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Veröffentlicht am 11.05.2018

Das Feuer fehlt in der zweiten Hälfte

Die Spiegel von Kettlewood Hall
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"Versteh mich doch." Jetzt war Victors Stimme kaum mehr als ein Krächzen. "Dir geht es nur um ein paar Kleider und Schuhe, und ja, auch darum, dass man dir die Wahrheit sagt. Aber was für uns auf dem Spiel ...

"Versteh mich doch." Jetzt war Victors Stimme kaum mehr als ein Krächzen. "Dir geht es nur um ein paar Kleider und Schuhe, und ja, auch darum, dass man dir die Wahrheit sagt. Aber was für uns auf dem Spiel steht - das ahnst du nicht."
"Dann sag es mir!", rief ich. "Sag es mir endlich! Worum geht es bei dem Schachspiel?"
Victor atmete durch. "Um unsere Zukunft", sagte er dann. "Und unsere Gegenwart. Und unsere Vergangenheit."
"Das ist keine Antwort! Wenn ich euch helfen soll, will ich die Wahrheit wissen."
Victor antwortete nicht. Er drehte sich nur um und verließ das Zimmer. Er machte nicht einmal mehr die Tür hinter sich zu. Und er brauchte gar nicht erst wiederzukommen.
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INHALT:
Im England des 19. Jahrhunderts ist Kinderarbeit üblich, und so muss auch die 14jährige Iris ihren Teil zum Lebensunterhalt mit Fabrikarbeit beitragen. Nach dem Tod ihrer Mutter ist es aber nun an ihr, allein für ihre Großmutter und sich zu sorgen, was sie an ihre Grenzen bringt. Bis sie eines Tages ein schwarzes Pferd entdeckt, das ihre Mutter versteckt hatte - einen Springer, der zu einem Schachspiel gehört. Einem Schachspiel, das sich auf dem Anwesen Kettlewood Hall befindet, zu dem sich Iris auf den Weg macht. Unerwartet freundlich wird sie dort aufgenommen. Doch das hat einen Grund: Eine Partie Schach wartet auf sie, und sie ist unfreiwillige Teilnehmerin. Womit sie mit ihrer Seele spielt...

MEINE MEINUNG:
Maja Ilisch hat ein Händchen für düstere, leicht schaurige Stoffe - das hat sie in ihrem Debüt gezeigt und das zeigt sie auch in "Die Spiegel von Kettlewood Hall" erneut. Wieder geht es um ein junges Mädchen, das ein Geheimnis lüften will und dabei mit allerlei seltsamen und gefährlichen Geschehnissen in Berührung kommt. Der Schreibstil ist sehr angenehm, trotz des Jahrhunderts, in dem die Geschichte spielt, und die Ich-Perspektive lädt dazu ein, der Protagonistin in den Kopf zu schauen. Doch wie schon im Erstling um das "Puppenzimmer" lässt die zweite Hälfte wieder stark in der Qualität nach und verläuft sich letztendlich irgendwo im Mittelmaß.

Iris ist für ihre 14 Jahre sehr reif, was sicherlich der Zeit geschuldet ist. Sie muss arbeiten und Geld verdienen, wünscht sich aber eigentlich so viel mehr: Sie möchte etwas lernen und sie möchte nicht so früh sterben wie es ihrer Mutter passiert ist. Ihr Mut ist bewundernswert und sie steht auch für sich selbst ein, lässt sich aber fast genauso oft auch an der Nase herumführen, was sie viel zu schnell verzeiht. Neben ihr lernt man noch Mr. Whitham kennen, ihren Lehrer, der ihr das Schachspiel beibringt, sowie die illustre Gemeinschaft, die im Anwesen Kettlewood Hall lebt: Da ist der gutaussehende Victor, der natürlich relativ schnell der Angebetete wird, der sich nie so recht entscheiden kann, ob er nun geheimnisvoll tun oder helfen will; da ist der junge Toby, der einige Fehler hat, ihr aber auch aktiv zur Seite steht; oder die zwei jüngeren Mädchen, Schwestern, die sich beide viel älter verhalten als sie aussehen. Die übrigen Charaktere bleiben leider sehr schemenhaft, was aber auch damit zusammen hängt, dass sie deutlich weniger Platz einnehmen.

