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Julia_Matos

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.04.2018

Einblicke in die Zeit um 1900 - unterhaltsam, realistisch, atmosphärisch

Die Zeit der Winzerin
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Ich habe Band 1 nicht gelesen, konnte mir aber die Verwandtschaftsverhältnisse und die Vorgeschichte zu den Familien und ihren Weingütern durch aufmerksames Lesen aneignen. Spätestens ab der Hälfte habe ...

Ich habe Band 1 nicht gelesen, konnte mir aber die Verwandtschaftsverhältnisse und die Vorgeschichte zu den Familien und ihren Weingütern durch aufmerksames Lesen aneignen. Spätestens ab der Hälfte habe ich keine Informationsdefizite mehr gespürt.

In der Handlung werden Schicksalsschläge und Missstände aufgegriffen, die heute noch in dieser oder ähnlicher Form auftreten können. Als Leser teilt man Momente der Verletzlichkeit und des Zweifels, welche alle vier Figuren, in deren Perspektive man schlüpft, nahbar und sympathisch machen.
In Bezug auf Spannung und Emotionen hat mich Linnette am meisten erreicht.

Stilistisch ist gut erkennbar, wo ein Perspektivwechsel stattfindet. Kapitelüberschriften mit Monats- und Jahresangabe und teilweise Ortsangabe unterstützen dabei, den Überblick zu behalten.

Die Begleitung von Sara und Philippe macht erwartungsgemäß den Mammutanteil aus. Die Liebesbeziehung wird nach meiner Einschätzung realistisch geschildert: Das sexuelle Knistern wird deutlich, ohne explizit zu werden, es gibt ein kleines bisschen Romantik, wird dabei nie kitschig. Ansonsten ist folgendes Zitat Programm: „Ich bin in erster Linie eine Winzerin – Ehefrau und Mutter an zweiter Stelle.“ Der neun Jahre ältere Philippe muss seinen Mann stehen und hat es insbesondere für die damalige Zeit mit einer sehr resoluten Frau zu tun. Dementsprechend nehmen unterschiedliche Meinungen und Wertvorstellungen und daraus resultierende Reibungspunkte in der Interaktion viel Raum ein. Einerseits habe ich die Dramatik, den „Pfeffer“ gemocht, umso mehr weil sich Hintergründe veränderten. Andererseits zeigt sich Sara so stur, dass ich mich mit ihr einfach nicht identifizieren konnte.
Spoiler-Anfang Ich habe es den Hauptfiguren z. B. übel genommen, dass die Operation des Kindes auf ihrer Prioritätenliste so weit unten fungierte. Immerhin ist es nicht nur ein optischer Makel, der zu Ausgrenzung durch intolerante Menschen führt, sondern macht obendrein krankheitsanfällig und ist ein Hemmnis beim Essen und bei der Sprachentwicklung. Liebe und Sorge werden benannt, eine ärztliche Untersuchung oder das Sparen für eine Operation erhalten aber jahrelang keine Erwähnung. Spoiler-Ende

Die zigfachen familiären Verstrickungen und zufälligen Begegnungen könnten Kritiker als konstruiert bezeichnen, während Fans von Schicksalhaftigkeit sprechen. Mich hat‘s jedenfalls nicht gestört.
Die Nebenfiguren sind interessant. Das Schwarz-Weiß-Schema wird nicht überstrapaziert, denn einige konnten mich in ihrer Entwicklung überraschen.

Die Beschreibungen versprühen Atmosphäre. Ich konnte mir die Landschaften gut vorstellen und habe auch Saras Passion zu ihren Weinreben, Weinanbau, -produktion und -verkauf als authentisch wahrgenommen. Es wird deutlich, dass die Autorin Expertenrat hinzugezogen hat und mit Leidenschaft schreibt.
Wer sich für Wein überhaupt nicht interessiert, könnte von solchen Passagen genervt sein, zu dieser Gruppe zähle ich aber nicht. Die Sorge um Ertrag und Absatzmarkt war auch sehr interessant und es finden sich stets Parallelen zur heutigen Zeit.

