Berührend und mit Lerneffekt
LibellenjahreDieser Auftakt zu einer historischen Familiensaga umspannt die Jahre 1930 bis 1949, überwiegend chronologisch wiedergegeben, wobei 1934 bis 1938 nur im Zeitraffer abgebildet werden.
Der Fokus der Geschichte ...
Dieser Auftakt zu einer historischen Familiensaga umspannt die Jahre 1930 bis 1949, überwiegend chronologisch wiedergegeben, wobei 1934 bis 1938 nur im Zeitraffer abgebildet werden.
Der Fokus der Geschichte liegt auf Hauptfigur Constanze von Warthenberg. Aus reichem und angesehenem Hause stammend, jung, hübsch, klug, ohne Standesdünkel, emanzipiert, weltoffen, stark. Autorin Izabelle Jardin gelingt es, sie als liebenswert, verletzlich, unvollkommen darzustellen. War mein Herz erstmal erwärmt, konnte ich mich fantastisch mitfreuen, mitbangen, mitleiden.
Liebe ist reichlich enthalten, vielleicht manchmal ein bisschen romantisch verklärt, aber doch auch mit Reibungspunkten und Dramen, sodass es bodenständig und realistisch wirkt und ich die Daumen für diese Beziehung ganz fest gedrückt habe.
Meine Lieblingsnebenfigur ist die empathische und beratungsstarke Oma Charlotte.
Sehr spannend gerät die Verortung in den “Schlüsselstädten” Danzig, Königsberg und Berlin. Die Weltwirtschaftskrise spielt keine wichtige Rolle in diesem Werk. An vielen anderen Stellen gibt sich das Werk durchaus politisch. Gelungen finde ich die Konversation mit Vater Karl zu Beginn der 1930er. Sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf Gesprächskultur. Da lassen sich Kenntniszuwachs und Denkanstöße mitnehmen. Das Erstarken der Nationalsozialisten inklusive immer schlimmerer Repressalien an Juden und Polen wird erlebbar gemacht. Besondere historische Vorfälle wie z. B. die Bücherverbrennung sind einprägsam eingebettet. Sehr gut gefällt mir, dass die Autorin auf Rollenkonflikte von Staatsdienern und Polnischstämmigen eingeht. Vom Zweiten Weltkrieg bleibt dann niemand verschont. Man erlebt das Geschehen an der Front nicht live. Nichtsdestotrotz geraten die Schilderungen - live, über Briefe oder berichtend im Nachgang - sehr packend.
Stilistisch war es nicht rundum meins. Der allwissende Erzähler lässt in diverse Gedanken und Gefühlswelten eintauchen, gibt dabei viel preis, nimmt auch manchmal vorweg. Ich favorisiere es, zu rätseln und mir eigene Eindrücke zu verschaffen. Fährten sind für meinen Geschmack manchmal zu plakativ gelegt. Das hat Überraschungen/Wendungen verhindert, Entwicklungen vorhersehbar gemacht. Grandios sind die kurzen aussdrucksstarken Sätze, die es nicht nur in Kapitel 1 gibt und die den Mitfühlfaktor bei mir enorm steigerten. Ich vermisse ein erklärendes Nachwort zum Anteil von Fiktion und Wahrheit hinter dieser Handlung, idealerweise noch zur Motivation der Autorin und auf wie viele Bände die Reihe angelegt ist.
Hin- und hergerissen zwischen vier und fünf Sternen vergebe ich vier, weil mich Werke wie “Unter blutrotem Himmel” und “Tage des Sturms” stilistisch noch mehr angesprochen, noch mehr angerührt, überrascht und gebildet haben.