Die erste Hälfte des Romans ist wunderbar: Hier lernt man Iris' Lebensumstände kennen, ihren Wunsch nach mehr, und erste Prinzipien des Schachspiels, für das sie eine Leidenschaft entwickelt. Nach ihrer Ankunft im Anwesen wird es durchaus schaurig mit den Spiegeln, in denen Bewegungen auszumachen sind, oder Menschen, die mal Geister sind und mal nicht. Enttäuschend ist aber, dass Iris entgegen meiner Erwartung keines der Geheimnisse selbst aufdecken muss - alle Bewohner geben sich zwar immer übertrieben geheimnisvoll und erklären des Öfteren, dass sie nichts verraten dürfen, aber wenn es mal Erklärungen gibt, dann grundsätzlich nur durch diese Menschen selbst. Iris bleibt dabei fast schon passiv, läuft nur von einem Raum in den nächsten, spielt ab und zu Schach und träumt von Victor, stolpert in die Lösungen aber eher rein. Dafür ist der Schluss überzeugend, der zwar keine Spannung zum Nägelkauen mit sich bringt, aber durchaus interessant ist und auch zum Rest passt. Nur Überraschungen bleiben aus, weswegen die Gefühle über leichte Zufriedenheiten nicht hinausgehen.

FAZIT:
"Die Spiegel von Kettlewood Hall" überzeugt mit einer spannungsreichen ersten Hälfte, die schaurig und atmosphärisch anmutet. Danach allerdings tritt die Handlung relativ lange auf der Stelle, weil auch die Protagonistin relativ wenige Geheimnisse selbst lösen muss. Da fehlte mir irgendwie das Feuer, das ich erwartet hatte. So bleibt es bei 3 Punkten.

Veröffentlicht am 04.05.2018

Wie jede andere Romantasy-Geschichte

Palace of Glass - Die Wächterin
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Heute hat auch der Prinz mich angesehen. Er hat mich angesehen, als wäre ich schön. Und so wage ich es für einen kurzen Moment, mich im Spiegel zu betrachten. Ein schneller, faszinierter Blick, bevor ich ...

Heute hat auch der Prinz mich angesehen. Er hat mich angesehen, als wäre ich schön. Und so wage ich es für einen kurzen Moment, mich im Spiegel zu betrachten. Ein schneller, faszinierter Blick, bevor ich mir das Nachthemd über den Kopf ziehe. Glühende Scham brennt in mir, aber da ist auch dieses Gefühl der Verzauberung, das mich heute überfallen hat. Ich habe ein Märchenschloss gefunden. Und in dem Märchenschloss wohnt sogar ein Prinz.
Zu schade, dass er mich hinrichten lassen würde, wenn er wüsste, was ich bin.
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INHALT:
Seit Jahren werden die Magdalenen verfolgt: Menschen, die durch bloße Berührungen Gedanken lesen und andere dadurch theoretisch kontrollieren und manipulieren können. Die junge Rea gehört zu ihnen und muss ihre Gabe um jeden Preis verbergen - wenn nicht, würde sie gefangen und wahrscheinlich getötet. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Schneiderin, doch nachts kämpft sie mit bloßen Händen im Untergrund, um ihr Bedürfnis nach Berührungen zu stillen. Bei einem dieser Kämpfe wird sie beobachtet - und gegen ihren Willen in den Palast des Königs gebracht. Mit ihren Fähigkeiten soll sie eine neue Leibwache für den Prinzen werden. Einen Prinzen, der ungeahnte Gefühle in ihr auslöst. Und der sie hassen würde, wüsste er, was sie für Fähigkeiten besitzt...

