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Veröffentlicht am 02.04.2018

Einsamkeit im Alter oder Honi soit qui mal y pense

Unsere Seelen bei Nacht
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Sie sind beide über siebzig, Addie Moore und Louis Waters, beide seit einigen Jahren verwitwet und sehr einsam. Man kennt sich flüchtig, wie man eben jemanden kennt, der seit über vierzig Jahren in der ...

Sie sind beide über siebzig, Addie Moore und Louis Waters, beide seit einigen Jahren verwitwet und sehr einsam. Man kennt sich flüchtig, wie man eben jemanden kennt, der seit über vierzig Jahren in der Nachbarschaft wohnt. Lange hatte Addie überlegt und gezögert, nun fasst sie sich ein Herz und klingelt bei Louis. Sie hat ihm ein Angebot zu machen, kein unmoralisches, wie sie extra betont. Sie bietet ihm an, die Nächte bei ihr zu verbringen, neben ihr im Bett zu liegen, zu reden und nicht alleine einzuschlafen. Am nächsten Abend steht Louis vor Addies Tür … - Das nächtliche Treffen der beiden alten Leute bleibt in der Kleinstadt Holt in Colorado nicht lange geheim. Die Nachbarn tuscheln und sind schockiert, Louis‘ Tochter Holly, die extra aus Colorado Springs angereist kam als sie von der Geschichte erfuhr, ist empört und Addies Sohn Gene verbietet der Mutter gar den Umgang mit Louis …

Ein wunderbarer kleiner Roman von knapp 200 Seiten, den der US-Schriftsteller Kent Haruf (1943–2014) noch kurz vor seinem Tod fertig gestellt hat und der 2015 posthum unter dem englischen Titel Our Souls at Night erschienen ist. Der in Colorado beheimatete Lehrer schrieb insgesamt sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt spielen und für die er einige Preise und Auszeichnungen erhielt. Die deutsche Ausgabe erschien am 22.3.2017 im Diogenes-Verlag und wurde von der als Pociao bekannten Übersetzerin, Autorin und Verlegerin Sylvia de Hollanda einfühlsam übersetzt.

Der Schreibstil Harufs ist ruhig und distanziert. Es gelingt ihm großartig, Gefühle einfach und schön auszudrücken. Er fesselt den Leser an die Geschichte, ohne unnötige Spannung entstehen zu lassen. Nach kurzer Zeit hat man sich auch daran gewöhnt, dass die wörtlichen Reden nicht durch Satzzeichen hervorgehoben sind. Kurze Kapitel und knappe Dialoge erzeugen mit sparsamen Worten das unbestimmte Gefühl, dass den beiden Protagonisten nur noch wenig Zeit bleibt. Der feinfühlige, liebevolle Umgang miteinander macht das Geschehen sehr real und authentisch – sie liegen nebeneinander im Bett, endlose Gespräche füllen die Nacht und Erinnerungen aus ihrer beider Leben werden ausgetauscht.

Die wohlige Grundstimmung wird aber jäh gestört, als Addies Sohn Gene auftaucht. Auf geradezu hinterhältige Weise greift er in ihr Leben ein, indem er droht, ihr den Enkel zu entziehen. Das ist zu viel für Addie, zumal der kleine Jamie dringend die Liebe seiner Großmutter braucht, die ihm im Elternhaus nicht gegeben wird. Wie wird sich Addie entscheiden? Zerbricht dieses wunderbare späte Glück? Bleiben ihr und Louis nur noch die heimlichen nächtlichen Telefongespräche? Dem Leser jedenfalls bleibt eine Hoffnung: Ein Film mit Jane Fonda und Robert Redford soll in Vorbereitung sein!

Fazit: Ein bewegender, warmherziger Roman über Liebe im Alter und spätes Glück, aber auch über Neid, Bosheit und Missgunst der Mitmenschen. Ein Lese-Highlight!

Veröffentlicht am 02.04.2018

Apartheid – Rassentrennung in Südafrika

Summ, wenn du das Lied nicht kennst
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Zum Inhalt: Südafrika 1976. Als Tochter eines englischen weißen Ehepaares wuchs die 9jährige Robin Conrad bisher relativ unbeschwert unter der Obhut des schwarzen Hausmädchens Mabel in Boksburg bei Johannesburg ...

