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Veröffentlicht am 22.08.2025

Zwischen genialer Kombinationsgabe und Demenz

Die Bibliothek meines Großvaters
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Seit jeher hatten Kaede, eine junge Lehrerin aus Tokio, und ihr Großvater ein inniges Verhältnis zueinander. Daran änderte sich auch nichts, als der alte Mann allmählich dement wurde. Kaede besucht ihn ...

Seit jeher hatten Kaede, eine junge Lehrerin aus Tokio, und ihr Großvater ein inniges Verhältnis zueinander. Daran änderte sich auch nichts, als der alte Mann allmählich dement wurde. Kaede besucht ihn regelmäßig in seinem Haus und, wenn er seine lichten Momente hat, sprechen sie wie früher über knifflige Kriminalfälle und deren verschiedenen Lösungsmöglichkeiten. Beide lieben Bücher, besonders Krimis. Als Kaede in einem alten Buch seltsame Zeitungsausschnitte entdeckt denken sie gemeinsam über deren Bewandtnis nach und versuchen, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Auch andere Aufgaben lösen sie gemeinsam. Doch als eines Tages Kaede selbst in Gefahr ist liegt es an Großvaters genialer Kombinationsgabe, seine Enkelin davor zu bewahren …

Masateru Konishi, geb. 1965, ist ein japanischer Autor. „Die Bibliothek meines Großvaters“ ist sein erster Roman, der 2023 in Japan ein Bestseller wurde und einen Preis erhielt, und 2025 in deutscher Übersetzung beim Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Das Buch beruht zum Teil auf den Erfahrungen des Autors mit der Pflege seines demenzkranken Vaters und ist der erste Teil einer Trilogie.

Der rote Faden des Romans ist die enge familiäre Bindung zwischen Großvater und Enkelin, die beide sehr herzlich und einfühlsam miteinander umgehen. Ihre gemeinsame Liebe zu Büchern und Rätseln schafft innige Momente, die die Demenz vorübergehend vergessen lassen. Die dazwischen eingebundenen kurzen Krimi-Episoden jedoch, die der alte Mann durch fundiertes Wissen, Kombinationsgabe und Zufall löst, wirken allesamt konstruiert und waren für mich weder interessant noch spannend. Die Nebenfiguren, Freunde und Kollegen, bleiben alle seltsam blass und unnahbar und konnten mein Interesse auch nicht wecken. Erst gegen Ende der Geschichte, als sich eine Romanze anzubahnen schien und Kaede selbst in Gefahr war, kam etwas Spannung auf, was wohl das Interesse am nächsten Band der Trilogie wecken soll.

Fazit: Kann man zur Unterhaltung zwischendurch lesen – ich hatte mehr erwartet.

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Veröffentlicht am 17.08.2025

Auf den Spuren der Vergangenheit

Anna oder: Was von einem Leben bleibt
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1887 kommt die junge Anna Kalthoff ins sauerländische Dorf Cobbenrode, wo sie die Stelle als Lehrerin antritt. Obwohl es die Regeln vorschreiben, dass eine Lehrerin unverheiratet zu sein hat, entscheidet ...

1887 kommt die junge Anna Kalthoff ins sauerländische Dorf Cobbenrode, wo sie die Stelle als Lehrerin antritt. Obwohl es die Regeln vorschreiben, dass eine Lehrerin unverheiratet zu sein hat, entscheidet sich Anna, über ihr Leben selbst zu bestimmen. Sie verliebt sich in einen jüngeren Mann, heiratet ihn, wird aber bald Witwe. Sie übernimmt sein Wirtshaus mit der angegliederten Poststelle und zieht den inzwischen geborenen Sohn alleine groß. Jahre später heiratet sie erneut und gebiert mit 45 Jahren noch eine Tochter.

Henning Sußebach, geb. 1972 in Bochum, studierte in Dortmund Journalistik. Von 1995 bis 1997 volontierte er bei der „Berliner Zeitung“, wo er anschließend als Sportredakteur und Reporter arbeitete, bis er 2001 zur „Zeit“ wechselte. Nebenbei veröffentlichte er zahlreiche Sachbücher und erhielt einige der wichtigsten deutschen Journalistenpreise. Der Autor lebt mit seiner Familie in der Nähe von Hamburg.

In dem Buch „Anna oder: Was von einem Leben bleibt“ (2025, C.H.Beck-Verlag) erzählt Henning Sußebach die bewegende Geschichte seiner Urgroßmutter Anna Kalthoff. Anhand von Fotos, Poesiealben und einiger verbliebener Erinnerungsstücke, verbunden mit viel Recherchearbeit, gelang es ihm, die damalige Zeit zu rekonstruieren und ein lebendiges Bild von Annas Leben entstehen zu lassen. Er thematisiert nicht nur Annas persönliche Entscheidungen, sondern legt den Fokus auch auf die mannigfachen Herausforderungen, denen sich die Frauen seinerzeit ausgesetzt sahen. Sehr interessant sind auch die, parallel zu Annas Geschichte, chronologisch geschickt eingefügten historischen Ereignisse, die nahezu in Vergessenheit geraten sind.

