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Veröffentlicht am 02.03.2020

Perfekte Komposition

Sommer bei Nacht
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Der fünfjährige Jannis verschwindet auf einem Schulflohmarkt. Aufnahmen beweisen, dass er von einem Mann mit großem Teddybären fortgebracht wurde. Fieberhaft sucht die Polizei, allen voran die Kommissare ...

Der fünfjährige Jannis verschwindet auf einem Schulflohmarkt. Aufnahmen beweisen, dass er von einem Mann mit großem Teddybären fortgebracht wurde. Fieberhaft sucht die Polizei, allen voran die Kommissare Ben Neven und Christian Sandner, nach dem Jungen. Im Laufe der Ermittlungen ergeben sich Parallelen zu einem früheren Fall. Die Zeit wird knapp, denn mit jeder Minute sinkt erfahrungsgemäß die Chance, den Jungen lebend wiederzufinden....

Jan Costin Wagner schreibt auf unverkennbare Weise: im Präsens mit klaren und einfachen Sätzen. Er nimmt jeweils die Perspektive einer Figur ein und schildert aus ihrer Sicht alles, was passiert und auch das, was der Person gerade durch den Kopf geht, ihre Gedanken und Emotionen. Durch die Zeitform der Gegenwart entsteht der Eindruck, alles finde genau jetzt statt. Dies wirkt so nüchtern und sachlich, als könnte man den Charakter ganz unvoreingenommen beim Denken beobachten. Dieser prägnante typische Stil macht Wagners Romane aus.

Auch die Handlung ist durch diesen unnachahmlichen Schreibstil geprägt. Sie ist im Grunde ganz schnell erzählt. Es geht um den Fall des verschwundenen Jungen. Der Autor befasst sich mit den am Fall beteiligten Personen, den Ermittlern, den Eltern des Jungen, dem Täter, dem Opfer und anderen Betroffenen und beschreibt in einzelnen Kapiteln deren momentane Situation: das, was sie auf unterschiedlichen Ebenen gerade erleben. Dabei geht es nicht darum zu rätseln, wer der Täter ist. Das wird schon ziemlich am Anfang aufgelöst. Es wird vielmehr aufgezeigt, was der Entführungsfall mit den einzelnen Charakteren anstellt und was sie in der Folge tun und denken. Die Handlung findet teils auch in den Köpfen der Figuren statt. Der Krimi ist nicht spannend im klassischen Sinn. Die Spannung liegt sicher eher darin, immer mehr über die Figuren zu erfahren. Alle haben ihr Päckchen zu tragen, wecken auf unterschiedliche Art das Interesse des Lesers: Was bewegt sie? Welche Abgründe verbergen sich hinter ihrer Fassade? Die sind mitunter erschreckend tief.....

Jan Costin Wagner ist auch hier wieder ein einzigartiger besonderer Roman gelungen: düster, melancholisch und intensiv. Beeindruckend! So klar und doch kaum zu fassen. Ich kann nicht genau ausdrücken, worin die besondere Faszination dieses Romans besteht, aber vielleicht ist es ja gerade das, was das Buch ausmacht. Also lieber nicht mehr analysieren, einfach lesen, genießen und über die perfekte Komposition staunen.
Für mich große Literatur!

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Veröffentlicht am 29.02.2020

Rundum gelungenes Erstlesebuch, das unter den üblichen 08/15- Büchern des Genres positiv hervorsticht

Doktor Miez – Der geheimnisvolle Sumpfjocki (Doktor Miez 3)
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Die Sumsler möchten Pfadfinder werden, wissen aber leider nicht so genau, wie das geht. Zum Glück kennt sich Doktor Miez gut aus und zeigt ihnen, worauf es beim Pfadfinder sein ankommt: Sie lernen gemeinsam ...

Die Sumsler möchten Pfadfinder werden, wissen aber leider nicht so genau, wie das geht. Zum Glück kennt sich Doktor Miez gut aus und zeigt ihnen, worauf es beim Pfadfinder sein ankommt: Sie lernen gemeinsam morsen, knüpfen Pfadfinderknoten, bauen sich eine Pfadfinderhütte, brutzeln am Lagerfeuer ihr Essen und Dr. Miez erzählt nachts eine Gruselgeschichte. Abends bei der Nachtwache hört Löbe dann plötzlich ein verdächtiges Knacken. Gibt es den Sumpfjocki aus Dr. Miez Gruselgeschichte etwa doch wirklich? Die Freunde machen sich in der Dunkelheit auf die Suche....

„Doktor Miez- Der geheimnisvolle Sumpfjocki“ ist ein Buch für Erstleser ab 6/7 Jahren. Die Schrift ist angenehm groß gedruckt, so dass die jungen Leser sich nicht überfordert fühlen. Die Sätze sind einfach, gut verständlich und recht kurz gehalten, aber trotzdem schön abwechslungsreich formuliert. Daher lässt sich der Text recht flüssig lesen. Für Leseanfänger hat die in drei Kapitel gegliedert Geschichte genau die richtige Länge.

Das Thema Pfadfinder ist für Kinder dieses Alters sicher eine gute Wahl. Welches Kind möchte selbst nicht auch einmal Pfadfinder spielen und Abenteuer im Wald erleben? Die Geschichte regt definitiv die Phantasie der Kinder an und animiert zum Nachspielen. Schön auch, dass das Buch sowohl für Jungen und Mädchen interessant ist und nicht nur auf Leser eines bestimmten Geschlechts abzielt.

Das Abenteuer um den geheimnisvollen Sumpfjocki ist richtig spannend zu lesen. Dies ist bei anderen Erstlesebüchern nicht immer der Fall. Oft setzen solche Bücher nämlich mehr auf Verständlichkeit und Lesbarkeit als auf einen mitreißenden Inhalt und kommen dann ziemlich langweilig und wenig motivierend rüber. Diese Geschichte hat mir und meinem sechsjährigen Sohn aber richtig gut gefallen. Nach dem Vorlesen war er ziemlich enttäuscht, dass das Buch schon vorbei war.

Autor Walko hat für seine Geschichte originelle witzige und liebenswerte Figuren erfunden, die den Lesern sofort sympathisch sind. Am meisten lachten wir über Angeber Löbe, der eigentlich ein ziemlicher Angsthase ist, aber das natürlich niemals zugeben würde....
Besonders hervorzuheben sind zudem die lebendigen, detaillierten, bunten Bilder, die die Geschichte perfekt illustrieren und treffend zusammenfassen.

Alles in allem ein rundum gelungenes Erstlesebuch: gut lesbar, lustig, spannend und motivierend. Absolut empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 28.02.2020

Melancholischer Roman über eine außergewöhnliche Männerfreundschaft

Das kann uns keiner nehmen
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Hans hat es geschafft, er hat den Kilimandscharo bestiegen und hofft nun endlich, mit seiner abschließen zu können. Doch viel Zeit, in sich zu gehen und und die atemberaubende Landschaft in Ruhe zu genießen, ...

Hans hat es geschafft, er hat den Kilimandscharo bestiegen und hofft nun endlich, mit seiner abschließen zu können. Doch viel Zeit, in sich zu gehen und und die atemberaubende Landschaft in Ruhe zu genießen, bleibt ihm nicht. Denn am Rande des Kraters hat der Bayer Tscharlie bereits sein Lager aufgeschlagen. Und der ist ganz schön laut, penetrant, grob, ungehobelt und teilt politisch völlig unkorrekte Ansichten. Eine alles andere als ideale Reisebegleitung! In der folgenden beängstigenden Nacht mit Schneesturm können sich die beiden Männer allerdings nicht aus dem Weg gehen und sind unfreiwillig aufeinander angewiesen. Diese Erfahrung schweißt zusammen, danach fühlen sich beide miteinander verbunden. Schließlich unternehmen die zwei gemeinsam sogar eine Reise und Tscharlie zeigt Hans „sein Afrika“. Dabei lernen sich die ungleichen Männer immer besser kennen und erleben am Ende eine unvergleichliche Freundschaft, die genauso intensiv wie kurzlebig ist. Denn nichts währt ewig und schon gar nicht das Leben....


Matthias Politycki hat einen ganz eigenen Schreibstil, besonders, interessant, aber nicht unbedingt flüssig, manchmal eher „unbequem“. In der ersten Hälfte des Buchs tat ich mich deshalb ziemlich schwer, in den Roman hineinzufinden. Der „Knoten platzte“ dann, als Tscharlie immer mehr von sich und seinem Leben preisgab. Da „hatte“ Politycki mich! Wie Hans entwickelte auch ich beim Lesen nach und nach einen besonderen Bezug zu Tscharlie, der trotz seiner rauhen Schale ein sehr empfindsamer „tiefsinniger“ Mensch ist, und damit schließlich auch zum Roman selbst.

„Die Weiber san was Wunderbares, Hansi. Es sei denn, sie san grad ganz schrecklich“, erklärt Tscharlie. Irgendwie ging es mir mit Tscharlie da ganz ähnlich. Wenn er nicht gerade ganz „schrecklich“ war, indem er provozierte und laut und taktlos lospolterte, fand ich ihn ganz wunderbar. Dieser so vielschichtige, ambivalente Charakter Tscharlie zeichnet den Roman aus, in ihm zeigt sich Polityckis ganze Erzählkunst. Hans hingegen macht es dem Leser einfacher, er ist nachvollziehbarer, mit ihm lässt es sich viel leichter identifizieren. Hans stellt Tscharlies Gegenpol dar, wirkt sympathisch, ruhig und besonnen, aber vor allem anfangs etwas spröde. Dass auch Hans in Afrika ein Trauma zu verarbeiten hat, macht ihn schließlich greifbarer und zugänglicher. Der Leser und Tscharlie fühlen sich von Hans Erzählungen über die schrecklichen vergangenen Erlebnisse tief betroffen und kommen ihm dadurch emotional näher. Am Ende hatte ich das Gefühl, selbst Teil dieser Freundschaft geworden zu sein, so intensiv habe ich die Schritt für Schritt gewachsene besondere Beziehung der beiden Männer miterlebt.

Viel passiert in diesem ruhigen Roman nicht, entscheidende Teile der Handlung fanden bereits in der Vergangenheit statt und werden dann in Gesprächen lediglich zusammengefasst und verarbeitet. Trotzdem kommt keine Langeweile auf, am Ende war ich traurig, dass alles schon vorbei sein sollte. Ich hätte der Freundschaft der beiden noch mehr Zeit gewünscht. Aber immerhin ist sie gewesen und immerhin hatte ich das Glück, diesen tiefgründigen, atmosphärischen Roman für mich entdeckt zu haben und an Tscharlies und Hans tiefer Verbundenheit und ihren Lebensweisheiten teilhaben zu dürfen. Diese Lese-Erfahrung kann mir keiner nehmen: Komisch, traurig, berührend, aufwühlend, melancholisch und vor allem zum Schluss hin von beeindruckender Erzählkraft.

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Veröffentlicht am 28.02.2020

Spannender Psychothriller, der Einsicht in die Abgründe der menschlichen Seele gewährt

Sieben Lügen
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Dass Charles nicht der Richtige für ihre beste Freundin Marnie ist, davon ist Jane überzeugt. Trotzdem macht sie gute Miene zum bösen Spiel und versichert Marnie, sie halte Charles und Marnie für „füreinander ...

Dass Charles nicht der Richtige für ihre beste Freundin Marnie ist, davon ist Jane überzeugt. Trotzdem macht sie gute Miene zum bösen Spiel und versichert Marnie, sie halte Charles und Marnie für „füreinander geschaffen“. Die Wahrheit, dass Jane Charles abgrundtief hasst, soll niemand erfahren. Eine Lüge, sei sie auch noch so nichtig, bleibt meist nicht lang alleine. So auch hier: Um ihre Freundschaft mit Marnie zu schützen, lügt Jane weiter, „sieben Lügen“ insgesamt, und setzt damit eine unaufhaltsame Kette von Ereignissen in Gang, die schon bald außer Kontrolle gerät....

Elizabeth Kay erzählt aus der Sicht der Protagonistin Jane. Sie schreibt plausibel und lebendig und liefert dem Leser einen klaren Einblick in Janes Kopf, lässt ihn an Janes sämtlichen Gedanken teilhaben. Häufig wendet sich Jane auch direkt an ihr Gegenüber in der Du-Form, fast als befände sie sich in einem Gespräch. Immer wieder wird der Eindruck erweckt, Jane rechtfertige sich direkt beim Leser für ihr Verhalten. Der Roman ist gegliedert in sieben Abschnitte, sieben Lügen, die die Geschichte vorantreiben. Anfangs noch harmlos, werden die Lügen schlimmer und gewinnen immer mehr an Gewicht und Bedeutung. Für Jane gibt es kein Zurück mehr. Am Ende steuert alles auf eine Katastrophe, auf ein atemberaubendes, trotz der stimmigen stringenten Handlung irgendwie auch unerwartetes Finale zu. Der Thriller kommt mit wenig Blut und Grausamkeit aus, vieles findet nur in Janes Kopf statt, aber gerade deshalb ist der Plot ziemlich realistisch und mitreißend.

Jane ist eine sehr interessante Hauptfigur. Das Leben meint es mit ihr oft nicht gut, so muss sie die Verantwortung für ihre schwerkranke kleine Schwester und ihre demente Mutter tragen. Die Protagonistin erzählt ihre Story sehr eindringlich und legt schonungslos offen all ihren abgründigen Vorstellungen und Gefühle dar. Dabei kommt sie dem Leser so nah, dass sie große, teils widersprüchliche Emotionen auslöst. In einem Moment empfand ich beim Lesen überwältigendes Mitleid für sie, im nächsten widerte sie mich nur an. Und immer wieder steht die Frage im Raum, ob die Dinge wirklich so geschehen oder ob alles lediglich Janes Variation der Realität darstellt. Denn Lügen sind ja genau Janes Ding...Alle andere Figuren lernt der Leser nur gefiltert, aus Janes Blickwinkel, kennen, sie werden bei Janes permanenter Präsenz zu Nebenfiguren degradiert.

Ein spannender aufwühlender und deprimierender Psychothriller, der dem Leser Einblick in das Innere einer ebenso faszinierenden wie abgründigen und abstoßenden Persönlichkeit gewährt. Dies geschieht so überzeugend, dass einen die Figur sicherlich noch lange beschäftigen wird. Kein spektakulärer Roman, aber eine fundierte Schilderung dessen, wozu Menschen in Extremsituation fähig sind, um zu schützen, was ihnen lieb ist. Intensiv, glaubwürdig und deshalb lesenswert!

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Veröffentlicht am 28.02.2020

Sind wir nicht alle das Produkt unserer Vergangenheit?

Die Tochter – Deiner Vergangenheit entkommst du nicht!
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Die Alleinerziehende Kathi lebt mit ihrer Tochter in dem heruntergekommenen Haus ihrer Mutter in Lohausen, einem Düsseldorfer Vorort. Kathi stammt aus schwierigen Verhältnissen und wurde deshalb während ...

Die Alleinerziehende Kathi lebt mit ihrer Tochter in dem heruntergekommenen Haus ihrer Mutter in Lohausen, einem Düsseldorfer Vorort. Kathi stammt aus schwierigen Verhältnissen und wurde deshalb während ihrer Schulzeit von anderen Mädchen wie ihrer Klassenkameradin Gabi gehänselt, ja richtiggehend drangsaliert. Nun scheint sich das Schicksal zu wiederholen und es ergeht ihrer Tochter Lucy genauso. Ausgerechnet Annabell, Gabis Tochter, macht Lucy gemeinsam mit ihrer besten Freundin Charlotte das Leben schwer. Als plötzlich Charlotte verschwindet, eskaliert die Situation. Unglücklicherweise hat Kathi das Mädchen auch noch zuletzt lebend gesehen. Die Erinnerungen an die Vergangenheit kommen wieder hoch und Kathi gerät unter Verdacht. Glücklicherweise findet sie in der neuen Schwimmlehrerin Judith eine Verbündete und zuverlässige Freundin.....

Rose Klay schreibt angenehm klar, strukturiert und sehr flüssig, mein Einstieg in die Geschichte gelang daher mühelos. Die Handlung des Thrillers hat mich von der ersten Seite an gefesselt und ich habe den Roman in kürzester Zeit regelrecht inhaliert. Im Verlauf der Geschichte dringen immer mehr Geheimnisse aus Kathis Vergangenheit und deren Familie an die Oberfläche und auch im Entführungsfall tauchen sukzessive neue Details auf. Trotzdem kam das Ende für mich ziemlich unvorhergesehen.

Klays Charaktere haben alle einen ambivalenten, leicht mysteriösen Touch, niemand scheint hier ganz unschuldig zu sein, weder der harmlos anmutende Rolfie, noch Tochter Lucy oder Hauptperson Kathi selbst. Für Kathi hegte ich große Sympathie aber nicht alles an ihrem Verhalten war für mich nachvollziehbar. Ihre Tochter Lucy tat mir sehr Leid. Kein Kind sollte von seinen Klassenkameraden so behandelt werden wie sie. Klay sät gezielt geschickt Misstrauen gegen ihre eigenen Figuren, die sich auch immer wieder gegenseitig hinterfragen. Das macht die Geschichte umso interessanter und spannender.
Klays Krimi, der in Deutschland spielt, mutet fast ein wenig amerikanisch an: nicht leise zurückhaltend und bodenständig, sondern recht spektakulär und mit viel Effekt, hier wird ordentlich Staub aufgewirbelt. Der Plot macht definitiv was her und könnte auch ein Drehbuch für einen Spielfilm darstellen.
Ein packender Psychothriller, den ich jedem empfehlen kann, der spannende fesselnde Unterhaltung zu schätzen weiß.

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