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Veröffentlicht am 15.07.2020

Inge Löhnig und Kommissar Dühnfort in gewohnt starker Form - ein fesselndes Lesevergnügen

Ich bin dein Tod (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi 9)
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Kommissar Konstantin Dühnfort arbeitet neuerdings in der Abteilung für Operative Fallanalyse als Profiler. In mehreren Städten in der Umgebung werden -scheinbar zusammenhangslos- Menschen umgebracht, allerdings ...

Kommissar Konstantin Dühnfort arbeitet neuerdings in der Abteilung für Operative Fallanalyse als Profiler. In mehreren Städten in der Umgebung werden -scheinbar zusammenhangslos- Menschen umgebracht, allerdings wurden alle Opfer vom Täter vorgewarnt. Dühnfort glaubt trotz der unterschiedlichen, weit voneinander entfernten Tatorte an einen Serienmörder, doch bei seinem Vorgesetzten stößt er zunächst auf taube Ohren....

Inge Löhnig gelang es erneut, mich sofort für ihren neuesten Roman einzunehmen. Sie schreibt flüssig, angenehm und abwechslungsreich, variiert immer wieder ihre Erzählweise.

Endlich ein Wiedersehen mit dem Münchner Kommissar Konstantin Dühnfort, seiner Familie und den Kollegen, die jetzt allerdings zu einem anderen Team gehören. Ich habe bisher jeden Dühnfort-Fall verschlungen. Für mich ist „Tino“ mittlerweile wie ein alter Bekannter. Die Art, wie er seine Fälle löst, wie er sich „festbeißt“ und engagiert einsetzt, aber dabei meist besonnen bleibt und auf seine Intuition hört, beeindruckt mich. Auch für die Geschehnisse in seinem Privatleben interessiere ich mich sehr. Nach all den Schicksalsschläge gönne ich ihm sein privates Glück von ganzem Herzen und bin sehr neugierig, wie sich seine Beziehung und sein Familienleben weiterhin entwickeln. Lebensgefährtin Gina, die auch für die Polizei arbeitet, und Tochter Chiara sind mir besonders sympathisch. Dass ich den Ermittler Dühnfort mit jedem Band besser kennenlerne, immer neue Facetten an ihm wahrnehme, macht für mich neben den spannenden Fällen den Reiz an der Reihe aus. Aber auch die anderen Figuren wie hier die Polizisten Julia und Manfred oder Lea und Joe sind für mich plausibel und stimmig dargestellt.

Inge Löhnig schildert unterschiedliche Sichtweisen, erzählt gleichzeitig mehrere Geschichten, die nach und nach zu einer werden. Das tut sie so spannend und fesselnd, dass ich einfach dranbleiben musste. Zwischendrin befand ich mich als Leser auf einer falschen Fährte und wurde vom Ende trotz einiger Offensichtlichkeiten ziemlich überrascht.

Ein Roman, der zu 100% meinen Geschmack trifft. Ein geschickt konstruierter, interessanter, psychologischer und stimmiger Krimi ohne viel Krawall. Nicht nur für Dühnfort-Fans empfehlenswert. Man kann ihn sicher unabhängig von den Vorgängern lesen. Aber noch mehr Spaß macht es, wenn man Dühnforts ganze Geschichte, seine Entwicklung, kennt. Auf alle, die noch keinen Kriminalroman von Inge Löhnig gelesen haben, bin ich fast ein bisschen neidisch. Denn sie haben die ganze tolle Reihe inklusive „Ich bin dein Tod“ noch vor sich. Das bedeutet ganz schön viele spannende, unterhaltsame Lesestunden mit handwerklich gut gemachten Krimis voller überraschender Wendungen.

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Veröffentlicht am 13.07.2020

Gut recherchierter historischer Roman über drei Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich ihrer eigenen Stimme bewusst werden

Unter den Linden 6
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„Ob Frauen studieren dürfen [..] können [..] sollen?
Mir persönlich erscheinen diese Untersuchungen ebenso müßig, als wollte jemand fragen: Darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? Soll er seine Beine ...

