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Veröffentlicht am 19.03.2020

Was am Ende bleibt

Dankbarkeiten
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Michka ist alt geworden. Bisher kam sie noch ganz gut alleine zurecht, doch seit einiger Zeit lässt das Gedächtnis nach – sie verliert und verwechselt Wörter und kann sich nicht mehr richtig ausdrücken. ...

Michka ist alt geworden. Bisher kam sie noch ganz gut alleine zurecht, doch seit einiger Zeit lässt das Gedächtnis nach – sie verliert und verwechselt Wörter und kann sich nicht mehr richtig ausdrücken. Als sie dann infolge häufiger Stürze ans Haus gefesselt ist, verliert sie auch noch sämtliche sozialen Kontakte. Ein Glück, dass es die junge Marie gibt, die als Kind oft von Michka betreut wurde. Sie kümmert sich rührend um sie und hilft ihr, einen Platz im Seniorenheim zu bekommen. Über die Monotonie des dortigen Alltags, ihre Ängste und nächtlichen Albträume helfen ihr die regelmäßigen Besuche des jungen Logopäden Jérôme, zu dem sie sehr rasch Vertrauen fasst. Ihm vertraut sie auch an, dass sie dem Ehepaar, das ihr während des Krieges das Leben gerettet hat, solange es noch möglich ist ihre Dankbarkeit ausdrücken möchte. Marie bemüht sich schon lange darum die Leute zu finden, doch ohne genauen Namen und Adresse ein schwieriges Unterfangen – nun erhält sie Hilfe von Jérôme …

Delphine de Vigan ist eine französische Schriftstellerin. Sie wurde 1966 in Paris geboren und lebt heute noch mit ihren beiden Kindern in dieser Stadt. Neben ihrer Tätigkeit an einem soziologischen Forschungsinstitut hat sie seit 2001 mehrere Romane veröffentlicht, für die sie einige bedeutende französische Literaturpreise erhielt.

„Dankbarkeiten“ ist ein unglaublich berührendes Buch, das zum Innehalten und Nachdenken anregt. Es greift Themen auf, mit denen wir alle früher oder später konfrontiert werden. Zeigen wir denen, die uns zu dem gemacht haben was wir sind, wirklich unsere Dankbarkeit und Zuneigung oder warten wir damit, bis es eines Tages zu spät ist? Sollte man mit seiner Vergangenheit ins Reine kommen, um in Ruhe in die Zukunft blicken zu können? Wie kann man in Würde altern, wenn einem Körper und Geist im Stich lassen?

Doch nicht nur Trauriges und Bedrückendes, sondern auch Hoffnung und Zuversicht ist aus den Zeilen zu lesen. Der Schreibstil ist, wie von der Autorin gewohnt, außerordentlich intensiv und mitreißend. Die drei Protagonisten, aus deren Perspektive jeweils berichtet wird, sind sehr sympathisch und ihre Handlungen jederzeit nachvollziehbar. So erfährt der Leser auch Begebenheiten aus deren Kindheit und Jugendzeit, die ihr ganzes späteres Leben prägen werden.

Fazit: Ein großartiges Buch, das berührt und aufrüttelt – meine absolute Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 10.03.2020

Hirschgulasch und Herzprobleme

Das eiserne Herz des Charlie Berg
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Charlie Berg hat große Pläne für die Zukunft. Trotz seines schwachen Herzens gelang es ihm die Zivildienststelle im Leuchtturm zu bekommen, wo er in Ruhe ein Buch schreiben will. Bisher fühlte sich der ...

Charlie Berg hat große Pläne für die Zukunft. Trotz seines schwachen Herzens gelang es ihm die Zivildienststelle im Leuchtturm zu bekommen, wo er in Ruhe ein Buch schreiben will. Bisher fühlte sich der 19Jährige als Depp der Familie, der den Haushalt schmiss und seine kleine Schwester aufzog, während seine Mutter mit einer verrückten Schauspieltruppe durchs Land reiste und sein Vater ständig bekifft im Keller Musik machte. Doch alles sollte anders kommen und nichts ist mehr wie zuvor. Ein Jagdausflug mit Opa stellt sein Leben auf den Kopf: Der Hirsch ist zwar tot – Opa aber auch – und im Gebüsch liegt eine weitere Leiche …

„Das eiserne Herz des Charlie Berg“ ist der Debütroman des 1974 geborenen deutschen Medienkünstlers, Musikproduzenten und Podcasters Sebastian Stuertz. Er wuchs am Steinhuder Meer auf, lebt und arbeitet in Hamburg, wo er auch 2019 den Hamburger Förderpreis für Literatur erhielt.