Fazit: Ein literarisch ansprechendes Werk, berührend und warmherzig, das den Leser dazu anregen kann, in der eigenen Familiengeschichte nachzuforschen.

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Veröffentlicht am 09.08.2025

Auf der Insel der Hummerfischer

Die Hummerfrauen
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Als Kind verbrachte Mina viele Sommer mit ihren Eltern und ihrem großen Bruder Christopher auf Eagle Island, einer kleinen Insel an der Küste von Maine. Völlig unbeschwert konnte sie dort mit dem Fischerjungen ...

Als Kind verbrachte Mina viele Sommer mit ihren Eltern und ihrem großen Bruder Christopher auf Eagle Island, einer kleinen Insel an der Küste von Maine. Völlig unbeschwert konnte sie dort mit dem Fischerjungen Sam herum streifen, Muscheln und Vogelfedern sammeln, schwimmen und mit seinem Boot hinaus aufs Meer fahren. Doch ein Ereignis änderte plötzlich alles - die Familie kehrte nie wieder auf ihre Urlaubsinsel zurück. Inzwischen sind zwanzig Jahre vergangen. Durch den plötzlichen Tod ihres Bruders ist ihre Familie zerbrochen und Mina hat jeglichen Halt verloren. Die Suche nach sich selbst führt sie an die Küste von Maine, dorthin, wo sie eine glückliche Zeit verlebte. Es war ein stürmischer Tag, als sie im Fischerdorf Stone Harbor ankam. Bei der 72jährigen Ann, die seit der Trennung von ihrer Lebensgefährtin alleine mit ihrem Haustier, einem seltenen blauen Hummer, lebt, findet Mina Unterschlupf und bei Julie, einer resoluten Hummerfischerin Mitte 50, kann sie sich nützlich machen. Sie fährt mit ihr raus aufs Meer zum Hummerfang. Von den beiden Frauen erhält sie die familiäre Wärme, die sie so sehr vermisste. Dann trifft sie Sam wieder und die tiefe Zuneigung von damals flammt sofort wieder auf. Auch seine Familie zerbrach an jenem tragischen Sommertag …

Beatrix Gerstberger, geb. 1964 im Sauerland, ist eine deutsche Autorin und Journalistin, die bekannt ist für ihre emotionalen und tiefgründigen Reportagen und Bücher. Nach dem frühen Tod ihres Partners zog sie, um einen Weg aus der Trauer zu finden, Anfang der 2000er mit ihrem damals noch kleinen Sohn für ein halbes Jahr in ein Hummerfischerdorf. Dort lernte sie, dass es viele unterschiedliche Formen von Verlust gibt und dass es genau so viele unterschiedliche Wege gibt, damit umzugehen. Der damalige Aufenthalt in Maine inspirierte sie zu dem Roman „Die Hummerfrauen“ (2025, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co KG, München). Beatrix Gerstberger lebt heute in Hamburg.

Der Autorin ist es großartig gelungen, den beschwerlichen Alltag der Hummerfischerinnen in einen warmherzigen Roman zu integrieren. Wir lesen von drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die aber dennoch viel gemeinsam haben: ihre Liebe zum Meer und ihr Bedürfnis nach Zusammenhalt. Beatrix Gerstberger hat einen sehr lebendigen, flüssigen Schreibstil und erfasst auch Zusammenhänge und Beziehungen äußerst treffend. Dabei entsteht ein wunderbares Bild der Umgebung, des Meeres und des Dorflebens, sodass man das Gefühl hat, dabei zu sein. Sie erzählt uns die Geschichte der drei Frauen hauptsächlich in den Jahren 2000/2001, schweift gelegentlich zurück zum Sommer 1982, als Mina zum letzten Mal mit ihrer Familie auf der Insel war, und im Prolog und im Epilog erfahren wir, wie es Mina in der Zwischenzeit ergangen ist und wie sie heute lebt.

Fazit: Ein außergewöhnlicher und einfühlsamer Roman über Verlust und Trauer, und über eine Liebe, die von der Vergangenheit überschattet wird.

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Veröffentlicht am 25.07.2025

Die heilende Kraft der Natur

Noch fünfzig Sommer mehr
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Eleni war fünf Jahre alt als sie zu ihren Großeltern in die Bretagne kam, wo sie von nun an bei ihnen im Haus zwischen Wald und Ozean leben sollte. Jetzt ist sie fünfundzwanzig und lebt alleine dort, denn ...

