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Veröffentlicht am 23.08.2019

Ein seltsames Trio …

Letzte Rettung: Paris
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Nachdem sie innerhalb zwanzig Jahren das immense Vermögen des verstorbenen Ehemanns sinnlos verprasst haben, bleibt Frances Price und ihrem erwachsenen Sohn Malcolm nur ein Ausweg: abhauen. Zuvor wird ...

Nachdem sie innerhalb zwanzig Jahren das immense Vermögen des verstorbenen Ehemanns sinnlos verprasst haben, bleibt Frances Price und ihrem erwachsenen Sohn Malcolm nur ein Ausweg: abhauen. Zuvor wird rasch noch alles, was sich irgendwie zu Geld machen lässt, verkauft. Mit einhundertsiebzigtausend Euro in der Handtasche und dem Kater Kleiner Frank im Gepäck begeben sie sich Richtung Paris, nicht ohne vorher noch ihr Hotel in New York heimlich durch die Hintertür zu verlassen. Dort angekommen beziehen sie das Apartment einer Freundin und schließen auch bald neue Bekanntschaften. Als dann Kleiner Frank, der ja die Reinkarnation des verblichenen Ehemanns sein soll, plötzlich verschwindet, tauchen allerhand skurrile Personen auf, die bei der Suche nach dem verschwundenen Kater helfen möchten. Dazu quartieren sie sich im Apartment der Prices ein, welches bald heillos überfüllt ist …

Patrick deWitt wurde 1975 auf Vancouver Island in Kanada geboren. Sein Roman „Die Sister Brothers“ war für den Man Booker Prize, den Giller Prize sowie den Walter Scott Prize nominiert und wurde von Publishers Weekly, der Washington Post sowie der Canadian Booksellers Association zu den besten Romanen des Jahres 2011 gezählt. Der Autor lebt heute mit seiner Frau und seinem Sohn in Portland, Oregon.

Nach dem Lesen der Inhaltsangabe erwartete ich eine humorvolle Geschichte, ähnlich wie „Die Sister Brothers“, die neben der heiteren Seite auch existenzielle Probleme des Lebens anspricht – doch leider wurde ich enttäuscht. Wenn auch der Schreibstil recht annehmbar ist, merkwürdige Personen mit skurrilen Ansichten und seltsamen Handlungsweisen ergeben noch lange keinen guten Roman. Das Geschehen empfand ich weder lustig noch humorvoll und absolut nicht nachvollziehbar. Die Protagonisten waren mir unsympathisch und wirkten gekünstelt, auf einige interessante Nebenfiguren wurde nicht weiter eingegangen und die Beziehung zwischen Mutter und Sohn war für mich mehr als seltsam. Was der Autor dem Leser mit diesem Buch sagen möchte, hat sich mir leider nicht erschlossen!

Veröffentlicht am 09.08.2019

Auf der Suche nach der Wahrheit …

Am See
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Im Fischerdorf Boros am großen See wächst Nami bei den Großeltern auf, Vater ist unbekannt und über die verschollene Mutter wird nicht geredet. Früher war der See sehr schön und es gab viele Fische, doch ...

Im Fischerdorf Boros am großen See wächst Nami bei den Großeltern auf, Vater ist unbekannt und über die verschollene Mutter wird nicht geredet. Früher war der See sehr schön und es gab viele Fische, doch seit einiger Zeit zieht sich er sich zurück, der Salzgehalt steigt, das Wasser wird immer giftiger. Die Menschen dort glauben an den Seegeist, der erzürnt sei und nach Opfer verlange. Doch auch als Großvater beim Fischfang im Sturm nicht mehr zurück kommt, ist der Seegeist noch nicht besänftigt, so wird ihm auch Großmutter nach einem Sturz geopfert. Nami ist nun auf sich alleine gestellt und beschließt, in die ferne Hauptstadt zu gehen. Aber auch dort ist das Leben nicht besser. Es erwarten ihn harte, schwere und dreckige Arbeiten, bis er auf eine gütige alte Dame trifft. Jetzt hat er endlich die Kraft und den Mut, seine Mutter zu suchen …

Bianca Bellová wurde 1970 in Prag geboren und hat bulgarische Wurzeln. Die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens lebte sie hinter dem "Eisernen Vorhang", was ihre Romane sehr authentisch macht. Für den aktuellen Roman „Am See“, der in mehreren Sprachen erschien, erhielt sie den tschechischen Buchpreis Magnesia Litera, sowie den European Union Prize für Literature.