MEINE MEINUNG:
Gut geschriebene Klappentexte haben eine magische Wirkung auf mich: Obwohl Romantasy meistens nicht (mehr) mein Genre ist, versuche ich es bei tollen Ideen doch immer wieder, jedes Mal auf der Suche nach einer Perle. "Palace of Glass: Die Wächterin" klang nach einer eben solchen: Eine Welt, die mit den Schleppen und Outfits an "A Handmaid's Tale" erinnert und ebenso in einer Zukunft spielt, die in Sachen Gesellschaft wie das 19. Jahrhundert wirkt - solche Settings haben es mir einfach angetan. Leider macht das Buch aber genau damit relativ wenig und verstrickt sich lieber in den üblichen Klischees.

Protagonistin Rea ist, wie könnte es anders sein, natürlich mal wieder etwas ganz Besonderes. Sie ist eine Magdalena, die die Gedanken anderer durch Berührungen in Erfahrung bringen kann, was sie zu einer guten Untergrundkämpferin macht - aber nur ohne Handschuhe natürlich, was eigentlich verboten ist. Ihre Fähigkeiten sind eigentlich relativ interessant, nur hat sie ansonsten keinerlei Eigenschaften, die beeindrucken. Genauso verhält es sich auch mit Love-Interest Robin, dem Prinzen, der eine außerordentlich schwache Person ist und sich von Mutter und Vater alles vorschreiben lässt - unter anderem auch, Rea auszupeitschen, was diese aber gar nicht schlimm findet. Was ein Glück. Die Nebenfiguren wissen da schon ein wenig mehr zu überzeugen, insbesondere die geheimnisvolle und offene Comtess Ninon, aber da diese deutlich weniger Platz einnehmen als die Hauptfiguren, macht das nicht viel wett.

Während der Beginn mit Reas Geheimnis und ihrer Einführung in den Palast und ihre Arbeit noch ganz interessant ist, wird der Fantasyroman bald zu einer einfachen Liebesgeschichte. Rea und Robin schmachten sich gegenseitig an, wobei ich diese Anziehung so gar nicht nachvollziehen konnte - da ist keinerlei Chemie, erst recht nicht nach der Auspeitschung (nach der Rea ihre Schmerzen übrigens nur einfallen, wenn sie nicht gerade vom Prinzen berührt wird). Es werden immer wieder einige Dinge über Magdalenen erklärt und das Prinzip der Haut- und Seelengier, die diese Menschen nach Berührungen lechzen lässt, fand ich ich interessant. In diesem Zusammenhang taucht aber auch immer wieder eine "Kreatur" auf, die wohl Reas Wunsch nach Nähe ausdrücken soll, allerdings einfach permanent da ist und das auch in Momenten, in denen sie tatsächlich berührt wird. Ich bin hier nicht sicher, ob die Autorin eigentlich selbst weiß, was sie damit sagen möchte. Zum Schluss hin wird es wieder etwas spannender, dramatisch fast schon, aber die Geschichte hätte hier gut enden können. Band 2 und 3, in denen - geht man vom Klappentext aus - hauptsächlich die Liebesgeschichte künstlich verlängert wird, wären wohl prinzipiell keine Notwendigkeit gewesen.

FAZIT:
Das Romantasy-Genre ist überlaufen von Büchern, die irgendwie immer die gleiche Geschichte erzählen, und auch "Palace of Glass: Die Wächterin" bildet da leider keine Ausnahme. Blasse Figuren, eine langweilige Liebesgeschichte und wenig Spannung wissen nicht wirklich zu begeistern. 2 Punkte.

