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Veröffentlicht am 13.07.2020

Gut recherchierter historischer Roman über drei Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich ihrer eigenen Stimme bewusst werden

Unter den Linden 6
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„Ob Frauen studieren dürfen [..] können [..] sollen?
Mir persönlich erscheinen diese Untersuchungen ebenso müßig, als wollte jemand fragen: Darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? Soll er seine Beine ...

„Ob Frauen studieren dürfen [..] können [..] sollen?
Mir persönlich erscheinen diese Untersuchungen ebenso müßig, als wollte jemand fragen: Darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? Soll er seine Beine zum Gehen gebrauchen?“ Hedwig Dohm

1907 lernen sich die Wienerin Lise Meitner und die schüchterne Anni im Zug nach Berlin kennen. Lise hat in ihrer Heimatstadt Physik studiert hat und will ihre Ausbildung an der preußischen Friedrich-Wilhelms-Universität fortsetzen. Anni, die bisher ihr Leben auf dem Land verbracht hat, wird nun in Berlin eine Stelle als Hausmädchen antreten. Am Bahnsteig treffen sie auf die gutsituierte Bürgerliche Hedwig, die ihren schwer kranken Mann zur Kur verabschiedet. Die drei unterschiedlichen Frauen werden später immer wieder durch Zufall zusammen kommen und schließlich sogar Freundinnen. Während Anni allmählich, z.B. in Gesprächen mit ihrem neuen Hausherren, ihren Bildungshunger und ihren Wissensdurst entdeckt, setzt Hedwig alles daran, an der Universität Geschichte studieren zu dürfen, Lise hingegen möchte irgendwann ihren Lebensunterhalt als Forschende verdienen. Doch bis Frauen in der Welt der Universität anerkannt werden, ist es noch ein langer, steiniger Weg.

Abwechselnd stehen die drei verschiedenen Hauptfiguren Lise, Hedwig und Anni im Fokus des Geschehens. Ann-Sophie Kaisers gelang es mit ihrem flüssigen, gut lesbaren Schreibstil rasch, mich für ihre Geschichte zu gewinnen.

Drei ganz verschiedene Hauptpersonen, drei unterschiedliche Lebensentwürfe: Lise Meitner hat schon einiges erreicht, ihre Leidenschaft gehört der Erforschung der Radioaktivität, sie ist im Gegensatz zu ihren beiden Freundin keine fiktive Figur, sondern hat wirklich gelebt und Bedeutendes in ihrem Fachgebiet geleistet. Die zurückhaltende, bescheidene Anni erkennt erst im Laufe der Geschichte den Wert von Lernen, Wissen und Bildung. Hedwig hingegen weiß genau, was sie möchte, „richtig“ studieren, mit offiziell gültigem Abschluss. Alle Frauen sollen ihrer Meinung nach das Recht auf eine akademische Bildung haben. Hedwig eckt mit ihrer direkten Art des Öfteren in konservativen Kreisen an .
Lise, Hedwig und Anni kämpfen für ihre Rechte „im Kleinen“, versuchen für sich und andere Frauen, neue Möglichkeiten der Bildung zu erreichen, richtige „Vorreiterinnen“, Kämpferinnen für die Frauenbewegung, sind sie aber nicht, sie gehen nur kleinere Schritte - im Rahmen ihrer Möglichkeiten- in Richtung Emanzipation. Aber auch kleine Schritte führen irgendwann zum Ziel. Dass viele bedeutende historische Persönlichkeiten wie Max Planck, Otto Hahn, Otto Laue oder Hedwig Dohm im Roman wiederholt vorkommen, hat mir sehr gut gefallen, mich neugierig gemacht und mich angeregt, mehr über deren Biografien zu erfahren.

„Unter den Linden 6“ ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil geht es darum, wie die drei Frauen sich persönlich entwickeln und sich weiterbilden. Der zweite Teil bezieht historische Ereignisse, so den Beginn des ersten Weltkriegs mit ein, der erheblichen Einfluss auf Anni und ihre Freundinnen hat und ihre Situation vollständig verändert. Durchgehend war ich von der Handlung um die sympathischen und authentischen Hauptpersonen gefesselt.
Dass Lise Meitner auf dem für Frauen ungewöhnlichem Gebiet der Physik forscht, empfand ich als interessante, erfrischende Abwechslung. Physik ist ein Thema, das man in Frauenromanen eher selten findet.

Für mich ein sehr unterhaltsamer, packender Roman über beeindruckende Frauen, die nicht unbedingt Suffragetten sind, aber trotzdem viel für sich und andere Frauen erreicht haben.
Anni fasst eine wichtige Botschaft des Romans im Gespräch mit Lise und Hedwig treffend zusammen:
„Ihr beide habt mir gezeigt, dass man seinen eigenen Weg finden muss. Und sich dann nicht davon abbringen lassen darf. Gerade, wenn man eine Frau ist und andere einem ständig vorschreiben, was man zu tun und zu lassen hat. Dann übersieht man schnell, dass nichts davon Gewicht haben darf, wenn man es nicht auch selbst will. Nur übertönen die anderen Stimme die eigene Stimme. Und da ist es wichtig, eben gut zuzuhören. Wie ihr beide.“

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Veröffentlicht am 09.07.2020

Sieht man sich wirklich immer zweimal im Leben?

Die Nanny
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Jocelyn, genannt Jo, kehrt nach dem tragischen Unfalltod ihres Manns Chris mit Tochter Ruby auf das Familienanwesen nach England zu ihrer Mutter zurück. Seit Jos geliebte Nanny Hannah vor 30 Jahren von ...

Jocelyn, genannt Jo, kehrt nach dem tragischen Unfalltod ihres Manns Chris mit Tochter Ruby auf das Familienanwesen nach England zu ihrer Mutter zurück. Seit Jos geliebte Nanny Hannah vor 30 Jahren von einem Tag auf den anderen spurlos verschwand, ist das Verhältnis zwischen Jo und ihrer Mutter Virginia sehr belastet. Jahrelang herrschte Funkstille zwischen den beiden, die Mutter-Tochter-Beziehung ist aktuell durch gegenseitiges Misstrauen und Vorwürfe geprägt. Ausgerechnet Jo findet beim Rudern auf dem See ein weiblichen Schädel. Die Polizei versucht fieberhaft herauszufinden, wer die unbekannte Tote ist. Zeitgleich taucht im Ort eine ältere Frau auf und behauptet, die verschwundene Hannah zu sein. Virginia hat ernsthafte Zweifel an der Identität der Frau, sie ist fest davon überzeugt, dass Hannah tot ist.

Autorin Gilly Macmillan schreibt flüssig, unkompliziert und klar. Mal nimmt sie die Perspektive Jos ein, mal die des ermittelnden Detectives Andy Wilton, mal die Virginias und befasst sich dabei auch mit deren Erinnerungen an die Vergangenheit. Zusätzlich werden immer wieder Abschnitte eingeschoben, in denen Wendepunkte in Hannahs Leben geschildert werden.

Wem kann der Leser hier eigentlich noch trauen? Die drei Hauptfiguren Jo, Virginia und Hannah hegen Vorurteile und Ressentiments gegen die jeweils andere Frauen. Neid, Missgunst und Manipulation bestimmen ihr Verhalten und ihre Reaktionen. Auch der Polizist Andy Wilton ist voreingenommen gegen die -seiner Ansicht nach versnobte - Lady Virgina Holt, in der Dorfgemeinschaft sind die Holts ebensowenig beliebt. Was stimmt nun, was ist nur in der Phantasie der Figuren passiert, welche Rolle spielen Medikamente, die möglicherweise die Wahrnehmung beeinflussen? Klar, dass es bei dieser Konstellation schwer fällt, Sympathien für die einzelnen Figuren zu entwickeln, was von der Autorin sicher auch nicht beabsichtigt war.
Jo wirkt auf mich recht verunsichert, könnte ruhig etwas tatkräftiger sein und sich weniger von anderen abhängig machen, Virginia erweckt den Eindruck, nur um ihr eigenes Wohl besorgt zu sein und Hannah kommt sehr dominant, regelrecht bevormundend „rüber“. Selbst Ruby, Jos zehnjährige Tochter, scheint kein ehrliches Kind zu sein, sondern eines, dass es mit der Wahrheit und manchen Regeln nicht so genau nimmt.

Durch den ständigen Perspektivwechsel baut sich ganz langsam Spannung auf. Der Leser erfährt immer mehr Einzelheiten über das Verschwinden Hannahs in der Vergangenheit, auch die aktuellen Ereignisse spitzen sich dramatisch zu. Gilly Macmillan hat ihren Thriller recht geschickt konstruiert, ich war von der packenden Handlung bis zum Schluss, zur Auflösung, gefesselt. Nicht alle Entwicklungen empfand ich als logisch und nachvollziehbar, einige Erklärungen waren für mich nicht hundertprozentig überzeugend.

„Die Nanny“ hat mich durchgehend gut unterhalten und überrascht. Nicht unbedingt „nervenzerreißend“, aber ein solider, gut gemachter Thriller, der immer wieder raffiniert mit den Erwartungen des Lesers spielt.

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Veröffentlicht am 07.07.2020

Solide und recht unterhaltsame Fortsetzung, etwas schwächer als Band 1

Die Farben der Schönheit - Sophias Träume (Sophia 2)
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Sophia Krohn erhält in einen anonymen Brief den Hinweis, dass ihr Sohn bei der Geburt damals nicht gestorben ist, sondern in Wahrheit noch lebt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, reist sie 1929 nach ...

Sophia Krohn erhält in einen anonymen Brief den Hinweis, dass ihr Sohn bei der Geburt damals nicht gestorben ist, sondern in Wahrheit noch lebt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, reist sie 1929 nach Paris. Doch im Krankenhaus, in dem sie entbunden hat, stößt sie auf eine Mauer aus Schweigen. Zudem findet sie Freundin Henny in der französischen Metropole in besorgniserregenden Zustand vor. Unverrichteter Dinge kehrt Sophia nach New York zurück. Bei Elizabeth Arden bewirbt sie sich um eine neue Anstellung, nachdem ihr im Unternehmen von Helena Rubinstein gekündigt wurde. Elizabeth Arden bietet ihr jedoch nicht die erhoffte Stellung im Labor an, Sophia muss sich auf ein neues Betätigungsfeld einstellen.

Corinna Bomann schreibt klar und gut verständlich. Ihr Sprachstil wirkt jedoch ein wenig brav und spröde, lässt Spitzigkeit und Lebendigkeit vermissen, der verwendete Wortschatz könnte durchaus ein wenig abwechslungsreicher sein.

Sophia ist ein typischer Bomann-Charakter: Begabt, ehrgeizig, konsequent, tatkräftig, ernst, fast etwas bieder. Interessant wird sie für den Leser durch ihre Erlebnisse, durch ihr Leben, das sich ständig ändert, nicht aber durch ihre Persönlichkeit, die eher unnahbar, ein bisschen langweilig und auf mich nicht recht sympathisch wirken mag. Auch die anderen Figuren überzeugen mich nicht vollkommen. So ist Haushälterin Kate beispielsweise „herzensgut“, aber sie wird so oberflächlich dargestellt, dass sie nicht zu mir „durchdrang“. Auch Sophia selbst entwickelt keine ausgeprägten, tiefen Bindungen zu anderen. Wichtige Auftritte haben die starken Frauen Elizabeth Arden und Helena Rubinstein, reale, sehr faszinierende und erfolgreiche Persönlichkeiten, die die Geschichte glaubwürdiger, interessanter und authentischer machen.

Auch im zweiten Band der Reihe tut sich einiges in Sophias Leben, sie versucht herauszufinden, was nach der Geburt mit ihrem Sohn wirklich geschah, sorgt sich um Henny, muss beruflich neu anfangen. Der Roman spielt in Paris, New York und in Maine, auch in Berlin legt Sophia einen Zwischenstopp ein. Ruhe findet die junge Frau da kaum. Durch den häufigen Wechsel des Schauplatzes bleibt die Geschichte im Fluss, es kommt keine Langeweile auf. Am Ende steht ein Ereignis, das unbedingt nach Auflösung verlangt. Es bleibt also spannend. Trotzdem passiert in „Sophias Träume“ nicht ganz so viel wie im Vorgänger „Sophias Hoffnung“, die Handlung empfand ich als etwas weniger fesselnd.

