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Julia_Matos

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.11.2020

Revolution und Selbstfindung in Rom 1870 - spannend und pathetisch

Es war einmal in Italien
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Der eigenständige historische Roman beleuchtet mehrere Monate im Jahr 1870 und spielt hauptsächlich in Rom. Man wechselt schnell den Bewusstseinshorizont zwischen diversen Figuren, wobei sich zügig Pietro ...

Der eigenständige historische Roman beleuchtet mehrere Monate im Jahr 1870 und spielt hauptsächlich in Rom. Man wechselt schnell den Bewusstseinshorizont zwischen diversen Figuren, wobei sich zügig Pietro und Marta, die auf der Schwelle zum Erwachsenwerden stehen, als Hauptfiguren herauskristallisieren.
Die Protagonisten in den Meisterwerken „Der Junge, der Träume schenkte“ und „Das Mädchen, das den Himmel berührte“ hatten mich zutiefst berührt. Diesmal mochte ich sie am ehesten am Anfang, als sie unbedarft auftraten und Mitgefühl schürten. Im weiteren Verlauf war ich zwar weiterhin emotional dabei, jedoch brachten mich Verhalten, Aussagen und Entscheidungen immer mal wieder auf Distanz. Um sich zur Gallionsfigur aufzuschwingen, benötigt es nicht nur Elan und ein auffälliges Erscheinungsbild, sondern auch fundiertes Wissen. Die Anziehungskraft wirkt zu gewollt. Es stört, dass die „Helden“ bildhübsch sind, ohne es zu wissen oder gar eitel zu sein, während die Gegenspieler fett und unansehnlich sind.
Besonders mag ich die Auftritte der Nebenfiguren inklusive Einblicke in ihr Seelenleben: Elternfiguren (Melo, Armandina, Nella), die mit Weitblick und beschützender Strenge agieren, sich kühl geben, aber leidenschaftlich werden, wenn es um ihre Ideale und vor allem ihre Pflegekinder geht. Auch den Soldaten Beras mag ich. Die Zirkus-“Familie“ weckte bei mir positive Assoziationen zum Umfeld in „Der Name des Windes“ (Patrick Rothfuss) und „Der Mitreiser und die Überfliegerin“ (Mira Valentin). Mein Favorit ist Albanese, ein Mafioso, der vielfältiger ist als vermutet.
Der Autor überrascht und verliert sich nicht in Schwarz-Weiß-Zeichnung.

Sensible Leser sollten wissen, dass Gewalt, auch an Frauen und Kindern, enthalten ist. Hier gefühlt weniger als in anderen Romanen von Luca Di Fulvio.
Treffend und eingängig sind die Bezüge zum weltberühmten Werk „Les Miserables“ von Victor Hugo.

Dank bildhafter Beschreibungen gewinnt man lebhafte Eindrücke von den Straßen Roms mit ihren Gegensätzen und vom Kampfgetümmel.
Ein kleiner Kenntniszuwachs rund um die Bildung des italienischen Staates ist eingetreten. Gern hätte ich noch etwas mehr erfahren, vielleicht auch in einem Nachwort. Aber der Fokus liegt eben auf fiktiven Figuren und Unterhaltungsaspekten.

Das Ende enthält für mich zu viel Klischee und Pathos. So ging es mir bereits bei „Als das Leben unsere Träume fand“. Realistische Ausblicke und mehr Reflektion zu fortbestehender Ungerechtigkeit hätten mir gefallen. Gut ist, dass sich der Autor ausreichend Zeit nimmt, die Geschichte ausklingen zu lassen. Fragen werden beantwortet, die Lage jeder Figur ist präsent. Bloß die mysteriösen Ursprünge elternloser Figuren, die Anlass zum tollen Spekulieren gaben, wurden nicht in jedem Fall aufgelöst, was aber völlig okay ist.

Fazit: Hat mich emotional weniger gefesselt als die anderen Werke von Luca Di Fulvio, was aber Jammern auf hohem Niveau ist. Nur ungern legte ich das Buch beiseite. Wissensvermittlung und lebhafte Eindrücke sind eingebettet in eine aufregende und spannende Handlung, bei der mich die Nebenfiguren mehr überzeugten als die Hauptfiguren. Beim nächsten Werk greife ich gern wieder zu.

