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Veröffentlicht am 29.05.2022

Gewalt zerstört – Liebe heilt

Liebe ist gewaltig
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Als jüngstes von vier Geschwistern wächst Juli Ehre in einem Stuttgarter Vorort auf. Die Eltern sind erfolgreiche Rechtsanwälte, sie selbst ist in der Schule stets Klassenbeste. Nach außen hin ist eitel ...

Als jüngstes von vier Geschwistern wächst Juli Ehre in einem Stuttgarter Vorort auf. Die Eltern sind erfolgreiche Rechtsanwälte, sie selbst ist in der Schule stets Klassenbeste. Nach außen hin ist eitel Harmonie in der protzigen Villa, doch hinter den verschlossenen Türen herrscht das Grauen. Der Vater prügelt die Kinder auf Leistung und macht in seinem unbeherrschten Zorn auch vor seiner Frau nicht halt. Diese versucht eine gewisse Normalität aufrecht zu erhalten, indem sie die Prügeleien des Vaters verharmlost und zu vertuschen versucht. Jetzt, mit 17, konnte Juli dem Druck nicht mehr standhalten, ist „durchgeknallt“, war auf Reha und geht nun nach Berlin, wo sie sich Jules nennt und versucht, ihr Leben zu ordnen. Doch das ist nicht einfach, nach all den Gewaltexzessen und Verletzungen in der Kindheit …

„Liebe ist gewaltig“ ist das Debüt der 1986 in Tübingen geborenen Autorin Claudia Schumacher. Ihre Jugend verbrachte sie in Stuttgart, studierte in Berlin und lebte und arbeitete danach sieben Jahre in Zürich als Journalistin und Kolumnistin und war Redakteurin bei der NZZ am Sonntag. Heute lebt sie in Hamburg, wo sie u.a. für DIE ZEIT schreibt.

Kein Wohlfühlbuch, das uns die Autorin hier präsentiert, sondern eine Geschichte über die Abgründe des menschlichen Lebens, über Gewalt, seelischen Verletzungen, Flucht ins bürgerliche Leben, die Suche nach Liebe und die Unfähigkeit, eine harmonische Beziehung zu führen. Wir lernen Juli in verschiedenen Lebensphasen kennen und begleiten sie in den Jahren 2007, 2014 als Jules, 2016 als sie sich Julia nennt und zuletzt heute im Epilog. Wir erfahren mehr über die Familie, die Geschwister und über Julis jeweilige Versuche, die Vergangenheit zu bewältigen. Es stellt sich dabei die Frage, ob man die Schuld für ein verkorkstes Leben einfach auf die Eltern abwälzen kann, oder ob man nicht selbst für sein chaotisches Dasein die Verantwortung trägt?

Ein starkes Debüt der Autorin, sprachgewaltig, aufrüttelnd und klug aufgebaut. Man wird als Leserin nicht geschont, sondern beinahe brutal mit den Tatsachen konfrontiert. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle, Tragik und Komik, Schmerz, Liebe und Trauer, alles ist hier versammelt. Sämtliche Personen wirken sehr lebensecht und authentisch, besonders da die Protagonistin als Ich-Erzählerin von ihren verschiedenen Lebensphasen sehr plastisch berichtet und sich ihr Verhältnis zu den Eltern und Geschwistern im Laufe der Jahre auch verändert. Ein ergreifender Brief von Julis Bruder Bruno und der abschließende Epilog runden das Geschehen gekonnt ab.

Fazit:* Eine großartige Familiengeschichte über Macht und Dominanz, über körperliche und seelische Verletzungen und über die Kraft der Liebe.

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Veröffentlicht am 20.05.2022

Familie – die Last tragen die Frauen …

Die Wut, die bleibt
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„Haben wir kein Salz?“ Dieser beiläufig beim Abendessen dahin geworfene Satz war für die dreifache Mutter Helene der Anlass, wortlos aufzustehen, auf den Balkon zu gehen und sich vom fünften Stock in die ...

