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Veröffentlicht am 05.04.2023

Überforderung

22 Bahnen
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Um den ganzen Stress abzuschütteln ist es Tilda zur täglichen Gewohnheit geworden, im Schwimmbad exakt 22 Bahnen zu schwimmen. Sie ist Studentin der Mathematik, arbeitet nebenbei an der Kasse im Supermarkt, ...

Um den ganzen Stress abzuschütteln ist es Tilda zur täglichen Gewohnheit geworden, im Schwimmbad exakt 22 Bahnen zu schwimmen. Sie ist Studentin der Mathematik, arbeitet nebenbei an der Kasse im Supermarkt, kümmert sich um den Haushalt und ist Ersatzmutter für ihre kleine Schwester Ida. Mit Mutters Hilfe ist nicht zu rechnen, die liegt meist betrunken auf dem Sofa im Wohnzimmer oder richtet in wachen Momenten ein heilloses Durcheinander in der Wohnung an. Im Grunde hasst Tilda dieses einengende Leben, doch die Verantwortung und Liebe zu Ida überwiegt alles. Nun aber soll sich bald einiges ändern, denn Tilda bekommt eine Promotion in Berlin angeboten. Kann sie das Angebot annehmen und ihre kleine Schwester mit der alkoholkranken Mutter alleine lassen? Und außerdem ist da auch noch Viktor, ein Freund aus Teenagertagen, der nach fünf Jahren wieder zurück in die Stadt gekommen ist …

„22 Bahnen“ ist der Debütroman der jungen, 1995 in Mainz geborenen, Autorin Caroline Wahl. Sie wuchs in der Nähe von Heidelberg auf, studierte Germanistik in Tübingen sowie Deutsche Literatur in Berlin und arbeitete danach in mehreren Verlagen. Heute lebt sie in Rostock.

Der Schreibstil war für mich anfangs sehr gewöhnungsbedürftig, da er sehr an der Jugendsprache orientiert ist – doch bald wurde ich von der Geschichte regelrecht mitgerissen. Zwei Schwestern, denen das Leben übel mitspielt, die sich lieben und zusammenhalten und versuchen, aus der bedrückenden häuslichen Situation das Beste zu machen - und eine Mutter, die man aufrütteln und schütteln möchte, die aber in ihrer Krankheit gefangen ist. Immer wieder keimt zwischendurch eine trügerische Hoffnung auf, die zum Ende zu stabil zu werden scheint. Es bleiben jedoch am Schluss sehr viele Fragen über die Zukunft aller Beteiligten offen. Ob hier eine Fortsetzung geplant ist?

Fazit: Eine Geschichte die unter die Haut geht, die mitreißt, aufrüttelt und nachdenklich stimmt.

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Veröffentlicht am 03.04.2023

Chaos im Seniorenheim

Sie haben Ihr Gebiss auf der Hüpfburg verloren
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Es hat sich viel geändert im Seniorenheim, seit Rüdiger Otterle die Nachfolge seines Vaters angetreten hat. Er hat zwar keine Ahnung von Pflege aber dennoch den ehrgeizigen Plan, dass das Haus Sonnenuntergang ...

Es hat sich viel geändert im Seniorenheim, seit Rüdiger Otterle die Nachfolge seines Vaters angetreten hat. Er hat zwar keine Ahnung von Pflege aber dennoch den ehrgeizigen Plan, dass das Haus Sonnenuntergang zum „Heim des Jahres“ gewählt wird. Nun hat das ohnehin überlastete Pflegeteam unter der Leitung von Sybille Bullatschek sich nicht nur um die Belange der Heimbewohner zu kümmern, sondern muss auch noch nebenbei die abstrusen Ideen ihres Chefs anhören und umsetzen. Dass Sybille bei dem Stress zwischen Pflege, Suche nach verlorenen Zähnen und ausgebüxten Senioren keine Zeit mehr für ihr Privatleben bleibt ist klar – außer man nimmt die Herrschaften samt Rollatoren mit ins Pinocchio zum Speed-Dating …

Sybille Bullatschek ist der Rollenname der deutschen Comedy-Darstellerin, Kabarettistin und Autorin Ramona Schukraft, geb. 1971 im baden-württembergischen Wertheim. Als Altenpflegerin Sybille tritt sie bei Comedy-Festivals, in Theatern, bei Kongressen und in Heimen auf. Ramona Schukraft lebt in Bergisch Gladbach.

Obwohl Humor und Comedy nicht mein bevorzugtes Genre ist, hat mich das eBook ausgezeichnet unterhalten. Mit scharfzüngigem Witz und ironischem Humor lässt Ramona Schukraft ihre Sybille über die Zustände im Seniorenheim, über Kolleginnen und Kollegen, über Heimbewohner und über ihren Chef schwätzen. Dass dabei ab und an die schwäbische Mundart durchblitzt, wenn sie z.B. von der „Pfläge“ redet, macht das Geschehen überaus authentisch. Missstände im Heim und Überlastung des Personals kommen ebenso zur Sprache, wie auch fröhliche Momente und glückliche Augenblicke mit zufriedenen Bewohnern – alles natürlich etwas überspitzt dargestellt.

Fazit: Ein heiterer, amüsant zu lesender Roman, der aber durchaus auch die aufopfernde Arbeit der Pflegekräfte würdigt.

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Veröffentlicht am 29.03.2023

Der andere Bruder

Brüderchen
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In einem Bergdorf in den Cevennen wird ein Baby geboren. Nach einem bereits 9jährigen Jungen und einem 7jährigen Mädchen ist es das dritte Kind der Familie. Ein hübscher Junge mit dunkelbraunem Haar und ...

In einem Bergdorf in den Cevennen wird ein Baby geboren. Nach einem bereits 9jährigen Jungen und einem 7jährigen Mädchen ist es das dritte Kind der Familie. Ein hübscher Junge mit dunkelbraunem Haar und schwarzen Augen, wie die geladenen Freunde und Nachbarn einstimmig feststellen. Drei Monate später fiel den Eltern auf, dass das Kind nur still dalag, ohne zu brabbeln und ohne sich zu bewegen und seine dunklen Augen blickten ins Leere – das Kind war blind, ein regloser Körper mit offenen Augen. Wie werden die Eltern mit diesem Schicksalsschlag umgehen und wie reagieren die Geschwister auf das mehrfach behinderte Brüderchen?

Clara Dupont-Monod, geb. 1973 in Paris, ist eine französische Schriftstellerin und Journalistin, die beim Radiosender France Inter eine eigene Literatursendung hat. Sie schreibt und veröffentlicht seit 1998. Für „Brüderchen“, das im französischen Original 2021 unter dem Titel „S’adapter“ erschienen ist und lange auf den dortigen Bestsellerlisten stand, erhielt die Autorin neben dem Prix Femina auch den Prix Goncourt des Lycéens.

Mit großen Erwartungen begann ich mit dem Lesen dieses Buches. Die Geschichte eines Kindes, das behindert zur Welt kommt, musste mal erzählt werden. Ich erwartete vom Schmerz der Eltern und ihren Umgang damit zu erfahren, doch davon ist wenig die Rede. Stattdessen schreibt die Autorin über das Verhältnis und die Gefühle der Geschwister zu dem behinderten Kind, die für mein Empfinden doch sehr seltsam sind. Ja selbst ein viele Jahre später geborenes viertes Kind der Familie redet in seinen Gedanken mit dem bereits verstorbenen behinderten Geschwisterchen, das es nie kennen gelernt hat. Die Geschichte wird neutral und emotionslos erzählt, und zwar von den Steinen (!) am Weg und in der Mauer des Anwesens! Eine wörtliche Rede sucht man vergebens, selbst die Namen der beteiligten Personen werden in diesem Roman nie genannt, stattdessen liest man vom „großen Bruder“, von „der Schwester“ und vom „Nachgeborenen“. Das behinderte Kind selbst wird nur „das Kind“ genannt.

Die im Voraus zu lesenden Lobeshymnen kann ich nicht verstehen. Das Buch bekommt von mir 2 wohlwollende ** dafür, dass das Thema Behinderung endlich einmal Einzug in die Literatur gefunden hat (ich hatte bisher noch nichts darüber gelesen). Die Umsetzung ging jedoch leider für mein Empfinden völlig daneben.

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Veröffentlicht am 26.03.2023

Ein Segeltörn auf Leben und Tod

In blaukalter Tiefe
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Caroline irrt durch Conquet-sur-Mer, sie ist verwirrt und weiß nichts mit sich anzufangen. Immer wieder schweift ihr Blick ungewollt ab zum Hafen, zu den dort liegenden Segelyachten, während ihre Gedanken ...

Caroline irrt durch Conquet-sur-Mer, sie ist verwirrt und weiß nichts mit sich anzufangen. Immer wieder schweift ihr Blick ungewollt ab zum Hafen, zu den dort liegenden Segelyachten, während ihre Gedanken sechs Wochen zurück wandern und sie an das schreckliche Geschehen erinnern: Sie waren zu fünft an Bord der „Querelle“ auf einem Segeltörn in den schwedischen Schären, Caroline und ihr Mann Andreas, sein Arbeitskollege Daniel mit Freundin Tanja und Skipper Eric. Fünf Egozentriker gemeinsam auf engstem Raum, kann das gut gehen? Anfangs waren zwar alle um gute Laune bemüht, doch mit zunehmend schlechtem Wetter und rauer See änderte sich die Stimmung an Bord. Als dann ein gefährlicher Sturm aufkommt, eskalieren die bisher unterdrückten Konflikte …

