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Veröffentlicht am 03.07.2022

Ein wunderbarer Liebes- und Gesellschaftsroman

Was ich nie gesagt habe
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Vor gut einem Jahr habe ich "Stay away from Gretchen" als Hörbuch gehört und war total begeistert von der frischen Art, wie Susanne Abel schicksalhafte Ereignisse zu einem tollen Roman verflocht. Seitdem ...

Vor gut einem Jahr habe ich "Stay away from Gretchen" als Hörbuch gehört und war total begeistert von der frischen Art, wie Susanne Abel schicksalhafte Ereignisse zu einem tollen Roman verflocht. Seitdem wartete ich sehnsüchtig auf den zweiten Teil der Geschichte. Gretchen, in den Kriegswirren aus Ostpreußen geflohen und im unzerstörten Heidelberg gelandet, lernte den schwarzen Besatzungssoldaten Bob Cooper kennen und lieben, aus dieser Liebe ging Marie hervor. Aber die Zeiten nach dem Krieg waren noch nicht so weit gediehen, als dass eine solche Liebe Bestand haben konnte. Marie kommt in ein Kinderheim, wird nach Amerika zwangsadoptiert und Bob verschwindet von der Bildfläche. Zurück bleibt Gretchen, die psychisch krank wird, aber durch das Kennenlernen von Konrad vor dem Schlimmsten bewahrt. Am Ende des ersten Teils ist es Gretchens Sohn Tom, der der unterdessen dementen Mutter Marie "wiedergibt". Tom ist Fernsehmann, bekannt wie ein bunter Hund, aber irgendwann am Ende seiner Kräfte. Im vorliegenden zweiten Band lernen wir die Familie von Konrad kennen, erfahren viel über Konrads Kindheit und Jugend, seine Kriegserlebnisse und über seine Gefangenschaft. Konrad hat im Krieg die gesamte Familie verloren, einschließlich seiner Schwester Lizzy, die der Euthanasie zum Opfer fiel. Konrad ist sehr hellhörig bei allem, was er erfährt. Einzig sein Onkel Drickes (Heinrich Pütz) lebt noch. Mit Hilfe dieses Onkels, der in russischer Gefangenschaft ist, landet er in Heidelberg, macht ein Medizinstudium und wird Arzt. Hier kreuzen sich die Wege von Konrad und Gretchen. Sie heiraten, beide gehen nach Köln, dort ist unterdessen der Onkel mit Adenauers Hilfe 1956 endlich aus der Gefangenschaft zurück und richtet eine Frauenarztpraxis ein. Konrad wird Teilhaber. Onkel Drickes beschäftigt sich intensiv und gewinnbringend mit der künstlichen Befruchtung gut betuchter Patienten.
Das Buch wird über verschiedene Zeiträume und Handlungsebenen geführt, Konrad und Gretchen haben endlich einen Sohn bekommen und Thomas, auch Tömmes und später Tom genannt, agiert in der Jetztzeit und wird auf verschiedenste Weise mit der Vergangenheit seiner Eltern und seines Onkels konfrontiert. Toms Leben, seine Entwicklung wird dabei in der Rückblende erzählt. Im Jetzt hat er sich in Jenny, eine Kollegin verliebt, die gerade ein Baby bekommen hat. Tom hat das erste Mal im Leben das Gefühl, an der richtigen Stelle angekommen zu sein. Er will mit Jenny leben, fürs kleine Carlchen da sein, sich nach seinem Zusammenbruch wieder an die Arbeit machen und eine wöchentliche Talkshow soll sein Comeback fördern. Bald zieht er mit Jenny ins Haus seiner Mutter, deren Freundin kümmert sich um die demente Mutter nun ebenso wie um den kleinen Carl. Fast perfekt das Ganze. Dass das Leben nie so geradlinig verläuft, weiß man aus Erfahrung, und so kommt es zu vielen Verwicklungen und Missverständnissen, die ich hier natürlich nicht offenbare. Zukünftige Leser sollen gespannt bleiben, was in Toms Leben noch alles geschieht.
Sehr anrührend wird Gretchens Leben als demente Mutter beschrieben, wer in seiner Familie ähnliche Fälle kennt, wird hier auf sanfte Weise "geschult", denn im Alltag eines Demenzkranken gibt es unzählige Momente, in denen Erinnern, Erkennen und Wissen durchschimmern. Das hat mir gut gefallen.
Ich habe auch dieses Buch sehr gern gelesen, aber die überzeugende Wirkung des ersten Bandes hat es bei mir nicht erreicht. Der Stil war teilweise etwas stakkatoartig, viele, oft zu viele Details sollen den Leser erreichen und berühren. Ich habe viele Kenntnisse über den 2. Weltkrieg, Euthanasie, Holocaust, Vertriebene, Gefangenschaft usw., da kam mir der Buchtext manchmal wie eine verstärkende Wiederholung im Geschichtsunterricht vor. Einerseits sind viele geschichtliche Details nur angerissen, andererseits springt die Autorin in den Abläufen oft hin und her. Manchmal wäre mir ein ruhiger Erzählfluss lieber gewesen, als dieses nervöse Gedankenkarussell. Im Laufe der Geschichte gibt es dann auch immer wieder Rückblicke auf den ersten Band. Eigentlich wäre es wohl besser, jeder der dieses Buch lesen möchte, liest zuerst "Stay away from Gretchen", das Wissen um die Hintergründe erleichtert einem das Verständnis für die Geschehnisse im zweiten Teil sehr.
Das Nachwort habe ich dann mit Interesse gelesen, hier werden die Quellen und Inspirationen beschrieben, die für die Autorin wichtig und ermutigend waren. Ich empfehle das Buch gern allen, die sich für deutsche Geschichte und den Umgang damit interessieren. Sie bekommen einen wunderbaren Liebes- und Gesellschaftsroman.
Und sogar mit Lesebändchen!