„Ob Frauen studieren dürfen [..] können [..] sollen?
Mir persönlich erscheinen diese Untersuchungen ebenso müßig, als wollte jemand fragen: Darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? Soll er seine Beine zum Gehen gebrauchen?“ Hedwig Dohm

1907 lernen sich die Wienerin Lise Meitner und die schüchterne Anni im Zug nach Berlin kennen. Lise hat in ihrer Heimatstadt Physik studiert hat und will ihre Ausbildung an der preußischen Friedrich-Wilhelms-Universität fortsetzen. Anni, die bisher ihr Leben auf dem Land verbracht hat, wird nun in Berlin eine Stelle als Hausmädchen antreten. Am Bahnsteig treffen sie auf die gutsituierte Bürgerliche Hedwig, die ihren schwer kranken Mann zur Kur verabschiedet. Die drei unterschiedlichen Frauen werden später immer wieder durch Zufall zusammen kommen und schließlich sogar Freundinnen. Während Anni allmählich, z.B. in Gesprächen mit ihrem neuen Hausherren, ihren Bildungshunger und ihren Wissensdurst entdeckt, setzt Hedwig alles daran, an der Universität Geschichte studieren zu dürfen, Lise hingegen möchte irgendwann ihren Lebensunterhalt als Forschende verdienen. Doch bis Frauen in der Welt der Universität anerkannt werden, ist es noch ein langer, steiniger Weg.

Abwechselnd stehen die drei verschiedenen Hauptfiguren Lise, Hedwig und Anni im Fokus des Geschehens. Ann-Sophie Kaisers gelang es mit ihrem flüssigen, gut lesbaren Schreibstil rasch, mich für ihre Geschichte zu gewinnen.

Drei ganz verschiedene Hauptpersonen, drei unterschiedliche Lebensentwürfe: Lise Meitner hat schon einiges erreicht, ihre Leidenschaft gehört der Erforschung der Radioaktivität, sie ist im Gegensatz zu ihren beiden Freundin keine fiktive Figur, sondern hat wirklich gelebt und Bedeutendes in ihrem Fachgebiet geleistet. Die zurückhaltende, bescheidene Anni erkennt erst im Laufe der Geschichte den Wert von Lernen, Wissen und Bildung. Hedwig hingegen weiß genau, was sie möchte, „richtig“ studieren, mit offiziell gültigem Abschluss. Alle Frauen sollen ihrer Meinung nach das Recht auf eine akademische Bildung haben. Hedwig eckt mit ihrer direkten Art des Öfteren in konservativen Kreisen an .
Lise, Hedwig und Anni kämpfen für ihre Rechte „im Kleinen“, versuchen für sich und andere Frauen, neue Möglichkeiten der Bildung zu erreichen, richtige „Vorreiterinnen“, Kämpferinnen für die Frauenbewegung, sind sie aber nicht, sie gehen nur kleinere Schritte - im Rahmen ihrer Möglichkeiten- in Richtung Emanzipation. Aber auch kleine Schritte führen irgendwann zum Ziel. Dass viele bedeutende historische Persönlichkeiten wie Max Planck, Otto Hahn, Otto Laue oder Hedwig Dohm im Roman wiederholt vorkommen, hat mir sehr gut gefallen, mich neugierig gemacht und mich angeregt, mehr über deren Biografien zu erfahren.

„Unter den Linden 6“ ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil geht es darum, wie die drei Frauen sich persönlich entwickeln und sich weiterbilden. Der zweite Teil bezieht historische Ereignisse, so den Beginn des ersten Weltkriegs mit ein, der erheblichen Einfluss auf Anni und ihre Freundinnen hat und ihre Situation vollständig verändert. Durchgehend war ich von der Handlung um die sympathischen und authentischen Hauptpersonen gefesselt.
Dass Lise Meitner auf dem für Frauen ungewöhnlichem Gebiet der Physik forscht, empfand ich als interessante, erfrischende Abwechslung. Physik ist ein Thema, das man in Frauenromanen eher selten findet.