Zum Inhalt: Südafrika 1976. Als Tochter eines englischen weißen Ehepaares wuchs die 9jährige Robin Conrad bisher relativ unbeschwert unter der Obhut des schwarzen Hausmädchens Mabel in Boksburg bei Johannesburg auf. Dies änderte sich abrupt, als ihre Eltern beim Aufstand in Soweto ermordet wurden und Mabel spurlos verschwand. Jetzt muss sich Tante Edith um Robin kümmern, doch die ist Flugbegleiterin und naturgemäß wenig zu Hause. --- Zur selben Zeit macht sich in der Transkei die schwarze Lehrerin Beauty Mbali vom Stamme der Xhosa auf den beschwerlichen Weg nach Johannesburg, um dort ihre Tochter zu suchen und heimzuholen. Die 17jährige Nomsa wird seit den Unruhen in Soweto vermisst. --- Durch einen glücklichen Umstand trifft Edith auf Beauty und kann sie davon überzeugen, als Kinderfrau für Robin bei ihr einzuziehen. Das traumatisierte Mädchen fasst bald Vertrauen zu Beauty und entwickelt eine innige Beziehung zu ihr. Aber Beauty sucht weiterhin verzweifelt nach ihrer Tochter - und Robin befürchtet wieder verlassen zu werden, sollte Beauty diese finden…

Zur Autorin: Bianca Marais wurde 1976, im Jahr des Soveto-Aufstandes, in Südafrika geboren, wuchs in Johannesburg auf und siedelte 2012 mit ihrem Ehemann, vier Haustieren und zwei Koffern um nach Toronto, um dort Creative Writing zu studieren. 2014 veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte, 2017 erschien der vorliegende Roman in Englisch und 2018 in deutscher Sprache im neu gegründeten Wunderraum Verlag in sehr ansprechender Aufmachung.

Was man wissen sollte: Von 1949 bis 1992 herrschte in Südafrika die Rassentrennung. Während die weißen Bewohner alle Rechte hatten und die Politik bestimmten, lebten die anderen Volksgruppen unterdrückt. Es war Nicht-Weißen untersagt, in denselben Gegenden zu wohnen wie die Weißen, mit ihnen auf dieselben Schulen zu gehen, dieselben Verkehrsmittel, dieselben Lokale und sogar dieselben Toiletten zu benutzen. Um den Weißen keine Konkurrenz zu machen, durften Schwarze nur ungelernte Arbeiten verrichten. Ehen zwischen Schwarzen und Weißen waren verboten. Es war Schwarzen auch untersagt, eigene Parteien zu gründen, usw. …

Leseeindruck: Ein Stück Zeitgeschichte, das viele Menschen verdrängt oder nicht bewusst wahrgenommen haben, greift die Autorin mit diesem Roman auf. Sie lässt zwei Personen, ein weißes Mädchen und eine schwarze Frau, aus ihrer jeweiligen Sicht erzählen. Durch die Zuneigung, die beide füreinander empfinden, wird die Brutalität und Sinnlosigkeit der Rassentrennung besonders deutlich. Beeindruckend auch die Geschichte von Maggie, einer weißen Frau, die mit ihrem Mann im Untergrund gegen die Apartheid kämpft. Der Schreibstil ist bemerkenswert intensiv, emotionsgeladen und lebendig. Das Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen und bis zum Schluss nicht mehr losgelassen. Ich habe mit den Protagonisten gelitten, mit ihrem Schicksal gehadert, war empört und schockiert. Dass ein 9- bzw. 10jähriges Mädchen manchmal sehr altklug und wie eine Erwachsene denkt und handelt erklärt sich am Ende, als Robin sagt: Damals wusste ich nicht, was die Zukunft bringen würde … (S. 484). Auf eine Fortsetzung, worüber ich mich sehr freuen würde, lässt folgender Satz hoffen: Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll. (S. 485).

Fazit: Traurig, berührend, schockierend, aber immer voller Hoffnung, mit einem Thema, das durch die vielen ausländischen Mitbürger aktueller denn je ist. Absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 30.03.2018

Robespierre vs. Island

Das barmherzige Fallbeil
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Ein Selbstmord beschäftigt Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg von der Brigade Criminelle und es widerstrebt ihm, die Akte endgültig abzuschließen. Die pensionierte Lehrerin Alice Gauthier wurde mit aufgeschnittenen ...

Ein Selbstmord beschäftigt Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg von der Brigade Criminelle und es widerstrebt ihm, die Akte endgültig abzuschließen. Die pensionierte Lehrerin Alice Gauthier wurde mit aufgeschnittenen Pulsadern in ihrer Badewanne aufgefunden. Sie hinterließ keinen Abschiedsbrief, lediglich am Waschtisch befand sich ein mit Kajalstift hingekritzeltes seltsames Zeichen. Als dann noch bekannt wird, dass die Dame einige Tage zuvor einen Brief abgeschickt hatte und kurz vor ihrem Ableben den Besuch eines jungen Mannes bekam, wird Adamsberg hellhörig. Er sucht den Briefempfänger auf und muss erfahren, dass sich dessen Vater ebenfalls tags zuvor umgebracht hatte. Das kann kein Zufall sein, denn auch dort findet man dieses seltsame Zeichen. Recherchen ergeben, dass sich die beiden Toten während einer Islandreise vor zehn Jahren bereits begegnet sind und möglicherweise einer geheimen Gesellschaft angehörten, die sich mit Robespierre und der Französischen Revolution beschäftigt. Adamsberg übernimmt zusammen mit einigen Kollegen die Ermittlungen, sie reisen nach Island und schleusen sich anonym bei den Robespierre-Anhängern ein. Die Zeit drängt, denn plötzlich geschehen weitere, als Selbstmord getarnte Morde …

Fred Vargas ist der Künstlername der französischen Schriftstellerin und studierten Archäologin Frédérique Audoin-Rouzeau, die am 7.6.1957 in Paris geboren wurde. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. A. 2004 und 2016 den Deutschen Krimipreis International. Sie lebt in Paris, arbeitet noch immer als Archäologin und schreibt ihre Kriminalromane in ihrer Ferienzeit.

„Das barmherzige Fallbeil“ ist bereits der 10. Roman um Kommissar Adamsberg, was im Buch leider nirgends ersichtlich ist. Ein Hinweis darauf oder ein Personenverzeichnis am Anfang oder Ende des Buches wäre äußerst hilfreich, denn die Fülle der Akteure (allein die Brigade Criminelle besteht aus 25 Personen, die mal mit Vor- und mal mit Nachnamen benannt werden – hinzu kommen noch unzählige weitere Personen) erschweren das Lesen ohne Vorkenntnisse doch sehr. Der gewöhnungsbedürftige Schreibstil und die manchmal recht seltsamen Dialoge der Protagonisten hemmen den Lesefluss zusätzlich. Die Geschichte beginnt recht gut und mit viel Spannung, wird aber leider im Verlauf immer verwirrender und unübersichtlicher. Die Handlung wird langatmig und wirkt zusammenkonstruiert, manchmal unwahrscheinlich und im Nebel von Island sogar metaphysisch. Immerhin gelingt es der Autorin, die verschiedenen Handlungsfäden am Schluss doch einigermaßen plausibel miteinander zu verknoten.

Positiv wäre zu bemerken, dass der Streifzug in die französische Geschichte zur Zeit der Revolution durchaus fesselt und die Reden von Robespierre neue Erkenntnisse bringen und das Allgemeinwissen erweitern. Sehr interessant beschrieben ist auch die karge, kalte und abweisende Landschaft von Island und der vorgelagerten Insel Grimsey. Ebenfalls erwähnenswert ist die beeindruckende Darstellung von Kommissar Adamsberg, seines skurrilen Charakters, seiner Marotten und seiner langsamen Art zu denken – ein Mensch, den man durchaus ins Herz schließen kann. Doch für ein Buch mit 500 Seiten ist mir das zu wenig.

Fazit: Ein Kriminalroman der wohl nur dann richtig Spaß macht, wenn man Adamsberg und seine Mannschaft von der Brigade Criminelle aus den vorangegangenen Büchern bereits kennt.

Veröffentlicht am 15.03.2018

„Wer hier `reingeht, ist ledig aller Qualen!“

Das Totenschiff
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Als der amerikanische Seemann Gale vom Landgang in Antwerpen zum Hafen zurück kommt, ist sein Schiff, die S.S. Tuscaloosa, weg. Ausgelaufen ohne ihn, aber mit seinem ganzen Hab und Gut, seinem Seemannsbuch ...

Als der amerikanische Seemann Gale vom Landgang in Antwerpen zum Hafen zurück kommt, ist sein Schiff, die S.S. Tuscaloosa, weg. Ausgelaufen ohne ihn, aber mit seinem ganzen Hab und Gut, seinem Seemannsbuch und seinem Pass. Unmöglich, ohne Seemannsbuch ein anderes Schiff zu bekommen, und noch unmöglicher ein neues Seemannsbuch ohne Pass oder einen neuen Pass ohne Identitätsnachweis. Er ist nun ein „Niemand“, er existiert einfach nicht. Diese leidvolle Erfahrung bleibt Gale nicht erspart, der nun als „Staatenloser“ von einem Land zum anderen abgeschoben wird. In Portugal schließlich gelingt es Gale, auf der Yorikke, einem Schmuggelschiff bei dem man es mit den Papieren nicht so genau nimmt, als Kohlenschlepper anzuheuern. Bald muss er feststellen, dass es sich um ein Totenschiff handelt, denn auch die anderen Seeleute sind ohne Papiere, also „lebende Tote“. Dort lernt er auch einen weiteren Kohlenschlepper, Stanislaw Koslowski, kennen, den ein ähnliches Schicksal auf das Schiff verschlagen hat und der bald sein bester Freund werden sollte. Bei einem Landgang im Hafen von Dakar werden die beiden shanghait und landen auf der Empress of Madagascar, einem Totenschiff der anderen Art. Mit ihrer wertlosen aber hoch versicherten Ladung Alteisen soll sie mit Mann und Maus versenkt werden, um der Reederei und dem Kapitän ein hübsches Sümmchen einzubringen. Doch anders als geplant läuft sie auf einem Riff auf, Gale und Stanislaw können sich total erschöpft auf eine Planke retten und treiben nun hilflos im Ozean …

B. Traven, geb. 1882 – gest. 1969, nannte sich der Autor, der wie viele andere auch anonym veröffentlichte. Er schrieb zwölf Romane, einige Erzählungen und einen Reisebericht, alle in seiner ironisch-sarkastischen Ausdrucksweise und alle verbinden Abenteuer mit kapitalismuskritischem Hintergrund. Wie 1974 festgestellt wurde, soll Traven mit dem Theaterschauspieler und Anarchisten Ret Marut, der 1924 nach Mexiko floh, identisch sein. Recherchen bestätigten dann 2012, dass B. Traven und Ret Marut beides Pseudonyme eines gewissen Otto Feige, Maschinenschlosser und Gewerkschaftssekretär aus Schwiebus in der preußischen Provinz Brandenburg, sein sollen.

Ganz egal wie sich der Autor genannt haben mag, schreiben konnte er, und zwar sehr gut. Traven lässt seinen Protagonisten selbst erzählen, manchmal wütend und traurig, manchmal ironisch und sarkastisch, voll hintergründig beißendem Humor, aber immer hoffnungsvoll und zuversichtlich. Man wird geradezu in die Geschichte hinein gezogen, in das traurige Los des heimatlosen Seemannes ohne Schiff und ohne Papiere, der eigentlich nur überleben will. Engstirniger Bürokratismus einerseits und aufopferungsvolle Hilfsbereitschaft und Freundschaft andererseits berühren den interessierten Leser. Obwohl nicht allzu viel geschieht und die Handlung nur wenige Höhepunkte hat, fand ich das Buch nie langweilig. Auch die ab und zu verwendeten seemännischen Ausdrücke dürften jedermann geläufig sein und bereiteten mir keine Schwierigkeiten. Die Thematik ist heute, bedingt durch die vielen Flüchtlinge ohne Ausweis, aktueller denn je. Darf man, ja soll man, einer Person auf Treu und Glauben gültige Papiere ausstellen, obwohl man deren Identität nicht feststellen kann? Gewiss hat man heute ganz andere Möglichkeiten (der Roman entstand 1926) als damals, dennoch bleibt das Problem. Ein weiteres großes Thema des Romans ist die Ausbeutung der Schwächeren durch die jeweils Höhergestellten, was sich in der Hierarchie bis ganz nach oben fortsetzt und auch heute noch seine Gültigkeit hat.

Fazit: Nicht einfach nur ein einzigartiger Abenteuerroman, sondern auch eine Anklage gegen Bürokratismus und Geldgier und nicht zuletzt eine Hymne an die Freundschaft.

Veröffentlicht am 07.03.2018

„Wenn man zu viel will, verliert man alles“ (S.231)

Im Land des Regengottes
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Dienstmagd auf dem Bauernhof bei Frau Künstner? Nein, das kommt für die 16jährige Henrietta nicht infrage. Lehrerin will sie werden, doch dafür fehlt das Geld. Durch eine Lüge bringt sie ihre Mutter dazu, ...

Dienstmagd auf dem Bauernhof bei Frau Künstner? Nein, das kommt für die 16jährige Henrietta nicht infrage. Lehrerin will sie werden, doch dafür fehlt das Geld. Durch eine Lüge bringt sie ihre Mutter dazu, den Heiratsantrag eines ihr unbekannten Missionars aus Deutsch-Südwestafrika anzunehmen. Dann wird sie halt Negerkinder in der Missionsstation ihres Stiefvaters unterrichten, plant Henrietta. Doch unter der heißen Sonne Afrikas zerplatzen alle ihre hochfliegenden Träume. Das Leben in Bethanien ist noch härter als zu Hause in Elberfeld. Als dann ihre Mutter stirbt sieht sie nur einen Ausweg, die Flucht ins weit entfernte Kapland nach Wupperthal. Dort hofft sie auf Aufnahme bei einer befreundeten Missionarsfamilie. Zusammen mit Petrus, einem jungen Mann vom Stamme der Nama, macht sie sich zu Fuß auf den langen, beschwerlichen Weg. Durch Entbehrungen und Gefahren lernen die beiden, sich gegenseitig zu achten und zu vertrauen und – sie verlieben sich. Ein schwarzer Mann und eine weiße junge Frau in Afrika um 1900, ist das Henriettas ersehnte Zukunft?

Ausführliche Recherchen in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, Einblicke in detaillierte Berichte ehemaliger deutscher Missionarsfrauen und Reisetagebücher von Auswanderinnen waren für die deutsche Autorin Gina Mayer (geb. 1965 in Ellwangen) die Grundlage zu ihrem Roman „Im Land des Regengottes“. Sie berichtet darin über die Schwierigkeiten, die die deutschen Auswanderer in ihrer neuen Heimat erwartete, aber auch über das Leid, das die Eingeborenen in den Kolonien erleiden mussten, die von den Weißen nur ‚Hottentotten‘ oder ‚Kaffer‘ genannt wurden, denen man das Land und ihre Lebensgrundlage nahm und sie wie Vieh behandelte.
(Das Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel „Die Wildnis in mir“ als Jugendbuch, bevor es vom Aufbau-Verlag 2013 neu aufgelegt wurde).

Der Schreibstil der Autorin ist flüssig und klar. Sie versteht es großartig, Menschen mit ihren Eigenheiten zu beschreiben und das Aufeinanderprallen der beiden unterschiedlichen Kulturen realistisch darzustellen. Gebannt begleitet man die junge Auswanderin und muss bestürzt miterleben, wie sich alle ihre Wünsche und Hoffnungen verflüchtigen und sie von Schuldgefühlen und Albträumen heimgesucht wird. Dennoch hält sie stur und unbeirrbar an ihren Plänen fest, auch wenn sie sich durch dumme, unüberlegte Handlungen des Öfteren in Lebensgefahr bringt. Ein weiterer interessanter, sehr überzeugend beschriebener Protagonist ist Petrus, ein junger schwarzer Arbeiter auf der Missionsstation. Er weiß seine Schläue und Intelligenz sehr gut zu seinem Vorteil vor den Weißen zu verbergen und hilft Henrietta bei ihrer Flucht, obwohl er dadurch seine Stellung verliert. Beeindruckend auch die anderen Charaktere mit ihren besonderen Eigenheiten, die vergrämte und schicksalsergebene Mutter, das leicht überspannte Fräulein Hülshoff und die bodenständige Missionarsfamilie Cordes, die ebenfalls alle in Afrika ein schweres Los erwartet. Wunderschöne Landschaftsbeschreibungen und eindrucksvolle Stimmungsbilder eines uns fremdartigen Landes runden das Geschehen gekonnt ab.

Fazit: Ein interessantes und lesenswertes Stück Kolonialgeschichte - und eine zarte Liebesromanze ganz ohne Kitsch und Pathos.