„Sophias Träume“ ist ein unterhaltsamer, recht kurzweiliger Roman über eine Frau, die sich in den 30er Jahren in der Kosmetikbranche zu etablieren versucht und den Puderkrieg zwischen den erbitterten Konkurrentinnen Elizabeth Arden und Helena Rubinstein aus nächster Nähe erlebt. Etwas schwächer als Band 1, aber trotzdem eine solide Fortsetzung. Auch wenn der Roman ein paar Schwachstellen aufweist, bin ich gespannt, wie es mit Sophia weitergeht und werde definitiv auch den Abschluss der Trilogie lesen.

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Veröffentlicht am 07.07.2020

Sehr unterhaltsames Hörbuch mit skurril-liebenswerten Figuren und jeder Menge Situationskomik

Man wird ja wohl noch träumen dürfen
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Thea ist Physiotherapeutin, ihre Praxis befindet sich in einem alten Fachwerkhaus. Die Hausgemeinschaft dort ist etwas ganz Besonderes. Psychotherapeut Dr. Grosser trinkt täglich mit Thea Tee, IT-Experte ...

Thea ist Physiotherapeutin, ihre Praxis befindet sich in einem alten Fachwerkhaus. Die Hausgemeinschaft dort ist etwas ganz Besonderes. Psychotherapeut Dr. Grosser trinkt täglich mit Thea Tee, IT-Experte Schröder hält stets eine Notration Schokolade für sie bereit und auch die Weisheiten der Sachbuchautorin Margarete gehören zu Theas Leben dazu. Jetzt soll das Haus saniert und verkauft werden. Die Hausgemeinschaft wird sich wohl oder übel auflösen. „Doch man wird ja wohl noch träumen dürfen“: Thea will die Hoffnung nicht aufgeben und kämpft dafür, dass sich alles zum Guten wendet und die Freunde weiterhin zusammen bleiben können. Doch das scheint mehr als unrealistisch.

Was für ein locker- leichter Schreibstil, flüssig, unkompliziert und sehr natürlich! Vanida Karun liest den Roman so angenehm und mitreißend, dass ich ihr ewig zuhören könnte. Den einzelnen Figuren wie Oma oder Schröder verleiht sie auf beeindruckend gekonnte Art eine ganz spezielle, individuelle Note.

Kristina Günak hat sich außergewöhnlich liebenswerte, mitunter ziemlich skurrile Charaktere für ihre Hauptrollen ausgesucht: Thea mit ihrem Emanzenspleen, die nie mehr von einem Mann abhängig sein möchte, Doktor Grosser, der mitunter seine „verbalen Tage“ hat, was für einen Psychotherapeuten nicht unbedingt typisch ist, den netten, zuverlässigen Schröder, der immer da ist, aber auch von einer geheimnisvolle Aura umgeben ist, und Theas herrlich direkte Oma. Diese amüsanten Figuren sorgen immer wieder für wunderbare Situationskomik.

Kristina Günaks Geschichte ist nicht ganz neu: nett, aber durchaus vorhersehbar. Sie lebt aber nicht von der innovativen Handlung, sondern von den unglaublich witzigen, originellen Figuren, den teils herrlich überzeichneten Reaktionen und Szenen. Ich wurde jederzeit gut unterhalten, habe sehr viel gelacht, wurde aber auch stellenweise ein bisschen zum Nachdenken angeregt, denn wie im richtigen Leben ist hier ebenso nicht immer alles eitel Sonnenschein, Regen gehört manchmal auch dazu.

Ein Hörbuch voller sympathischer, unkonventioneller Charaktere, mit jeder Menge Humor und einem perfekten Happy End. Eine wunderbare Ablenkung vom gerade etwas getrübten Alltag. Spaß ist hier absolut garantiert. Und den kann ja man nie genug haben.

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Veröffentlicht am 30.06.2020

Von Ängsten, Einsamkeit, festgefahrenen Situationen und dem Mut, einen Neuanfang zu wagen

Die Liebe kommt auf Zehenspitzen
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Städterin Lucy möchte Weihnachten zu Hause bei ihren Eltern verbringen. Sie organisiert sich eine Mitfahrgelegenheit: Ben, der als Arzt in der Notaufnahme arbeitet. Doch das Weihnachtsfest fällt anders ...

Städterin Lucy möchte Weihnachten zu Hause bei ihren Eltern verbringen. Sie organisiert sich eine Mitfahrgelegenheit: Ben, der als Arzt in der Notaufnahme arbeitet. Doch das Weihnachtsfest fällt anders aus als erwartet. Ein heftiger Schneesturm verhindert, dass Lucy bei ihren Eltern rechtzeitig ankommt. Gemeinsam mit Ben findet sie Unterschlupf bei der älteren Dorle, die in einem historischen Bauernhof auf dem Land lebt. Diese Weihnachtsfeier wird Ben und Lucy noch lange in Erinnerung bleiben. Denn einige Zeit später erfahren sie, dass sie gemeinsam und völlig unerwartet Dorles Anwesen erben. Sie beschließen, sich auf das Abenteuer Landleben einzulassen.

„Die Liebe kommt auf Zehenspitzen“ lässt sich angenehm unkompliziert und flüssig lesen. Kristina Günaks Schreibstil macht es dem Leser sehr leicht, sofort einen Zugang zur Geschichte zu finden.

Lucy hält sich mit Übersetzungen von mehr oder weniger interessanten Romanen über Wasser. Eigentlich möchte sie aber als Autorin arbeiten und hat bereits einen Vertrag für ein Buch in der Tasche, doch das Schreiben mag einfach nicht so recht vorwärts gehen. Lucy hofft darauf, auf dem Land Inspiration zu finden und dort endlich ihr Buch zu beenden.
Ben ist mit seinem stressigen Leben als Arzt in der Notaufnahme überfordert, wird immer wieder von Ängsten geplagt. Das Landleben soll den erwünschten Neuanfang bringen. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Ben und Lucy sind zwei sympathische, stimmige und nachvollziehbare Charaktere. „Auf Zehenspitzen“ beschnuppern sie sich zunächst sacht, ganz vorsichtig und zurückhaltend, doch mit der Zeit werden aus den Mitbewohnern Freunde. Die sich entwickelnde Beziehung der beiden sensiblen Figuren beschreibt Kristina Günak sehr überzeugend, mit Gefühl und Bedacht. Hier haben kleine Gesten oft eine wunderbar große, romantische Bedeutung.
Außergewöhnlich gut haben mir auch die Dorfbewohner gefallen: liebenswert, schrullig, originell. Menschen, die füreinander da sind, auf die man sich verlassen kann. Hier auf dem Land ist die Welt noch in Ordnung.

Der Titel „Die Liebe kommt auf Zehenspitzen“ passt perfekt zum Inhalt, es ist kein Roman mit Effekt und Wumms. Es ist ein ruhiger Roman der leisen Töne. Ben und Lucy entschleunigen ihr Leben, auch dazu gehört Mut. Viel passiert äußerlich nicht, die Handlung ist recht vorhersehbar. Dennoch füllt die Autorin das Buch mit sehr viel Leben. Es werden so viele ernste Themen, wie Einsamkeit und vor allem Ängste und Unsicherheiten angesprochen, dass keine Langeweile aufkommt. Eine Geschichte mit viel Harmonie, vor allem im Dorf, aber auch voller existenzieller Probleme, die hier wirklich ernst genommen und nicht nur oberflächlich abgehandelt werden. Am Ende siegt, wie wir es uns alle wünschen, die Zuversicht. Allerdings gestaltet sich das Ende etwas weniger verhalten, etwas übertriebener als ich es mir erhofft habe. Aber das mag nur mein persönlicher Geschmack sein und tut dem Ganzen wenig Abbruch.

Das Leben ist nicht immer Friede, Freude und Eierkuchen. Aber es liegt auch an uns selbst, es möglichst glücklich zu gestalten. Manchmal braucht es einfach Mut, sein Leben zu ändern und sich auf andere einzulassen. Ängste hat jeder, aber gemeinsam wird es schon irgendwie werden. Ein bisschen Glück ist nie verkehrt und solches, das ganz langsam und leise daher kommt, hält vielleicht sogar länger. Optimistischer Roman mit netten Figuren und schöner Botschaft und dazu eine kleine Liebeserklärung ans Landleben.

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