fassade. Sie entführt uns mit Entschlossenheit in die dunklen Winkel dieses funkelnden Bauwerks. Sie liefert uns einen historischen Abriss über die Geschichte der Salpêtrière und lässt uns die Zustände in dieser Anstalt um 1885 näher betrachten. „Eine Mülldeponie für all jene, die die öffentliche Ordnung gefährdeten. Eine Anstalt für Frauen, deren Empfindungen nicht den Erwartungen entsprachen. Ein Gefängnis für diejenigen, die sich einer eigenen Meinung schuldig gemacht hatten.“ Drei verschiedene Frauenfiguren projiziert die Autorin vor unser inneres Auge, um uns in eine vom Patriarchat geprägte Gesellschaftsordnung zu entführen. Sie lässt uns an drei Lebensschicksalen teilhaben, die von Tragik gezeichnet sind, die es ohne den männlichen Übergriff so nicht gegeben hätte. Obwohl Victoria Mas dies auf einfühlsame und berührende Weise bewerkstelligt, ist sie gleichzeitig um eine gewisse emotionale Distanz bemüht. Die Leserin soll mit-fühlen, aber dabei das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren: Frauen sind stark, so wie sie sind. Nicht umsonst wurden den Frauen von Männern intellektuelle und körperliche (das Korsett!) Fesseln angelegt: „Dass die Männer ihnen solche Grenzen aufgezwungen hatten, legte den Gedanken nahe, dass sie die Frauen nicht verachteten, sondern vielmehr fürchteten.“ Statt sich gegenseitig zu untergraben, sollten Frauen füreinander einstehen und füreinander kämpfen - so meine Interpretation von Victoria Mas' Roman „Die Tanzenden“.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.05.2020

Wo ist die Geschichte?

Wie uns die Liebe fand
0

Elsass 2019: Die 92-jährige Ich-Erzählerin Marie-Anne Nanon möchte uns über das Jahr 1979 erzählen, in dem sich vieles für sie und ihre vier Töchter (allesamt Kopien von Madame Nan) änderte. Nach dem Tod ...

Elsass 2019: Die 92-jährige Ich-Erzählerin Marie-Anne Nanon möchte uns über das Jahr 1979 erzählen, in dem sich vieles für sie und ihre vier Töchter (allesamt Kopien von Madame Nan) änderte. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich mit ihrer Familie mehr schlecht als recht über Wasser gehalten. Als ihr von Monsieur Boberschram der heruntergekommene Lebensmittelladen geschenkt wird, wendet sich das Blatt schlagartig. Nach einer gelungenen Erneuerung und Verschönerung, wird "Chez Malou" geradezu von Kundschaft überrannt. Das liegt nicht nur an dem einladenden Ambiente des Ladens, der außergewöhnlichen Schönheit der Bedienung und an Madame Nans kleinen Magenfüllern, die sich äußerster Beliebtheit erfreuen, sondern an einer Erfindung Maries (Madame Nans ältester Tochter) und ihres Freundes Malou: den sogenannten Liebesbomben, die nicht nur das Geschäft florieren lassen, sondern auch das ganze Dorf in einen sinnenfreudigen Liebestaumel versetzen. Alle, bis auf Madame Nanon selbst, die ihre plötzliche Liebe für Monsieur Boberschram entdeckt, der sich ihr gegenüber seltsam verhält. Während Madame Nan immer wieder Ereignisse aus dem Jahr 1940 Revue passieren lässt, nähern wir uns gemeinsam dem Geheimnis, der hinter Monsieur Boberschrams seltsamen Verhalten steckt.

In das Cover von "Wie uns die Liebe fand" habe ich mich direkt verguckt. Bevor ich mit dem Lesen begonnen habe, bin ich erstmal lange mit den Fingern über den Buchdeckel gefahren: Nicht nur die Schrift ist geprägt, sondern auch die farbigen Blütenblätter, sodass sie sich im Gegensatz zu den graugefärbten Blättern "frisch" anfühlen. So wie einige unserer Erinnerungen frisch und andere verblasst sind. Eine schöne Idee.