Eleni war fünf Jahre alt als sie zu ihren Großeltern in die Bretagne kam, wo sie von nun an bei ihnen im Haus zwischen Wald und Ozean leben sollte. Jetzt ist sie fünfundzwanzig und lebt alleine dort, denn ihre Großeltern sind inzwischen verstorben. Seit ihrem Tod hat sie eine tiefe Depression heimgesucht, sie meidet Menschen und geht nur noch nachts aus dem Haus. Bei einem ihrer nächtlichen Ausflüge ans Meer trifft sie dort auf Théo, der ihr aus einer misslichen Lage behilflich ist. Ihm kann sie sich öffnen und bald zieht er zu ihr ins Haus am Wald. Sie verleben eine glückliche Zeit, bis Théo plötzlich stirbt. Sie trauert tief, die Depression kommt mit Macht zurück und Eleni geht nicht mehr aus dem Haus – bis sie eines Tages einen Topf mit einer Sommeranemone und einen Brief mit Pflegeanleitung vor ihrer Haustür findet. Es bleibt nicht dabei, weitere Pflanzen und Briefe folgen. Ihre Neugierde ist geweckt, wer ist der geheimnisvolle Absender? …

Avril Maury ist das Pseudonym einer deutschen Autorin. Sie lebt nah am Meer, wo sie Inspiration für ihre Geschichten sammelt. Wenn sie nicht schreibt, widmet sie sich liebevoll der Pflege ihres Gartens. (Ullstein-Verlag)

Aufgrund des Titels, des schönen Covers und des interessanten Klappentextes erwartete ich eine emotionale Sommergeschichte. Leider wurde ich enttäuscht, ich fand die Geschichte banal und des einfachen Schreibstils wegen eher für Jugendliche geeignet. Zwar ist die Landschaft der Bretagne, das Meer bei Sonnenschein und Sturm, das Haus der Großeltern und die Blütenbracht in deren Garten sehr schön beschrieben, aber das reicht m. E. für ein gutes Buch nicht aus. Das Benehmen und Verhalten der Protagonistin Eleni, die immerhin beinahe 30 Jahre alt ist, fand ich sehr seltsam und konnte ihre Handlungen nicht nachvollziehen. Die Geschichte wirkt teilweise arg konstruiert, es gibt viele Wiederholungen und das Ende ist vorhersehbar. Dass Eleni unter wiederkehrenden Depressionen leidet wurde nie erwähnt und einfach so abgetan. Dass ein paar Nachrichten und Blumen einen Menschen aus diesem Tief herausholen können, ist doch mehr als unwahrscheinlich. Der ständige Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit macht die Geschichte auch nicht interessanter und erschwert nur das Lesen.

Fazit: Mag für sehr junge Menschen vielleicht ganz interessant sein, mein Geschmack war es nicht.

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Veröffentlicht am 24.07.2025

Eine Ehe zerbricht

Die Nachbarin
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England, anfangs der 1950er Jahre. Seit zwölf Jahren ist die feinfühlige, etwas verträumte Imogen mit dem wesentlich älteren, eher spröden Kronanwalt Evelyn verheiratet. Es war keine Liebesheirat, aber ...

England, anfangs der 1950er Jahre. Seit zwölf Jahren ist die feinfühlige, etwas verträumte Imogen mit dem wesentlich älteren, eher spröden Kronanwalt Evelyn verheiratet. Es war keine Liebesheirat, aber in der englischen Oberschicht durchaus passend. Das Paar bewohnt samt Personal ein Anwesen auf dem Lande, während Evelyn auch in London eine kleine Wohnung hat, die er seiner Arbeit wegen wochentags bewohnt. Mit Stolz präsentiert er bei Veranstaltungen und auf Festen seine hübsche, elegante junge Frau. Dann lernt das Paar die Besitzerin des Nachbar-Anwesens kennen, die ältere, eher reizlose Blanche. Sie versteht es, Evelyn mit langen Gesprächen über die Jagd, über Fischen, aber auch über Bankgeschäfte zu fesseln und sein Interesse zu wecken. Mehr und mehr verbringt er seine Zeit bei Blanche. Wie lange kann Imogen das hinnehmen und die Fassade einer glücklichen Ehe aufrecht erhalten?

Elizabeth Jenkins, geb. 1905 und gest. 2010 als 105jährige in Hampstead, London. Sie schrieb zahlreiche Romane, Biografien und Novellen, die sie zu einer der führenden Autorinnen Großbritanniens machten. Ihr Roman „The Tortoise and the Hare" aus dem Jahre 1954 wurde jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt und erschien unter dem Titel „Die Nachbarin“ 2025 im Suhrkamp-Verlag.

Mit psychologischem Scharfsinn und sehr präzise beobachtet die Autorin das allmähliche Auseinanderbrechen einer Ehe. Mit viel Ironie behandelt sie die Themen Beziehung und Eifersucht und wirft dabei die Frage auf, wie gut man einen Menschen wirklich kennt. Ohne in Klischees zu verfallen schildert sie das weibliche Rollenverhalten der damaligen Zeit, beeinflusst vom herrschenden gesellschaftlichen Druck – und im Gegensatz dazu das männliche Benehmen mit seiner überheblichen Dominanz. Die Protagonisten sind sehr gut gezeichnet. Beide Frauentypen unterscheiden sich im Wesen ganz klar voneinander und auch alle anderen Figuren wirken lebensecht und authentisch.

Fazit: Ein ruhiger, ironischer Gesellschaftsroman mit psychologischem Tiefgang über Ehe und soziales Verhalten – auch heute noch interessant und lesenswert!

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