Zunächst war ich von der Inhaltsangabe und einer Leseprobe begeistert. Die Geschichte beginnt sehr spannend, gewürzt mit skurrilem, tiefschwarzem englischen Humor. Doch leider hält für mich der gute Eindruck nicht lange an. Es ist zwar ergreifend zu lesen, wie der herzkranke Charlie versucht sein Schicksal in die Hand und sein Leben auf die Reihe zu kriegen, aber bedauerlicherweise sind zu viele unnötige Längen eingebaut. Man findet z. B. seitenlange Abhandlungen über wirre Musik- und Theaterstücke, dazwischen immer wieder pubertäres sexistisches Geschwafel, ekelerregende Szenen über Masturbation nebst Anleitung sowie Verherrlichung von Drogen jeglicher Art. Zum Glück stimmt dann der Schluss wieder versöhnlich und lässt für Charlie auf ein lebenswertes Leben hoffen.

Fazit: Die Grundgeschichte des herzkranken jungen Mannes wären 5* wert, doch die teils extrem vulgäre Sprache mindert leider den guten Gesamteindruck.

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Veröffentlicht am 03.03.2020

Märchenhaft idealisiert

Ein Mädchen nicht von dieser Welt
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Von ihren Müttern nachts aus dem Ghetto geschmuggelt treffen sie sich zufällig im Wald. Sie kennen sich, gingen in dieselbe 4. Klasse, als alles noch normal war - die beiden 9jährigen jüdischen Jungen ...

Von ihren Müttern nachts aus dem Ghetto geschmuggelt treffen sie sich zufällig im Wald. Sie kennen sich, gingen in dieselbe 4. Klasse, als alles noch normal war - die beiden 9jährigen jüdischen Jungen Adam und Thomas. Jetzt sind sie auf sich allein gestellt und müssen sich selbst helfen. Zunächst leben sie von den Früchten des Waldes, aber als der Winter naht brauchen sie Hilfe. Die finden sie in Mina, einem jüdischen Mädchen, das nicht von dieser Welt zu sein scheint und das sie heimlich mit Nahrung versorgt. Doch es kommt eine Zeit wo sie die Hilfe, die ihnen zuteil wurde, an andere Hilfsbedürftige zurückgeben können …

Der in Jerusalem lebende jüdische Autor und Professor für Literatur Aharon Appelfeld (geb. 1932) hat selbst Krieg und Verfolgung zeitweise in den ukrainischen Wäldern überlebt, bevor er 1946 nach Palästina kam. In „Ein Mädchen nicht von dieser Welt“ beschreibt er den Überlebenskampf zweier 9jähriger Jungen in den Wäldern nahe dem Ghetto. Er bedient sich dabei eines äußerst einfachen Schreibstils und schlichter Ausdrucksweise, was wohl dem Alter der Protagonisten entsprechen soll. Sehr einfühlsam wird aus Sicht der beiden Kinder erzählt wie sie versuchen, sich gegenseitig Trost und Mut zuzusprechen und ihre Ängste zu verbergen.

Eine an sich bewegende Geschichte mit traurigem Hintergrund, die jedoch leider sehr idealisiert rüber kommt und sich wie ein Märchen der Gebrüder Grimm liest. Die Kinder reden und handeln wie Erwachsene und wissen immer sofort was zu tun ist. Ein paar glückliche Zufälle zu viel und ein wahrhaft märchenhaftes Happy End nehmen dem Geschehen meiner Ansicht nach viel von seiner Realität. Die Wirklichkeit dürfte für alle Beteiligten weitaus schlimmer gewesen sein, als es hier zu lesen ist.

Dennoch lohnt es sich, zwei Stunden zu investieren und sich dem hübsch aufgemachten kleinen Büchlein zu widmen.

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Das Leben eines Genies

Raffael - Das Lächeln der Madonna
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Raffael (Raffaello Sanzio da Urbino 1483-1520) war gerade mal 11 Jahre alt, als sein Vater verstarb und er bald schon dessen Malschule weiterführen musste. Unterstützung erhielt er dabei von seinem Onkel, ...

Raffael (Raffaello Sanzio da Urbino 1483-1520) war gerade mal 11 Jahre alt, als sein Vater verstarb und er bald schon dessen Malschule weiterführen musste. Unterstützung erhielt er dabei von seinem Onkel, der Raffaels außergewöhnliches Talent frühzeitig erkannte. Sehr früh erwarb er den Titel eines Maestro. Nach Aufenthalten und Weiterbildung in Perugia und Siena ging er als 21Jähriger nach Florenz, wo er von florentinischen Adligen bereits die ersten großen Aufträge erhielt. Im Alter von 25 Jahren zog es ihn nach Rom, um dort seine großen Vorbilder Michelangelo und Leonardo da Vinci zu treffen. Papst Julius II. beauftragte Raffael, zunächst die päpstlichen Gemächer im Apostolischen Palast mit monumentalen Fresken auszuschmücken, bevor er nach dem Ableben von Dombaumeister Bramante von Papst Leo X. zum neuen Baumeister der Peterskirche ernannt wurde. Neben seinen zahlreichen Arbeiten für den Vatikan erhielt er auch sehr viele private Aufträge, die er aus Zeitmangel teilweise von seinen Mitarbeitern und Schülern ausführen lassen musste.