So sehr mir das Äußere des Romans gefallen hat, so sehr habe ich mir gewünscht, dass der Inhalt mich ebenfalls für sich einnehmen würde. Leider war dem nicht so. Das gesamte Buch über habe ich auf die "Geschichte" gewartet, die uns Madame Nan unbedingt erzählen wollte. Dass die Familie Nan einen Laden betreibt und dort Liebesbomben anbietet, die ganz Bois-de-Val in ein "Freudendorf" verwandelt, ist für mich noch keine Handlung. Gut, es gibt da noch den Witwer Boberschram, für den Madame Nan plötzlich Liebe entwickelt, der eine Zeitlang zum Essen kommt, dann nicht mehr und irgendwann wieder auftaucht, um etwas zu beichten, das 1940 passierte. Und natürlich werden sie am Ende doch noch ein Paar. Diese "Geschichte" wird allerdings in ellenlangen Beschreibungen von Banalitäten ertränkt, sodass man am Ende erschlagen nur noch kapitulieren kann. Allein die Verbindung der beiden Zeitebenen und Handlungsstränge von 1940 und 1979 beißt sich: der Ton passt oft zum Erzählten nicht und das Geschehen wirkt nicht authentisch. Reaktionen und Gefühle werden theatralisch und übertrieben dargestellt, die Figuren sind eindimensional und überzeichnet - das alles umrankt von ausschweifendem, blumigem Schreibstil. Es tut mir leid, aber dieses literarische Debüt ist reinster Kitsch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.04.2020

Momentaufnahmen

Wenn der Winter vorbei ist
0

„Es geht nicht um die Wirklichkeit, sondern um die Wahrheit.“

Thomas zieht mit seiner Frau Aimee um. Möglicherweise das letzte Mal in seinem Leben, das in den Fünfziger Jahren begann. Der Umzug und das ...

„Es geht nicht um die Wirklichkeit, sondern um die Wahrheit.“

Thomas zieht mit seiner Frau Aimee um. Möglicherweise das letzte Mal in seinem Leben, das in den Fünfziger Jahren begann. Der Umzug und das Leben in der neuen Wohnung lösen Erinnerungen an Personen und Ereignisse aus, die der Autor auf literarische Weise aufarbeitet. Das gegenwärtige Leben mit Aimee bildet quasi den Erzählrahmen, in den die einzelnen Momentaufnahmen eingebettet werden. „Das ist der Mittelpunkt des eigenen Lebens: dieses brüchige, brillante Bollwerk, das Erinnerungen beherbergt. Man hat dort rund um die Uhr Zutritt, es ist nie zu weit weg, niemand kommt einem dort in die Quere, und man hat alle Zeit der Welt. Es herrscht dort ein strahlendes Licht und Vieles wird klarer, auch wenn sich nicht alles enthüllen lässt. Letztendlich geht es nur darum im Leben: in diesem brüchigen, brillanten Bollwerk heimisch zu werden.“

„Wenn der Winter vorbei ist“ ist eindeutig als Autofiktion zu verstehen (nicht umsonst trägt der Ich-Erzähler denselben Namen wie der Autor). Thomas Verbogt lässt uns in sein Innerstes blicken, er lässt uns an seinen Ängsten, Unzulänglichkeiten und Fehlern teilhaben, ohne etwas zu verschleiern. Mit Mut und Vertrauen legt er alles dar. Er schreibt darüber, wie ihn seine Erinnerungen prägen und immer wieder heimsuchen („Nichts geht vorbei. Vergangenheit ist meist nur ein Wort.“) Über allem schwebt eine gewisse Melancholie, die aber nicht runterzieht, sondern berührt und zu eigenen Reflexionen anregt. Obwohl „Wenn der Winter vorbei ist“ kein dickes Buch ist, handelt es sich trotzdem nicht um Prosa, die man in einem Atemzug durchliest. Man muss immer wieder an bestimmten Stellen verweilen und die Worte des Autors auf sich wirken lassen. Man wird dazu angeregt, nach ähnlichen Gefühlen und Erkenntnissen in seinem eigenen Leben zu suchen, um das Geschriebene zu verinnerlichen. Wer nach einer Geschichte, die von Kontinuität und Spannung geprägt ist, sucht, ist mit „Wenn der Winter vorbei ist“ nicht gut beraten, der sollte nicht zu diesem Buch greifen. Es ist kein Buch, bei dem es darauf ankommt, „worauf die Handlung hinausläuft, sondern auf das, was ist - irgendwo am Rande unseres Denkens.“

