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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.09.2024

Wo ist Heimat?

Luzia
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Luzia wächst bei einer Ziehmutter auf, da ihrer Mutter Mittel und Wege fehlen im Österreich der 20er Jahre als alleinstehende, arbeitende Frau sie selbst großzuziehen. Doch auch dort kann sie nicht ihre ...

Luzia wächst bei einer Ziehmutter auf, da ihrer Mutter Mittel und Wege fehlen im Österreich der 20er Jahre als alleinstehende, arbeitende Frau sie selbst großzuziehen. Doch auch dort kann sie nicht ihre gesamte Kindheit verbringen und wird weiter geschickt auf einen landwirtschaftlichen Hof in die niederösterreichische Bucklige Welt.

Luzias Kindheit ist nicht nur geprägt von schwierigen Lebensbedingungen und gesellschaftlichen Spannungen, sondern vor allem von einer Suche nach einer Heimat, Liebe und Fürsorge. Mit kindlicher Naivität versucht sie die Welt um sich herum zu verstehen und ihren Platz darin zu finden, wo sie doch nirgends willkommen zu sein scheint. Die Geschichte lebt von der atmosphärischen Erzählung und den Bildern, die im Kopf beim Lesen erwachen. Trotz der wenigen Seiten, die das Buch umfasst, ist mir doch mehrfach das Herz in die Hose gerutscht ob der Dinge, die dem Mädchen widerfahren. Mein Mutterherz möchte sie einfach nur in den Arm nehmen.

Die Geschichte eignet sich wunderbar für einen melancholischen Nachmittag auf der Couch. Der kurze Ausflug in das historische Österreich lädt ein über Identität und Herkunft nachzudenken und übt zudem auch Gesellschaftskritik (Ausgrenzung, fehlende Kommunikation zwischen verschiedenen politischen Lagern, politisch motivierte Gewalt). Meine einzige Kritik an diesem Buch ist die Verwendung des Zig***er-Begriffes in der direkten Rede für eine Gruppe fahrender Leute und Menschen ohne Obdach, ohne dies in einem Nachwort korrekt historisch einzuordnen.

Veröffentlicht am 07.09.2024

Tolle Sprache und Erzählweise

Mit Blick aufs Meer
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Der Blick aufs Meer, das ist wohl allen Bewohnern in dieser Kleinstadt an der Ostküste der USA gemein. Eine von ihnen ist Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathematik-Lehrerin, die weder besonders beliebt ...

Der Blick aufs Meer, das ist wohl allen Bewohnern in dieser Kleinstadt an der Ostküste der USA gemein. Eine von ihnen ist Olive Kitteridge, eine pensionierte Mathematik-Lehrerin, die weder besonders beliebt ist, noch sonst irgendwie bereichernd im Umgang. Ganz anders Henry, ihr Mann. Er ist höflich und gütig und liebt Olive trotz ihres muffeligen Charakters innig. Das Buch erzählt aber nicht nur die Geschichte dieser beiden, sondern auch episodenhaft aus dem Leben der anderen Einwohner. Wie durch einen Blich durchs Fenster erhaschen wir einen Blick in das Leben der anderen ohne jeweils tief darin einzutauchen. Ganz besonders ist dabei die Sprache und Erzählweise der Geschichte. Sie trägt uns erst mit stimmungsvollen und atmosphärischen Beschreibungen in die Situation, sanft lässt du dich treiben und dann in einem Halbsatz bäääm Aufprall auf dem harten Boden der Realität und dann geht es nahtlos weiter, als ob nie was geschehen wäre (Beispiel: Mrs Granger, die eine tolle und pflichtbewusste Mitarbeiterin war, immer pünktlich und ordentlich, bis sie dann plötzlich eines Nachts verstorben ist. I‘m Sorry Mrs Granger! Damit ist dein Auftritt hier jetzt auch beendet…).
Man kann Olive daher jetzt sympathisch finden, oder nicht (wahrscheinlich eher nicht), Kurzgeschichten mögen oder nicht, aber die intelligente Verwendung der Sprache, finde ich, muss man einfach lieben.
Zurecht ein Backlist Buch!

Veröffentlicht am 03.09.2024

Fantastischer Ausflug ins Burgenland

Nincshof
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Nincshof am Rande des Burgenlandes soll vergessen werden, so will es zumindest der Bürgermeister und ein paar wenige Einwohner, die sich die Oblivisten nennen. Nur leider ist die Region sehr beliebt bei ...

Nincshof am Rande des Burgenlandes soll vergessen werden, so will es zumindest der Bürgermeister und ein paar wenige Einwohner, die sich die Oblivisten nennen. Nur leider ist die Region sehr beliebt bei Touristen und dann ziehen auch noch Silvano und Isa nach Nincshof, die mit ihren Irrziegen (nein, die gibts nicht im echten Leben, hab ich für euch schon gegoogelt) genau das Gegenteil vom Vergessen-werden bewirken, schließlich ist so eine trächtige Irrziege eine echte Sensation.

Das klingt alles sehr abgefahren, ist aber eigentlich gar nicht so weit hergeholt. Die Oblivisten wollen fernab einer immer fordernderen und überfordernden Welt in Ruhe und Frieden leben, so wie es der Legende nach einst gewesen ist, als Nincshof im Schilf des Neusiedler Sees versteckt existierte. Mit einem sarkastischen Sprachwitz, wie es wohl nur die Österreicherinnen hinbekommen (oh, wie ich ich sie dafür beneide), erzählt diese Geschichte von einer Dorfgemeinschaft, von Widerstand und Ankommen. Schwere Themen leicht verpackt in einer mitreißenden Geschichte, sodass du dich sofort und unwiederbringlich in die Burgenländer verliebst, wenn nicht schon geschehen, Danke an dieser Stelle an Martina Parker und die grünen Daumen! Für mich ein Highlight!

Gefällt dir Was man von hier aus sehen kann und die bereits angesprochene Regio-Krimi-Reihe um den Klub der grünen Daumen? Dann liegst du mit Nincshof goldrichtig!

Veröffentlicht am 29.08.2024

Eindrücklich und aufwühlend

Pink Elephant
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Sommer 2006, die Freundschaft von Vincent, Ali und Tarek wird auf eine harte Probe gestellt, als Ali aus einem Fenster im 4. Stock fällt, Tarek von der Bildfläche verschwindet und Vincent von Schuldgefühlen ...

Sommer 2006, die Freundschaft von Vincent, Ali und Tarek wird auf eine harte Probe gestellt, als Ali aus einem Fenster im 4. Stock fällt, Tarek von der Bildfläche verschwindet und Vincent von Schuldgefühlen geplagt wird.
Die Geschichte wie sich die drei Jungs kennengelernt haben bis dahin wie es zu Alis Unfall kam, wird in Rückblenden aus Vincents Sicht erzählt, sodass wir erst ganz zum Schluss erfahren, was genau eigentlich passiert ist. Vincent lässt uns nämlich, ganz Teenie, nur scheibchenweise hinter die Fassade blicken. Und mit jeder Seite, mit jedem Tag näher an den Unfall und mit jeder Zigarette mehr, offenbart sich eine Macht- und Ausweglosigkeit der sich die Freunde gegenüber sehen. Der Kloß im Hals wird immer größer, bis dir auf der letzten Seite fast die Luft weg bleibt. Du möchtest die Erwachsenen anschreien, Vincent in den Arm nehmen, das Buch gegen die Wand werfen und rausbrüllen ob denn hier irgendwer noch überhaupt irgendwas merkt. Und dann denkst du dir, dass diese Geschichte ja nur stellvertretend für die tagtäglichen Widrigkeiten steht, denen Teenager (allen voran solche mit aus dem Ausland stammenden Elternteilen) in sozialen Brennpunkten ausgesetzt sind und du fühlst dich genauso hilflos wie Vincent und die Wut in dir brodelt unaufhörlich weiter.
Ihr merkt, das Buch hat mich emotional sehr aufgewühlt. Dass wir zwar Vincents Sichtweise haben, aber keinesfalls in seiner Haut stecken, wir überhaupt nicht an ihn herankommen, keine einzige Person in diesem Buch sich irgendjemandem öffnet oder gewillt ist zu helfen und hier ausnahmslos verdrängt und ignoriert wird, ist die große Stärke des Buches. Die Erzählweise, das heißt einige umgangssprachliche Ausdrücke (die ich nicht kenne) und die teils etwas fragmentarische Erzählweise von Vincent machen das Lesen nicht immer einfach, aber die Geschichte authentisch.

Ich bin nach dieser Lektüre wütend und beeindruckt und kann diese Geschichte allen empfehlen, die sich aus ihrer Komfortzone heraus begeben möchten um eine eindrückliche Leseerfahrung machen.

Veröffentlicht am 28.08.2024

Sacht, einfühlsam und melancholisch

Kummer aller Art
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So kurz wie die Geschichten, die hier erzählt werden, möchte ich meine Gedanken zu diesem tollen Buch mit euch teilen:

Nachdem ich von Was man von hier aus sehen kann total begeistert war, konnte ich ...

So kurz wie die Geschichten, die hier erzählt werden, möchte ich meine Gedanken zu diesem tollen Buch mit euch teilen:

Nachdem ich von Was man von hier aus sehen kann total begeistert war, konnte ich an dem neuen Buch von Mariana Leky nicht vorbeigehen. Und wieder hat mich diese wunderbar sanfte, einfühlsame und leicht melancholische Stimmung und Erzählweise begeistert. Die Ich-Erzählerin nimmt uns mit in ihren Alltag, den wir vielleicht auch so oder so ähnlich kennen, und was die Geschichte trotz der teils etwas skurrilen Personen so authentisch macht.
Damit man vollends mitgerissen werden kann, sollte man allerdings schon Kurzgeschichten-affin sein. Die Ich-Erzählerin ist als Hauptperson Ausgangspunkt aller Kapitel und einige Erzählstränge, wie der über ihre Nachbarin Frau Wiese, werden immer wieder aufgegriffen und ziehen sich als roter Faden durch das Buch, andere jedoch bleiben nur sehr vage. Hier hätte ich mir noch einen runden Abschluss gewünscht, der einzelne Personen noch mehr miteinander verbindet, auch wenn der Titel-gebende Kummer aller Art sich in allen Erzählungen wiederfindet und damit das Buch zusammenhält.
Was unglaublich schön ist und mir auch bei Was man von hier aus sehen kann schon so gut gefallen hat ist, dass trotz Melancholie und kleine oder große Kummer ein lebensbejahendes Gefühl vermittelt wird.
Daher auch für dieses kleine, aber feine Büchlein eine dicke Leseempfehlung von mir!