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Veröffentlicht am 13.10.2024

Flüchtlingsschicksal

Im Meer schwimmen Krokodile
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Es ist die beinahe unglaubliche Fluchtgeschichte des anfangs 9jährigen afghanischen Jungen Enaiat, der nach einer acht Jahre dauernden dramatischen Irrfahrt nun endlich in Italien eine neue Heimat gefunden ...

Es ist die beinahe unglaubliche Fluchtgeschichte des anfangs 9jährigen afghanischen Jungen Enaiat, der nach einer acht Jahre dauernden dramatischen Irrfahrt nun endlich in Italien eine neue Heimat gefunden hat. Es war die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf eine Zukunft ohne Krieg, die seine Mutter veranlasste, ihn heimlich von Afghanistan nach Pakistan zu schmuggeln. Auf seinen weiteren Weg gab sie ihm drei Gebote mit: nie Drogen zu nehmen, nie Waffen zu benutzen und nicht zu stehlen. Vollkommen auf sich allein gestellt, sucht sich der Junge zunächst eine Unterkunft und Arbeit, um seine weitere Flucht in den Iran finanzieren zu können. Es gelingt ihm in den Iran zu kommen, von dort in die Türkei und über Griechenland dann nach Italien. Dass ihm dies letztendlich gelang ist außer großem Glück auch seinem Fleiß und seiner Zähigkeit zu verdanken. Zwischen den einzelnen Stationen liegen oft mehrere Jahre, in denen er arbeitete, Schmuggler bezahlte, über schneebedeckte Berge wanderte, eingepfercht im Lastwagen weiterfuhr und im Schlauchboot übers Meer ruderte. Er erlebte Brutalität und Rücksichtslosigkeit, war dem Tod oft näher als dem Leben – erfuhr aber auch Hilfsbereitschaft, menschliche Wärme und Freundschaft.

Das Buch ist mehr als die reine Erzählung eines Flüchtlingsschicksals, es zeigt einfühlsam, warum Menschen solche Strapazen auf sich nehmen. Es ist auch eine versteckte Anklage gegen korrupte Polizei und Ordnungshüter und prangert die Tätigkeit der Schmuggler an, die aus dem Elend der Menschen ein Geschäft machen und Unternehmer, die ihre Großbaustellen mit billigen „Illegalen“ betreiben. Es sind abenteuerliche Begegnungen und oft sehr gefährliche Erlebnisse die dem Jungen bis zu seinem Happy End in Italien widerfahren sind. Dass das nicht allen Flüchtlingen gelingt, viele werden inhaftiert, kommen in Lager oder sterben, auch davon erzählt dieses Buch.

Fazit: Ein einfühlsam geschriebenes Buch über die abenteuerliche Flucht eines jungen Afghanen nach Italien. Es rüttelt auf und stimmt nachdenklich, denn es ist heute aktueller denn je.

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Veröffentlicht am 06.10.2024

Okkultismus und Hellseherei

Das Wohlbefinden
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Ihre verzweifelte Wohnungssuche während des Corona-Lockdowns 2020 führte Vanessa nach Beelitz, wo vor den Toren Berlins auf dem Gelände der ehemaligen Arbeiter-Lungenheilstätte eine neue luxussanierte ...

Ihre verzweifelte Wohnungssuche während des Corona-Lockdowns 2020 führte Vanessa nach Beelitz, wo vor den Toren Berlins auf dem Gelände der ehemaligen Arbeiter-Lungenheilstätte eine neue luxussanierte Wohnsiedlung entstanden ist. Durch einen glücklichen Zufall kommt Vanessa in den Besitz des Manuskripts für ein Buch, das ihre Urgroßmutter Johanna Schellmann, eine einst bekannte Schriftstellerin, bei ihrem Tod 1967 ihrem jungen Pfleger hinterlassen hat. Darin schreibt sie über ihre Freundschaft mit der hellseherisch begabten Anna, die 1908 Patientin in Beelitz war und nach ihrer Heilung im Hause Schellmann aufgenommen wurde. Durch Annas okkulte Fähigkeiten erhoffte sich Johanna Inspirationen für ihr neues Buch …

