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Veröffentlicht am 01.02.2024

Eiserner Überlebenswille hat die Eltern gerettet

Hitler, Stalin, meine Eltern und ich
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Daniel Finkelstein hat ein gehörig Maß an Schicksal und Erinnerungskultur, dass er schultern muss. Er lebt in Großbritannien, aber seine Wurzeln sind breit gefächert: Der Vater Ludwik stammt aus Lemberg ...

Daniel Finkelstein hat ein gehörig Maß an Schicksal und Erinnerungskultur, dass er schultern muss. Er lebt in Großbritannien, aber seine Wurzeln sind breit gefächert: Der Vater Ludwik stammt aus Lemberg (der Stadt mit den vielen Namen und Herrschern), seine Mutter Mirjam aus Berlin. Während des Zweiten Weltkrieges erleben und überleben die Eltern sowohl den Holocaust als auch Stalins Regime. Insbesondere die Lebensgeschichte der Großeltern wird im Buch ausführlich beschrieben. Großvater Alfred Wiener, einen bekannter jüdischer Publizist und aktiver Gegner der Nazis, und seine Aktivitäten hat Daniel Finkelstein stark im Fokus. Aber auch die dramatischen Ereignisse in Lemberg, verbunden mit dem Tod des Großvaters Finkelstein, bestimmen seine Recherchen. Der Autor geht sicher davon aus, dass nicht alle seine Leser mit der Geschichte vertraut sind, vieles beschreibt er aus meiner Sicht zu ausführlich. Interessanter sind für mich die persönlichen Erlebnisse der Familienmitglieder, die Furchtbares und eigentlich Unvorstellbares erdulden und erleiden müssen. Sei es die "Verbannung" der Großmutter mit Finkelsteins Vater Ludwik, damals ein Zehnjähriger, in den unwirtlichen Kaukasus oder die Verfolgung und Deportation seiner Mutter, Tanten und Großmutter. All das ist heute schwer zu verkraften, ich gehöre zur Nachkriegsgeneration wie auch Daniel Finkelstein. Ich habe mit ihm gemeinsam, dass er alles, aber auch wirklich alles über seine jüdischen Wurzeln und die Schicksale jedes einzelnen erfahren will. Dass es ihm nicht leicht fällt, auch Passagen mit langen Erklärungen wegzulassen, kann ich verstehen. Für die Lesbarkeit dieses Buches mit über 500 Seiten wäre es besser gewesen.
Fazit: Eiserner Wille und eine nicht unterzukriegende Hoffnung haben die Eltern von Daniel Finkelstein überleben und weiterleben lassen. Ein lesenswertes Stück Geschichte.

HitlerStalinmeineElternundich

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Eine ungeheuer bewegende Geschichte

Das Philosophenschiff
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Anouk Perlemann-Jakob, 100 Jahre alt, berühmte Architektin und man würde umgangssprachlich sagen "mit allen Wassern gewaschen", möchte ihre Geschichte endlich auf Papier sehen. Für eine Biographie erscheint ...

Anouk Perlemann-Jakob, 100 Jahre alt, berühmte Architektin und man würde umgangssprachlich sagen "mit allen Wassern gewaschen", möchte ihre Geschichte endlich auf Papier sehen. Für eine Biographie erscheint sie ihr Geschichte jedoch zu unglaubwürdig und so bittet sie einen Schriftsteller, aus ihren Erzählungen einen Roman zu machen. Schwankend zwischen Ehrgeiz und Ehrfurcht hört er ihr fasziniert zu. Ja, er wird den Roman schreiben, aber was ihm bevorsteht, das ahnt er nicht.
Jetzt, im Jahr zwei nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, ist es ein sehr bedrückendes Gefühl, an das alte St. Petersburg, die bolschewistische Diktatur, die Unterdrückung und Verjagung der "Intelligenzija" zurückzudenken. Was wird aus dem geliebten Russland werden?
Aunouk hat als Kind und Jugendliche so viel Unrecht und Hass erfahren, mit 100 Jahren erscheint sie abgeklärt und weise. Aber sie ist auch verletzlich, eine einzige Frage, die eine wunde Stelle trifft, bringt sie zuweilen aus dem Gleichgewicht. Spricht man von Schicksal, wenn man so eine Lebensgeschichte hört und aufschreiben soll? Schwer zu sagen, Anouk hat ihren schicksalhaften Weg fast vollendet. Ich erzähle hier keine Einzelheiten, jeder Leser sollte sich selbst in diese Geschichte verlieben, ich jedenfalls habe es getan.
Nach "Zwei Herren am Strand" ist auch dieser Roman von Michael Köhlmeier ein tiefgründiges und philosophisches Werk, das unbedingt noch einmal gelesen werden will! Ein wunderbares Buch!