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Veröffentlicht am 23.06.2022

Der steinige Weg zum eigenen Roman

Autorenwegweiser
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Dr. Gerrit P. Cziehso hat sich ein Thema vorgenommen, das heute in vielen Köpfen eine kleine oder auch große Rolle spielt. Jeden Tag erscheinen neue Bücher, kann ich das auch? Diese Frage wird beantwortet, ...

Dr. Gerrit P. Cziehso hat sich ein Thema vorgenommen, das heute in vielen Köpfen eine kleine oder auch große Rolle spielt. Jeden Tag erscheinen neue Bücher, kann ich das auch? Diese Frage wird beantwortet, Cziehso zeigt den steinigen Weg, wenn jemand sich fest entschlossen hat, einen eigenen Roman zu schreiben. Ja, er zeigt sogar, wie man ganz zu Beginn überhaupt zu einer Idee kommt für eine solchen Roman. Ich merkte schon nach den ersten Seiten: spannendes Thema, interessante Vorgehensweise.

Am Ende angekommen, zog ich für mich selbst das Fazit: Einen Roman schreibe ich wahrscheinlich nie. Ich habe bereits drei Sachbücher veröffentlicht, da kommt man ja auf die verrücktesten Gedanken. Aber nach der Lektüre des Autorenwegweisers bin ich der Meinung: Schuster, bleib bei Deinen Leisten. Warum?

Schon allein die Ideenfindung ist schwierig, Cziehso macht im Buch verschiedene Vorschläge, wie man es angehen kann. Das Sammeln der Ideen, der spezielle Geistesblitz, die nächtliche Eingebung, Schicksale von Fremden oder Freunden, was auch immer, es könnte geeignet sein für einen Roman. Das gefiel mir ausnehmend gut. Die gesammelten Ideen müssen gefiltert, strukturiert und bewertet werden, ist da etwas, was „funktionieren“ kann? Und was ist das Ziel des Schreibens? Die vier Punkte, die der Autor hier nennt, sind jeder für sich aber auch in Kombination möglich. Schon beim Lesen des Kapitels „Die Idee“ war mir klar, ich suche weder wirtschaftlichen Erfolg, noch will ich die Welt verbessern, aber für die Selbstverwirklichung und die Vermittlung einer Grundidee könnte ich mich schon begeistern.