Raffael blieb vermutlich unverheiratet, war jedoch lange Zeit mit Maria, einer Nichte Kardinal Dovizis verlobt und hatte bis zu seinem Tod eine Geliebte, Margaretha Luti, die unter dem Namen Fornarina bekannt ist und die er in mehreren seiner Werke verewigt hat. 1520, im Alter von nur 37 Jahren, verstarb er an einer unbekannten Krankheit mit hohem Fieber. Auf eigenen Wunsch wurde er im Pantheon in Rom bestattet.

„Raffael – Das Lächeln der Madonna“ ist der erste Roman des deutschen Autors Noah Martin, der in Berlin Kunstgeschichte studierte. Laut eigenen Angaben ist er fasziniert von der Zeit der Renaissance und ihren Künstlern. Nach zahlreichen Reisen an die Schauplätze in Italien entstand diese fiktive Geschichte, die jedoch die belegte Historie zum Hintergrund hat.

Am 6. April 2020 jährt sich der Todestag des Malers Raffaello (Raphaello) Sanzio da Urbino, der hierzulande unter dem Kurznamen Raffael bekannt ist, zum 500. mal, was für den Droemer-Verlag der Anlass war, dieses wunderschöne Buch herauszubringen. Doch nicht nur die Ausstattung des Buches mit seinem herrlichen Cover, dem ausführlichen Personenverzeichnis und der farbenprächtigen Landkarte im Innern begeistern, sondern auch die gründliche Recherche und der ausgereifte Schreibstil des Autors, die packende Handlung und die unglaublich lebendig beschriebenen faszinierenden Figuren. Neben Raffaels künstlerischem Werdegang erfährt man auch vieles aus der Zeit der Renaissance, nimmt Anteil an am Leben der Protagonisten, erlebt die Ausschweifungen des Klerus, taucht ein in die Ränkespiele des Vatikan und ist bei den daraus entstandenen blutigen Feldzügen hautnah dabei – eine aufregende und spannende Lektion in Kunst und Geschichte! Mich hat dieses Buch gefesselt und begeistert.

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Veröffentlicht am 22.02.2020

Trauern ...

Nach Mattias
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Mattias ist nicht mehr, ausgelöscht, tot. Er war doch erst Mitte dreißig und hatte noch so viel vor. Zurück bleiben Menschen, die mit ihrer Trauer und dem Verlust umgehen müssen. Amber vermisst ihren Lebensgefährten, ...

Mattias ist nicht mehr, ausgelöscht, tot. Er war doch erst Mitte dreißig und hatte noch so viel vor. Zurück bleiben Menschen, die mit ihrer Trauer und dem Verlust umgehen müssen. Amber vermisst ihren Lebensgefährten, Quentin seinen besten Freund und Kristianne ihren Sohn – und jeder versucht auf seine ganz eigene Weise mit dem Schmerz umzugehen. Auch auf andere Personen hat Mattias‘ Tod Auswirkungen und beeinflusst direkt oder indirekt ihr weiteres Leben …

Der 1983 in Nordholland geborene niederländische Schriftsteller Peter Zantingh schildert in „Nach Mattias“ sehr einfühlsam, welche Auswirkungen der plötzliche Tod eines Menschen auf sein Umfeld hat und welche Lücke er hinterlässt. Jedes Kapitel des Buches befasst sich mit einer anderen Person, die sich teils gar nicht untereinander kennen und die doch durch Mattias‘ Tod auf schicksalhafte Weise miteinander verbunden sind. Dabei gelingt es dem Autor recht gut, die Todesursache bis zum Schluss geheim zu halten und auf diese Weise die Spannung zu halten und zum Weiterlesen zu animieren.

Zu kritisieren hätte ich jedoch den Schreibstil, der für mich sehr gewöhnungsbedürftig ist und mir nicht gefällt. Ich empfinde die extrem kurzen Sätze als „abgehackt“, „holprig“ und „gewollt auf modern getrimmt“. So redet niemand, nicht einmal der Autor, wie man dem Interview am Ende des Buches entnehmen kann. Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich, dass Mattias zwar oft erwähnt, aber als Mensch der er war kaum beschrieben wird uns somit recht blass und schemenhaft bleibt. Schade, mehr über ihn zu erfahren wäre bestimmt interessant gewesen. Versöhnlich stimmt hingegen das absolut überraschende Ende, das die Geschichte dann wunderbar rund macht und bei mir als Leserin einen positiven Eindruck hinterlässt.

Fazit: Durchschnittlich - kann man lesen, muss man aber nicht!

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