Veröffentlicht am 17.04.2018

Eine ganz besondere Atmosphäre

Die letzte Reise der Meerjungfrau
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"Fragen Sie Ihre Frau, Sir", sagt der Makler. "Sie wird das vollkommen verstehen."
Aber Mr. Hancock versteht schon selbst. Seine Frau - ja, sie gehört ihm. Das Haus, ja, in Kürze ebenfalls. Das Kind, ...

"Fragen Sie Ihre Frau, Sir", sagt der Makler. "Sie wird das vollkommen verstehen."
Aber Mr. Hancock versteht schon selbst. Seine Frau - ja, sie gehört ihm. Das Haus, ja, in Kürze ebenfalls. Das Kind, von dem er träumte, könnte eines Tages leibhaftig vor ihm stehen. Aber wenn die Grotte ebenfalls ihm gehören wird, sollte er dies als besonderes Zeichen verstehen. Ein langsames, verwundertes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er beregift, dass ihm das Haus mit der Grotte aus einem einzigen Grund gewährt wurde: Er wird auch eine Meerjungfrau bekommen.
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INHALT:
Als der Kapitän seines Schiffes statt mit der gewünschten Ladung mit einer toten Meerjungfrau zurück kommt, ist der Kaufmann Jonah Hancock erst einmal zutiefst verärgert. Doch Not macht erfinderisch, und so stellt er das Fabelwesen zur Ansicht aus - ohne mit dem kommenden Ansturm zu rechnen. Schließlich wird ihm eine unglaubliche Summe für die Sirene geboten, und plötzlich ist er ein gemachter Mann. Nun hat er alles, was er sich wünschen kann - aber zu seinem Glück fehlt ihm noch eine richtige Familie. Angelica Neal, Kurtisane von Stand, ist die Frau seines Herzens. Doch um sie für sich zu gewinnen, muss er ihr eine lebende Meerjungfrau schenken...

MEINE MEINUNG:
Das London des 18. Jahrhunderts - was für ein Schauplatz für einen Roman über Meerjungfrauen. Ist "Die letzte Reise der Meerjungfrau" überhaupt ein Buch über Meerjungfrauen? Es wird nicht ganz deutlich, mehr ist es wohl ein Gesellschaftsroman mit ganz leichten phantastischen Zügen. Klar ist aber, dass Debüt-Autorin Imogen Hermes Gowar einen unglaublich atmosphärischen Stil hat, der diese Stadt mit ihrer Atmosphäre, ihren Besonderheiten und ihren unterschiedlichen Bewohner auf eine so eindrückliche Weise zum Leben erweckt, wie man es selten erlebt. Erzählt wird hauptsächlich die Geschichte von Kaufmann Jonah Hanock und seiner Angebeteten Angelica Neal, aber auch Hancocks Nichte Sukie, die junge Prostituierte Polly und die Kupplerin Mrs. Chappell kommen zwischendurch zu Wort.

Es wird relativ schnell deutlich, dass von den beiden Protagonisten Angelica klar die stärkere ist. Zwar ist sie von ihrem Leben als Edelkurtisante verwöhnt und sie weiß wenig über das Führen eines Haushalts, ist sogar schon glatt arrogant in ihrer Unwissenheit - aber sie kennt es auch nicht anders und kämpft sich, als es wirklich drauf ankommt, mit deutlicher Willenskraft durch. Jonah Hancock hat dafür ein gutes Herz, macht sich ungern Feinde und greift und nur selten mal wirklich durch. Er lässt sich oft von anderen vorschreiben, was er zu tun oder zu lassen hat, aber seine Güte lassen einen üft über seine Schwäche hinwegsehen. Sympathieträger ist jedoch eindeutig die quirlige und für ihr Alter trotzdem sehr reife Nichte Sukie. Allen Frauen des Buches ist gemein, dass sie - ob auf gute oder schlechte Weise - für ihr eigenes Leben kämpfen, und dass sie dennoch in den Erwartungen anderer Menschen und ihren eigenen Zwängen gefangen sind - so ist die Situation der gejagten und gefangenen Meerjungfrau wohl eine Allegorie auf eben jene Zustände, könnte man sagen.