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Veröffentlicht am 09.10.2020

Neue Anspielungen, Ellbogen, realer Wahnsinn

QualityLand 2.0 (QualityLand 2)
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Der Garant für bissigen Wortwitz, Satire und absurde Denkanstöße mit dem gewissen Funken an Realitätsnähe im Nahe-Zukunft-Szenario ist zurück!
„QualityLand 2.0: Kikis Geheimnis“ bietet Lesevergnügen für ...

Der Garant für bissigen Wortwitz, Satire und absurde Denkanstöße mit dem gewissen Funken an Realitätsnähe im Nahe-Zukunft-Szenario ist zurück!
„QualityLand 2.0: Kikis Geheimnis“ bietet Lesevergnügen für etwa 5 bis 6 Stunden, knüpft inhaltlich und mit bekannten Figuren direkt an den Vorgänger an, den man gelesen oder gehört haben sollte.
Im Vergleich zu „QualityLand: Peters Problem“ ist das Intro weniger bahnbrechend, an die Erläuterung des Weltenbaus ist eben schwer heranzukommen. Die Werbeeinspieler aus der dunklen Edition bleiben unerreicht, machen dennoch Laune, nutzen sich zum Ende hin ein bisschen ab (z. B. Klone Dan & Dan). Cool finde ich die entlarvenden Kapitelüberschriften und die Fußnoten. Die Qualität der Rahmenhandlung ist solide, so wie beim Vorgänger. Nicht tiefschürfend und hochkomplex, aber durchaus unterhaltsam, mit Spannung und ein paar Überraschungen. Die Szenen mit Martyn Vorstand mag ich am liebsten.
Erneut entzücken eingestreute kreative Details: Diverse Programme, die Kommerz feiern, Dating und Sex revolutionieren, Erinnerungen manipulieren, Datenschutz bombardieren. Eine Skala von Trump bis Einstein. Therapie für Maschinen, denen ihre Grundfunktionen zuwider sind, z. B. ein Cuddle Bot, der körperliche Nähe und Kinder nicht mag. Reizvolle Einblicke in politische Machenschaften und Arbeitsmarkt.
Bei einigen Themen blieb mir ein bisschen das Lachen im Halse stecken, z. B. bei bedeutungslosen Klimakonferenzen und Krieg ohne menschlichen Einfluss.
Algorithmen, personalisierte Werbung und Zustellung, Level mit unzähligen Einflussfaktoren (Aussehen, Vermögen, Verhalten gegenüber Menschen und Maschinen, ...) und hieraus resultierenden Zusatzfähigkeiten sind in der Geschichte allgegenwärtig und halten der Gesellschaft - trotz oder gerade wegen der überspitzten Darstellung - den Spiegel vor.
Trotz einiger Kritik: Erwartungen erfüllt, schallend gelacht, genickt, gegrübelt, gibt fünf Sterne.
Wer Skurriles und schwarzhumorige Zukunftsaussichten liebt, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Auch super als Ratgeber zur Überbrückung kultureller Unterschiede von Haushaltsgeräten. Hat TheShop dafür nicht auch eine Kategorie?

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Veröffentlicht am 06.10.2020

Problematische Fokussierung bei autobiografisch geprägter Fortsetzung in den 1950ern um starke Frauen

Wunderjahre
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Band 2 von 3 der Familiensaga knüpft unmittelbar an „Libellenjahre“ an und reicht von 1949 bis 1961. Autorin Izabelle Jardin beleuchtet anhand eigener Familiengeschichte die zweite von drei Frauengenerationen. ...

