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Veröffentlicht am 04.08.2021

Vom Roman zur Realität

Der Schatten des Windes
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Daniel ist 10 Jahre alt, als er von seinem Vater in eine geheime Bibliothek, den Friedhof der vergessenen Bücher, mitgenommen wird. Nach altem Brauch darf er sich ein Buch aussuchen, es adoptieren und ...

Daniel ist 10 Jahre alt, als er von seinem Vater in eine geheime Bibliothek, den Friedhof der vergessenen Bücher, mitgenommen wird. Nach altem Brauch darf er sich ein Buch aussuchen, es adoptieren und dafür sorgen, dass es nie verschwindet und nie vergessen wird. Daniel entscheidet sich für „Der Schatten des Windes“ von Julián Carax, ein Buch, von dem er bisher noch nie etwas gehört hatte und dessen Autor ihm unbekannt ist. Ohne zu ahnen welche Lawine er los tritt, beginnt er Jahre später mit Nachforschungen über Julián Carax und seine Werke, die ein Unbekannter bereits größtenteils schon vernichtet hat. Dabei entdeckt er einige Parallelen zwischen sich und dem Autor des Buches. Dass er jedoch sein Leben und das seiner Freunde und Helfer riskiert, wird ihm erst sehr spät bewusst – zu spät?

Der spanische Schriftsteller Carlos Ruiz Zafón wurde 1964 in Barcelona geboren und wuchs auch dort auf. Nach Schule und Studium zog er als Dreißigjähriger nach Los Angeles, wo er mit Schreiben begann und als Drehbuchautor und Korrespondent für spanische Zeitungen arbeitete. 2004 kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wo auch alle seine Werke veröffentlicht wurden. Für seinen Erstlingsroman „Der Schatten des Windes“ erhielt er 2005 den Barry Award. Der Autor war verheiratet und hatte keine Kinder - er starb am 19. Juni 2020 nach längerer Krebserkrankung in Los Angeles.

Mit großer erzählerischer Kraft und Lust am Detail lässt Carlos Ruiz Zafón hier den Protagonisten Daniel das Leben von Julián Carax, dem geheimnisvollen Autor des Buches „Der Schatten des Windes“, nachverfolgen. Herausgekommen ist eine fesselnde Geschichte über Liebe und Leid, Verlust und Tod, in Spanien zur Zeit des Bürgerkrieges und in Barcelona während der Franco-Ära, die den Leser nachdenklich stimmt und zum Miträtseln einlädt. Aus vielen Bruchstücken und unterschiedlichen Handlungssträngen ergibt sich nach und nach ein zunächst unübersichtlicher Thriller, bis dann etwa in der Mitte des Buches die Zusammenhänge klarer werden. Durch geschickt eingefügte Wendungen und in die Irre führende Spuren bleibt das hohe Spannungsniveau jedoch bis zum Schluss erhalten.

Fazit: Eine abenteuerliche Geschichte über das Leben, das Lesen und die Liebe zu Büchern – sehr empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 21.07.2021

Trügerische Idylle

Die Frauen am Fluss
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England 1922: Nach einem Skandal, der die aus wohlhabendem Hause stammende Irene in der Londoner Gesellschaft ins Abseits stellte, heiratete sie den Gutsherrn Alistair Hadlight und zog zu ihm nach Slaughterford, ...

England 1922: Nach einem Skandal, der die aus wohlhabendem Hause stammende Irene in der Londoner Gesellschaft ins Abseits stellte, heiratete sie den Gutsherrn Alistair Hadlight und zog zu ihm nach Slaughterford, einem kleinen Dorf in der Grafschaft Wiltshire. An das Landleben dort konnte sich die junge Frau nur zögerlich gewöhnen, da ihr sowohl Nancy, die Tante ihres Ehemannes und bisherige Gutsherrin, als auch einige Dorfbewohner mit Misstrauen begegneten. Einzig mit Pudding, der 16jährigen Tochter des Dorfarztes und Stallmädchen bei den Hadlights, konnte sie sich anfreunden. Als dann Alistair, Irenes Mann, brutal ermordet und Puddings Bruder Donald verdächtigt wird, begeben sich die beiden Frauen gemeinsam auf die Suche nach der Wahrheit. Dann ist da noch die 17jährige Clemmie, ein stummes Mädchen das in Eli Tanner verliebt ist, dessen Familie als üble Bande im Dorf verschrien ist und die alle auch irgendwie in die Geschichte verwickelt sind.