Für mich ein sehr unterhaltsamer, packender Roman über beeindruckende Frauen, die nicht unbedingt Suffragetten sind, aber trotzdem viel für sich und andere Frauen erreicht haben.
Anni fasst eine wichtige Botschaft des Romans im Gespräch mit Lise und Hedwig treffend zusammen:
„Ihr beide habt mir gezeigt, dass man seinen eigenen Weg finden muss. Und sich dann nicht davon abbringen lassen darf. Gerade, wenn man eine Frau ist und andere einem ständig vorschreiben, was man zu tun und zu lassen hat. Dann übersieht man schnell, dass nichts davon Gewicht haben darf, wenn man es nicht auch selbst will. Nur übertönen die anderen Stimme die eigene Stimme. Und da ist es wichtig, eben gut zuzuhören. Wie ihr beide.“

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Veröffentlicht am 07.07.2020

Sehr unterhaltsames Hörbuch mit skurril-liebenswerten Figuren und jeder Menge Situationskomik

Man wird ja wohl noch träumen dürfen
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Thea ist Physiotherapeutin, ihre Praxis befindet sich in einem alten Fachwerkhaus. Die Hausgemeinschaft dort ist etwas ganz Besonderes. Psychotherapeut Dr. Grosser trinkt täglich mit Thea Tee, IT-Experte ...

Thea ist Physiotherapeutin, ihre Praxis befindet sich in einem alten Fachwerkhaus. Die Hausgemeinschaft dort ist etwas ganz Besonderes. Psychotherapeut Dr. Grosser trinkt täglich mit Thea Tee, IT-Experte Schröder hält stets eine Notration Schokolade für sie bereit und auch die Weisheiten der Sachbuchautorin Margarete gehören zu Theas Leben dazu. Jetzt soll das Haus saniert und verkauft werden. Die Hausgemeinschaft wird sich wohl oder übel auflösen. „Doch man wird ja wohl noch träumen dürfen“: Thea will die Hoffnung nicht aufgeben und kämpft dafür, dass sich alles zum Guten wendet und die Freunde weiterhin zusammen bleiben können. Doch das scheint mehr als unrealistisch.

Was für ein locker- leichter Schreibstil, flüssig, unkompliziert und sehr natürlich! Vanida Karun liest den Roman so angenehm und mitreißend, dass ich ihr ewig zuhören könnte. Den einzelnen Figuren wie Oma oder Schröder verleiht sie auf beeindruckend gekonnte Art eine ganz spezielle, individuelle Note.

Kristina Günak hat sich außergewöhnlich liebenswerte, mitunter ziemlich skurrile Charaktere für ihre Hauptrollen ausgesucht: Thea mit ihrem Emanzenspleen, die nie mehr von einem Mann abhängig sein möchte, Doktor Grosser, der mitunter seine „verbalen Tage“ hat, was für einen Psychotherapeuten nicht unbedingt typisch ist, den netten, zuverlässigen Schröder, der immer da ist, aber auch von einer geheimnisvolle Aura umgeben ist, und Theas herrlich direkte Oma. Diese amüsanten Figuren sorgen immer wieder für wunderbare Situationskomik.

Kristina Günaks Geschichte ist nicht ganz neu: nett, aber durchaus vorhersehbar. Sie lebt aber nicht von der innovativen Handlung, sondern von den unglaublich witzigen, originellen Figuren, den teils herrlich überzeichneten Reaktionen und Szenen. Ich wurde jederzeit gut unterhalten, habe sehr viel gelacht, wurde aber auch stellenweise ein bisschen zum Nachdenken angeregt, denn wie im richtigen Leben ist hier ebenso nicht immer alles eitel Sonnenschein, Regen gehört manchmal auch dazu.

Ein Hörbuch voller sympathischer, unkonventioneller Charaktere, mit jeder Menge Humor und einem perfekten Happy End. Eine wunderbare Ablenkung vom gerade etwas getrübten Alltag. Spaß ist hier absolut garantiert. Und den kann ja man nie genug haben.