Denn diese Nixe kommt viel weniger im Roman vor, als man das bei dem Titel vermuten könnte. Sie ist eher der Auslöser für alle Geschehnisse: Dass sich Angelica und Mr. Hanock kennen lernen, dass sie eine Meerjungfrau verlangt und dass er versucht, ihr diese zu beschaffen. Besonders im Mittelteil wird das Buch eindeutig ein Gesellschaftsroman, der aber durch einige Überraschungen begeistern kann. Erst zum Ende kommen wieder phantastische Elemente auf, die dafür wunderbar genutzt werden: Die Stimmung ist melancholisch, geradezu düster, hat aber ihren ganz eigenen Reiz. Es wird mit den eigenen Erwartungen gespielt, was teilweise anstrengend, aber auch mal etwas ganz anderes ist. Nur das Ende gerät dafür, dass alles zuvor so aussschweifend behandelt wurde, ein wenig zu kurz, vor allem weil zuvor ausführlich beschriebene Handlungsstränge einfach fallen gelassen werden - da hätten ruhig 30 Seiten des Beginns für den Schluss verwendet werden dürfen.

FAZIT:
"Die letzte Reise der Meerjungfrau" ist kein Fantasy-Roman und ganz anders als erwartet, aber er besitzt dafür eine besondere Atmosphäre und viele sehr unterschiedliche Charaktere. Allerdings war mir das Ganze zu Beginn zu langatmig, um dann am Ende zu kurz abgehandelt zu werden. Wer jedoch Lust auf einen Gesellschaftsroman mit phantastischen Elementen hat, die mehr eine Allegorie auf die Realität sind, ist hier gut beraten. 3,5 Punkte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Atmosphäre
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.04.2018

Diversität um der Diversität willen

Artemis
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Ich stieß die Luke auf und stürzte hinein. Alles verschwamm mir vor den Augen, ich schnappte hektisch nach Luft. Mit einem Tritt verschloss ich die Luke, griff nach dem Notvorrat und riss den Sicherungsstift ...

Ich stieß die Luke auf und stürzte hinein. Alles verschwamm mir vor den Augen, ich schnappte hektisch nach Luft. Mit einem Tritt verschloss ich die Luke, griff nach dem Notvorrat und riss den Sicherungsstift heraus.
Der Verschluss flog weg, und die Luft strömte in die kleine Kammer. Es ging so schnell, dass die Hälfte kondensierte und als Dampf in der Schleuse schwebte, weil die rasche Ausdehnung mit einer starken Abkühlung einherging. Beinahe ohnmächtig sank ich zu Boden.
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INHALT:
Jazz Bashara lebt in der einzigen Stadt auf dem Mond, Artemis, und hält sich bei den teuren Lebensbedingungen einigermaßen über Wasser, indem sie kleinere kriminelle Tätigkeiten ausführt. Ihr Ziel ist es, mit den anderen EVA-Meistern Ausflüge auf der Mondoberfläche ausführen zu dürfen, aber dafür braucht sie Geld für einen anständigen Raumanzug. Als ihr für einen Coup eine Million geboten wird, scheinen alle Sorgen vergessen, und sie nimmt das Angebot ohne zu zögern an. Doch der Plan geht nicht auf: Sie wird entdeckt und ihr Auftraggeber ermordet. Und nun sind die Täter hinter ihr her...

MEINE MEINUNG:
Zuerst im Selbstverlag erschienen, 2014 von einem Verlag gekauft, zum Bestseller geworden und von Ridley Scott verfilmt - das ist die Erfolgsgeschichte von Andy Weirs Debüt "Der Marsianer". Nach langen Jahren des Wartens legt er nun mit "Artemis" einen neuen Science Fiction- Roman vor, der wieder auf einem fremden Planeten spielt, dieses Mal auf dem Mond. Es wird versucht, vieles anders zu machen: Statt einem Überlebenskampf in unwirtlicher Umgebung geht es nun um einen fehlgeschlagenen Coup, statt eines männlichen Protagonisten haben wir eine weibliche Hauptfigur, und wir begleiten eine Riege von diversen Charakteren. Und doch scheint der Autor sein bestimmtes Schema nicht ablegen zu können, was irgendwann sehr anstrengend wird.