Die britische Schriftstellerin Katherine Webb wurde 1977 geboren und wuchs in der Grafschaft Hampshire im Süden Englands auf. Sie studierte Geschichte an der University of Durham und arbeitete anschließend in einigen Aushilfsjobs als Kellnerin, Verkäuferin, in Bibliotheken und war auch als Hausmädchen in Herrenhäusern tätig. Während dieser Zeit begann sie mit Schreiben. Ihr erster Roman erschien 2011, einige weitere folgten, die alle in der Spiegel-Bestsellerliste erschienen. Nach Aufenthalten in London und Venedig lebt die Autorin heute in der Nähe von Bath/England.

Die Autorin macht uns zunächst ausführlich mit der geografischen Lage des Ortes Slaughterford mit seinen beiden Mühlen, seinen Bewohnern mit ihren Eigenarten, den wichtigsten Personen und wie sie in Bezug zueinander stehen, bekannt. Dies ist zwar sehr lobenswert, aber wenn etwa ein Drittel des Buches sonst nichts weiter geschieht, wird es ermüdend und langweilig. Als endlich der im Klappentext erwähnte Mord passiert, kommt etwas Schwung in die Geschichte. Leider hält der nicht allzu lange an und es beginnt Nancys und Puddings endlose Suche nach der Wahrheit, nach dem Mörder und nach den Geheimnissen des idyllischen Dorfes. Der Knalleffekt kommt dann zum Ende, als sich die verworrene Geschichte endlich aufklärt und man sich als Leser doch ziemlich veralbert vorkommt.

Fazit: Schöner Schreibstil, seltsamer Aufbau mit verschiedenen Zeitebenen – hatte mir mehr erwartet.

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Veröffentlicht am 12.07.2021

Tragödie in der Kälte

Die Liebenden vom Ende der Welt
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Deborah Gardner ist Biologin und arbeitet für das Antarktis-Pinguin-Projekt. Mit der „Cormorant“, einem Forschungsschiff, das aus finanziellen Gründen auch zahlende Passagiere mitnimmt, ist sie unterwegs ...

Deborah Gardner ist Biologin und arbeitet für das Antarktis-Pinguin-Projekt. Mit der „Cormorant“, einem Forschungsschiff, das aus finanziellen Gründen auch zahlende Passagiere mitnimmt, ist sie unterwegs auf dem eisigen Kontinent, um Touristen zu den Pinguin-Kolonien zu führen und ihnen die Schönheiten dieser unberührten Gegend näher zu bringen. Dabei erinnert sie sich an frühere Fahrten in die Antarktis, daran wie sie Keller Sullivan kennen und lieben lernte, wie sie gemeinsam die Brutplätze der Tiere erforschten und dokumentierten – und an die große Katastrophe und ihre persönliche Tragödie vor fünf Jahren, als das riesige Passagierschiff „Australis“ mit 1600 Menschen an Bord weitab der normalen Route ins Packeis geriet, von einem Eisberg aufschlitzt wurde und sank …

„Die Liebenden vom Ende der Welt“ (Originaltitel „My Last Continent“) ist der erste Roman der amerikanischen Autorin Midge Raymond, die zuvor lange im Verlagswesen in New York gearbeitet und in Boston kreatives Schreiben unterrichtet hatte. Heute lebt sie in Oregon und führt dort einen kleinen Verlag.