In einer außerordentlich bildreichen, aber dennoch schlichten Sprache erzählt die Autorin die Geschichte von Nami, dessen Leben untrennbar mit dem See verknüpft ist. Der See ist es auch, der neben Nami die zweite Hauptrolle spielt. Zwar ist weder der See, noch die Gegend namentlich benannt, doch da von den „verhassten Russen“ die Rede ist, ist anzunehmen, dass es sich um den Aralsee handeln muss. Auch er war einst sehr fischreich und wurde, wie der See im Roman, seit den 60/70er Jahren systematisch ausgebeutet. Die Zuflüsse wurden zur Baumwollfelder-Bewässerung umgeleitet, sodass er um die Jahrtausendwende kurz vor der Austrocknung stand. Diese Umweltzerstörung, deren Ursache die Menschen im Buch nicht erkennen wollten, sondern durch einen zürnenden Seegeist beschönigen, bestimmt maßgeblich deren Leben und Gesundheit und ist auch einer der Kernpunkte des Romans.

Bianca Bellová schont den Leser nicht, ja sie schafft es eine Geschichte zu erzählen, die jeden bis ins Innerste treffen und lange im Gedächtnis bleiben wird. Brutale Szenen werden bis ins kleinste Detail geschildert, über sexuelle Bedürfnisse wird ohne Umschweife geredet und die Diktatur der Russen wird offen beim Namen genannt. Wir lesen von den unzumutbaren, menschenverachtenden Bedingungen, in der sich der junge Nami zurecht finden muss, und über eine Welt, die von verrohten Männern beherrscht wird. Das Buch ist in vier Teile gegliedert, die Namis Entwicklung vom Kind über die Pubertät zum jungen Mann schildern, bis er im vierten Teil dann die Wahrheit erfährt. Dazwischen passiert sehr viel, ein junger Mensch dem nichts erspart bleibt und der manchmal Unmenschliches erleiden muss.

Fazit: Ein Buch, für das man starke Nerven braucht und das man nach dem Lesen nicht einfach weglegen und zur Tagesordnung übergehen kann. Für Leser, die sich darauf einlassen können, ein absoluter Gewinn.

Es gibt offenbar wieder Hoffnung – wer sich informieren möchte: http://www.newsderwoche.de/welt/asien/524-kasachstan-schenkt-dem-aralsee-ein-neues-leben.html

Veröffentlicht am 08.08.2019

Wenn die Worte fehlen …

Am Strand
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Edward Mayhew und Florence Ponting, beide 22 Jahre alt, sind frisch verheiratet und befinden sich nun in einem Landhaushotel am Strand von Chesil Beach an der Küste von Dorset, wo sie ihre Hochzeitsnacht ...

Edward Mayhew und Florence Ponting, beide 22 Jahre alt, sind frisch verheiratet und befinden sich nun in einem Landhaushotel am Strand von Chesil Beach an der Küste von Dorset, wo sie ihre Hochzeitsnacht und die Flitterwochen verbringen möchten. Sie sind zwar sehr verliebt, haben aber (man schreibt das Jahr 1962) noch keinerlei sexuelle Erfahrung. Entsprechend nervös sitzen sie in ihrer Suite beim Abendessen und machen sich die unterschiedlichsten Gedanken, wie es nun weiter gehen wird. Darüber sprechen können sie nicht, es fehlen ihnen die Worte. Während Edward stark erregt ist, macht sich bei Florence Panik breit. Sie ahnt, sie wird sich vor dem was nun kommen wird ekeln, möchte aber Edward keinesfalls enttäuschen. Edward hingegen hat bestimmte Vorstellungen, weiß diese jedoch nicht richtig anzuwenden. So steuern sie auf ein Desaster zu, das ihr Leben für immer verändern wird …

Ian McEwan wurde 1948 in Aldershot/England geboren. Er studierte Englische Literatur an der Universität Sussex, besuchte Kurse für kreatives Schreiben und machte seinen Master an der University of East Anglia in Norwich. Seine Masterarbeit bestand aus einer Reihe von Kurzgeschichten, die später unter dem Titel „First Love, Last Rites“ veröffentlicht wurden. McEwan schrieb zahlreiche erfolgreiche Romane, die auf den Bestsellerlisten landeten und für die er mehrere englische Literaturpreise erhielt. Heute lebt er in London.