Ulla Lenze, geb. 1973 in Mönchengladbach, ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie studierte Musik und Philosophie, lebte eine Zeitlang in Indien und war 2004 auf Einladung des Goethe-Instituts Stadtschreiberin in Damaskus und 2010 Writer-in-Residence in Mumbai. Bisher schrieb sie sechs Romane, für die sie etliche Auszeichnungen und Stipendien erhielt. Ihr neuester Roman „Das Wohlbefinden“ (2024) hat es auf die Liste der Nominierten zum Deutschen Buchpreis 2024 geschafft. Heute lebt Ulla Lenze als freie Schriftstellerin in Berlin.

Wie schon aus der Inhaltsangabe ersichtlich, spielt der Roman in drei verschiedenen Zeitebenen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich die Wissenschaft mehr und mehr mit Okkultismus befasste, trifft Johanna in Beelitz auf Anna, 1967 in Berlin ist Johanna bereits dement und wird von dem jungen Pfleger Klaus betreut, und 2020 schließlich sucht Urenkelin Vanessa in Beelitz nach einer neuen Bleibe. Der Makler ist zufällig der Sohn von Klaus, der ihr nun Johannas Manuskript als Familienerbe übergeben kann. Der Kreis schließt sich. Die Besonderheit dabei ist, dass die Autorin Schreibstil und Sprache ganz gut den jeweiligen Zeiten angepasst und die Dialoge darauf abgestimmt hat.

Leider konnte mich die Geschichte nicht mitreißen. Es wird zwar viel geweint und immer wieder mal gelitten, aber Emotionen konnte ich trotzdem keine verspüren. Vielleicht lag es daran, dass mir die Frauen allesamt unsympathisch waren. Einige Teile der Handlung empfand ich als sehr konstruiert, Zufall und glückliche Fügung als auffällig erdichtet. Völlig überstürzt kam dann noch ein unrundes Ende, das mich ebenfalls nicht zufriedenstellen konnte.

Fazit: Ein durchaus interessantes Thema, das leider nicht konsequent umgesetzt wurde. Dennoch von mir 3 wohlwollende Sterne.

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Veröffentlicht am 02.10.2024

Das Meer, Quell des Lebens

Das große Spiel
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Makatea, eine winzige Koralleninsel in den Weiten des Pazifik, wurde schon früher von den Menschen ausgebeutet und dann vergessen. Ausgerechnet hier plant der Playground-Konzern den ersten Abschnitt von ...

Makatea, eine winzige Koralleninsel in den Weiten des Pazifik, wurde schon früher von den Menschen ausgebeutet und dann vergessen. Ausgerechnet hier plant der Playground-Konzern den ersten Abschnitt von Seasteading, einer neu entwickelten Wohn- und Lebensform, zu errichten. Vier Menschen treffen nun dort zusammen, deren Leben eng mit der Zukunft unseres Planeten verbunden ist: Evelyne Beaulieu, eine Ozeanologin die taucht und von den Riesenmantas fasziniert ist, Ina Ariota, eine Künstlerin, die aus am Strand angeschwemmtem Plastikmüll ihre Skulpturen entwirft, Rafi Young, der vernarrt ist in Bücher und schon früh von seinem schwarzen Vater auf Ehrgeiz programmiert wurde und sein ehemaliger Schulfreund Todd Keane, der mit einem Computer-Programm das große Geld gemacht hat …

Richard Powers, geb. 1957 in Evanston/Illinois, ist einer der bedeutendsten US-amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Er ist bekannt dafür, in seinen Werken komplexe naturwissenschaftliche und philosophische Themen zu verarbeiten. Seit 1985 schrieb er zahlreiche Romane, für die er u. A. den ‚National Book Award for Fiction‘ und den ‚Pulitzer Prize for Fiction‘ erhielt. Heute lebt Powers in den Great Smoky Mountains der Appalachen.

