Profilbild von Hyperventilea

Hyperventilea

Lesejury Star
offline

Hyperventilea ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Hyperventilea über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.02.2022

Geschichte hautnah - ein starkes, wichtiges Buch

Heul doch nicht, du lebst ja noch
0

Im Juni 1945 ist der Zweite Weltkrieg endlich vorbei. Drei Kinder erleben das Kriegsende auf ihre eigene, ganz persönliche Weise. Jakob hat eine jüdische Mutter, die zwangsdeportiert wurde, er lebte die ...

Im Juni 1945 ist der Zweite Weltkrieg endlich vorbei. Drei Kinder erleben das Kriegsende auf ihre eigene, ganz persönliche Weise. Jakob hat eine jüdische Mutter, die zwangsdeportiert wurde, er lebte die letzte Zeit versteckt und weiß zunächst gar nichts vom Kriegsende. Traute langweilt sich, sie möchte zu gerne bei den anderen Jungen mitspielen, doch die lassen sie nicht. Zu Hause findet Traute keine Ruhe, seit in die Wohnung Fremde einquartiert wurden. Hermann war früher in der Hitlerjugend, verehrte Adolf Hitler und hoffte auf den deutschen Sieg. Nun muss er sich mit der Realität auseinandersetzen. Die ist hart: Hermanns Vater hat im Krieg beide Beine verloren und ist nun ständig auf Hermanns Hilfe angewiesen.

Kirsten Boie schreibt nüchtern, schlicht, schnörkellos und klar, abwechselnd aus der Sicht ihrer drei Protagonisten im Präsens. Der Einstieg in die Geschichte erfolgt recht unvermittelt. Ich musste mich zunächst kurz orientieren, doch nach einigen Leseabschnitten konnte ich mich dann in die Handlung hineinversetzen. Die Geschichte richtet sich an Jugendliche ab 13 Jahren.

Die drei Hauptfiguren haben eine ganz unterschiedliche Perspektive auf das Kriegsende. Hermann wurden in der Hitlerjugend „deutsche Werte“ vermittelt, er war vollkommen überzeugt von Hitler und dem deutsche Reich. Von einem Moment auf den anderen soll alles, was für ihn unumstößlich sicher war, nicht mehr gelten. Sein Vater ist nun ein Krüppel, womit er sich nicht abfinden kann. Unter Vaters Zustand leidet natürlich seine ganze Familie. Hermann wirkt oft harsch und grob, aber eigentlich sehnt er sich nur nach Freiheit. Er hat Angst, für immer in der Pflicht zu stehen und nie von der Verantwortung für seinen Vater loszukommen.
Trautes Leben bietet keine Abwechslung. Traute hilft in der Bäckerei ihrer Eltern. Doch das ist keine Herausforderung für sie, Traute langweilt sich, fühlt sich einsam, sie wünscht sich den Umgang mit Gleichaltrigen und wieder in die Schule gehen zu dürfen, mehr Normalität. Gleichzeitig fühlt sie sich mit ihrer beengten Wohnsituation überfordert. Mit ihr hat es das Schicksal vergleichsweise noch „gut“ gemeint.
Jakob hingegen steht vollkommen allein und mittellos da, seine Eltern wurden ins Konzentrationslager geschickt. Dass er sich nun nicht mehr verstecken muss, ist völlig neu für ihn. Er hat keine Ahnung, wie es für ihn weitergehen soll.