Wie häufig in den Büchern McEwans geht es auch in „Am Strand“ um zwischenmenschliche Beziehungen, um tragische Verwicklungen, fatale Irrtümer und schicksalhafte Missverständnisse. Beinahe minuziös schildert uns der Autor die dramatischen Geschehnisse in der Hochzeitsnacht, immer wieder unterbrochen von zeitlichen Rückblenden und von gedanklichen Erinnerungen der Protagonisten. So erhalten wir Einblick in ihr Seelenleben und ihre Gefühlswelt, erfahren von ihren Hoffnungen und Wünschen und von Erlebnissen in ihrer Kindheit. Dabei wird dem Leser allmählich bewusst, dass Florences Widerwille gegen alles sexuelle wohl auf ein traumatisches Erlebnis mit ihrem Vater zurückzuführen ist. Am nächtlichen Strand findet dann eine Aussprache mit gegenseitigen Vorwürfen statt, die jedoch wiederum missverständlich endet. Mehr soll hier nicht verraten werden!

Fazit: Ein großartiges Buch, beinahe ein Kammerstück, das aufwühlt und sehr nachdenklich macht.

Veröffentlicht am 05.08.2019

Gesucht und gefunden

Mit Gobi durch die Wüste - eine wahre Geschichte
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Dion Leonard, der Autor, ist Läufer über Langstrecken und Marathon. Bei einem „Etappen-Ultramarathon“, einem 7-Tage-Lauf durch die Wüste Gobi im Nordwesten Chinas, schließt sich ihm eines Morgens eine ...

Dion Leonard, der Autor, ist Läufer über Langstrecken und Marathon. Bei einem „Etappen-Ultramarathon“, einem 7-Tage-Lauf durch die Wüste Gobi im Nordwesten Chinas, schließt sich ihm eines Morgens eine kleine Hündin an und weicht nicht mehr von seiner Seite. Zunächst widerwillig duldet er ihre Begleitung, doch nach und nach verliebt er sich in die Kleine. Ihre Ausdauer und ihr Mut beeindruckten ihn sehr, sodass sich Dion entschließt, sie in seine Heimat nach Schottland mitzunehmen. Doch die Ausreise der kleinen „Gobi“, wie er sie inzwischen nennt, aus China gestaltet sich schwieriger als zunächst gedacht …

Mit schlichten, einfachen Worten erzählt uns der Autor Dion Leonard die Geschichte von Gobi, einer kleinen, mutigen Hündin. Wir erfahren, wie sie ihn bei extremer Hitze begleitete, wie er seine knappen Vorräte an Wasser und Nahrung mit ihr teilte und wie das Wohl dieses kleinen Hundes plötzlich wichtiger war als ein Sieg. Doch um Gobi heim nach Schottland zu holen, mussten noch viele Hürden genommen werden. Letztendlich war dies nur möglich durch Spenden von Menschen aus aller Herren Länder und durch die selbstlose Hilfe einiger chinesischer Freunde.

Aber nicht nur über die Liebe zu einem kleinen Hund erfahren wir hier, der Autor berichtet auch über seine Passion zum Laufen, über die oftmals unmenschlichen Strapazen eines Ultra-Marathons und über Kameradschaft und Rivalität unter den Läufern. Wir lernen einige liebenswerte Menschen in China kennen und erfahren mehr über einen der härtesten Laufwettbewerbe der Welt in einer unwirtlichen Gegend, der Wüste Gobi.

Fazit: Eine berührende Geschichte über Tierliebe, Menschenliebe, Freundschaft und Hilfsbereitschaft.