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Veröffentlicht am 30.06.2020

Phantasievoll und fesselnd, noch besser als der erste Band

Lilly und die Zwölfen 2, Schabernack im Elfenland
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Es könnte alles so schön sein: Lilly wohnt nun mit ihrer Mutter bei Opa, das Ausflugslokal läuft gut und Lilly und Flimm sind beste Freundinnen geworden. Jeden Tag erlebt das Mädchen neue Abenteuer mit ...

Es könnte alles so schön sein: Lilly wohnt nun mit ihrer Mutter bei Opa, das Ausflugslokal läuft gut und Lilly und Flimm sind beste Freundinnen geworden. Jeden Tag erlebt das Mädchen neue Abenteuer mit den freundlichen Zwölfen. Doch nun plant der griesgrämige Nachbar Herbert Gräuerling einen neuen Kuhstall zu bauen. Dazu will er die Glückseiche, den Wohnbaum der Zwölfen, fällen. Jetzt ist guter Rat teuer, zumal die Zauberstaubvorräte der Zwölfen fast aufgebraucht sind. Die einzige Möglichkeit besteht darin, die Elfen um Hilfe zu bitten, findet Lilly. Doch die sind ja seit Jahren mit den Zwölfen zerstritten und Lillys Zwölfenfreunde sehen selbst jetzt keine Notwendigkeit, einen Schritt auf ihre langflügligen Verwandten zuzugehen...

Lillys zweites Abenteuer mit den Zwölfen ist kindgerecht und gut verständlich formuliert. Diesmal fiel es mir und meinen Kindern noch leichter, einen Zugang zur Geschichte zu finden.

Ein nettes Wiedersehen mit Lilly und den wunderbaren Zwölfen! Die liebenswerten Figuren sind uns während der Geschichte noch mehr ans Herz gewachsen. Trotzdem sind auch die immer gutgelaunten Wesen nicht unfehlbar und perfekt. So schaffen sie es z.B. nicht, ihren Stolz zu überwinden und auf ihre Verwandten, die Elfen, zuzugehen, um sie um Hilfe zu bitten.
Die Zwölfen leben in einer wundervoll phantastischen und traumhaften Welt mit jeder Menge Wurzelrutschen und gemütlichen Sofas an den Wänden. Diese würde sicherlich jedes Kind einmal gerne selbst live erleben.

Herrschte im ersten Band stellenweise ein wenig Langeweile, ging es hier durchgehend aufregend und spannend zu. Alles läuft auf die Frage hinaus: Werden Lilly und ihre Freunde die Heimat der Zwölfen retten können?
Wir konnten es außerdem kaum erwarten, endlich die Elfen kennenzulernen, von denen vorher so oft die Rede war.

„Schabernack im Elfenland“ hat uns noch besser gefallen als der erste Band. Ein phantasievolles, unterhaltsames und fesselndes Kinderbuch mit einzigartigen originellen Hauptfiguren. Wer den ersten Band mochte, wird von der Fortsetzung mindestens genauso begeistert sein.

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Veröffentlicht am 27.06.2020

Fesselnder Historienkrimi mit Atmosphäre: Absolut gelungenes Debüt

Fräulein Gold: Schatten und Licht
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„Denn was war schlimmer, dachte er und kaute auf seinem Daumennagel herum, blind zu bleiben oder dem Bösen in die hässliche Visage zu sehen?“
Berlin 1922: Im Landwehrkanal wird die Leiche einer älteren ...

„Denn was war schlimmer, dachte er und kaute auf seinem Daumennagel herum, blind zu bleiben oder dem Bösen in die hässliche Visage zu sehen?“
Berlin 1922: Im Landwehrkanal wird die Leiche einer älteren Prostituierten, Rita Schönbrunn, gefunden. Unfall oder Mord? Kriminalkommissar Karl North wird mit den Ermittlungen beauftragt. Aber er scheint nicht ernsthaft darum bemüht, die Wahrheit herauszufinden. Das findet zumindest die Hebamme Huldas Gold, die zufällig anwesend ist, als North Ritas Nachbarin Lilo befragt, die gerade frisch entbunden hat. Huldas Neugier ist geweckt und sie versucht nun ihrerseits Licht ins Dunkel des Falls zu bringen. Dabei lehnt sie sich mitunter ganz schön weit aus dem Fester und bringt sich in große Gefahr.