Jazz Bashara ist Muslimin, sie ist intelligent und gewitzt - und sie ist definitiv eigentlich ein Mann. Es ist schön, dass männliche Autoren einen anderen Blickwinkel einnehmen wollen und dass ein Sci-Fi-Roman aus eben diesem erzählt wird, aber hier tritt wieder der klassische Fall davon ein, dass ein Mann meint, aus der Sicht einer Frau schreiben zu können und gnadenlos daneben liegt.Die pubertären Witze haben bei Mark Watney funktioniert, aber sie tun es nicht bei Jazz, ihre ewige Reduktion auf ihren ach so vielen Sex nervt, und kaum eine Frau würde von sich denken, dass sie im T-Shirt eines Mannes schon "sehr sexy" aussieht. Dementsprechend ist für weibliche Leser eine Identifikation definitivsehr schwierig. Auch der Rest der Figuren ist von Diversität geprägt, aber gefühlt eher um genau dieser Diversität willen - bei Dale zum Beispiel, der offen schwul ist, was man daran merkt, dass er immer und immer wieder darauf hinweist. Charaktere sind Andy Weirs Schwäche, und das wird hier sehr deutlich.

Seine Stärke, die technischen und wissenschaftlichen Informationen und Details nämlich, spielt er dafür wieder aus - die Erklärungen sind anschaulich, die sich daraus ergebenden Handlungsstränge größtenteils interessant. Wenn man mal von der recht langatmigen ersten Hälfte absieht, in der beinahe nichts passiert. Erst nach dem Mord wird es spannender, als Jazz um ihr Leben fürchten und daher einen guten neuen Plan aushecken muss. Trotzdem gibt es immer wieder Längen, denn dieser Plan hat sehr viel, und ich meine wirklich sehr viel, mit Schweißen zu tun. Wo im Debüt des Autors jedes Kapitel mit einem fiesen Cliffhanger endete, treibt einen hier nicht so wirklich viel zum Weiterlesen an, und das ändert sich leider auch zu selten. Dafür gibt es einfach zu wenige neue Elemente und zu wenige Charaktere, die man wirklich ins Herz schließt. Es bleibt zu hoffen, dass Weir sich in seinem nächsten Roman wieder an seine Stärken hält.

FAZIT:
In "Artemis" versucht Bestseller-Autor, löblicherweise mehr Diversität bei seinen Figuren unterzubringen, vergisst darüber aber das Innenleben eben dieser. Zudem hat die Geschichte so einige Längen, wodurch an vielen Stellen kein richtiges Lesevergnügen aufkommen mag. 2,5 Punkte dafür.

Veröffentlicht am 05.04.2018

Eiskalt-beeindruckender Schauplatz

Wie Wölfe im Winter
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"Sie müssen das nicht tun, Ma'am."
"Seien Sie still." Mom zögerte einen Moment, bevor sie Jax die Hand auf die Wade legte. Dann schüttete sie reichlich Wodka auf den Schnitt und tupfte ihn mit einem feuchten ...