Veröffentlicht am 21.07.2019

Fremde in der neuen Heimat …

Auf Erden sind wir kurz grandios
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Er ist 28 Jahre alt, 165 cm groß und 50 kg schwer, so beschreibt er sich selbst, ihn, den alle nur Little Dog nennen. Nun schreibt er einen Brief an seine Mutter Rose, einen Brief den sie vermutlich wohl ...

Er ist 28 Jahre alt, 165 cm groß und 50 kg schwer, so beschreibt er sich selbst, ihn, den alle nur Little Dog nennen. Nun schreibt er einen Brief an seine Mutter Rose, einen Brief den sie vermutlich wohl nie lesen wird, denn sie ist Analphabetin. Das gibt ihm den Mut, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Er schreibt über ihre Schläge und Beschimpfungen, aber auch über ihre zaghaften Versuche zu beschwichtigen und ihm ihre Liebe zu zeigen. Er berichtet von Großmutter Lan, ihrem Leben als Prostituierte in Vietnam, von Soldaten und Napalm, und wie ihr Geist nun immer mehr verwirrt, und von ihrem Mann, Großvater Paul, der einzigen männlichen Bezugsperson in Little Dogs Kindheit. In seinem Brief erzählt er auch über seine aufkommende Homosexualität, über seine Liebe zu dem zwei Jahre älteren Freund Trevor – und von Rauschgift, Sucht und Tod …

Der Autor Ocean Vuong wurde 1988 in Saigon geboren und gelangte 1990 über ein Flüchtlingslager in die USA. Aufgrund einer ererbten Legasthenie konnte er bis zu seinem elften Lebensjahr nur mühsam lesen. Zehn Jahre später jedoch studierte er Englisch am ‚Brooklyn College‘ und begann, Gedichte zu schreiben. Dafür wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2016 mit dem ‚Whiting Award for Poetry‘ und 2017 mit dem ‚T.S. Eliot Prize‘. „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist sein erster Roman.

Das Buch ist eingeteilt in drei Abschnitte, die die Kindheit, die Zeit der Pubertät und das Leben als Erwachsener des Ich-Erzählers schildern und die er mit der Wanderung der Monarchfalter und deren Metamorphose vergleicht. Wir lesen über Kriegsereignisse in Vietnam, wie sie die verwirrte Großmutter und die ebenfalls traumatisierte Mutter erlebt haben, und über Little Dogs erste Kindheitserinnerungen in den USA. Wir erinnern uns mit ihm, wie er seiner Mutter im Nagelstudio helfen musste und ihm die Acetondämpfe dabei in die Nase stachen. Wir erfahren, dass er in der Schule wegen seiner „gelben“ Hautfarbe gedemütigt wurde und dass das Leben am Rand der amerikanischen Gesellschaft den Frauen immer fremd bleiben wird. Wir sind dabei, als der 14jährige Little Dog als Ferienarbeiter auf einer Tabakplantage Trevor, den zwei Jahre älteren Enkel des Besitzers, kennen lernt und seine ersten Erfahrungen in der Sexualität macht. Neben Momenten inniger Liebe durchziehen Passagen brutaler Gewalt die Geschichte, wechseln sich leise, sanfte Töne mit quälenden Aufschreien ab.

Dass der Autor ein Lyriker ist, ist dem Buch anzumerken. Er spielt förmlich mit der Sprache, verwendet Metaphern, Andeutungen, Erinnerungen, flüchtige Gedanken und Satzfragmente. Man muss manchmal viel hinein interpretieren, um den Sinn eines Satzes zu entdecken. Leider gelang mir dies nicht immer und oft war ich ratlos, was der Autor wohl versucht hat auszudrücken. Der Lesefluss wird dadurch erheblich gestört und die Erlebnisse des Erzählers wirken dadurch zerhackt. Ich kann mich deshalb dem Kreis derer, die diesen Schreibstil als „Sprache von grandioser Schönheit“ bejubeln, nicht anschließen und bin der Meinung, diese eindrucksvolle, aussagekräftige Geschichte hätte keinen postmodernen Schreibstil nötig gehabt.