Kirsten Boies neuestes Buch zeigt eines ganz deutlich. Der Krieg hat das Leben aller verändert. Die einen traf es wie Jakob und Hermann härter, die anderen wie Traute hatten mehr Glück. Aber niemand blieb verschont, jeder verlor Hoffnungen und Träume, musste sich umstellen. Hermann erinnert Jakob mit den Worten„ Heul doch nicht, Du lebst ja noch“ daran, dass es immer jemanden gab, den es noch schlimmer erwischt hat. Wie kann man sich da beklagen?
Was der Krieg wirklich für die einzelnen Menschen bedeutete, wird hier sehr anschaulich und sehr nachfühlbar offensichtlich. Geschichte erhält ein persönliches Gesicht, wird trotz des recht einfachen, nüchternen Schreibstils mit Gefühlen und persönlichen Schicksalen gefüllt. Der Krieg schrieb zigtausend verschiedene einzelne Geschichten, jede ist individuell. Hier werden einige erzählt. Geschichte ist immer komplex, nie schwarz oder weiß. Und für jeden, der nicht selbst betroffen war, ist es unmöglich, ein Urteil zu bilden. Niemand kann sagen, wie er in bestimmten Situationen reagiert hätte.
Das Buch eignet sich hervorragend zur Besprechung im Geschichtsunterricht. Es stellt neben bloßer Fakten deutlich dar, wie sich die Betroffenen wirklich fühlten, welche Herausforderungen es zu bewältigen galt, wie das Leben damals wirklich aussah.
Das Ende ist ein offenes, lässt Raum für Vorstellungen. Anfangs irritierte mich das und vielen Lesern wird es sicher ähnlich gehen, so kommt mir das Buch doch wie eine bloße Situationsbeschreibung, eine Momentaufnahme vor. Aber im Deutschland zur Stunde Null war eben vieles offen. Große Enttäuschungen mussten verarbeitet werden, aber gleichzeitig machte sich langsam auch Zuversicht und Hoffnung auf bessere Zeiten breit. So banal es klingt: Vieles musste erst einmal schlimmer werden, bevor es besser wurde.
Boies Buch hat mich sehr nachdenklich gestimmt, es treibt mich nach wie vor um und erinnert mich daran, dass alle politischen Ereignisse nicht schwarz oder weiß zu sehen sind. Immer wenn viele Menschen beteiligt und betroffen sind, gibt es keine Eindeutigkeiten mehr, sondern immer mehrere Perspektiven und Dimensionen.
„Heul doch nicht, du lebst ja noch“ ist ein beeindruckendes, wichtiges Werk, das eine Brücke zum Verständnis der deutschen Geschichte und der Identität unserer Vorfahren baut.


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.02.2022

Die Queen zum Zweiten - herrlich unterhaltsamer cosy Krimi aus dem Umfeld des Palasts

Die unhöfliche Tote
0

Ihre Majestät kann es einfach nicht lassen. Als eines ihrer verschollenen Lieblingsbilder plötzlich an ganz anderer Stelle wieder auftaucht und es im Schloss zu einem unglücklichen Todesfall kommt, ist ...

Ihre Majestät kann es einfach nicht lassen. Als eines ihrer verschollenen Lieblingsbilder plötzlich an ganz anderer Stelle wieder auftaucht und es im Schloss zu einem unglücklichen Todesfall kommt, ist der königliche Spürsinn geweckt. War die Tote wirklich so unangenehm, wie alle glauben? Elizabeth höchstselbst hatte da einen ganz anderen Eindruck. Gemeinsam mit Assistentin Rozie versucht Ihre Majestät Licht ins Dunkel zu bringen. Heimlich natürlich, aber dafür nicht minder gründlich. Ob die Queen und ihre Privatsekretärin das Verbrechen aufklären können?

Sprecherin Sandra Voss liest mit angenehmer Stimme lebendig und gut betont. Queen Elizabeth konnte ich mir aufgrund von Voss Interpretation sehr bildhaft vorstellen. Der Text ist gut verständlich, flüssig, klar und oft sehr amüsant formuliert. Very british der trockene Humor, durch den speziellen Schreibstil der Autorin S.J. Bennett wird eine authentisch wirkende Atmosphäre kreiert.

Gibt sich Elizabeth in der Realität doch recht steif und unnahbar, macht S.J. Bennett aus der Königin in ihrem Roman eine wunderbar sympathische Figur. Eine, die sich schon mal im Kleiderschrank versteckt, um sich an ihre Kindheit zu erinnern und dabei zufällig heimlich Leute belauscht. Eine, die klug, scharfsinnig und aufmerksam ist, die sich für ihre Umgebung und die Menschen interessiert und gleichzeitig so bescheiden ist und anderen den Ruhm überlässt, statt selbst im Mittelpunkt zu stehen. Mit Rozie hat sie die perfekte Partnerin, die stets professionell und kompetent bleibt und ein mindestens ebenso feines Gespür wie ihre Chefin dafür hat, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Die junge, weltoffene Rozie und die erfahrene, weise und konservative Queen. Was für ein Duo!