Anders als der deutsche Titel zunächst vermuten lässt, steht in diesem großartig geschriebenen Roman eindeutig die Antarktis in all ihrer Schönheit, ihrer Stille und Einsamkeit, sowie ihrer brutalen menschenfeindlichen Kälte im Mittelpunkt. Die Liebesgeschichte selbst war für mich nur eine wunderschöne Nebenhandlung, die trotz ihrer Dramatik sehr real und zu keiner Zeit schnulzig wirkt. Die Autorin lässt Deborah, die Hauptfigur dieser Geschichte, selbst erzählen. In Rückblenden erinnert sie sich an Episoden aus ihrem früheren Leben und daran, wie sie dazu kam, Pinguine in der Antarktis zu erforschen und dabei für Touristen die Fremdenführerin zu machen. Sie denkt darüber nach, wie sie einige Jahre zuvor Keller Sullivan, ihre große Liebe, kennenlernte. Ihn haben zunächst private Gründe in die Antarktis geführt, wo er bald den Sinn seines Lebens in der Rettung der Natur und der Pinguine fand. Wir erfahren auch wie es dazu kam, dass Keller sich auf dem Passagierschiff „Australis“ befindet, das nun langsam aber sicher der Katastrophe zusteuert.

Fazit: Ein Buch, dessen Sog ich mich nicht entziehen konnte und das wohl noch lange in mir nachklingen wird. Neben einer schönen Liebesgeschichte erhält man sehr viele Informationen über die Antarktis, über die Erderwärmung und das Schmelzen des Poleises sowie über die durch den Menschen verursachte Dezimierung der Vogelwelt. Meine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 08.07.2021

Freud und Leid in Holt

Abendrot
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Wir sind wieder in Holt, einer verschlafenen Kleinstadt in der endlosen Weite Colorados, und treffen dort zunächst auf alte Bekannte. Es sind zwei Jahre vergangen seit die McPheron-Brüder die schwangere ...

Wir sind wieder in Holt, einer verschlafenen Kleinstadt in der endlosen Weite Colorados, und treffen dort zunächst auf alte Bekannte. Es sind zwei Jahre vergangen seit die McPheron-Brüder die schwangere 17jährige Victoria, die von ihrer Mutter verstoßen wurde, bei sich aufgenommen haben. Die beiden alten Männer sind kaum wieder zu erkennen, Victoria und ihr Kind haben Glück und Freude in ihr Leben gebracht und ihrem Dasein einen Sinn gegeben. Wenig Freude hat die Familie Wallace, die in einem alten Container am Rande von Holt mit zwei Kindern von Sozialhilfe lebt. Das älteste Mädchen wurde in einer Pflegefamilie untergebracht. Ganz schlimm wird die Situation, als sich der Bruder der Frau, ein entlassener Sträfling, bei ihnen einnistet. Im Rausch verprügelt er ständig die Kinder und die Eltern sind nicht in der Lage, dies zu verhindern. Dann ist da noch DJ, ein elfjähriger Junge, dessen Mutter bei einem Autounfall ums Leben kam und dessen Vater auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Er lebt jetzt bei seinem alten Großvater, kümmert sich liebevoll um ihn und führt ihm den Haushalt. Etwas Freude bringt Dena, ein gleichaltriges Nachbarmädchen in DJs Leben. Um dem tristen Alltag zu entfliehen treffen sich die beiden Kinder in einer verlassenen Scheune, die sie gemütlich eingerichtet haben. Doch Freud und Leid liegen eng beieinander. Es kommen weitere Personen hinzu, kreuzen für einige Zeit den Weg unserer Protagonisten und nehmen Einfluss auf deren weiteres Schicksal …

Der Roman „Abendrot“ des US-Schriftstellers Kent Haruf (1943-2014) erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel „Eventide“ in New York und wurde nun, 2019, in deutscher Sprache vom Diogenes-Verlag herausgebracht. Der in Colorado beheimatete Lehrer schrieb insgesamt sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt spielen und für die er einige Preise und Auszeichnungen erhielt.

Es sind die einfachen Leute, ihr tägliches Leben und ihre alltäglichen Sorgen und Mühen, über die der Autor in seinen Büchern so stimmungsvoll erzählt. Dabei ist sein Schreibstil als ruhig und distanziert zu bezeichnen. Es gelingt ihm großartig, Gefühle einfach und schön auszudrücken. Er fesselt den Leser an die Geschichte, ohne unnötige Spannung entstehen zu lassen. Nach kurzer Zeit hat man sich auch daran gewöhnt, dass die wörtlichen Reden nicht durch Satzzeichen hervorgehoben sind. Kurze Kapitel und knappe Dialoge erzeugen mit sparsamen Worten das unbestimmte Gefühl, dass bald noch etwas Entscheidendes passieren wird. Bemerkenswert ist der meist liebevolle und feinfühlige Umgang der Protagonisten untereinander. Doch man findet auch andere Töne. So kann man einige Szenen durchaus als kalt und hartherzig, ja manchmal sogar als brutal bezeichnen. Dennoch ist es ein Buch, das zufrieden und glücklich macht - das ich sehr gerne gelesen habe und sicher noch einmal zur Hand nehmen werde.