„Haben wir kein Salz?“ Dieser beiläufig beim Abendessen dahin geworfene Satz war für die dreifache Mutter Helene der Anlass, wortlos aufzustehen, auf den Balkon zu gehen und sich vom fünften Stock in die Tiefe zu stürzen. Zurück bleibt die geschockte Familie, Ehemann Johannes, die fünfzehnjährige Lola, der vier Jahre alte Maxi und Lucius, der gerade mal 18 Monate alt ist. Wie zuvor Helene überfordert war, ist es nun ihre Familie. Wie soll es weiter gehen? In der Not springt Helenes beste Freundin Sarah ein, die selbst keine Kinder hat und dank ihrer Selbstständigkeit auch zeitlich dazu in der Lage ist. Vorübergehend nur, wie sie meint, um ihre eigene Beziehung nicht zu gefährden …

„Die Wut, die bleibt“ ist der vierte Roman der 1983 in Hallstein bei Salzburg geborenen österreichischen Schriftstellerin Mareike Fallwickl. Bereits ihr zweiter Roman „Dunkelgrün, fast schwarz“ schaffte es auf Platz 8 der ORF-Bestenliste und war für den Österreichischen Buchpreis nominiert. Die Autorin lebt heute mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Hof bei Salzburg.

Wut, ja, blanke Wut war es, die mich beim Lesen begleitete. Wut auf Helene, die ihre Kinder im Stich ließ, Wut auf Sarah, die dann klaglos Helenes Mutterpflichten übernimmt, Wut auf Johannes und die Männer allgemein, die zu viel von ihren Frauen fordern und selbst im Haushalt nicht mithelfen, und Wut auf die Jugendlichen die glauben, Probleme mit brutaler Gewalt lösen zu können.

Ein Buch das aufrüttelt, erschüttert, und das, da man vieles nicht widerspruchslos hinnehmen kann, zum Diskutieren herausfordert. Der Schreibstil der Autorin gefällt mir außerordentlich gut, denn man kann sich sehr gut in die einzelnen Personen und die geschilderten Örtlichkeiten hinein versetzen. Inhaltlich hätte ich allenfalls zu bemängeln, dass der männliche Teil der Bevölkerung hier durchweg schlecht wegkommt. Sie sind meist ignorant, selbstsüchtig oder gar gewalttätig, wenn sie denn mal zu Hause sind. Ein Lichtblick ist am Ende des Buches in der Danksagung der Autorin, wo sie ausdrücklich ihrem Mann dankt, dass er sich die Fürsorgepflicht für die Kinder mit ihr teilt und sie in Gleichberechtigung leben. Ja, es gibt sie noch, besonders unter den Jüngeren, die netten Männer - was wohl ihren Müttern und deren Erziehung zu verdanken ist.

Etwas ungewollt Heiteres möchte ich noch erwähnen, das wohl beim Korrekturlesen übersehen wurde: S. 219 im Buch: Johannes kommt nachts betrunken nach Hause und ist mit dem Auto gefahren. Sarah macht ihm deshalb Vorwürfe: „Du Arschloch“, flüstert sie, du kannst nicht einfach so viel trinken, du hast doch Verantwortung!“ „Deswegen trinke ich ja!“, sagte er, viel zu laut und donnernd. „Genau deswegen!“ Er drückt sich an ihr vorbei ins Bad, schlägt Sarah die Nase vor der Tür zu. Ich fand diesen letzten Satz, trotz aller Tragik, zum Schmunzeln.
Fazit: Kein Roman zum Wohlfühlen, sondern eine Geschichte die nachdenklich macht, zu Diskussionen anregt und die hoffentlich moderne Mütter dazu veranlasst, ihre Söhne zu nicht zu verhätscheln, sondern zu verantwortungsvollen Männern zu erziehen. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 08.05.2022

24 Stunden der Entscheidung …

Der Papierpalast
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Wie jedes Jahr verbringt Elle Bishop mit ihrer Familie den Sommer auf Cape Cod im „Papierpalast“, einer heruntergekommenen Ansammlung von Ferienhütten, die ihr Großvater einst erstellt und innen mit Pappe ...

Wie jedes Jahr verbringt Elle Bishop mit ihrer Familie den Sommer auf Cape Cod im „Papierpalast“, einer heruntergekommenen Ansammlung von Ferienhütten, die ihr Großvater einst erstellt und innen mit Pappe ausgekleidet hatte. Elle ist jetzt 50 Jahre alt, glücklich verheiratet mit Peter, mit dem sie drei Kinder hat. Wie jedes Jahr wird mit Freunden gefeiert, doch diesmal ist etwas anders. Elles Jugendfreund Jonas, mit dem sie ein dunkles Geheimnis verbindet, verbringt nach vielen Jahren wieder seinen Urlaub auf dem Cape, diesmal zusammen mit seiner Frau Gina. Und während drinnen Familie und Freunde fröhlich feiern, haben draußen Elle und Jonas im Schutz der Dunkelheit zum ersten Mal Sex. Elle ist verwirrt als sie entdeckt, dass sie ihren Mann liebt und sich nach Jonas sehnt. Sie wird sich entscheiden müssen …

„Der Papierpalast“ ist der erste Roman der US-Amerikanerin Miranda Cowley Heller, die bisher Serien bei HBO entwickelte. In ihrer Jugend verbrachte sie jeden Sommer auf Cape Cod. Heute lebt sie in Kalifornien.