„Fräulein Gold- Schatten und Licht“ ist klar und sehr flüssig formuliert. Dank Anne Sterns angenehm natürlichen Schreibstil dauerte es nicht lange, bis ich mich im Berlin der 20er Jahre wiederfand und komplett vom Geschehen eingenommen war.

„Hulda Gold war kein Mädchen wie die anderen“. Nein, Hulda ist eine besondere Protagonistin, unabhängig, scharfsinnig und neugierig, sie arbeitet selbständig, was in der damalige Zeit nicht Usus ist und setzt sich engagiert für „ihre Frauen“ ein. Doch da ist auch eine andere Hulda. Eine verletzliche, die es alles andere als leicht hat, die nicht weiß, was sie von der Zukunft erwartet und die mit mit den Geistern der Vergangenheit kämpft. Manchmal versucht sie deshalb ihre Sorgen zu vergessen, indem sie abends ausgeht, sich Drogenexzessen hingibt und die Kontrolle verliert. Doch Huldas Probleme lassen sich auf diese Weise nicht dauerhaft lösen. Als sie beginnt sich für Ritas Todesfall zu interessieren, ändert sich einiges und durch ihre neue Aufgabe lernt sie viel über sich selbst.
Karl North, der Ermittler der Polizei, wirkt nicht sehr vertrauenswürdig, eher zerrissen, fast etwas dubios. Er scheint eine persönliche Verbindung zum Fall zu haben, die ihn daran hindert, alles Notwendige für die Aufklärung zu tun.
Mir gefallen die beiden Hauptfiguren, beide sind durch ihre Erfahrungen verwundbar geworden, was sie nach außen zu verbergen und zu kompensieren versuchen, aber nicht leugnen können. Wie beide miteinander umgehen und interagieren, sorgt für eine besondere Dynamik. Sie begegnen sich mit Misstrauen, können aber ihre Sympathie zueinander ebensowenig verstecken.
Neben Karl und Hulda beherrscht noch eine weitere zentrale Hauptrolle den Roman: Berlin, die „janusköpfige Großstadt“, „ein einziger Reigen aus Vergnügungen, Champagner und Zügellosigkeit, aus irrlichterndem Glitzern, Drogen, körperlicher Liebe, so viel man wollte. Doch am Ende bezahlte immer jemand dafür“. Berlin, das mit seinen ganz unterschiedlichen Vierteln und Bewohnern so ambivalent ist, so viele Gesichter hat: bitterer Armut und verschwenderischer Reichtum, Schatten und Licht. Anne Stern fängt die Atmosphäre dieser besonderen Stadt sehr eindrucksvoll und anschaulich ein.

„Fräulein Gold“ hat für mich alles, was ein guter historischer Krimi braucht: Einen logisch strukturierten Fall, sich stetig steigernde Spannung, eine interessante Kulisse, einen mehr als aufregenden historischen Hintergrund und Hauptfiguren, die traurige Geheimnisse haben, nicht unfehlbar, sondern menschlich sind und dadurch Sympathien wecken.

Zur Zeit schießen historische Roman über Frauen in der Medizin fast wie Pilze aus dem Boden. Alle ähneln sich in der Handlung und der Figurenkonstellation sehr stark. „Fräulein Gold“ sticht für mich angenehm positiv heraus. Die Hauptfiguren weniger stereotyp, glatt und perfekt, dafür mit tiefen „Narben“ versehen. Auch „Fräulein Gold“ ist nicht frei von Klischees, aber längst nicht so bestimmt davon, wie andere aktuelle Vertreter des Genres. Anne Stern spart mit „Zuckerguss“ und macht ihre Geschichte dadurch glaubwürdig und authentisch. Für mich ein absolut gelungenes Debüt. Ich bin sehr gespannt, mit welchen Licht- und Schattenseiten Huldas, Karls und Berlins uns die Autorin in den folgenden Bänden überrascht. Bei der Fortsetzung bin ich jedenfalls gerne wieder mit dabei.

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