Für mich der interessanteste Teil des Buches ist das Kapitel „Der Schreibprozess“. Die Ratschläge zur Strukturierung des geplanten Romans sind allesamt nachvollziehbar und praxisnah. Ich konnte feststellen, dass ich bei meinen Sachbüchern teilweise ähnlich vorgegangen bin, zuerst ein Storybuch (ich nannte es für mich damals ausführliches Inhaltsverzeichnis), für den Roman dann das „Charakterbuch“ für die einzelnen Personen, für Ablauf und Rückblenden einen Zeitstrahl. Dieser Zeitstrahl hat es mir besonders angetan, ich überarbeite gerade mein letztes Buch, in dem ich viel mit Rückblenden, Zeitabläufe, verkürzt oder gedehnt, arbeite. So ein Zeitstrahl wird mir sicher helfen, das Buch noch besser zu machen.

Gerade auch die lapidaren Sätze, die Cziehso einflicht in seine Erklärungen, sind für das praktische Arbeiten ein Segen. Zu Beginn des Schreibens soll man z. B. nie vergessen: „Ihr Ziel ist es, einen ersten Entwurf zu erstellen, keine Endversion.“ Bei mir lag da der Finger sofort auf der Wunde… So erging es mir des Öfteren, dass ich meine eigenen Fehler beschrieben fand.

Ich will hier keinesfalls das ganze Buch von Cziehso wiedergeben, es sollen ja Interessierte auch noch Neues und Unbekanntes darin finden. Über die Werkzeuge und Stilmittel bis hin zur Überarbeitung des halbwegs fertigen Textes ist alles berücksichtigt. Am Ende hat man einen druckreifen Text. Unterstützend zur Verfügung stehen Wegweisertipps sowie Downloadmaterialien.

Nun wendet sich der Autor der ganz entscheidenden Frage zu: Wie veröffentlichen? Man hat die Qual der Wahl, Verlag, Literaturagent oder Selfpublishing mit oder ohne Lektorat… Oh je, das ist schwierig und ich gebe ehrlich zu, ich habe mich bei all meinen Büchern für die allerletzte Variante entschieden. Die ist einfach, birgt aber den geringsten Erfolg.

Das umfangreichste Kapitel ist „Nach der Veröffentlichung“. Hier nun wird es sehr spannend, sehr schwierig und sehr steinig für einen jungen Autor. Ich fand die Erklärungen zu Facebook, Instagramm und sozialen Medien im Allgemeinen wirklich spannend, habe mir bisher darüber wenig Gedanken gemacht und glaube, dass für mich Instagramm als Multiplikator noch am ehesten in Frage kommt. Jüngere Leute als ich werden sich da vielleicht noch mehr ins „Getümmel“ stürzen, die Möglichkeiten scheinen endlos.

Die schwierige Suche im sog. Offline-Bereich (stationärer Buchhandel, Werbung, Marketingmaßnahmen) ist schon eher etwas für echte Profis unter den Autoren. Es gehört eine Menge Willen, Durchsetzungsvermögen, viel Zeit und teilweise auch Geld dazu, um ohne oder zusätzlich zum Verlag etwas auf die Beine zu stellen. Aber auch hier mein Fazit: Von nichts kommt nichts.

So kann ich am Ende nur sagen: Ein interessanter Ansatz, um Menschen mit Schreibambitionen auf einen praktikablen Weg zu bringen. Ob und wie jeder sein Ziel erreicht, ist genauso offen wie bei einem Ratgeber für eine Diät oder ein tägliches Fitnessprogramm. Der Leser muss bestimmte Hinweise verinnerlichen und immer wieder im Buch abrufen, um Nutzen daraus zu ziehen.

Die Typografie und Schriftartenauswahl fanden nicht meine hundertprozentige Zustimmung, ich hätte mir auch mehr Raum für eigene Notizen gewünscht. Der Begriff Buchrücken wurde leider mit der Coverrückseite verwechselt, aber das sind dann auch schon alle Kritikpunkte. Wer allerdings ganz genau wissen will, „wie“ man schreibt, seinen Stil und seine Grammatik, seine verwendeten Zeiten verbessert, Schachtelsätze vermeidet oder Wiederholungen, der muss dann doch noch andere Bücher zu Rate ziehen. Diese Empfehlung kommt nicht nur von mir, sondern auch vom Autor.

Ich kann das Buch guten Gewissens weiterempfehlen, auch Leute, die keinen Roman, sondern vielleicht nur eine Geschichte oder etwas anderes veröffentlichen möchten, finden sicher hier jede Menge gute Tipps.

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