Kristina Hauff ist das Pseudonym der erfolgreichen Kriminalschriftstellerin Susanne Kliem. Sie wurde am Niederrhein geboren und liebt besonders das Segeln auf der Ostsee. Dass sie ihren Ursprung am Theater hat und für Fernsehserien von ARD und ZDF arbeitete ist ihrem neuesten Roman „In blaukalter Tiefe“ (2023) anzumerken, da er wie ein raffiniertes Kammerspiel gestaltet ist. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Zunächst überrascht das Buch mit einem lebendigen flüssigen Schreibstil, der den Einstieg in das Geschehen leicht macht. Die Handlung spielt überwiegend, bis auf einige Ausnahmen, an Bord der Segelyacht. Fünf von der Autorin sehr gut ausgearbeitete gegensätzliche Charaktere beherrschen die Geschichte: Das sind der erfolgreiche Anwalt Andreas der sich weltgewandt und unnahbar gibt, seine Frau Caroline die ihre Probleme selbstsicher zu überdecken vermag, Andreas‘ junger Kollege Daniel der alles versucht ihm zu gefallen, Daniels Freundin Tanja mit ihrer anfänglichen Unsicherheit und natürlich der Eigner des Bootes, der schweigsame Skipper Eric, der sich unnahbar gibt und eine unerschütterliche Ruhe vortäuscht.

Wir erfahren die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven. Wunderschöne, atmosphärisch dichte Naturschilderungen wechseln sich ab mit Einblicken in das alltägliche Leben an Bord und Erlebnissen an Land. Spannende Wendungen und interessante psychologische Erkenntnisse erinnern beinahe an einen Krimi. Der Name der Yacht „Querelle“ (Streit, Zank) wird bald zum bösen Omen, die Konflikte brechen offen aus und aus dem idyllischen Segeltörn wird ein verhängnisvoller Kampf ums Überleben.

Fazit: Spannende Handlung, interessante Charaktere und der authentische Einblick ins Leben auf einem Segelboot überzeugen nicht nur Segelfans. Meine Empfehlung!

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Veröffentlicht am 24.03.2023

Liebe und Leid

Lichte Tage
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Die Kopie eines Van-Gogh-Gemäldes, das seine verstorbene Mutter einst als Tombola-Gewinn bekam und das seither im Wohnzimmer hing, war für Ellis der Anlass, im Alter von 19 Jahren mit Freund Michael einige ...

Die Kopie eines Van-Gogh-Gemäldes, das seine verstorbene Mutter einst als Tombola-Gewinn bekam und das seither im Wohnzimmer hing, war für Ellis der Anlass, im Alter von 19 Jahren mit Freund Michael einige unbeschwerte Urlaubstage in Südfrankreich zu verbringen. Sie verlieben sich ineinander, wagen es damals jedoch nicht, sich zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Wieder zurück in der Heimat verlieren sie sich bald aus den Augen. Ellis heiratet Annie und Michael hat Beziehungen mit verschiedenen Männern. - Jetzt ist Ellis 45 Jahre alt, einsam und traurig. Er blickt zurück, erinnert sich an die gemeinsame Zeit mit Annie und Michael, die beide aus seinem Leben verschwunden sind …

Sarah Winman, geb. 24.12.1964 in Essex, ist eine britische Schriftstellerin und Schauspielerin. „Lichte Tage“ (Tin Man, 2017) ist ihr dritter Roman, für den sie international viel Anerkennung erntete. Die Autorin lebt in London.

„Lichte Tage“ wäre eine wunderbare, herzerwärmende Geschichte, wenn …, ja wenn sie etwas allgemeinverständlicher geschrieben wäre. Unmotivierte plötzliche Zeitsprünge, in rascher Folge wechselnde Perspektiven und unklare Handlungsabläufe machen das Lesen anstrengend und die Zusammenhänge verwirrend. Oft musste ich zurückgehen und ganze Abschnitte ein zweites Mal lesen, um das Wieso und Warum zu erfassen. An diesem Gesamteindruck konnten leider auch die zahlreichen, wunderschön und einfühlsam formulierten Sätze und Passagen nicht mehr viel ändern.

Ich empfand den Roman zudem weniger als eine homosexuelle Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Männern, sondern eher als eine Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern. Zwischen den beiden steht doch Annie (über deren Gefühle man zu wenig liest), die zwar mit Ellis verheiratet ist, die aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Ellis Freund Michael zusammen ist. Erfährt man deshalb so gut wie nichts über den Unfall? Warum ist sie alleine mit Michael unterwegs gewesen?

Nach meinem Gefühl sehr gut hat die Autorin Ellis Unentschlossenheit und seine leeren Gefühle im Jetzt und Heute seinen glücklichen Empfindungen und hoffnungsvollen Gedanken vergangener Tage gegenüber gestellt. Gut gefallen hat mir auch der Schluss, in dem in der sonst recht melancholischen Geschichte für den Protagonisten neue Hoffnung aufkeimt.

Fazit: Ein Buch, das mich irritiert zurücklässt – unmotivierte Zeitsprünge und unklare Handlungsabläufe wechseln mit wunderschön und einfühlsam formulierten Sätzen.

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