„Wenn der Winter vorbei ist“ ist ein stilles, ein ruhiges Buch. Gleichzeitig ist es aber auch dynamisch, es reißt einen mit, wenn man es am wenigsten erwartet. Es ist ein Buch mit leisem Ernst. „Diesen Ernst saugt man förmlich auf, es ist ein Ernst, der einen aufwertet, einem wirklich etwas gibt.“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.04.2020

Hollywood im Klartext

MUTIG
0

„Mutig“ ist Rose McGowans Autobiographie, in der sie eine gewagte Behauptung aufstellt – Hollywood sei die größte existierende Sekte – um die ihr gesamtes Werk kreist. Im ersten Teil des Buches skizziert ...

„Mutig“ ist Rose McGowans Autobiographie, in der sie eine gewagte Behauptung aufstellt – Hollywood sei die größte existierende Sekte – um die ihr gesamtes Werk kreist. Im ersten Teil des Buches skizziert die Autorin ihr Leben bis zum gegenwärtigen Augenblick. Teil Zwei der Autobiographie, das die letzten 55 Seiten des 300-Seiten-dicken Buches ausfüllt, ist eine Art Ratgeber für die Leser (dieser Ratgeber ist meiner Meinung nach redundant). Das ganze Buch durchziehen direkte Leseransprachen, wenn die Autorin auf ein bestimmtes Thema sensibilisieren möchte. „Ich schreibe dieses Buch, weil ich einen echten Dialog mit der Öffentlichkeit und insbesondere mit euch will. Ich fühle mich geehrt, dass meine Worte Eingang in euer Bewusstsein und Gewissen finden, dass meine Gedanken für immer in euren Herzen bleiben. Ich nehme diese Verantwortung sehr ernst.“

Rose McGowan, die dem breiten Publikum vor allem als Paige Matthews aus der Serie „Charmed“ bekannt sein sollte, wurde in einem Ort Nahe bei Florenz quasi in eine Sekte hineingeboren, da ihre Eltern Mitglieder der „Kinder Gottes“ waren. Bereits als Vierjährige widersetzt sie sich den „Erziehungsmethoden“ der Sekte und bleibt ein schwieriger Fall für die tonangebenden Sektenmitglieder. Nachdem sich Fälle von Kindesmissbrauch in der Sekte häufen, flieht Roses Vater mit seiner zweiten Frau und seinen Kindern nach Munano, einer kleinen Stadt in der Toskana, um schließlich ganz in die Vereinigten Staaten von Amerika zu ziehen. Zunächst wird Rose mit ihrem Bruder nach Washington zur Stiefgroßmutter geschickt, dann kommt sie nach Colorado zu ihrem Vater, um kurz darauf zu ihrer Mutter, die die Sekte auf eigene Faust verlassen hat, nach Oregon zu ziehen. Nach einiger Zeit kommt sie wieder zum Vater. „Wir Kinder wurden ziemlich oft hin und her geschoben, denn eine offizielle Sorgerechtsvereinbarung gab es nicht.“ Nachdem sie in der achten Klasse auf dem Schulball Acid probiert, wird sie in eine Drogenentzugsanstalt gesteckt, aus der sie die Flucht ergreift und fortan auf der Straße lebt. In dieser Zeit lernt sie ihren Geist vom Körper zu lösen: „Es gab Momente, gerade wenn es besonders hart war, in denen ich mich von meinem Körper löste. [...] Weit weg über allem zu schweben, das Geschehen wie durch eine Kameralinse zu beobachten, war meine Methode, mich zu schützen.“ In diesen „tranceähnlichen Zustand“ begibt sich Rose bei ihrer Vergewaltigung durch Weinstein, wobei sie trotz dessen ihr Leben lang unter dem traumatischen Erlebnis zu leiden haben wird.

