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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.10.2023

Wenn der Alltag zur Routine wird …

Das Glutnest
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Als Teenager hat sich Stacey ihr Leben anders vorgestellt. Jetzt ist sie 38, verheiratet mit einem mäßig erfolgreichen Mann und Mutter von vier Kindern. Zutiefst unzufrieden mit ihrem Dasein als Hausfrau ...

Als Teenager hat sich Stacey ihr Leben anders vorgestellt. Jetzt ist sie 38, verheiratet mit einem mäßig erfolgreichen Mann und Mutter von vier Kindern. Zutiefst unzufrieden mit ihrem Dasein als Hausfrau hat sie an allem und jedem zu mäkeln. Sie lässt ihren Gedanken freien Lauf, kritisiert sich selbst und andere. Gedanklich verweilt sie oft in ihrer Jugendzeit, als sie noch in Manawaka lebte und voller Leidenschaft und Schwung war. Da hilft es auch nicht, ihren Frust und ihre Gefühle zeitweise mit Gin Tonic zu betäuben. Doch dann geschehen einige Dinge die ihr endlich klar machen, dass ihr Leben gar nicht so schlecht ist …

Die kanadische Schriftstellerin Margaret Laurence wurde 1926 geboren und starb 1987 durch Selbstmord, nachdem bei ihr Lungenkrebs diagnostiziert worden war. Sie zählt neben Margaret Atwood und Alice Munro zu den bedeutendsten Autorinnen Kanadas. Der vorliegende Roman erschien bereits 1969 unter dem Titel „The Fire-Dwellers“ und wurde erst jetzt, 2023, in deutscher Übersetzung von Monika Baark unter dem Titel „Das Glutnest“ vom Eisele-Verlag München veröffentlicht.
Ausgezeichnet beobachtet und von der Autorin schonungslos, aber dennoch sehr feinfühlig zu Papier gebracht, sind hier die Gedanken und Gefühle einer unglücklichen, mit sich selbst unzufriedenen Frau. Sie lässt Stacey selbst erzählen und uns so hautnah an deren innerer Unausgeglichenheit teilhaben. Hin- und hergerissen zwischen Sympathie und Abneigung zur Protagonistin erleben wir als Leser einen Überschwang an Gefühlen, Aufregungen und versöhnlichen Momenten. Ein ruhiger, besinnlicher Schluss lässt uns mit der Protagonistin auf eine friedlichere, glücklichere Zukunft hoffen.
Fazit: Nicht unbedingt eine Geschichte zum Wohlfühlen, aber ein beeindruckender Roman, den ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 25.10.2023

Eine Künstlerin beweist sich

Ich bin Frida
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Frida Kahlo ist in der Mitte ihrer Jahre, als sie endlich den Durchbruch als Malerin und Künstlerin hat. Bisher stand sie als Ehefrau und Muse des bekannten mexikanischen Malers Diego Rivera stets in dessen ...

Frida Kahlo ist in der Mitte ihrer Jahre, als sie endlich den Durchbruch als Malerin und Künstlerin hat. Bisher stand sie als Ehefrau und Muse des bekannten mexikanischen Malers Diego Rivera stets in dessen Schatten, nun soll sie in einer bekannten New Yorker Galerie und danach in Paris eine eigene Ausstellung bekommen. Zum ersten Mal ist sie alleine, ohne Diego, unterwegs. Das ist künstlerisch ihre große Chance – und endlich hat sie auch die Möglichkeit, sich als selbständige Frau zu bewähren. Sie verliebt sich in den Fotografen Nickolas Muray und erlebt ein Chaos der Gefühle. Als er von ihr eine Entscheidung verlangt merkt sie, dass sie auch ihren Mann Diego immer noch liebt …

Caroline Bernard ist das Pseudonym der 1961 in Hamburg geborenen deutschen Schriftstellerin und Lektorin Tania Schlie, die auch unter einem weiteren Pseudonym Greta Hansen schreibt. Sie studierte Germanistik und Politikwissenschaften in Hamburg und Paris. Nach dem Abschluss arbeitete sie als Verlagslektorin. Sie veröffentlichte sowohl unter ihrem tatsächlichen Namen als auch unter den beiden Pseudonymen bereits zahlreiche Romane. Heute arbeitet Tania Schlie als freie Lektorin, Journalistin und Autorin. Sie hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Glückstadt an der Elbe.