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Künstlerleben aus erster Hand

Mit Herz und Mund und Tat und Leben
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Jürgen Flimm ist mir seit über 30 Jahren ein Begriff, vor der Wende in der DDR habe ich ihn nicht gekannt. Schauspieler, Regisseur, Produzent, immer mit neuen Ideen und immer überzeugt von sich und seiner ...

Jürgen Flimm ist mir seit über 30 Jahren ein Begriff, vor der Wende in der DDR habe ich ihn nicht gekannt. Schauspieler, Regisseur, Produzent, immer mit neuen Ideen und immer überzeugt von sich und seiner Arbeit. Flimm hatte eigentlich den passenden Namen fürs Geschäft, er flimmerte! Und das ganz wunderbar und überzeugend. Dass mir seine unvollendete Autobiographie dann doch nicht so gut gefiel wie seine Theaterarbeit, hat verschiedene Gründe. Einerseits bin ich mit seinem Schreib-/Erzählstil nicht so gut zurechtgekommen, wie erhofft, andererseits waren mir die vielen persönlichen "Abrechnungen" etwas zu viel. Ich behalte ihn deshalb am liebsten als den Intendanten meiner heimatlichen Berliner Staatsoper Unter den Linden im Gedächtnis, ohne das ganze Drumherum seiner Erlebnisse.
Fazit: interessanter und tiefer, sehr persönlicher Einblick in ein vollendetes Künstlerleben.

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Deutschlandrundreise mit 52 Aha-Erlebnissen

DuMont Bildband Orte zum Staunen in Deutschland
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Wer einen Urlaub in der Heimat plant und noch unentschieden ist ob der genauen Route, der findet hier jede Menge Anregungen für eine ausgedehnte Deutschlandreise. Für mich, die ich erst seit dem Mauerfall ...

Wer einen Urlaub in der Heimat plant und noch unentschieden ist ob der genauen Route, der findet hier jede Menge Anregungen für eine ausgedehnte Deutschlandreise. Für mich, die ich erst seit dem Mauerfall auch über den Tellerrand der DDR blicken durfte, fanden sich einerseits Orte der Kindheits- und Jugendurlaube wieder, andererseits jede Menge Ideen im Norden, im Herzen und im Süden Deutschlands.

Um einen Eindruck von den einzelnen Empfehlungen zu bekommen, habe ich mir bekannte Orte ausgewählt, z. B. das Feldberger Seenland (Nr. 8) und Görlitz (Nr. 28) im Osten und Bremerhaven (Nr. 11) im Norden und den Eibsee (Nr. 52) ganz im Süden. Alle Ziele fand ich kurz, prägnant und unterhaltsam präsentiert, besonders gefällt mir die Rubik "Weitere wunderbare Erlebnisse". Allein für die Feldberger Seenlandschaft Nr. 8 könnte ich einen mindestens einwöchigen Urlaub mit Kunst, Kultur, Natur, Erholung, Paddeln, Baden, Wandern, Radfahren und natürlich auch Fotografieren wärmstens empfehlen. Das war schon in den 1980er Jahren eine tolle Urlaubsgegend. Ganz im Süden dann der Eibsee, den kenne ich nur total zugefroren mit einem Glühweinstand darauf. Die Fotos belehren mich natürlich eines Besseren, denn wenn sich im See die Alpen spiegeln, muss es dort herrlich sein. Da wäre ich gleich bei der Ausstattung des Buches, die Fotos sind wirklich sehr verlockend und gut ausgewählt. Die Schrift der Grundtexte für meine Augen ein bisschen dünn geraten, aber insgesamt macht das Buch einen typografisch wohlüberlegten Eindruck.