Ziemlich komplex, wie letztendlich alles zusammenhängt und zudem erstaunlich, was da alles ans Licht kommt. Die Auflösung ist nachvollziehbar und stimmig, aber nicht ganz einfach zu verstehen. Mich hat der zweite Fall der Queen und Rozie dennoch noch besser unterhalten als der erste. Viele humorvolle herrlich trockene und witzige Momente, nicht plump, aber feinsinnig, dazu zahlreiche spannende Dialoge. Ich möchte mir gerne vorstellen, dass die Queen auch in Wirklichkeit viel von Ihrer literarischen Figur hat. Ein netter, britisch-charmanter cosy Krimi mit einzigartiger royaler Atmosphäre, den ich sehr gern gehört habe und allen Elizabeth- und Krimifans empfehle.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.02.2022

Für Tierfreunde ein Muss - ein rundum gelungenes Tiersachbuch

Wieso? Weshalb? Warum? Tierwanderungen
0

Bezieht sich auf die Printausgabe:
Nicht nur Menschen wandern, auch Tiere legen oft erstaunliche Entfernungen zurück. In „Alles über Tierwanderungen“ erfahren Kinder, warum und wie Tiere um die Welt reisen: ...

Bezieht sich auf die Printausgabe:
Nicht nur Menschen wandern, auch Tiere legen oft erstaunliche Entfernungen zurück. In „Alles über Tierwanderungen“ erfahren Kinder, warum und wie Tiere um die Welt reisen: Wohin fliegen Zugvögel? Warum wandern Tiere? Welche Tiere ziehen am Land umher? Warum wandern manche Tiere gemeinsam? Welche Tiere klettern in großer Höhe? Wer kann zwischen Land und Wasser wechseln? Welche Tiere sind im Wasser unterwegs? Wer schwimmt weit durch Meer und Fluss? Wer wandert in Arktis und Antarktis? Wohin ziehen Vögel? Wohin wandern Insekten? Wie beobachten wir Tierwanderungen? Wieso erforschen wir die Tiere? Wo auf der Welt sind Tiere unterwegs? Wie können wir die Tiere unterstützen? All diese Fragen werden beantwortet.
Viele Tierarten wie Gänse, Pinguine, Elefanten, Kröten, Elche, aber auch Insekten wie die Wanderheuschrecke sind im Buch vertreten. Das Buch reist mit den kleinen Leserinnen und Lesern durch die ganze Welt, quer durch alle Kontinente.

Auf jeder Seite finden sich längere Sachtexte, kürzere ergänzende Erklärungen, Illustrationen, Entdeckerklappen oder größere Verwandelbilder. Manche Illustrationen umfassen eine ganze Doppelseite, andere sind kleiner und teilweise in Klappen eingearbeitet. Die Texte sind für Kinder gut verständlich formuliert, der Satzbau ist dabei klar und einfach strukturiert. Die kleinen Leser werden direkt mit „Du“ angesprochen, was den Text lebendig macht. Detailliert und motivierend sind die bunten, oft „bewegten“ Bilder gestaltet. Durch die vielen großen und Klappen erfahren die Kinder viel Überraschendes, die Hände „lesen“ dabei mit. Die kleine Küstenseeschwalbe Kria führt durch das Buch, kommentiert und unterhält mit Sprechblasen. Das Buch eignet sich zum Vorlesen für Kinder ab vier Jahren, die sicher in der Lage sind, mit den etwas empfindlichen Klappen sorgsam umzugehen. Schulkinder können die Texte schon selbständig erfassen.

Auch Tiere zieht es in die Ferne. Was für ein spannendes Thema! In „Alles über Tierwanderungen“ wird vielfältig beleuchtet und erklärt, dass Tiere ein besonderes Klima und spezielle Umstände benötigen, die ihren natürlichen, individuellen und aktuellen Bedürfnissen entsprechen. Dazu müssen sie oftmals die Umgebung wechseln. Dass es Zugvögeln im Winter bei uns zu kalt ist und sie in Schwärmen weiterziehen, hat wohl jeder schon beobachtet. Dass aber Pinguine in langen Reihen umherwandern, Haie teils 20.000 km zurücklegen und lange Zeit ohne Essen auskommen, in Afrika Mischherden aus verschiedenen Tierarten unterwegs sind oder auf den Weihnachtsinseln riesige Mengen an Landkrabben vom Regenwald zur Küste laufen, ist sicher nicht unbedingt Standardwissen. Hier können auch Erwachsene noch einiges dazu lernen. Tiere haben unglaubliche Fähigkeiten, die immer wieder in Erstaunen versetzen. So wechselt der Aal im Laufe seines Lebens nicht nur mehrmals seinen Lebensraum, er verändert dabei auch wiederholt seine Gestalt. Das Buch ist prall gefüllt mit hochinteressanten Fakten. Einziger kleiner Kritikpunkt ist, dass manche Inhalte sich wiederholen, so erfährt man beispielsweise auf zwei verschiedenen Seiten, dass bei den Kaiserpinguinen die Männchen brüten, einmal wird der Vorgang etwas genauer, einmal etwas weniger detailliert geschildert. Wie gewohnt ein sehr lehrreiches, ansprechend gestaltetes, buntes, spannendes Wissensbuch aus der beliebten Reihe. Für kleine Tierfans ein absolutes Muss!


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.01.2022

Jack the Ripper in Hamburg? Spannender historischer Krimi mit drei interessanten Protagonisten

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen (Hafenärztin 1)
0

„Warum heiraten, wenn man ein Leben in häuslicher Isolation führt?
Und welchen Sinn hat es, als Frau zu Hause zu bleiben, während sich draußen die Welt drehte, schneller und immer schneller“

Anne Fitzpatrick ...

„Warum heiraten, wenn man ein Leben in häuslicher Isolation führt?
Und welchen Sinn hat es, als Frau zu Hause zu bleiben, während sich draußen die Welt drehte, schneller und immer schneller“

Anne Fitzpatrick ist studierte Medizinerin und beginnt im Winter 1910 ein neues Leben in Hamburg. Sie engagiert sich im Frauenverein und eröffnet im Hafenviertel ein Frauenhaus. Dabei lernt sie Pastorentochter Helene von Curtius kennen, die mehr aus ihrem Leben machen will als die Hauswirtschaftsschule zu besuchen. Als Anne die Leiche einer Frau findet, ruft das Kommissar Berthold Reyhdt auf den Plan, der zunächst für die polizeiliche Ermittlung im Mordfall zuständig ist. Doch dann werden noch mehr Leichen entdeckt. Handelt es sich bei dem Mörder etwa um den berüchtigten, nie gefassten Serienkiller Jack the Ripper?

Autorin Henrike Engel schreibt flüssig und klar verständlich in der ersten Vergangenheit. Sie schildert abwechselnd die Handlung aus der Perspektive von Anne, Helene und Berthold. Das Cover und der Titel führen meiner Ansicht nach etwas in die Irre, medizinische Aspekte stehen im Roman nämlich weniger im Vordergrund als die Mordfälle und Anne ist nur eine von drei Hauptfiguren.

Drei ganz unterschiedliche Personen erleben das Geschehen aus ihrer Sicht. Da ist zunächst die geheimnisvolle Ärztin Anne Fitzpatrick. Sie scheint etwas zu verbergen und hat Angst, dass jemand erkennt, wer sie wirklich ist und woher sie eigentlich stammt. Anne ist engagiert, setzt sich für Gerechtigkeit, für benachteiligte, arme Frauen und für Frauenrechte ein. Ihr ist wie Helene wichtig, ein Leben in Freiheit und ohne Abhängigkeit führen zu können.
Helene versucht, aus der geschützten und langweiligen Enge des Elternhauses zu entfliehen und das echte Leben kennenzulernen. Sie möchte studieren, sich für andere einsetzen, selbstständig werden, hält es mit Lida Gustava Heymann: „Die Ehe ist der Selbstmord für die denkende Frau.“
Kommissar Berthold Rheydt interessiert sich sehr für seinen Beruf und für Fußball. Auch in seiner Vergangenheit gibt es Ereignisse, an die er sich nicht gerne erinnert. Umso ehrgeiziger und tatkräftiger präsentiert er sich im Hier und Jetzt.
Alle drei Figuren sind recht fortschrittlich, müssen mit Widerstand und Widersachern rechnen, sind sie doch so manchen Vertretern des Konservativen und der „gesitteten alten Zeiten“ ein Dorn im Auge. Die Figurenkonstellation ist recht abwechslungsreich und breit angelegt, umfasst verschiedene Gesellschaftsschichten.

Henrike Engel stellt die bedrückenden Zustände im Hafenviertel anschaulich dar, sie kreiert dabei eine authentische, dunkle Atmosphäre. Der Gegensatz zwischen wohlhabenden Bürgern und hart arbeitenden, unterprivilegierten Frauen, denen oft wenig Möglichkeiten bleibt, Geld zu verdienen, wird sehr deutlich. Das Thema der Kampf um Frauenrechte wird aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Helene beispielsweise gerät mit ihrer Hausangestellten aneinander, die sie sicherlich mit Berechtigung naiv nennt und ihr noch mehr an den Kopf wirft: „Du? Weißt du nicht, wo du hingehörst? Bleib in deinem Schlösschen! Was unsereins für Sorgen hat, geht dich nichts an.“ Helene, die wohl behütet aufwuchs, hat hehre Ideale, kann aber sicher nicht gänzlich nachvollziehen, wie es betroffenen, armen, unterdrückten Frauen in Notsituationen wirklich geht.
Der Plot um den Mordfall packte mich, die Auflösung empfand ich als nachvollziehbar und schlüssig. Dass der Fall aus drei Perspektiven weitergesponnen wird, ist spannend und gelungen konstruiert.
Am Ende bleiben einige Geheimnisse unaufgeklärt, was mich sehr neugierig auf die Fortsetzung macht. Zudem bin ich gespannt, wie sich die Beziehung zwischen Berthold und den beiden Frauen weiter gestaltet.
Auch wenn ich dem Cover nach eine vollkommen andere Geschichte erwartet habe, hat mich der Roman überzeugt. Wer einen historischen Roman über eine Ärztin mit interessanten Details aus der Medizingeschichte erwartet hat, wird womöglich enttäuscht werden. Die Hafenärztin ist eher ein Krimi, der auch von der Emanzipation der Frauen erzählt, drei Hauptfiguren statt nur eine hat und in dem auch immer wieder Politik und Fußball eine Rolle spielen. Wer historische Krimis mit eigener Atmosphäre mag, dem wird dieses Buch allerdings sicher gefallen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.01.2022

Arme, reiche Prinzessin - lesenswerte Romanbiographie, die einen Blick hinter die Fassade der englischen Krone gewährt

Diana (Ikonen ihrer Zeit 5)
0

„Unsere Geschichte ist so komplex und deshalb schwer nachzuvollziehen. Sie ist etwas ganz Besonderes.“
„Wirklich?“, gab Carolyn zu bedenken. „Oder ist sie nicht doch im Grunde wie so viele andere Liebesgeschichten: ...

„Unsere Geschichte ist so komplex und deshalb schwer nachzuvollziehen. Sie ist etwas ganz Besonderes.“
„Wirklich?“, gab Carolyn zu bedenken. „Oder ist sie nicht doch im Grunde wie so viele andere Liebesgeschichten: Frau liebt Mann, aber Mann liebt eine andere?“

Mit gerade einmal 17 Jahren verliebt sich die Kindergärtnerin Diana Spencer in den zukünftigen König von England Prinz Charles. Ihr großer Wunsch von einem Leben an seiner Seite geht in Erfüllung und Diana wird als Charles Ehefrau weltberühmt. Doch bald schon müssen ihre Träume von einem perfekten Leben als Prinzessin der Realität weichen. Die Beziehung zu Charles entwickelt sich zunehmend kompliziert. Diana ist unglücklich und gerät in Gefahr, sich selbst zu verlieren.

Autorin Julie Heiland erzählt flüssig und gut verständlich in klarer, natürlicher Sprache. Ich hatte keine Mühe, in die Handlung hineinzufinden. Grundsätzlich geht Heiland bei der Darstellung der Ereignisse chronologisch vor, zwischendurch schildert sie aber auch Szenen, die in der Zukunft spielen und „springt“ dann in die Vergangenheit zurück, um Entwicklungen genauer zu erklären. Das Cover zeigt ein Bild von Diana in London, sie ist darauf sofort zu erkennen, trägt ein für sie typisches rosa Kleid, was auf mich aber etwas kitschig wirkt.