Band 2 von 3 der Familiensaga knüpft unmittelbar an „Libellenjahre“ an und reicht von 1949 bis 1961. Autorin Izabelle Jardin beleuchtet anhand eigener Familiengeschichte die zweite von drei Frauengenerationen. Der Erzähler ist allwissend, konzentriert sich aber auf Gedanken und Gefühle von Constanzes Tochter Eva, die zu Beginn 16 Jahre alt ist. Die autobiografische Prägung macht sich bemerkbar. Ich spüre eine gewisse Hingabe und Zuneigung zu den Figuren und Orten. Es überwiegen für meinen Geschmack leider negative Aspekte. Während Band 1 spannend und berührend war, alle Anforderungen an Belletristik erfüllte, nebenbei wertvolles Wissen zu Politik und Gesellschaft vermittelte, verliert sich Band 2 streckenweise in Details. Die Eskapaden, Streitigkeiten und Todesfälle geraten vorhersehbar, teils spoilert auch der Klappentext. Schlechte Gefühle werden oft nur angerissen, romantisch verklärt oder als ob den Vorfahren oder deren Wegbegleitern nicht auf den Schlips getreten werden soll. Familienidylle, Zusammenhalt, fortschrittliche und anpackende Frauen stehen im Vordergrund. Eva als allseits beliebter Gutmensch im Mittelpunkt. Handgriffe, Essen, Geschenke, Wohnungseinrichtung usw. waren für mich zu ausschweifend in der Darstellung. Einige Szenen konnte ich genießen, z. B . die rund um’s Fliegen, mich hineinfühlen und mitfreuen. Thrill wollte aber nicht aufkommen. Es fühlt sich meistens an wie eine Nacherzählung, nicht wie live dabei. Der Kenntniszuwachs (BRD, DDR, Volksaufstand 1953, …) ist gering. Die Bedeutung für „150-Prozentiger“ habe ich mithilfe einer Internet-Suchmaschine ermittelt.
Persönlich freut mich die Verortung in Braunschweig. Später geboren und zugezogen, habe ich dank Straßennamen, markanter Gebäude usw. etwas zum damaligen Erscheinungsbild mitgenommen.
Schade, dass der liebevolle Blick der Autorin in eigene alte Familienalben zulasten von Ecken, Kanten und Spannung geht und allgemein wissenswerte zeitgenössische Bezüge rar sind. Erst auf den letzten Seiten wird es gehaltvoll, bricht dann abrupt mit Cliffhanger ab. Unbefriedigend ist zudem die krasse Lücke im Erzählstrang um Constanze. Vielleicht wäre es besser gewesen, mehr Perspektiven und fiktive Elemente hinzuzufügen und in einem erklärenden Nachwort (welches leider erneut fehlt) zu kennzeichnen.
Trotz aller Kritik bin ich froh, es gelesen zu haben und möchte auch den Abschlussband „Erntejahre“, angekündigt für den 15. Juni 2021, kennenlernen.

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Veröffentlicht am 05.10.2020

Was zu erwarten war …

Die Weihnachtsvilla
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Das Buch bietet Lesestoff für etwa 5 Stunden. Enthalten sind vier Geschichten von vier Autorinnen, in denen es sich um Weihnachten, winterliche Landschaften und vor allem Liebe (klassisch mit Mann und ...

Das Buch bietet Lesestoff für etwa 5 Stunden. Enthalten sind vier Geschichten von vier Autorinnen, in denen es sich um Weihnachten, winterliche Landschaften und vor allem Liebe (klassisch mit Mann und Frau) dreht.
Die Geschichten 1 bis 3 haben weibliche Blickwinkel, spielen in den 1910ern/1920ern mit entsprechenden Standesunterschieden, die Geschichte 4 ist mit allwissendem Erzähler in naher Vergangenheit verortet.

Zu „Heller Stern“ von Hanna Caspian fällt auf, dass das Dilemma um ein verlorenes Schmuckstück so oft wiederholt wird, dass ich innerlich die Augen verdreht habe. Solche Stellen verleiten zum Querlesen, ohne etwas zu verpassen. Der Verlauf der Geschichte ist klischeehaft und vorhersehbar. Beim Nahebringen des jeweiligen Umfelds zeigt sich, dass die Autorin ihr Handwerk beherrscht. Für mich die schwächste Geschichte.

„Summerlight House“ von Martina Sahler ist eine Geschichte über einen längeren Zeitraum im England der 1920er um eine starke, liebenswerte Frau. Ihre Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle geraten eindringlich. Die Beschreibungen zur Umgebung bilden Kontraste ab, zeugen von Hingabe, insbesondere in Bezug auf Pflanzen, sind atmosphärisch. Besonders positiv werte ich die Bezüge zum Ersten Weltkrieg, die nicht ins Politische verfallen, sondern Emotionen auslösen und damit gut in die Rubrik Weihnachtsgeschichte für gemütliche, kuschelige Abende nebst heißem Getränk passen. Verlauf und Abschluss geraten stimmig, nicht zu kitschig, realistisch, lassen mitfiebern, gehen ans Herz. Mein Platz 1.