Erfreulicherweise habe ich viel zur Lebenswirklichkeit und dominierenden gesellschaftlichen Strömungen (z. B. Frauenbewegung, Prohibitionsbewegung) um 1900 wahrgenommen und im Gedächtnis abgespeichert. Toll auch, ein paar Einblicke in den damaligen Stand der Chirurgie zu bekommen. Der Erkenntnisgewinn gestaltet sich nicht so tiefgreifend wie z. B. in „Sturz der Titanen (Jahrhundert-Trilogie, Band 1)“, aber diesen Anspruch hatte ich auch nicht.

Das Ende ist nochmal dramatisch, schlägt einen schönen Bogen zu den Anfängen und schließt die Dilogie würdig ab.
Lob und Dank dafür, dass im Anhang auf im Roman vorkommende historische Persönlichkeiten und geschichtliche Ereignisse eingegangen wird und weiterführende Fachliteratur angeführt wird.

Die Übersetzung hat mir sprachlich gefallen und weist nur ganz wenige Fehler auf.

Das Werk wirkt realistisch, hat mich gut unterhalten und obendrein einen kleinen Lerneffekt erzielt. 4 von 5 Sternen, weil mich ganz persönlich andere Bücher mit Innovativem noch mehr fasziniert, mit ihren Figuren noch mehr berührt, mit Wendungen noch mehr überrascht, belustigt oder in Spannung versetzt haben.

Veröffentlicht am 05.04.2018

Dark Romance, der es an Überraschungen und Logik fehlt

Cold Princess
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Saphira, mit 26 Jahren das Oberhaupt einer einflussreichen italienischen Mafiagemeinschaft, gibt sich betont beherrscht und gefühlskalt, gibt in ihren Innenansichten aber einen großen emotionalen Fundus ...

Saphira, mit 26 Jahren das Oberhaupt einer einflussreichen italienischen Mafiagemeinschaft, gibt sich betont beherrscht und gefühlskalt, gibt in ihren Innenansichten aber einen großen emotionalen Fundus preis. Insbesondere wenn sie sich an ihre von Liebe geprägte mütterliche Zuwendung und den gewaltsamen Tod von Eltern und Bruder erinnert – Sequenzen, die ich berührend fand, die aber selten sind. Und in der Interaktion mit ihrem verschlagenen, düsteren, mörderischen und mörderisch gut aussehenden Leibwächter Madox, der ihr neuartige Gefühlswelten offenbart. Dieser verkörpert die Art Mann, vor der jedes vernunftbegabte Elternteil warnt. Mir hat gut gefallen, dass beide Perspektiven einem eigensinnigen und stimmigen Sprachmuster folgen.
Oft mag ich es gern, wenn zum Bewusstseinshorizont der zwei Hauptfiguren punktuell weitere hinzukommen. Hier empfand ich das als kontraproduktiv, weil hiermit früh Rätselauflösungen einhergehen. Das schmälert die Spannung ganz erheblich. Ich favorisiere es, zu ahnen und zu spekulieren.

Erotik wird detailliert geschildert, ist dabei schmutzig und verrucht, aber nicht verroht. Es gibt auch einfühlsame Töne, sodass die Grenzen des guten Geschmacks nicht überschritten werden. Das war nicht in Gänze meins, nicht so richtig prickelnd, aber doch in Teilen anregend, mal was anderes. Die hierum drehenden Gedanken und die eigentlichen erotischen Aktionen nehmen einen großen Teil des Buches ein, ohne die Rahmenhandlung zur bloßen Staffage zu degradieren.

Ich hatte große Lust, mich auf die Handlung einzulassen. Der Klappentext nimmt hiervon viel vorweg.
Die Geschichte als einfach und vorhersehbar gestrickt zu bezeichnen, wäre übertrieben. Richtig ist aber, dass sich nach meinem subjektiven Eindruck keine nennenswerten Wow-Effekte einstellen bzw. für den Folgeband zu erwarten sind, teils auch dadurch bedingt, dass man im Wissensstand allen Figuren voraus ist. Gestört habe ich mich obendrein an Logiklöchern und Unstimmigkeiten, auch bei Schlüsselszenen.
Dass italienische Begrifflichkeiten fallen, vergegenwärtigt den Schauplatz, die Vokabeln sind dem Englischen ähnlich oder lassen sich aus dem Zusammenhang herleiten. Ansonsten wird das Mafiamilieu nebenbei und klischeebehaftet dargestellt. Hier wäre in Bezug auf Strategien, Ränkespiele und Intrigen mehr möglich gewesen. Leider wirkt keine Figur (auch nicht der Haupt-Antagonist) intelligent oder kombinatorisch begabt. Rekrutiert wird, wer brutal und skrupellos ist, mit Waffen rumfuchteln kann und sich bereitwillig für sein ganzes Leben unterwirft. Zudem schade, dass sich die Story fast ausschließlich auf dem eigenen Anwesen abspielt, ich hätte gern etwas vom Flair der Stadt Palermo wahrgenommen.
Ich mochte Madox‘ Freund Damiano und dessen Frau Carla, mit allen anderen (inklusive Hauptfiguren) konnte ich nicht sympathisieren, sodass ich mich nicht hineinfühlen und mitfiebern konnte und auch nicht wirklich Anteil an ihrem Schicksal nehme.

Ich fühlte mich durchaus unterhalten. Gefühle wurden bei mir ausgelöst, insbesondere wenn der verletzliche Teil der Protagonisten zum Ausdruck kam, aber insgesamt nicht in dem Maße, dass ich noch Abschlussband 2 lesen müsste, zumal man sich die weitere Entwicklung mit etwas Fantasie selbst ausmalen kann.

Veröffentlicht am 29.03.2018

Gelungenes Plädoyer für diskriminierungsfreies Zusammenleben

After Work
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Mein erstes Buch der Autorin. Ich mag den Bastei-Lübbe- bzw. den LYX-Verlag, und Titel, Cover und Klappentext wirkten interessant und weckten bei mir positive Assoziationen zum Auftakt der Liebesgeschichte ...

Mein erstes Buch der Autorin. Ich mag den Bastei-Lübbe- bzw. den LYX-Verlag, und Titel, Cover und Klappentext wirkten interessant und weckten bei mir positive Assoziationen zum Auftakt der Liebesgeschichte in Grey’s Anatomy.
Chronologisch und kapitelweise wechselnd, ohne doppelte Szenenwiedergaben, wird die Geschichte über mehrere Monate aus Sicht der Protagonisten Lexia (28) und Adam (36) erzählt (Sie/Er in der Vergangenheitsform).
Erstaunt hat mich, dass das Thema Gewicht und hierauf aufbauend ein geringes Selbstwertgefühl die Handlung dominiert. Lexia ist übergewichtig und Adam hat ein hierzu kompatibles Schönheitsideal.
Ich habe Geduld benötigt, um in die Geschichte reinzukommen. Lexia mag ihren Körper überhaupt nicht, lässt sich mobben und flüchtet sich in Junkfood und Shopping-Orgien, bedient damit ein Negativklischee. Das um Mitleid heischende negative Selbstbild zerrt gehörig an den Nerven, während ihre Stärken, z. B. ihr Witz sowie Engagement und Leidenschaft als Werbetexterin, untergehen. Adam zu mögen, ist anfangs auch nicht leicht, weil er es sich zum Job gemacht hat, langjährigen Mitarbeitern zu kündigen.
Ist man über diese ersten Eindrücke hinweg und beginnt persönliche Hintergründe und Motivlagen zu ergründen, gelingt es immer besser, zu verstehen, zu sympathisieren und zu hoffen, dass die Liebe eine reelle Chance bekommt. Eine Distanz blieb für mich aber bestehen. Zum einen inhaltlich bedingt, weil ich mich in vielen Situationen anders verhalten hätte, zum anderen sprachlich bedingt, z. B. wird Lexias Mutter immerzu als Eva bezeichnet, wodurch es mir schwerer fällt, mich hineinzuversetzen und eine emotionale Bindung aufzubauen.

Ich empfinde die Geschichte über weite Strecken als langatmig. Die Gedankenwelt der Protagonisten dreht sich viel im Kreis. Es werden viele Banalitäten beschrieben. Zahlreiche Ausdrücke und Beschreibungen gleichen Inhalts kommen mehrfach vor. Ein kurzes Beispiel: „Dort wurde einem von einer Sekunde auf die andere fristlos gekündigt, man wurde gefeuert oder auf die Straße gesetzt“ (10 %).
Würde man kürzen, wären die Dramatik und das Prickeln wohl besser spürbar.

Ein paar Erotikszenen sind enthalten. Mehr als angedeutet, nicht ganz explizit, den Roman nicht dominierend. Ästhetisch, einfühlsam, ansprechend. Vergleichsweise vernünftig, da dürfen auch Körperhygiene und Verhütung nicht fehlen. Es spielt sich ansonsten viel im Kopf ab.
Es verleiht Authentizität, dass die Autorin die Handlung in ihrer Wahlheimat Stockholm verortet hat.
Nebenfiguren (insbesondere Siri, Dina, Bashir) wirken auflockernd, passen gut zur Rahmenhandlung und verleihen Würze. Erfrischenderweise konnten mich einige Nebenfiguren in ihrer Entwicklung überraschen.
Die Handlung entwickelt sich so, wie ich es erwartet hatte. Ich habe interessiert gelesen, aber große Überraschungen, die große Gefühlsachterbahn blieben leider aus.

Die Extreme zwischen weltoffenen und intoleranten, hetzenden Personen wird ausgereizt. Dem ist dadurch Boden bereitet, dass das berufliche Umfeld in der Werbebranche angesiedelt ist. In einem anderen Umfeld hätte ich die Darstellungen als realitätsfern bezeichnet, aber hier könnte sich die Handlung mit etwas gutem Willen tatsächlich so abspielen. Ein Buch, das kontroverse Meinungen hervorrufen kann.
Ich empfand den stimmig eingearbeiteten Aufruf, sich von Oberflächlichkeiten zu lösen, sich auf charakterliche Stärken zu konzentrieren, sich selbst zu lieben, seine eigenen Prioritäten zu ordnen und Personen abseits der Norm (allumfassend: Gewicht, Ethnie, sexuelle Orientierung, gesellschaftlicher Rang, …) gleichberechtigt zu behandeln und wahrzunehmen, als inspirierend. Gleiches gilt für das vermittelte Motto „du verkörperst mehr als nur die Summe deiner Eltern.“ (79 %).
Ich meine, gespürt zu haben, dass es dabei um eine Herzensbotschaft der Autorin geht.
Ich unterstütze diese Botschaft und nehme an, dass viele Leserinnen und Leser hieraus Mut und Selbstbewusstsein schöpfen können.

Wermutstropfen: Es wurde bis dato versäumt, die Stärke des Buches als solche zu vermarkten. Das Cover ist zweifelsohne schön anzusehen, zeigt jedoch die Rückseite einer Frau der Kleidergröße XS und damit das vermeintlich allgemeintaugliche Idealbild, dem doch eigentlich etwas entgegengesetzt werden soll. Zitat aus dem Buch: „Es gibt viele Leute, die sich in der Durchschnittswerbung nicht repräsentiert fühlen.“ Wenn der Mut aufgebracht wird, die Vermarktung – analog zur Handlung – anzupassen, vergebe ich mit Freuden nachträglich den vierten Stern.

Veröffentlicht am 21.03.2018

Detektivgeschichte mit elementaren Fragen und innovativen Wendungen in faszinierendem Setting

Hologrammatica
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Der auf verschwundene Personen spezialisierte Privatdetektiv Galahad Singh, in deren Bewusstseinshorizont man fast die gesamte Geschichte mitverfolgt, ist keine Figur, die man auf den ersten Blick als ...

Der auf verschwundene Personen spezialisierte Privatdetektiv Galahad Singh, in deren Bewusstseinshorizont man fast die gesamte Geschichte mitverfolgt, ist keine Figur, die man auf den ersten Blick als Sympathieträger wahrnimmt. Doch mit weiterem Lesefortschritt fand ich sowohl seine berufliche Vorgehensweise als auch seine persönliche Seite (Saxophon-Spieler, homosexuell, sportlich, depressive Anwandlungen, seit Jahrzehnten vermisster Bruder, nimmt kein Geld vom reichen Elternhaus an) auf eine subtile Art faszinierend. Eine Figur abseits des Mainstream, ungekünstelt, mit Stärken und Schwächen, Ängsten und Sehnsüchten, wie aus dem wahren Leben. Er kommentiert unverblümt ehrlich, teils zynisch, schmeißt auch mal hin, wenn ihm die Lust vergeht, zeigt zudem seine verletzliche Seite. Er hat sogar ein sog. Komitee der Selbste, dass sich beratschlagt. Es hat mich in den Bann gezogen, mitzuverfolgen, wie er reagiert, welche Schlussfolgerungen er zieht und was er als nächstes plant. Das volle Repertoire an Gefühlsregungen führte dazu, dass ich ihn ins Herz geschlossen habe und mitfiebern konnte.
Surreal wirkt eine eingestreute zusätzliche Perspektive, diese regte mich angenehm zum Miträtseln an.

Der im Fokus stehende Vermisstenfall bildet den Auftakt zu einem weltumspannenden, spannenden Adventure.
Das komplex erdachte Zukunftsszenario empfinde ich als hochinteressant.
Die Hauptfigur versteht sich vorrangig als Anwender der Zukunftstechnologien, lässt sich zur Lösung seines Falls naturwissenschaftliche und technische Erklärungen geben. Das wirkt nicht gekünstelt. Es erweitert den Horizont, lässt einen kleinen Lerneffekt eintreten, ohne dass man sich als Leser dumm oder bevormundet vorkommen müsste. Erfreut haben mich erstaunlich eingängige Bildnisse für (für mich als Laien) schwierige Konstellationen, z. B. Künstliche Intelligenzen als Fische, die Proxies als Wasserträger brauchen, um außerhalb des Ozeans zu agieren.
Ich empfand es teils als anstrengend, dieses Werk zu lesen. Dies ist u. a. auf die vielen futuristischen Begrifflichkeiten, von denen einige im Anhang in einer Art Zukunftslexikon erklärt werden, zurückzuführen. Praktischerweise ergeben sich diese aus dem Kontext ganz gut und fügen sich stimmig ins Gesamtgebilde ein, umso besser je länger man liest. Vor allem nehme ich es so wahr, dass der eigene Intellekt sehr stark gefordert wird, wenn man mitspekuliert und dazu diverse erst frisch kennengelernte Theorien zueinander in Beziehung setzt. Das ist nach einem harten Arbeitstag nicht immer möglich, weswegen ich auch mehrere Wochen brauchte, um das Buch durchzulesen.
Viele neuartige Einblicke waren mir die Mühe absolut wert.

Als genial empfinde ich den Humor. Clever und irgendwie gleichzeitig bissig und feinsinnig. Beispiel: „Neon ist ein guter, ein sensibler Zuhörer. Anders gesagt, er ist eine menschliche Saftpresse. Ich beichte ihm alles.“ (Zitat Seite 102).

Insbesondere in Hälfte 2 werden viele elementare Fragen aufgeworfen (siehe Kurzbeschreibung, Trailer und vorangegangene Rezensionen), die Bedeutung für unsere Zukunft haben und zum Nachdenken anregen können. Ich zähle mich zu den Lesern, denen das sehr gefällt. Es wirkt auch realitätsnah auf mich, obgleich das technisch versierte Leser noch besser werden beurteilen können.

Stilistisch auffällig: Es gibt in angenehmen Abständen die Gelegenheit für Lesepausen, jedoch keine Kapiteleinteilung. Die Gegenwartsform ist nicht mein Favorit, aber verleiht Dramatik und ich habe mich gut damit arrangiert.