Es sind, wie in all seinen Büchern, die großen aktuellen Themen unserer Zeit die der Autor in diesem bemerkenswerten Buch behandelt. Neben der Verschmutzung der Weltmeere sind es der Klimawandel, Social Media und die Künstliche Intelligenz, die uns Powers in seinem unnachahmlichen, präzisen und schnörkellosen Schreibstil nahebringt. Er ist in der Lage, dem Leser auch die kompliziertesten ökologischen Themen und technischen Abläufe verständlich zu beschreiben. Wir erleben das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven und in verschiedenen Zeiten. Einen großen Teil der Geschichte lässt er Todd Keane, einen der Hauptakteure, in Form eines Lebensberichtes selbst erzählen, so dass wir unmittelbar dabei sind und in seine Gefühlswelt eintauchen können. Die Handlung ist äußerst komplex und vielschichtig – gegen Ende des Buches verwischen sich gar die Grenzen zwischen Realität und Fiktion.

Fazit: Ein Buch das aufrüttelt, mahnt und zum Nachdenken anregt. Unbedingt lesen !!!

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Veröffentlicht am 25.09.2024

Biografie einer 100Jährigen zwischen Wahrheit und Fiktion

Das Philosophenschiff
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Die ehemalige Star-Architektin Anouk Perleman-Jacob möchte ihre Memoiren schreiben lassen und lädt deshalb zu ihrem 100. Geburtstag einen Schriftsteller ein, der den Ruf hat, es mit der Wahrheit nicht ...

Die ehemalige Star-Architektin Anouk Perleman-Jacob möchte ihre Memoiren schreiben lassen und lädt deshalb zu ihrem 100. Geburtstag einen Schriftsteller ein, der den Ruf hat, es mit der Wahrheit nicht immer genau zu nehmen. Genau das möchte sie, der Nachwelt Rätsel aufgeben. War ihr Leben wirklich so, wie sie es dem Autor schildert und er es zu Papier bringt, oder war es doch anders? Bei seinen zahlreichen Besuchen erzählt sie aus ihrem Leben. In Sankt Petersburg geboren kam sie im Alter von 14 Jahren zusammen mit ihren Eltern auf ein sog. „Philosophenschiff“, mit dem die damaligen Bolschewiken-Machthaber auf Lenins Befehl unliebsame Intellektuelle außer Landes brachten. Sie waren nur eine Handvoll Personen auf einem Luxusdampfer für 2000 Passagiere. Während der Fahrt über die Ostsee, so berichtet sie dem Schriftsteller, hätte sie heimlich den im Rollstuhl sitzenden kranken Lenin getroffen und sich mit ihm angefreundet. Auch ihn wollten seine Widersacher loswerden …

Michael (Johannes Maria) Köhlmeier ist ein österreichischer Schriftsteller, der 1949 in Vorarlberg geboren wurde und dort auch aufgewachsen ist. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er Politikwissenschaft und Germanistik in Marburg/Lahn und im Anschluss daran Mathematik und Philosophie in Gießen. Bereits ab Ende der 1960er Jahre arbeitete er als freier Mitarbeiter für den ORF, wo er mit seinen Hörspielen bekannt wurde. Sein Debüt als Romanschriftsteller gab er 1982, seither schrieb er unzählige Romane, Hörstücke, Drehbücher, Liedtexte und Gedichte, für die er zahlreiche Preise erhielt. 1981 heiratete Michael Köhlmeier die Schriftstellerin Monika Helfer, sie haben zusammen vier Kinder. Der Autor lebt heute als freier Schriftsteller in Hohenems/Vorarlberg und in Wien.

Was ist Wahrheit, was ist Fiktion? Eine Frage, die man sich beim Lesen unwillkürlich stellt. Dem Autor ist es großartig gelungen, beides miteinander zu verknüpfen. In sachlich klarem Schreibstil führt er uns in die Zeit als die Bolschewiken in Russland die Macht hatten und berichtet von ihren Grausamkeiten und der Angst, mit der die Menschen leben mussten. Wir erfahren von zahlreichen bekannten russischen Personen, die teils ausgewiesen und teils vom Regime ermordet worden sind.