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Veröffentlicht am 06.07.2021

Der 1. Fall für Kriminalkommissar Roland Benito

Der Schrei der Kröte
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Es ist ein schwülwarmer Sommertag, als im dänischen Aarhus in einem Abfallcontainer die Leiche eines Mädchens entdeckt wird. Es ist die 10jährige Gitte Mikkelsen, die auf dem Weg zu einer Freundin war. ...

Es ist ein schwülwarmer Sommertag, als im dänischen Aarhus in einem Abfallcontainer die Leiche eines Mädchens entdeckt wird. Es ist die 10jährige Gitte Mikkelsen, die auf dem Weg zu einer Freundin war. Kriminalkommissar Roland Benito übernimmt den Fall, tatkräftig unterstützt von seinem Freund, dem Rechtsmediziner Henry Leander. Doch die Ermittlungen kommen nur schleppend voran. Es fehlt jegliches Motiv, denn ein zunächst vermuteter sexueller Missbrauch kann nicht nachgewiesen werden. Erste Hinweise erhält die Polizei durch die Journalistin Anne Larsen und der Fotografin Kamilla Holm. Das Mädchen war offenbar im Chatroom eines Forums aktiv. Als dann die Freundin der Ermordeten befragt werden soll, ist diese spurlos verschwunden. Jetzt wächst der Druck der Öffentlichkeit, das Mädchen muss gefunden und der Mörder gefasst werden …

Bevor sie mit Schreiben begann, arbeitete die dänische Autorin Inger Gammelgaard Madsen (1960) lange Zeit als Grafikdesignerin in verschiedenen Werbeagenturen. 2008 debütierte sie mit „Der Schrei der Kröte“, dem ersten Band einer inzwischen zwölf Bände umfassenden Krimireihe um den Ermittler Roland Benito, die von Kritik und Publikum begeistert aufgenommen wurden. 2010 gründete Madsen ihren eigenen Verlag Farfalla, und widmet sich seit 2014 ganz dem Schreiben. Heute lebt die Autorin in Aarhus, der Stadt in deren Nähe sie geboren wurde und in der auch ihre Roland-Benito-Krimis spielen.

In diesem ersten Band der Krimireihe lernen wir Roland Benito als einen Kommissar mit Fehler und Schwächen kennen. Seine Handlungen sind sehr menschlich und er benötigt viel Hilfe. Die erhält er hauptsächlich von der jungen Reporterin Anne Larsen, die selbst Karriere machen will und deshalb auch öfters illegale Mittel einsetzt. Auch sie hat, wie mehrere Protagonisten in dieser Geschichte, mit Problemen aus der Vergangenheit zu kämpfen. Dabei kann es leicht passieren, dass man als Leser, bedingt durch die zahlreichen Nebenhandlungen, den eigentlichen Fall, Kindesmord und Entführung, zeitweilig aus den Augen verliert.

Der Schreibstil ist flüssig, klar, präzise und schnörkellos. Leider wird der Lesefluss durch die vielen ungewohnten dänischen Namen und Ortsbeschreibungen, zumindest zu Anfang, etwas gehemmt. Es dauert seine Zeit bis man sich an die vielen Akteure gewöhnt hat und sie auseinander halten kann, doch dann entsteht eine angenehme Schreibstruktur. In einigen kurzen Kapiteln lässt die Autorin auch den Täter zu Wort kommen. Man erfährt von ersten Eindrücken während seiner Kindheit und von seinen Gefühlen und Empfindungen, ohne jedoch irgendeinen Hinweis auf seine Identität zu erhalten. Man tappt tatsächlich bis zum Schluss im Dunkeln.

Fazit:* Ein solider Krimi, der als erster Band einer Serie noch Luft nach oben lässt.

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