Nachdem sie zufällig für eine Rolle in einem Film vorgeschlagen und besetzt wird, lernt sie Joshua Miller kennen, der sie dazu überredet nach Los Angeles zu ziehen. Dort schreibt sie sich als Schülerin an der Kunstschule Hollywood High ein, wo sie die Rolle ihres Lebens spielen sollte – die Antigone. In dieser Zeit lernt sie ihren ersten Freund kennen, mit dem sie vor allem die Erinnerung an Essstörungen verbindet. Da sie meiner Meinung nach das Problem dieser Erkrankung perfekt in Worte gefasst hat, möchte ich sie im Folgenden wieder zitieren: „Anorexie und Bulimie beginnen üblicherweise mit Gewichtsverlust, aber es geht um weit mehr als nur um den Körper. Es geht um die Seele. [...] Eine Essstörung ist eine unendlich einsame Störung. Niemand kommt an dich ran, am allerwenigsten du selbst. Wenn sich dein Leben nur noch um all diese erfundenen Regeln zur »Vollendung der Perfektion« dreht, bist du nicht mehr bei deinem eigenen klaren Verstand, du hörst nur noch die bösen Stimmen von außen. Und die bösen Stimmen von außen werden zu Stimmen von innen.“

Nach einem langen Kampf gegen die Krankheit, kommt schließlich der Durchbruch in Hollywood mit dem Film „Scream“. Ab diesem Moment lernt sie das wahre Hollywood kennen, mit all seinen Machtstrukturen. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, spricht sie die ganze Wahrheit aus: Hollywood operiere wie die Mafia, wenn es um den Schutz seiner Selbst gehe und sei die größte Sekte weltweit, da sie eine gigantische Reichweite habe. Es beherrsche unsere Realität, denn wir würden - bewusst oder unbewusst - Bilder aus gesehenen Kinofilmen in unserem eigenen Leben umsetzen. „Alles, was ihr konsumiert, zählt“, warnt Rose McGowan. „Es prägt euch, es ist wichtig. Achtet bewusst darauf, was ihr anschaut, damit ihr es gegebenenfalls ablehnen könnt. Wenn Hollywood sich nicht ändern kann, dann hat es verdient, zu scheitern.“ Auch möchte sie den Leser darauf sensibilisieren, das eigene Umfeld auf Sekten zu untersuchen, da nicht nur Gruppierungen, die diesen Namen tragen, welche sind. Wenn man sich einseitig nur aus einer Quelle informiere oder sich beispielsweise im Internet-Chatroom treffe, um sich über eine Serie auszutauschen, sei man ebenfalls Mitglied einer Sekte.

„Mutig“ ist ein wirklich mutiges Buch einer mutigen Frau, das jeder unbedingt lesen sollte – vor allem diejenigen, die noch ein naives Bild von Hollywood als einer schönen Traumfabrik haben!

Veröffentlicht am 10.04.2020

Gefülvolle Geschichte vor historischer Kulisse

Die Farben der Schönheit – Sophias Hoffnung (Sophia 1)
0

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“ dichtete Hermann Hesse einst. Man könnte meinen, diese Zeilen hätten auch von der in Berlin lebenden Chemiestudentin ...