Interessant ist die Idee, die Touren per QR-Code aufs Handy zu laden. Ich nutze Komot auf einem iPhone, das ist eine schöne Alternative zur guten alten Wanderkarte, die ja immer wieder zusammengefaltet werden möchte. Außerdem ist das Buch doch besser für Zuhause geeignet, denn für unterwegs ist es natürlich zu groß und zu schwer.

Was mich teilweise irritiert hat, ist die Reihenfolge der Empfehlungen. wie man zum Beispiel den Sprung von Nr. 20, der Pfaueninsel in Berlin, zur Nr. 21, dem Zwillbrooker Venn, gestalten soll, das ist Geheimnis der Autorin. Vielleicht wäre eine Unterteilung von Norden, Herz und Süden in kleinteiligere Regionen etwas übersichtlicher. Denn eine Überleitung von Berlin ins Münsterland gibt es z. B. nicht.

Für so ein Reisebuch hätte ich mir auch noch etwas anderes gewünscht: einen Zusatz mit Empfehlungen für Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten.

Fazit: ein unterhaltsames und mit Anregungen gut gefülltes Deutschlandbuch, in dem eigentlich jeder Reiselustige eine Idee für den nächsten Urlaub finden sollte.

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Veröffentlicht am 29.12.2023

Fünf Stunden, die unter die Haut gehen

Das späte Leben
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Bernhard Schlink sucht sich nie leichte, oberflächliche Themen für seine Bücher. Ob der Vorleser oder Olga, ob die frühen Selb-Romane, alles geht in die Tiefe, unter die Oberfläche der Protagonisten und ...

Bernhard Schlink sucht sich nie leichte, oberflächliche Themen für seine Bücher. Ob der Vorleser oder Olga, ob die frühen Selb-Romane, alles geht in die Tiefe, unter die Oberfläche der Protagonisten und unter die Oberfläche der Leser.
Dieser Roman geht beinahe noch tiefer, es macht betroffen, mit Martin, dem wichtigsten Protagonisten dieses Buches, einen sehr endlichen Weg zu gehen.
Martin, Mitte 70, später Vater des sechsjährigen David, Ehemann von Ulla, die wohl 30 Jahre jünger ist als er, erhält die tödliche Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Keine Aussicht auf Heilung oder Lebensverlängerung, ob er die Einschulung des Sohnes erleben wird, steht in den Sternen. Der Schock sitzt tief, bei allen dreien, auch der Junge beginnt zu begreifen, dass er nur noch einen Vater auf Zeit hat. Ulla möchte alles richtig machen, Martin auch, wie hinterlässt man etwas für sein Kind, ohne zu verletzen, zu kränken, sich selbst zu überhöhen.
Noch bringt Martin David in den Kindergarten, holt ihn ab, spielt mit ihm, noch empfindet er Begehren für seine Frau, hat Freude an gemeinsamen letzten Unternehmungen. Aber die Zeiger der Lebensuhr drehen sich schnell, schneller als gedacht. Und es ist nicht alles, wie es scheint, in ihrer Ehe.
Martin hat bis zum Schluss Prüfungen zu überstehen, die fast zu viel sind für ihn, aber immer bleibt er am Ende doch ruhig und verantwortungsvoll. Mit dieser Ehefrau Ulla, die manchmal sehr hart scheint, ist das nicht so einfach. Für David ist er schlimm-müde-krank. Sehr traurig. Die Betrachtung von Sterben und Tod mag für viele Leser oder Hörer sehr unangenehm, vielleicht zu eindringlich wirken, Ulrich Nöthen macht es dem Hörer etwas leichter mit seiner einfühlsamen Sprechweise. Dafür war ich am Ende am meisten dankbar.
Fazit: Tapferes Lebensende eines Todkranken, der nicht jammert, aber der es sehr bedauert, sein Kind nicht aufwachsen sehen zu können. Empfehlenswert.

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