Wer hat nicht schon von Frida Kahlo gehört, gelesen oder ihre Bilder betrachtet und sich dabei gedacht, wer war diese Frau? Sehr gut recherchiert und von der Autorin ohne zu beschönigen, aber dennoch gefühlvoll und empfindsam beschrieben, ist hier ein Ausschnitt aus dem Leben dieser Aufsehen erregenden, sinnlichen Frau und vielseitig begabten Künstlerin. Hin- und hergerissen zwischen Sympathie und Ablehnung werden wir hier mit einem Überschwang an Gefühlen konfrontiert. Wir erfahren, dass Frida Kahlo zeitlebens mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte und von Schmerzen geplagt wurde. Ein verkürztes Bein, das nach überstandener Kinderlähmung zurück blieb, und etliche Brüche, die durch einen schweren Verkehrsunfall entstanden, versuchte sie stets zu verbergen – war aber dennoch voller Lebenslust.

Der Schreibstil der Autorin ist angenehm flüssig, sodass sich das Buch schnell lesen lässt. Sie schafft es mühelos, die historischen Personen in eine lebendige Handlung einzubauen. Leider haben sich einige Längen und Wiederholungen eingeschlichen (Frida lässt gefühlt etwas zu oft ihre Röcke schwingen, erwähnt mehrfach ihren Unfall und stöhnt häufig über ihre Schmerzen), und etliche schwülstige Passagen könnten einem seichten Liebesroman entsprungen sein. Ein kurzes Nachwort der Autorin über das weitere Schicksal der Frida Kahlo und eine Auflistung der wichtigsten in New York und Paris ausgestellten Bilder runden die Geschichte gekonnt ab.

Fazit: Wer sich für das Leben und die Bilder von Frida Kahlo interessiert, sollte dieses Buch unbedingt lesen.

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Veröffentlicht am 24.10.2023

Schreibblockade und andere Kümmernisse

Rauch und Schall
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Bisher brachte eine Reise immer die gewünschte Inspiration, doch diesmal blieb sie aus. Goethe kommt zurück aus der Schweiz und seine Schreibblockade hält noch immer an. Es will ihm einfach nichts einfallen, ...

Bisher brachte eine Reise immer die gewünschte Inspiration, doch diesmal blieb sie aus. Goethe kommt zurück aus der Schweiz und seine Schreibblockade hält noch immer an. Es will ihm einfach nichts einfallen, seine Gedanken sind wie Rauch und Schall, sein Geist ist leer. Dabei drängt die Zeit, der herzogliche Hof erwartet von ihm zur Geburtstagsfeier der Herzogin ein Festgedicht. Was tun? In seiner größten Not bietet Schwager Christian August Vulpius, ein von Goethe als Lohnschreiber verachteter Schriftsteller, seine Hilfe an. Goethe ist außer sich, das geht doch nicht. Ausgerechnet ein Schreiber seichter Romane soll sein Festgedicht schreiben, nie und nimmer! Doch er braucht dringend Hilfe …

Charles Lewinsky ist ein Schweizer Schriftsteller, der 1946 in Zürich geboren wurde. Er studierte in Zürich und Berlin Germanistik und Theaterwissenschaft. 1984 veröffentlichte er sein erstes Buch, es folgten zahlreiche weitere Romane, Theaterstücke und Drehbücher. Bei uns richtig bekannt wurde er 2020, als sein Roman „Der Halbbart“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand und er für den Schweizer Buchpreis nominiert wurde. Lewinsky wohnt in Zürich und im französischen Vereux.

„Goethe hatte Hämorrhoiden“, schon dieser erste Satz des Romans regt zum Schmunzeln an. Als „einzigartiger Lesespaß“ wird dieses Buch angepriesen - und das ist keine Übertreibung. Einfach herrlich, wie der Autor hier einerseits mit gut recherchierten Fakten und andererseits mit fantasievoll erfundenen Unwahrheiten über Goethes Schreibblockade, deren Existenz belegt sein soll, aufwartet.

Brillante Situationskomik wechselt in rascher Folge mit unterhaltsamen Gesprächen zwischen Goethe und Herzog Carl August oder Schwager Vulpius – die Weimarer Zeit und Goethes Familie, Christiane und Sohn August, sind weitere interessante Themen. Wie es zum erfolgreichsten deutschen Räuberroman des 19. Jahrhunderts – „Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann“ von Christian August Vulpius“ – gekommen sein soll, wird ebenfalls erörtert. Was man in dieser Geschichte als Wahrheit, und was man als möglicherweise ausgedacht empfindet, bleibt jedem Leser selbst überlassen.

Fazit: Großartig gelungen! Etwas störend für mich waren lediglich die vielen eingefügten lateinischen Aphorismen, die den Lesefluss etwas hemmen.

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Veröffentlicht am 15.10.2023

Ein Tag wie jeder andere, alles ganz normal?

Das Vermächtnis unsrer Väter
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Es geschah vor 20 Jahren auf der kleinen, abgeschiedenen schottischen Hebriden-Insel Litta, als John Biard unversehens zur Schrotflinte griff und seine Frau Katrina, seinen 10jährigen Sohn Nicky, seine ...

Es geschah vor 20 Jahren auf der kleinen, abgeschiedenen schottischen Hebriden-Insel Litta, als John Biard unversehens zur Schrotflinte griff und seine Frau Katrina, seinen 10jährigen Sohn Nicky, seine einjährige Tochter Beth und sich selbst erschoss. Nur der 8jährige Tommy überlebte im Kleiderschrank versteckt das Massaker. Er wurde von Malcolm, dem Bruder seines Vaters, und seiner Frau Heather aufgenommen und lebte bei ihnen, bis er als Halbwüchsiger die Insel verließ. Jetzt ist er plötzlich zurückgekehrt, was für viel Aufregung unter den Bewohnern sorgt. Schuldgefühle und verdrängte Erinnerungen kehren zurück. Welche Schuld trifft Freunde und Verwandte? Hätte man das unbegreifliche Geschehen verhindern können?

Die Autorin Rebecca Wait wurde 1988 geboren und war als Kind viel in den schottischen Highlands und auf den Hebriden. Sie studierte an der Oxford University und schloss ihr Englischstudium 2010 mit Bestnote ab. Für ihre Romane, Kurzgeschichten und Theaterstücke gewann sie bereits zahlreiche Preise. Sie lebt in London und arbeitet dort als Lehrerin.

In dem 2021 beim Kein & Aber erschienenen Roman „Das Vermächtnis unsrer Väter“ erzählt uns die Autorin ein Geschichte von Schuld, verdrängten Erinnerungen und von Verantwortung gegenüber seiner Familie und gegenüber sich selbst. Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten, dem längsten Teil, nehmen wir Teil am Familienleben der Biards, lernen die Nachbarn und Freunde kennen und erfahren einiges über das Leben auf der einsamen, abgeschiedenen Insel – und lesen über die für alle unfassbare Tat. Der zweite Teil versetzt uns zurück in das kurze Leben der Mutter Katrina, von ihrer Kindheit bis zur Heirat mit John, die ihr plötzlich jegliche Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit nahm. Der dritte Teil dann bringt etwas mehr Aufklärung in die Geschichte, die bis dahin viele Fragen aufwarf. Wir erfahren von der Gewissenslast, die Tommy als Erwachsener immer noch mit sich rumschleppt, aber auch von Schuld und Unterlassung anderer Inselbewohner.

Der Schreibstil ist sehr gut dem jeweiligen Geschehen angepasst und zieht den Leser förmlich rein in die Geschichte. Man fragt sich unwillkürlich, welche Schuld Verwandte, Freunde und Nachbarn auf sich geladen haben. Sind unsere Charaktermerkmale angeeignet, Veranlagung oder sind sie vererbt? Tragen wir tatsächlich die Fehler unserer Väter (oder Mütter) in uns? Spannende Fragen, dem sich der Protagonist und auch wir stellen müssen und die letztendlich jeder für sich selbst entscheiden muss.

Fazit: Ein lesenswerter Roman der uns anregt über die Umstände nachzudenken, die uns zu dem Menschen gemacht haben, der wir heute sind.