„Weihnachtsversprechen“ von Karin Baldvinsson krankt zwar auch wie die erste Geschichte an einer gewissen Vorhersehbarkeit, fühlt sich aber gut an. Die Protagonistin ist sympathisch. Die Einbindung isländischen Brauchtums verleiht Flair. Es kommt rüber, dass der Autorin das Land viel bedeutet. Mir gefallen Intellekt, Schlagabtausch und Funkenflug. Eine Prise Erotik ist zudem enthalten. Teilt sich mit Geschichte 4 das Mittelfeld im persönlichen Ranking.

„Heimkehr“ von Anne Jacobs ist stilistisch andersartig. In Friedel und Jule konnte ich mich hineindenken und sympathisieren. Toll ist der bissige Wortwitz. Trotz treffender Verortung nicht die typische Weihnachtsgeschichte, weil Familienstreitigkeiten inkl. Erbe im Mittelpunkt stehen. Je nach persönlicher Vorgeschichte kann das negative Gefühle hervorrufen. Aus der Vergangenheit als Entwicklungshelfer hätte man mehr herausholen können. Jule wirkt dafür, dass sie angeblich im Himalaja war, unbeholfen. Die Wahrheit zur Oma bildet eine willkommene Überraschung. Mir gefallen der schwer vorhersehbare Verlauf und das passende Ende.

Insgesamt vergebe ich drei Sterne mit Tendenz zu vier. Das Buch hält zwar was es verspricht, wirkt aber etwas mutlos und uninnovativ. Schöne junge Frau, anbetungswürdiger erfolgreicher Mann, viel Schwarz-Weiß-Zeichung, kaum Wow-Effekt. Eine Fingerübung in gewohntem Metier für die erfolgreichen Autorinnen. Ein paar mehr Seiten für Wendungen hätten gut getan. Die Geschichten eint das Erlebbarmachen von Schnee, Weihnachten und Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

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Veröffentlicht am 26.09.2020

Klug, innovativ, fesselnd - Kopfkino mit tollem SF-Cyberpunk-Weltenbau

Neon Birds
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Die vier Protagonisten sind junge Erwachsene, trotzdem ist dies kein banales Jugendbuch. Kapitelweise wechselnd schlüpft man in ihre Wahrnehmungen, Gedanken- und Gefühlswelten, die je nach Lebenslage und ...

Die vier Protagonisten sind junge Erwachsene, trotzdem ist dies kein banales Jugendbuch. Kapitelweise wechselnd schlüpft man in ihre Wahrnehmungen, Gedanken- und Gefühlswelten, die je nach Lebenslage und Vergangenheit ganz unterschiedlich ausgestaltet sind. Die Ausführungen versprühen Tiefe und Individualität, sind philosophisch angehaucht, lassen Sympathisieren, Identifikation und Mitfühlen zu. Gespräche wirken stimmig. Mehrere Figuren bergen potentiell verhängnisvolle Geheimnisse. Okijen und Flover sind meine Favoriten. Auch die Nebenfiguren finde ich gelungen.
Der Weltenbau gefällt mir gut. Er hat aufgrund unbewohnbar gewordener Erdteile und der Bedrohungslage durch „Cyber-Zombies“ einerseits dystopische Züge. Andererseits gibt es utopische Elemente, z. B. grüne Städte, Umweltbewusstsein, Abkehr von religiös motiviertem Fanatismus. Punkige Ideen wie z. B. Cyborg-Körperteile und -Tiere bilden sowohl liebevolle Details als auch elementare Bestandteile der Geschichte. Andras Blickwinkel auf ihr neuartiges Umfeld gerät besonders faszinierend.
Die Autorin Marie Graßhoff hat wunderbare Stilmittel eingesetzt, um die Welt im Jahr 2101 und die Charaktere greifbar zu machen: Zwischen den Kapiteln gibt es prägnante Exkurse, z. B. Auszüge aus militärischen Vermerken zu Anfängen, Analysen und Gegenmaßnahmen zum „Virus“, Personalakten der Protagonisten zuzüglich einer Schwarz-Weiß-Zeichnung, Interviews.
Marie Graßhoff gelingt perfekt der Spagat zwischen hohem Tempo, Action, Charakter- und Handlungstiefe und stimmungsvoller Atmosphäre. Für mich ein Lese-Highlight im Jahr 2020. Beim Verschlingen des Buches wurde ich oft angenehm überrascht und habe intensive Eindrücke mitgenommen.
Band 1 von 3 endet mit Wow-Effekten und einem fiesen Cliffhanger.

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