"Sie müssen das nicht tun, Ma'am."
"Seien Sie still." Mom zögerte einen Moment, bevor sie Jax die Hand auf die Wade legte. Dann schüttete sie reichlich Wodka auf den Schnitt und tupfte ihn mit einem feuchten Tuch ab. Jax zuckte kurz und stöhnte.
"Wir müssen das abgestorbene Gewebe herausschneiden."
"Nein, schon gut", sagte Jax. "Die Wunde ist nicht groß."
"Das war David auch nicht." - "David?"
"David und Goliath. Er war klein, hat aber einen Riesen zu Fall gebracht."
"Mein Bein ist nicht David."
"Und Sie sind kein Riese."
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INHALT:
Durch die sogenannte Asiatische Grippe ist die Menschheit beinahe ausgelöscht worden. Die Familie der 23-jährigen Gwendolynn hat sich an den Yukon zurückgezogen, als es richtig schlimm wurde, und so bestreiten sie ihr Leben nun in den eisigen Bergen, indem sie jagen und fischen. Bis Lynn eines Tages Jax begegnet, der sie sofort fasziniert - und nicht nur, weil er der erste neue Mensch seit Jahren ist. Sie bietet ihm ein Abendessen an, sehr zum Missfallen ihrer Mutter. Und diese hatte Recht mit ihrem Misstrauen: Jax wird gejagt, was auch die Familie in Gefahr bringt...

MEINE MEINUNG:
Endzeitromane erfreuen sich noch immer größter Beliebtheit - auch bei mir natürlich. "Wie Wölfe im Winter" bedient sich dabei der bekannten Idee eines Virus, der einen Großteil der Menschheit ausgelöscht hat - Autor Tyrell Johnson verlegt seine Geschichte aber an den eisigen Yukon und beginnt sie erst mehrere Jahre nach der Pandemie. Erzählt wird das Buch aus der Ich-Perspektive der jungen Gwendolynn, genannt Lynn, die aber sehr früh erwachsen werden musste und daher deutlich älter wirkt. Der Schreibstil ist teilweise leicht unterkühlt, was perfekt zu den Temperaturen passt, und die Beschreibungen lassen einen den Schnee regelrecht spüren.

Lynn ist eine Protagonistin, die sich vor allem durch ihre Dickköpfigkeit und ihren Überlebenswillen auszeichnet. Sie ist ein wenig zu übertrieben gut mit Pfeil und Bogen, ihr Mut, ihr Einfallsreichtum und ihre teilweise soziale Unbeholfenheit machen sie aber auch sehr sympathisch. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in mehreren selbstgebauten Holzhütten und es wird früh offensichtlich, wie sehr die Entbehrungen und auch der Tod des Vaters sie alle verändert haben. Dies wird insbesondere deutlich, da beinahe jedes Kapitel einen kurzen Abschnitt aus dem Leben vor der Grippe erzählt, der auch den Vater charakterisiert, der Lynn so viel beigebracht hat. Der Fremde Jax zuletzt ist ein schweigsamer und geheimnisvoller Typ, bei dem man Lynns Faszination durchaus nachvollziehen kann.

Große Teile der Handlung spielen draußen in der Wildnis, wenn Lynn Spuren folgt, Tiere jagt oder sich vor späteren Verfolgern verstecken muss. Das klingt ermüdend, ist es aber in der Umsetzung gar nicht, denn die Figuren sind beinahe permanent auf den Beinen, hetzen von einer Gefahr zur nächsten, sodass keine Langeweile aufkommt. Einige Enthüllungen über das Virus und auch über Jax hat man schon zuvor kommen sehen, da hätte noch ein wenig mehr Originalität geboten werden dürfen - davon abgesehen aber hält der Roman gut die Balance zwischen persönlichem Coming-of-Age und actionreicher Endzeitstory. Das Ende ist abgeschlossen, würde aber prinzipiell auch gut als Basis für einen Folgeband dienen...dem ich sicherlich nicht abgeneigt wäre.

FAZIT:
Fans von Endzeitgeschichten werden in "Wie Wölfe im Winter" sicherlich auf ihre Kosten kommen - die Details sind nicht unbedingt neu, aber die Ausführung ist gelungen. Ein spannender Roman mit einem Schauplatz, der einen zum Bibbern bringt. 4 Punkte!