Es braucht schon eine gewisse Lebenserfahrung, um diese Geschichte richtig zu verstehen und ein Verständnis für die zwiespältigen Gefühle unserer Protagonistin zu entwickeln. Die Autorin war bereits Mitte 50 als sie dieses Buch schrieb – vorher ging es nicht, wie sie selbst sagt. Doch nun ist es ihr perfekt gelungen, diesen Zwiespalt zwischen Pflichtbewusstsein und Sehnsucht nach Veränderung zu beschreiben, der aufkommt, wenn man die Lebensmitte bereits erreicht hat. Es braucht viel Mut sein Leben zu ändern, denn man könnte diesen Schritt vielleicht später bereuen – doch genau so viel Mut ist auch nötig, alles beim alten zu belassen.

Einen Tag hat Elle Bishop Zeit sich zu entscheiden - 24 Stunden, in denen sie auch über ihr bisheriges Leben, ihre Familie und ihre Kindheit nachdenkt. Wir erfahren vom Verhältnis zu ihrer älteren Schwester Anna, von ihren Großeltern, von den ständig wechselnden Beziehungen ihrer Eltern und von Stiefvätern und Stiefgeschwistern. Heitere, unbeschwerte Momente wechseln sich ab mit Demütigungen, sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung, Inzest und Mord. Neben diesen Schattenseiten des Lebens lässt uns die Autorin auch teilhaben an glücklichen Momenten: wir verbringen unbeschwerte Stunden in flirrender Sommerhitze am Strand, wir streifen durch unberührte Wälder und schwimmen mit den Fischen im malerischen kühlen See. Dieser Kontrast und die wortgewaltige Sprache ist es, was diesen Roman so einzigartig und lesenswert macht. Als Leser hat man ständig das Gefühl, auf eine Katastrophe zuzusteuern und selbst das Ende ist so gekonnt formuliert, dass jeder sich seine eigenen Gedanken machen und für sich den passenden Schluss finden kann.

Fazit: Dieses Buch kann ich der reiferen Leserschaft uneingeschränkt empfehlen – für mich war es ein Highlight.

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Veröffentlicht am 28.04.2022

Ein Sommer mit Folgen …

Eine Laune Gottes
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Neben ihrer Arbeit als Lehrerin kümmert sich Rachel Cameron auch um ihre kränkelnde Mutter, die sie immer noch als Kind behandelt, seit sie nach dem Tod des Vaters alleine mit ihr zusammen lebt. Rachel ...

Neben ihrer Arbeit als Lehrerin kümmert sich Rachel Cameron auch um ihre kränkelnde Mutter, die sie immer noch als Kind behandelt, seit sie nach dem Tod des Vaters alleine mit ihr zusammen lebt. Rachel ist vierunddreißig und noch unverheiratet, und daran wird sich für die unsichere, scheue Frau auch nichts ändern, solange sie weiterhin im kanadischen Provinzstädtchen Manawaka bleibt. Als jetzt die großen Ferien beginnen, steht ihr ein öder, ereignisloser Sommer bevor. Doch dann begegnet sie ihrem ehemaligen Schulkameraden Nick wieder, der einst den Ort verlassen hat und nun den Sommer bei seinen Eltern verbringen möchte. Rachel verliebt sich in ihn, beginnt eine Affäre mit ihm, erfährt zum ersten Mal in ihrem Leben die körperliche Liebe – und macht sich erste zaghafte Gedanken über ihre Zukunft …

Die kanadische Schriftstellerin Margaret Laurence wurde 1926 geboren und starb 1987 durch Selbstmord, nachdem bei ihr Lungenkrebs diagnostiziert worden war. Sie zählt neben Margaret Atwood und Alice Munro zu den bedeutendsten Autorinnen Kanadas. Der vorliegende Roman erschien bereits 1966 unter dem Titel „A Jest of God“, wurde 1968 verfilmt als „Die Liebe eines Sommers“ und wurde erst jetzt, 2022, in deutscher Übersetzung von Monika Baark unter dem Titel „Eine Laune Gottes“ vom Eisele-Verlag München veröffentlicht.