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“ dichtete Hermann Hesse einst. Man könnte meinen, diese Zeilen hätten auch von der in Berlin lebenden Chemiestudentin Sophia Krohn stammen können. Mit gerade mal 21 Jahren steht sie 1926 vor den Scherben ihres Lebens. Sie ist ungewollt schwanger und der Dozent, mit dem sie eine Affäre hat, steht nicht zu ihr, sondern drängt sie dazu abzutreiben – dabei ist ein derartiger Eingriff äußerst gefährlich. Doch für Sophia, die erkennt, dass dieser Mann sie nie geliebt hat, steht von vornherein fest: Das Kind will sie behalten. Die Konsequenzen ihrer Entscheidung sind schmerzvoll: Ihr Chemiestudium muss Sophia aufgeben und ihre Eltern setzen sie mit den Worten „Wir haben keine Tochter mehr!“ auf die Straße. Sophia bleibt nichts Anderes übrig, als bei ihrer Freundin Hanny unterzukommen, die als Tänzerin im Nelson-Theater arbeitet. Als Hanny unerwartet ein Engagement bei den Folies Bergère angeboten wird, kommt Sophia mit. Wie es der Zufall will, stößt sie in Paris auf einen der berühmten Schönheitssalons Helena Rubinsteins und kehrt so zu ihrer großen Leidenschaft – der Produktion von Kosmetik – zurück. Sie entwickelt eine Creme, die Helena Rubinstein von Sophias Talent überzeugt, sodass sie sie kurzerhand nach New York mitnimmt. Dort soll Sophia im Chemielabor neue Produkte für Helena Rubinsteins Schönheitsimperium herstellen. Wird Sophia in New York ein neues Leben aufbauen können, berufliche Erfüllung und vielleicht sogar eine neue Liebe finden?

„Sophias Hoffnung – Die Farben der Schönheit“ ist mein erster Roman von Corina Bomann. Ich habe bisher noch nichts von der gefeiertesten Schriftstellerin der deutschen Unterhaltungsliteratur gelesen und bin ihrer Schreibkunst direkt mit diesem Roman erlegen. Die Autorin schreibt mit einer Leichtigkeit, die sich auf die Leserin überträgt. Der Erzählstil ist weder überladen, noch zu schlicht. Es weist genau das richtige Maß an Beschreibung, Gefühl und Reflexion auf. Ab und zu mag einem einiges etwas klischeehaft erscheinen, das Lesevergnügen wird dadurch keineswegs getrübt.

Mit der Figur Sophia Krohns entwickelt Corina Bomann eine starke Protagonistin, mit der man sich identifizieren kann, mit der man mitfühlt und die man bewundert. Obwohl keinesfalls frei von menschlicher Schwäche ist sie eine kluge, mutige, gefühlvolle und zielstrebige Frau, der es immer wieder gelingt, sich von einem tiefen Fall zu erheben und wieder von neuem anzufangen. Durch die Ich-Perspektive ist man ganz besonders nah an der Protagonistin. Sie lässt uns in ihr Innerstes blicken, das schön, inspirierend und motivierend ist.

Auch die reale Person der Helena Rubinstein hat die Autorin überzeugend dargestellt. Sieht man sich Bilder dieser Frau an und liest sich ein wenig in ihre Biografie ein, denkt man unweigerlich: Genauso könnte diese Frau gewesen sein. Grundsätzlich finde ich Fiktion, die in ein historisches Setting eingebettet ist, äußerst ansprechend und interessant. Mit der Kosmetikbranche im Allgemeinen und Helena Rubinsteins Schönheitsimperium im Speziellen hat Corina Bomann eine Nische gefunden, die auf fiktionaler Ebene bisher nicht behandelt wurde und somit einen ganz besonderen Reiz hat – nicht zuletzt gerade aufgrund unser weiblichen Schwäche für die Welt der Kosmetik.

Corina Bomann ist mit dem ersten Band ihrer Trilogie ein spannendes, bewegendes und berührendes Werk gelungen. Ich warte schon gespannt auf die weiteren Bände.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere