Intensiver Thriller um abgründige Familiengeheimnisse in bedrückender Atmosphäre
Das Tagebuch der Jenna BlueDieser Thriller ist besonders und wirkt gefühlsmäßig intensiv. Der Erzählstil ist bildhaft und atmosphärisch dicht. Einerseits märchenhaft, andererseits melancholisch und der Realität entrückt, spielt ...
Dieser Thriller ist besonders und wirkt gefühlsmäßig intensiv. Der Erzählstil ist bildhaft und atmosphärisch dicht. Einerseits märchenhaft, andererseits melancholisch und der Realität entrückt, spielt er aber tatsächlich in einer Gegenwart ohne Magie. Die Einordnung des Verlags als Jugendroman teile ich nicht. Erzählt wird in der Vergangenheitsform aus der Ich-Perspektive der 17-jährigen Jenna. In kursiver Schrift sind Tagebucheinträge eingebettet. Die erste Hälfte ist dermaßen düster, schwermütig und wirkt so belastend, dass ich mich fragte, ob eine Trigger-Warnung angebracht wäre. Ich brauchte als erwachsene gestandene Persönlichkeit Unterbrechungen mit leichterer, aufheiternder Lektüre, damit es nicht emotional runterzieht oder ich schlecht schlafe. Bei Jugendlichen, die haufenweise mit Ansätzen von Depressionen, Minderwertigkeitsgefühlen, Zukunftsängsten, unerwidertem Eifer um Zuneigung und Zugehörigkeit usw. zu kämpfen haben, könnten sich ebensolche hier behandelte und mit starken Gefühlen unterlegte Themen noch stärker negativ auswirken.
Anstrengend ist, dass der Kern der Handlung anfangs schwer zu greifen ist. Man steht vor vielen Rätseln: Warum sind die Schwestern so unterschiedlich? Was ist in ihrer Familiengeschichte schiefgegangen? Welche Ziele verfolgen die Figuren?
Mittig gibt es Bekanntschaften, die sowohl die Stimmung als auch die inhaltliche Richtung angenehm erhellen. Ab da war ich voll dabei. Nachdem ich mich anfangs mit Schwierigkeiten darauf eingelassen hatte, war ich fasziniert und spürte die Spannung, sodass ich immer weiterlesen wollte und nach Antworten gierte.
Vieles ist anders als es anfangs schien. Ich liebe die Grauschattierungen in der Charakterzeichnung. Die Spannung steigert sich mit mehreren spektakulären Erkenntnissen und Wendungen bis zu einem fulminanten, schockierenden Ende, das die aufgeworfenen Fragen grandios beantwortet.
Einige besonders düstere, bedrohliche und mit emotionaler Wucht erzählte Szenen schufen bei mir Assoziationen zum Film „The Gift – Die dunkle Gabe“ mit Keanu Reeves, Cate Blanchett und Katie Holmes. Fans der Liebes-Thriller von Mila Olsen, die ebenfalls Grenzerfahrungen junger Frauen und Themen wie Verlust und Vergangenheitsbewältigung in den Mittelpunkt stellen, könnten diesen Roman mögen.
Herzlichen Dank für die im Anhang enthaltenen sympathisch wiedergegebenen Erklärungen von Julia Adrian. Eine mir bis dato unbekannte Autorin, die ich gern weiterverfolge. Großes Lob für das Cover an Alexander Kopainski. Es fängt die Stimmung und den Inhalt perfekt ein und begeisterte mich für diesen Roman, der genremäßig nicht in mein Beuteschema gehört.
4,5 Sterne und Leseempfehlung - für Erwachsene, die große Gefühle und etwas Besonderes suchen.