Leider ist die Geschichte ohne Kenntnisse über die russische Revolution und über die gegenseitigen Intrigen der damaligen Machthaber nur schwer zu verstehen. Mir sagten die meisten der namentlich erwähnten Personen wenig oder überhaupt nichts und über jeden Namen bei Wikipedia nachzuschlagen war mir bald zu mühsam. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die alte Dame in ihren Erinnerungen nicht chronologisch vorging, sondern immer nur kurze Episoden aus verschiedenen Zeiten erwähnte. Dennoch hat mich die Geschichte gepackt und ich war, bedingt auch durch den großartigen Schreibstil des Autors, mitten drin im Geschehen.

Fazit: Ein interessanter Roman, der sich leicht lesen lässt, aber schwer zu verstehen ist.

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Veröffentlicht am 17.09.2024

Stille Gefühle und leise Gedanken

Akikos stilles Glück
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Seit dem Tod ihrer Mutter vor zwei Jahren, lebt die neunundzwanzigjährige Akiko Nakamura allein und sehr zurückgezogen in Tokio. Einzige Ansprechpartner sind ihre Kollegen im Büro, wo sie als Buchhalterin ...

Seit dem Tod ihrer Mutter vor zwei Jahren, lebt die neunundzwanzigjährige Akiko Nakamura allein und sehr zurückgezogen in Tokio. Einzige Ansprechpartner sind ihre Kollegen im Büro, wo sie als Buchhalterin arbeitet, und ihre Freundin Naoko, mit der sie gelegentlich spätabends nach Dienstschluss noch etwas Essen geht. Das Bedürfnis nach Nähe oder Gesellschaft empfindet sie nicht, bis sie eines Abends auf dem Heimweg Kento, einem ehemaligen Mitschüler, begegnet. Als Hikikomori lebt er völlig zurückgezogen, meidet die Menschen und verlässt seine Wohnung nur bei Dunkelheit. Behutsam nähern sich die beiden Einsamen einander an und fassen Vertrauen, indem sie gegenseitig ihre Bedürfnisse respektieren. Als Akiko im Nachlass ihrer Mutter eine beunruhigende Entdeckung macht und sie sich die Frage stellen muss wer sie wirklich ist, kann Kento ihr dabei helfen sich selbst zu mögen, sich zu akzeptieren, ihr Leben zu verändern und einen lange gehegten Traum zu verwirklichen …

Jan-Philipp Sendker, geboren 1960 in Hamburg, ist ein deutscher Schriftsteller und Journalist. Von 1990 bis 1995 war er Amerika- und von 1995 bis 1999 Asienkorrespondent des Stern. Dabei hatte er Gelegenheit, Japan und die japanische Mentalität kennen zu lernen. Sein erster Roman wurde 2000 veröffentlicht, es folgten einige weitere. Mit weltweit über 4 Millionen verkauften Büchern ist er einer der aktuell erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Sendker ist mit einer Kunsthistorikerin verheiratet und lebt heute als freier Autor mit seiner Familie in Potsdam.

Mit seinem neuen Roman „Akikos stilles Glück“ entführt uns der Autor nach Japan und bringt uns die Mentalität und die Lebensweise der Bevölkerung näher. Mit seinem empathischen und sensiblen Schreibstil schafft er es, die Gefühle und Empfindungen der beiden Protagonisten gut zu erfassen und gekonnt wiederzugeben. Ihre selbstgewählte Einsamkeit und ihr ‚in sich ruhen‘ sind wunderschön beschrieben, stimmen nachdenklich, machen traurig, beruhigen aber gleichzeitig. Der Gegensatz zum hektischen und pulsierenden Tokio ist deutlich spürbar und macht die Geschichte sehr lebendig. Lobenswert ist auch das Glossar am Ende des Buches, das die verwendeten japanischen Begriffe und Ausdrücke erklärt.

Fazit: Ein außergewöhnlich einfühlsamer Roman über Freundschaft, Vertrauen und die stille Suche nach sich selbst – meine Leseempfehlung!

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