Schlussendlich überzeugt nicht nur die Idee, sondern auch die Umsetzung. Ein sehr langes Lesevergnügen. Tiefsinnig und intelligent, spannend und gewürzt mit tollen neuen Gags. Ein definitiv andersartiges Buch! Ideal für alle, die gern um die Ecke denken und „Was wäre, wenn …“-Szenarien miterleben möchten.

Veröffentlicht am 04.03.2018

Umgebung und Emotionen werden greifbar

Die ferne Hoffnung
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Mein erstes Buch von Ellin Carsta wird nicht mein letztes gewesen sein. Farbenfroh, authentisch, spannend und gefühlvoll. Lebendige liebenswerte Figuren. Abwechslungsreicher Erzählstil. Überzeugende Historie.

Das ...

Mein erstes Buch von Ellin Carsta wird nicht mein letztes gewesen sein. Farbenfroh, authentisch, spannend und gefühlvoll. Lebendige liebenswerte Figuren. Abwechslungsreicher Erzählstil. Überzeugende Historie.

Das Familienunternehmen steht kurz vor dem Bankrott. Eine neue Geschäftsidee soll Rettungsanker werden. Um Ansehen und Wohlstand zu sichern, gehen drei Brüder mit ihren Familien neue Wege. Fortan wird beim Lesen zwischen drei Orten gewechselt. Georg möchte im angestammten Hamburg an glorreiche Zeiten anknüpfen. Karl geht nach Wien. Robert wagt das Abenteuer auf einer Kakao-Plantage in Kamerun.

Schilderungen zur Historie (z. B. Unruhen zwischen Kolonialmächten und Afrikanern) sind stimmig in die Handlung eingebettet und erweitern den Wissensschatz. Ich würde mir wünschen, dass diese in der Fortsetzung noch mehr Bedeutung einnehmen. Durch die Beschreibungen zur Umgebung fühlt man sich tatsächlich an unterschiedliche Orte am Ende des 19. Jahrhunderts versetzt. Es gibt Einblicke in die Kultur des afrikanischen Stammes. Das Quellenverzeichnis bestärkt in der Einschätzung, dass diese authentisch sind. Auch hiervon gern mehr im Folgeband. Ein Schwerpunkt liegt in der Beleuchtung der vornehmen deutschen Gesellschaft mit dem Tenor „Damen der Gesellschaft haben keine Arbeit, sie genießen eine Beschäftigung.“ (Zitat im 8. Kapitel). Frauen, die stattdessen eigenständig denken, sich gegenüber gesellschaftlich schlechter Gestellten respektvoll verhalten und mit anpacken, bilden dazu einen angenehmen Kontrast.

Mein Highlight ist die Perspektive von Luise in Kamerun. Luises Liebe und Hingabe zur neuen Heimat und Wirkungsstätte sowie seiner Bewohner wirkt ansteckend. Dabei verliert sich die Figur nicht in Träumereien, sondern bleibt ihrem klugen und bodenständigen Charakter treu. Ich fühlte mich im positiven Sinne an die wundervollen Filme „Dschungelkind“ und „Nirgendwo in Afrika“ erinnert. Ich kann für mich festhalten, dass das Kopfkino funktioniert hat.
Die Einblicke in Karls turbulente Gedankenwelt fand ich auch sehr faszinierend und mitreißend.
Handlungsstränge, in denen Eifersucht und Intrigen eine Rolle spielen, sorgen für den nötigen Schuss Dramatik. Engstirnige, garstige und hochnäsige Figuren erzeugen Antipathie, ohne klischeehaft zu wirken.
Längen habe ich für mich nicht wahrgenommen, gern hätte ich in einigen Szenen noch länger verweilt und mehr von der jeweiligen Atmosphäre aufgesogen.
Schön, dass auch eine Prise Erotik beinhaltet ist.
Vielfältige Gefühlslagen werden hervorgerufen und ich habe alle genossen. Genau so soll das sein. Ich freue mich auf die Fortsetzung.