Selten wurde ich von einem Buch so in seinen Bann gezogen, wie von diesem. Schonungslos, dennoch äußerst feinfühlig, lässt uns die Autorin am Innenleben einer zutiefst unsicheren, ängstlichen und zerrissenen Frau teilhaben. Sie lässt Rachel selbst erzählen und schafft dadurch eine emotionale Atmosphäre der Sympathie und des Verständnisses. Wir sind ganz bei Rachel, verinnerlichen ihre geheimsten Gedanken und werden gewissermaßen sie selbst. Hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Gefühl leben und leiden wir mit ihr, fügen uns ihren selbstauferlegten Zwängen und ihrem geheimen Wunsch, die eigenen Bedürfnisse auszuleben - und atmen befreit auf als Rachel nach und nach merkt, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und eine Änderung herbeiführen muss.

Obwohl die Autorin den Roman schon in den 1960ern geschrieben hatte, ist sein Inhalt auch heute noch erstaunlich aktuell. Ein Nachwort von Margaret Atwood erläutert perfekt die Bedeutung des Romans für die kanadische Literatur und rundet das Buch gekonnt ab.

Fazit: Keine Geschichte zum Wohlfühlen, aber eine eindrucksvolle Lektüre, die ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 13.04.2022

Mütter und Töchter …

Ferne Tochter
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Seit zwanzig Jahren lebt Judith nun schon in Rom, arbeitet dort als Restauratorin, ist glücklich verheiratet mit Francesco und hat ihr Leben und alles was vorher war hinter sich gelassen. Doch es vergeht ...

Seit zwanzig Jahren lebt Judith nun schon in Rom, arbeitet dort als Restauratorin, ist glücklich verheiratet mit Francesco und hat ihr Leben und alles was vorher war hinter sich gelassen. Doch es vergeht kein Tag, an dem sie nicht an Hamburg, an ihre Eltern, an ihre Jugendliebe und an ihre damalige schicksalhafte Entscheidung denkt. Von all dem ahnt ihr Mann nichts und so sollte es auch bleiben. Doch dann kommt ein Anruf der alles verändert und Judith völlig aus dem Gleichgewicht bringt. Jetzt muss sie zurück nach Hamburg, muss sich ihrer Vergangenheit stellen, dem Tod des Vaters, der Krankheit der Mutter und dem Geheimnis, das sie bisher erfolgreich verschwiegen hat. Auch Francesco muss sie sich offenbaren. Kann er ihren Vertrauensbruch verzeihen oder hat sie ihre Ehe durch ihr Schweigen zerstört?

Die deutsche Schriftstellerin Renate Ahrens wurde 1955 in Herford geboren, studierte Anglistik und Romanistik und war einige Jahre als Lehrerin tätig, bevor sie 1986 als freie Autorin zu arbeiten begann. Sie schreibt Romane, Kinderbücher und Theaterstücke, für die sie mehrere Auszeichnungen und Preise erhielt. Nach Lebensstationen in Frankreich, Südafrika, Italien und Irland lebt sie heute mit ihrem Mann in Hamburg. Sie ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland.

„Ferne Tochter“ ist eine außerordentlich starke, berührende Familiengeschichte, die von der Autorin nach und nach behutsam aufgeschlüsselt wird. Geschehnisse in der Vergangenheit werden einfühlsam mit der Gegenwart verwoben und durch Rückblicke und Erinnerungen entsteht allmählich das komplexe Bild einer konfliktbeladenen Mutter-Tochter Beziehung. Schuld und Missverständnisse, Auseinanderleben und Hoffnung auf Versöhnung sind die prägenden Elemente dieser Geschichte. Durch die einfühlsame Schreibweise ist man den Protagonisten sehr nahe, versteht ihre Motivationen, nimmt teil an ihren inneren Konflikten und teilt ihre Ängste und Sorgen. Erwähnenswert ist auch die bildhafte und detailgetreue Beschreibung der Schauplätze. Man merkt, dass sich die Autorin sowohl in Hamburg, als auch in Rom, gut auskennt und beide Städte liebt. Der Schreibstil ist klar und gut verständlich, was dem komplexen Thema des Romans nur zuträglich ist. Als großes Plus empfand ich auch, dass manche Hintergründe nur angedeutet werden und auch das Ende noch einige Fragen offen lässt, so dass man sich als Leser seine eigenen Gedanken machen kann.

Fazit: Ein wunderschöner Roman, der viele Momente zum Nachdenken beinhaltet und dessen Thematik noch lange nachwirkt.

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