Revolution und Selbstfindung in Rom 1870 - spannend und pathetisch
Es war einmal in ItalienDer eigenständige historische Roman beleuchtet mehrere Monate im Jahr 1870 und spielt hauptsächlich in Rom. Man wechselt schnell den Bewusstseinshorizont zwischen diversen Figuren, wobei sich zügig Pietro ...
Der eigenständige historische Roman beleuchtet mehrere Monate im Jahr 1870 und spielt hauptsächlich in Rom. Man wechselt schnell den Bewusstseinshorizont zwischen diversen Figuren, wobei sich zügig Pietro und Marta, die auf der Schwelle zum Erwachsenwerden stehen, als Hauptfiguren herauskristallisieren.
Die Protagonisten in den Meisterwerken „Der Junge, der Träume schenkte“ und „Das Mädchen, das den Himmel berührte“ hatten mich zutiefst berührt. Diesmal mochte ich sie am ehesten am Anfang, als sie unbedarft auftraten und Mitgefühl schürten. Im weiteren Verlauf war ich zwar weiterhin emotional dabei, jedoch brachten mich Verhalten, Aussagen und Entscheidungen immer mal wieder auf Distanz. Um sich zur Gallionsfigur aufzuschwingen, benötigt es nicht nur Elan und ein auffälliges Erscheinungsbild, sondern auch fundiertes Wissen. Die Anziehungskraft wirkt zu gewollt. Es stört, dass die „Helden“ bildhübsch sind, ohne es zu wissen oder gar eitel zu sein, während die Gegenspieler fett und unansehnlich sind.
Besonders mag ich die Auftritte der Nebenfiguren inklusive Einblicke in ihr Seelenleben: Elternfiguren (Melo, Armandina, Nella), die mit Weitblick und beschützender Strenge agieren, sich kühl geben, aber leidenschaftlich werden, wenn es um ihre Ideale und vor allem ihre Pflegekinder geht. Auch den Soldaten Beras mag ich. Die Zirkus-“Familie“ weckte bei mir positive Assoziationen zum Umfeld in „Der Name des Windes“ (Patrick Rothfuss) und „Der Mitreiser und die Überfliegerin“ (Mira Valentin). Mein Favorit ist Albanese, ein Mafioso, der vielfältiger ist als vermutet.
Der Autor überrascht und verliert sich nicht in Schwarz-Weiß-Zeichnung.
Sensible Leser sollten wissen, dass Gewalt, auch an Frauen und Kindern, enthalten ist. Hier gefühlt weniger als in anderen Romanen von Luca Di Fulvio.
Treffend und eingängig sind die Bezüge zum weltberühmten Werk „Les Miserables“ von Victor Hugo.
Dank bildhafter Beschreibungen gewinnt man lebhafte Eindrücke von den Straßen Roms mit ihren Gegensätzen und vom Kampfgetümmel.
Ein kleiner Kenntniszuwachs rund um die Bildung des italienischen Staates ist eingetreten. Gern hätte ich noch etwas mehr erfahren, vielleicht auch in einem Nachwort. Aber der Fokus liegt eben auf fiktiven Figuren und Unterhaltungsaspekten.
Das Ende enthält für mich zu viel Klischee und Pathos. So ging es mir bereits bei „Als das Leben unsere Träume fand“. Realistische Ausblicke und mehr Reflektion zu fortbestehender Ungerechtigkeit hätten mir gefallen. Gut ist, dass sich der Autor ausreichend Zeit nimmt, die Geschichte ausklingen zu lassen. Fragen werden beantwortet, die Lage jeder Figur ist präsent. Bloß die mysteriösen Ursprünge elternloser Figuren, die Anlass zum tollen Spekulieren gaben, wurden nicht in jedem Fall aufgelöst, was aber völlig okay ist.
Fazit: Hat mich emotional weniger gefesselt als die anderen Werke von Luca Di Fulvio, was aber Jammern auf hohem Niveau ist. Nur ungern legte ich das Buch beiseite. Wissensvermittlung und lebhafte Eindrücke sind eingebettet in eine aufregende und spannende Handlung, bei der mich die Nebenfiguren mehr überzeugten als die Hauptfiguren. Beim nächsten Werk greife ich gern wieder zu.