Diana gilt als die „Königin der Herzen“, sie ist bei den Menschen außerordentlich beliebt, zeigt sich in der Öffentlichkeit nahbar und mitfühlend und findet sofort Zugang zu Menschen. Dieses besondere Talent im Umgang mit anderen, ihre Hilfsbereitschaft und ihr Engagement für Schwächere und Benachteiligte zeichnen sie aus. Doch es existiert auch eine andere Diana, jenseits der nach außen fröhlichen, unkomplizierten Frau. Das Buch stellt Diana ebenso als hochemotionale, sensible, unsichere, einsame, oft schwache und sehr unglückliche Frau dar, die sich nach Liebe und Zuneigung sehnt und die an der Kälte des Palasts zu zerbrechen droht. Sie fühlt sich oft, als fülle sie nur eine Rolle aus oder gar „wie tot“.
Eigentlich sitzt Diana mit Charles im selben Boot, beide müssen für die Öffentlichkeit funktionieren und repräsentieren. Doch auf die Unterstützung ihres Mannes kann die junge Frau nicht zählen. Charles wurde in seine Familie unabänderlich hineingeboren, er fühlt sich unfrei und fremdbestimmt. Für Diana, die ein ähnliches Problem hat, hat er dennoch kein Verständnis, er verhält sich ihr gegenüber kühl und abweisend. Charles Herz gehört bekanntermaßen einer anderen Frau, die er nicht vergessen kann. Der Prinz hadert zudem damit, dass Diana bei den Menschen und in der Presse wesentlich beliebter ist als er selbst. Auch wenn es für Charles nicht einfach ist, ständig im Fokus zu stehen und nicht das tun zu können, was er wirklich will, kommt er doch im Roman wenig sympathisch rüber. Für ihn hatte ich deutlich weniger Mitgefühl als für Diana, aber die dargestellte Perspektive ist eben auch die ihre. Charles würde die Geschichte sicher anders erzählen.
Auch zu Queen Elizabeth, die Diana „die einsamste Frau der Welt“ nennt, entwickelte ich keinen Zugang. Sie wirkt tatsächlich wie Diana treffend formuliert, „wie aus Granit“.

Julie Heiland beschreibt sehr deutlich, wie ein Märchen zum Albtraum wird. Charles bringt es auf den Punkt: „Wach endlich auf, Diana! Das hier ist nicht das Märchen, von dem alle gesprochen haben. Das hier ist nicht mal das normale Leben! Wie sind alle nur Figuren auf einem Schachbrett, die hin- und hergeschoben werden.“
Es ist einfach nur tragisch zu lesen, wie zwei privilegierte Menschen eine so verkorkste Beziehung führen können und sich gegenseitig das Leben derart schwer machen können. Tragisch, aber aus psychologischer Sicht sehr interessant und nachdenklich stimmend. Viele Szenen kommen mir aus der Serie „The Crown“ bekannt vor, einiges ist nicht genauso geschehen, sondern fiktiv. Dennoch kann ich mir gut vorstellen, dass viel von Dianas persönlicher Wahrheit in dieser Romanbiographie steckt. Möglicherweise hätte aber eine etwas differenziertere, multiperspektivische Sicht auf die Figuren dem Roman auch nicht geschadet.
„Diana- Königin der Herzen“ handelt von einer außergewöhnlichen, komplizierten, ganz und gar unmärchenhaften Beziehung und von einer unglücklichen Frau, die dennoch, wo sie auftauchte, die Augen zum Leuchten brachte. Diana wird nachvollziehbar und authentisch gezeichnet, als Ikone, emanzipierte Rebellin, als Liebende, aber eben auch als einsames, verlorenes, tief verletztes Mädchen. Mich hat die Geschichte dieser vielschichtigen, bemerkenswerten Frau angesprochen, unterhalten, stellenweise auch beeindruckt, bedrückt und betroffen gemacht. Ein weiterer empfehlenswerter Band aus der Reihe „Ikonen ihrer Zeit“.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere