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Veröffentlicht am 11.12.2023

Die Rache der Natur

Acqua alta
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2021: Venedig ist zerstört, den letzten Sturm und das Acqua Alta hat sie Stadt nicht überstanden. Das hochgelobte Sturmflutsperrwerk M.O.S.E. hat nicht funktioniert. Guido Malegatti irrt in einem Boot ...

2021: Venedig ist zerstört, den letzten Sturm und das Acqua Alta hat sie Stadt nicht überstanden. Das hochgelobte Sturmflutsperrwerk M.O.S.E. hat nicht funktioniert. Guido Malegatti irrt in einem Boot durch die zerstörten Kanäle. Auf der Suche nach Frau und Tochter erinnert er sich zurück, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Als Wirtschaftsrat von Venedig waren ihm die Touristenmassen in der Stadt und die großen Kreuzfahrtschiffe auf dem Kanal willkommen, brachten sie doch Geld und sicherten Arbeitsplätze. Während seine Frau Maria Alba von einem prachtvollen Venedig früherer Zeit träumte, stellte sich Tochter Lea gegen ihren Vater und schloss sich einer Gruppe an, die für die Rettung der Stadt und ihrer Kanäle demonstrierte. Doch es war zu spät …

Isabelle Autissier, 1956 in Paris geboren und dort aufgewachsen, ist eine französische Autorin. Sie ist die erste Frau, die im Rahmen einer Segelregatta 1991 alleine die Welt umsegelte. Von 2009 bis 2021 war sie Präsidentin des WWF Frankreich. Ihren ersten Roman „Herz auf Eis“ veröffentlichte sie 2015, es folgte „Klara vergessen“ 2019 – „Acqua Alta“ (2024) ist ihr dritter Roman. Die Autorin lebt heute in La Rochelle.

Äußerst drastisch und fesselnd bringt uns die Autorin das Szenario der Zerstörung Venedigs nahe. Anhand einer venezianischen Familie, die die verschiedenen Gesichtspunkte aller Venezianer repräsentiert, erfahren wir, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte. Für Umsatz und Gewinn sind viele bereit, die Massen an Touristen willkommen zu heißen und die Kreuzfahrtkolosse zu akzeptieren - und bereiten so selbst den Untergang der Serenissima vor. Proteste der Naturschützer zeigen bis jetzt wenig Wirkung, zu groß sind Gewinnstreben und Korruption in der Stadt.

Zum Glück ist die Geschichte (bis heute noch) eine Fiktion. Ob das Milliarden teure und jährlich rund 100 Millionen Euro an Unterhaltskosten verschlingende Sperrwerk Modulo Sperimentale Elettromeccanico (kurz MO.S.E.) dies verhindern kann, wird die Zukunft zeigen.

Fazit: Von der Autorin meisterhaft beschriebenes Katastrophenszenario das dazu anregt, sein eigenes Umweltverhalten zu hinterfragen. Meine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 11.12.2023

Aberwitzige Schlittenfahrt im russischen Winter

Der Schneesturm
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Landarzt Platon Iljitsch Garin hat einen Auftrag, er muss so schnell wie möglich einen Impfstoff in den Ort Dolgoje bringen, wo eine tödliche Epidemie ausgebrochen ist. Unterwegs machen seine Pferde schlapp, ...

Landarzt Platon Iljitsch Garin hat einen Auftrag, er muss so schnell wie möglich einen Impfstoff in den Ort Dolgoje bringen, wo eine tödliche Epidemie ausgebrochen ist. Unterwegs machen seine Pferde schlapp, sodass Garin gezwungen ist, die Fahrt mit dem „Mobil“ des Brotkutschers Kosma genannt Krächz, einem Schlitten der von 50 Minipferdchen gezogen wird, fortzusetzen. Unterwegs bricht ein schwerer Schneesturm aus, es wird Nacht, sie kommen vom Weg ab und für die beiden beginnt ein irrwitziger Überlebenskampf gegen den Schnee und die erbarmungslose Kälte. Die Schlittenkufe bricht, Wölfe kreuzen ihren Weg, sie begegnen grotesken Figuren, Zwergen und Riesen, und treffen auf Drogendealer. Trotz aller Anstrengungen und Mühen kommen sie ihrem Ziel kaum näher, es gibt immer wieder neue Hindernisse …

Vladimir Sorokin, geb. 1955 in Bykowo bei Moskau, ist ein russischer Schriftsteller und Dramatiker. Er gilt als Vertreter der russischen Postmoderne und war in der Vergangenheit heftigen Angriffen von regierungsnahen politischen Organisationen ausgesetzt. Er schrieb zahlreiche Kurzgeschichten, Essays, Gedichte, Theaterstücke, Drehbücher und etwa 15 Romane, die nahezu alle ins Deutsche übersetzt wurden. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 lebt Sorokin im Exil in Berlin.

Die Geschichte liest sich wie ein Märchen, in dem man durchaus Parallelen zum heutigen Russland entdecken kann. Es scheint im ländlichen Russland des 19. Jahrhunderts zu beginnen, verwandelt sich aber bald in ein irrwitziges Roadmovie, das durchaus in der Gegenwart und in der nahen Zukunft spielen könnte. Ein Arzt soll Impfstoff in ein abgelegenes Dorf bringen, damit ein Ausbreiten der grausamen Epidemie verhindert werden kann. Wir lesen auch von einem „Radio mit lebendigen Bildern“, von einem „Wunderkristall“ der beim Verbrennen Träume hervorruft, von einer „Paste die Filzstoff wachsen lässt“, es gibt Telefon - und einiges mehr. Alles Bemühen Garins und Krächz‘ voran zu kommen scheint vergebens, es gibt immer wieder neue Probleme. Am Ende tauchen zur Rettung gar Chinesen auf …

Fazit: Gut und flüssig geschrieben, unterhaltend und spannend bis zum Schluss.

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Veröffentlicht am 07.12.2023

Familie und Heimat

In Liebe, deine Lina (Mühlbach-Saga 1)
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Die Geschichte beginnt im Mai 1883. In dem kleinen pfälzischen Dorf Mühlbach spielen die Kinder Lina und Albert, die als unzertrennlich gelten, zusammen mit Karl, den Dritten im Bunde. Die Zeit geht dahin ...

Die Geschichte beginnt im Mai 1883. In dem kleinen pfälzischen Dorf Mühlbach spielen die Kinder Lina und Albert, die als unzertrennlich gelten, zusammen mit Karl, den Dritten im Bunde. Die Zeit geht dahin und aus den Kindern werden junge Leute, Lina und Albert verlieben sich ineinander. Als Lina schwanger wird will Albert sie heiraten, doch seine Eltern verbieten es und drohen ihm mit enterben. Er lässt Lina im Stich, die mit einem unehelichen Kind fortan von der Dorfgemeinschaft gemieden wird. Als Karl, der selbst ein „Bankert“ war und inzwischen weggezogen ist, davon erfährt, bietet er Lina an, sie zu heiraten. Lina willigt ein und gemeinsam mit Charlotte, dem inzwischen geborenen Baby, verlassen sie Mühlbach und ziehen nach Bremen. Dort wird Lina vom Heimweh geplagt, sie sehnt sich zurück ins Elternhaus und möchte auch ihre Brüder wieder sehen. Bei einem Besuch kommt es zu einer unangenehmen Begegnung, die beinahe die kleine Familie zerstört hätte …

Barbara Leciejewski, die Autorin von „In Liebe, deine Lina“ wurde in Mühlbach, dem Ort der Handlung, geboren. Nach der Schule studierte sie in München Literaturwissenschaft, Linguistik und Theaterwissenschaft, hatte einige Jobs am Theater und arbeitete dann, bevor sie mit Schreiben begann, als Synchroncutterin. Inzwischen sind mehrere Romane von ihr erschienen – eine Fortsetzung der Geschichte um Lina unter dem Titel „Für immer, dein August“ ist für März 2024 geplant.

Der Roman ist nicht irgendeine Geschichte, sondern die Geschichte der Vorfahren der Autorin, die mit Urgroßmutter Lina begann. Neben den Fakten ist sicherlich einiges an Fantasie und an Erdachtem eingeflossen, dennoch hat man immer den Eindruck, dass es so und nicht anders gewesen sein muss. Der Schreibstil ist sehr ansprechend, angenehm flüssig und gut lesbar. Die einzelnen Charaktere sind sehr gut und differenziert heraus gearbeitet, man lebt, liebt und leidet beim Lesen mit ihnen. Es ist stets zu merken, dass die Autorin die Geschichte ihrer Familie mit viel Liebe und Herzblut geschrieben hat.

Neben der ergreifenden Familiengeschichte sind noch einige, in der damaligen Zeit relevante Themen mit eingeflossen. So lesen wir über den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung, sind bei den ersten Aufruhren schlecht bezahlter Arbeiter dabei und müssen erleben, wie die jungen Männer freudigen Herzens in den 1. Weltkrieg ziehen. Auch waren die Moralvorstellungen in der damaligen Zeit andere als heute. Eine schwangere Frau, die für ihr Kind keinen Vater nachweisen konnte, wurde von der Gesellschaft geächtet und ausgegrenzt. Selbst das unehelich geborene Kind, der „Bankert“, hatte darunter zu leiden, da niemand mit ihm zu tun haben wollte.

Fazit: Ein schönes, lesenswertes Buch – man darf auf den 2. Band der Mühlbach-Saga gespannt sein.

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Veröffentlicht am 02.12.2023

Herrmann, ein ganz gewöhnlicher Mann

Herrmann
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Herrmann ist ledig, Mitte vierzig, und lebt nach einer gescheiterten Beziehung noch immer im Dorf auf dem elterlichen Hof, wo er die von seinem verstorbenen Vater geführte Hundezucht weiter betreibt. Er ...

Herrmann ist ledig, Mitte vierzig, und lebt nach einer gescheiterten Beziehung noch immer im Dorf auf dem elterlichen Hof, wo er die von seinem verstorbenen Vater geführte Hundezucht weiter betreibt. Er hat einen festen Job in der Hauptstadt, wohin er täglich pendelt. In der Firma gehört er inzwischen zu den „Unkündbaren“, was ihm in seinem langweiligen Büroalltag eine gewisse Sicherheit gibt. Diese Sicherheit wird jedoch gleich zweimal erschüttert. Plötzlich taucht sein ehemaliger Schulkamerad Orban nach 30jährigem Auslandsaufenthalt wieder auf, und außerdem steht Herrmann wegen seines angeschlagenen Herzens ein Besuch bei der Betriebsärztin bevor …

Bettina Gärtner, die Autorin des im Literaturverlag Droschl 2020 in Wien erschienenen Romans „Herrmann“ wurde 1962 in Frankfurt/Main geboren und lebt seit 1969 in Wien. Dort studierte sie Jura und Geschichte, jedoch nicht zu Ende. Danach arbeitete sie als Grafikerin und veröffentlicht seit 2008 in Literaturzeitschriften - zuletzt reduziert auf Home Office, damit ihr möglichst viel frei einteilbare Zeit für ihren zweiten Roman bleibt.

Die Geschichte wird aus der Sicht Herrmanns erzählt. Wir erfahren von der Banalität seines Alltags im Büro und von der Eintönigkeit des Pendelns morgens und abends. Dabei sinniert er des Öfteren über seine in die Brüche gegangene Beziehung zu seiner ehemaligen Freundin Rieke nach und überlegt, warum er seinen Jugendfreund Orban heute nicht mehr so gut leiden kann. Er versinkt in Tagträume und wird von Angstzuständen und Depressionen geplagt. Als Leser wartet man vergebens auf einen Höhepunkt. Herrmanns ständige Gedanken über seinen Blutdruck nerven und sein ewiges Gejammer darüber, was ihm alles widerfährt, ist mehr als ärgerlich. Besonders vermisste ich dabei etwas Humor oder Sprachwitz, was die Geschichte erträglicher gemacht hätte. Herrmann bewegt sich ziel- und planlos – als Leser hofft man, dass da noch etwas mehr kommen könnte. Zwischen den einzelnen Kapiteln sind Internetrecherchen zu verschiedenen, im Geschehen erwähnten Themen, eingestreut, auf die ich gerne verzichtet hätte. Ein „Lichtblick“ (wenn man es so nennen kann) war dann der Schluss, der wirklich logisch und im Nachhinein folgerichtig gestaltet ist.

Fazit: Die banale Geschichte eines einfachen, langweiligen Mannes, mit einem gut durchdachten, folgerichtigen Ende.

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Veröffentlicht am 28.11.2023

Drei Loser und das große Geld

Grün ist die Hoffnung
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Felix Nasmyth ist 31 Jahre alt, geschieden, arbeitslos und lebt in einem kleinen Appartement in San Francisco von seinen geringen Ersparnissen. Eines Abends bekommt er Besuch, sein Freund Vogelsang bietet ...

Felix Nasmyth ist 31 Jahre alt, geschieden, arbeitslos und lebt in einem kleinen Appartement in San Francisco von seinen geringen Ersparnissen. Eines Abends bekommt er Besuch, sein Freund Vogelsang bietet ihm an, auf seinem Grundstück in der Wildnis der Kalifornischen Berge heimlich Marihuana anzubauen – als Lohn winken bei Erfolg 500.000 Dollar. Felix nimmt an und zusammen mit zwei Freunden, Phil und Gesh, ziehen sie für neun Monate ins Sommerlager, wie sie es scherzhaft nennen. Doch das Lachen sollte ihnen bald vergehen, denn das Unternehmen gestaltet sich schwieriger als gedacht. Die Unterkunft ist baufällig, die Arbeit beschwerlich, die Nachbarn neugierig, das Wetter spielt nicht mit, ein großer Teil der Pflanzen verkümmert und zu allem Unglück ist ihnen auch noch Officer Jerpbak auf den Fersen. Doch die drei geben nicht auf, ständig bekifft und besoffen hoffen sie noch immer auf das große Geld. Nebenbei ist für Felix noch etwas ganz anderes verlockend – er hat Petra kennen gelernt …

T.C. Boyle ist ein amerikanischer Schriftsteller, der 1949 in Peekskill / New York geboren wurde. Seine Eltern waren Alkoholiker, was seine Kindheit und Jugend maßgeblich bestimmte. Er galt als Herumtreiber und schaffte nur knapp den High-School-Abschluss. Danach studierte er Englisch und Geschichte, schloss 1968 mit dem Bachelor of Arts ab, begann zu schreiben und unterrichtete parallel dazu als Lehrer an der High School. 1977 nahm er an der University of Iowa das Studium wieder auf und erwarb einen Doktorgrad. Sein Mentor war John Irving. Seit 1978 lehrte er an der University of Southern California, seit 1986 als ordentlicher Professor. Boyle schrieb über 100 Kurzgeschichten und 18 Romane, die alle erfolgreich waren und in vielen Sprachen übersetzt wurden. Seit 1974 ist der Autor verheiratet, hat drei Kinder und lebt heute in Montecito bei Santa Barbara in Californien.

Der Roman „Grün ist die Hoffnung“ (Originaltitel Budding Prospects) ist Boyles zweiter Roman. Er erschien bereits 1984, handelt von drei Marihuana-Pflanzern in Kalifornien, die den Widrigkeiten des Wetters ausgesetzt verzweifelt bemüht sind unentdeckt zu bleiben, und ist heute aktueller denn je. Schon früh offenbarte Boyle seine komische Seite und seinen außergewöhnlicher Humor. Wir lesen eine ausgesprochen unterhaltsame, sprachlich brillant und lebendig geschriebene Geschichte über drei frustrierte Alt-Hippies, die von einem listigen Geschäftsmann hereingelegt und ausgebeutet werden. Den schnellen Wohlstand immer im Blickfeld erleben die Freunde einen Alptraum nach dem anderen. Während man sich als Leser über ihre Missgeschicke amüsiert wird ihnen nach und nach klar, dass die Dollars nicht vom Himmel fallen und das Unternehmen mühsamer ist, als sie dachten. Hier zeigt sich sehr gut die satirische Seite des Autors und sein Spaß am Fabulieren.

Fazit: Eine witzige, nicht ganz ernst zu nehmende Geschichte, spannend zu lesen – ein typischer Boyle.

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