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Veröffentlicht am 11.09.2023

Gedanken eines Chaoten

Kleine Probleme
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Seinen Beruf hatte er vor langer Zeit schon aufgegeben, nennt sich jetzt Schriftsteller und möchte sein Lebenswerk schreiben, der neunundvierzigjährige Lars Cornelius Messerschmitt. Er hat viele Pläne ...

Seinen Beruf hatte er vor langer Zeit schon aufgegeben, nennt sich jetzt Schriftsteller und möchte sein Lebenswerk schreiben, der neunundvierzigjährige Lars Cornelius Messerschmitt. Er hat viele Pläne über die er ausgiebig nachdenkt, doch dabei ist es bisher immer geblieben. Sein Studium der Philosophie und Theaterwissenschaften brach er ab, arbeitete dann und wann beim Fernsehen und blieb dann, als die Kinder kamen, zu Hause, um sich dem Schreiben seines Lebenswerkes zu widmen. Seit einem halben Jahr ist er alleine, die Kinder sind bereits aus dem Haus und seine Lebensgefährtin Johanna hat sich eine Auszeit in Lissabon genommen. Heute, am 31. Dezember, wird sie zurück erwartet. Lars weiß, um sie nicht zu verlieren muss alles ordentlich sein, und hat deshalb eine ToDo-Liste erstellt, von der jedoch bis jetzt noch nichts abgearbeitet ist. Er gerät daher ordentlich in Stress als er sich dessen gewahr wird und versucht nun, in der kurzen noch verbleibenden Zeit alles zu erledigen. Die Wohnung ist vermüllt und verdreckt und sollte geputzt werden, ein Bett muss aufgebaut werden, die Steuererklärung ist noch nicht geschrieben und die Dachrinne noch nicht gereinigt – und zudem hat Johanna ihn am Telefon gebeten, einen Nudelsalat zuzubereiten. Doch Lars wäre kein Chaot, wenn das alles reibungslos klappen würde …

Nele Pollatschek, geb. 1988 in Berlin, ist eine deutsche Schriftstellerin, Publizistin und Journalistin. Sie studierte Englische Literatur und Philosophie in Heidelberg, Cambridge und Oxford, wo sie 2018 promovierte. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie bereits 2016, ein Sachbuch folgte 2020, bevor der Verlag Kiepenheuer & Witsch 2023 „Kleine Probleme“ herausbrachte. Nele Pollatschek erhielt einige Förderpreise und 2022 den Deutschen Reporterpreis. Sie schreibt für die Süddeutsche Zeitung und lebt im Odenwald und in Oxford.

Sehr emotional, beinahe philosophisch, und mit einem guten Schuss Humor beschreibt die Autorin eine alltägliche Geschichte, die jeden von uns irgendwie betrifft. Wer hat nicht schon anstehende Arbeiten vor sich hergeschoben und gehofft, es würde sich alles alleine erledigen? Eine ToDo-Liste kann sehr hilfreich sein, wenn man sie auch abarbeitet. Unser Held ist ein Chaot und bringt nichts auf die Reihe, aber seine Gedanken über Putzen und Hausarbeit sind einfach großartig, seine Pläne als Schriftsteller und seine Angewohnheit alles auf später zu verschieben und erst mal eine Zigarette zu rauchen sind einfach brillant.

Der Schreibstil der Autorin ist der Hektik des Geschehens wunderbar angepasst. Man ist während des ganzen Romans nur bei Lars, hört ihm zu und folgt seinen Gedankengängen, wodurch man emotional tief mit ihm verbunden ist. Die anderen Figuren lernt man nicht persönlich, sondern nur durch Lars Erinnerungen und Erzählungen kennen. Man leidet mit ihm wenn er alles, aber auch alles versucht, die anstehenden Aufgaben noch rechtzeitig vor Mitternacht zu erledigen. Doch zuvor muss er natürlich noch Kräfte sammeln, sich ausruhen und noch eine Zigarette rauchen, obwohl er es sich doch abgewöhnen wollte. Ob er es schafft, alles auf seiner Liste abzuhaken? Bis dahin erleben wir einige aufregende, aber auch vergnügliche Lesestunden und sagen dann ganz entspannt: „Frohes Neues Jahr“.

Fazit: Ein Roman, der gut unterhält und uns ermahnt, anstehende Aufgaben jetzt zu erledigen und nicht auf später zu verschieben. Meine Leseempfehlung!

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