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Veröffentlicht am 27.04.2017

Sharon Bolton in Höchstform

Böse Lügen
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Die Furchen in ihrem Gesicht verschwinden, ihre Wangen wölben sich. Ist sie etwa tatsächlich im Begriff, mich anzulächeln?
"Ich bin vor Angst um dich halb wahnsinnig geworden", sage ich.
Doch kein Lächeln, ...

Die Furchen in ihrem Gesicht verschwinden, ihre Wangen wölben sich. Ist sie etwa tatsächlich im Begriff, mich anzulächeln?
"Ich bin vor Angst um dich halb wahnsinnig geworden", sage ich.
Doch kein Lächeln, jedenfalls noch nicht, vielleicht bloß die Erinnerung daran, dass so etwas früher einmal möglich war. "Ich war doch noch nicht mal vierundzwanzig Stunden eingebuchtet."
"Ich rede von den letzten drei Jahren."
Los, Catrin. Ein halbes Dutzend Schritte auf mich zu, mehr ist nicht nötig. Ich denke tatsächlich, dass sie genau das tun wird, als das Klirren zerberstenden Glases durch den Sturm dringt. Irgendjemand hat unten ein Fenster eingeschlagen.
Dann hören wir die Explosion.
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INHALT:
Catrin, Callum und Rachel leben auf den Falklands, einer Insel mit nur wenigen Einwohnern, und hatten früher einmal viel miteinander zu tun - bis ihnen eine Tragödie dazwischen kam. Nun besteht zwischen ihnen ein Verhältnis geprägt von Hass, Schuld und vergangener Liebe, das ihnen das Leben schwer macht. Als ein Kind verschwindet, das dritte in drei Jahren, ist die Insel in heller Aufregung, und auch Catrin, Rachel und Callum machen sich auf die Suche. Dabei decken sie nicht nur die Geheimnisse der Gemeinschaft auf, sondern auch die, die tief in ihnen schlummern, und so geraten bald alle drei ins Fadenkreuz der Ermittlungen...

MEINE MEINUNG:
Sharon Bolton ist eine Meisterin der intensiven und spannenden Thriller, was sie unter anderem immer wieder mit den Büchern ihrer "Lacey Flint"-Reihe unter Beweis stellt. "Böse Lügen" ist nun nach längerer Zeit mal wieder ein Einzelband, in dem sie sich die stürmische und kühle Kulisse einer Insel ausgesucht hat. Ihr Stil ist gewohnt großartig, voller wunderschöner wie auch bedrückender Beschreibungen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, und dabei immer auf den Punkt genau. Unterteilt ist der Roman in drei Abschnitte, wobei der erste aus der Ich-Perspektive von Catrin, der zweite aus der von Callum und der dritte aus der von Rachel erzählt wird.

Catrin lernt man als eine bereits gebrochene Frau kennen, die über einen schlimmen Verlust vor drei Jahren nie hinweg gekommen ist. Sie wirkt teilweise etwas kalt und unnahbar, sogar skrupellos, was man aufgrund ihrer Vergangenheit aber verstehen kann - und gerade ihre sehr pragmatische Art macht sie so interessant. Callum ist ihr ehemaliger Liebhaber, ein großer, muskulöser Mann, der gerade dadurch umso mehr mit seiner sanften Güte überrascht. Seine posttraumatische Belastungsstörung nach seinem Einsatz als Soldat geben aber auch ihm Ecken und Kanten. Und Rachel, die als Letzte aus ihrer Sicht erzählt, und die man bis dahin als Monster wahrgenommen hat, zeigt einem noch einmal eine völlig neue Perspektive auf, die ziemlich überrascht. Es gibt teilweise ein paar viele Nebenfiguren, bei denen ich zwei Männer partout nicht auseinander halten konnte, der Rest ist aber wie die Protagonisten großartig charakterisiert. Vor allem die Polizistin Skye und Catrins Exmann Ben bestechen durch ihre gute Ausarbeitung.

Schon die Erzählweise, jede Hauptfigur einzeln über die Tage der Suche nach dem dritten verschwundenen Jungen berichten zu lassen, ist etwas Besonderes. So lernt man zum Beispiel Rachel zu einem Zeitpunkt kennen, zu dem man bereits vieles zu wissen glaubt, und wird so damit konfrontiert, einige dieser Schlüsse wieder über Bord werfen zu müssen. Die Atmosphäre ist unglaublich dicht, vor allem durch das tragische Ereignis in der Vergangenheit, aber auch durch Geschehnisse wie die Strandung von Walen an der Küste, die eine schwere Entscheidung nach sich zieht. Parallel zu den fortschreitenden Seiten wird es auch immer hitziger in der Gemeinde - die sich bald einen Verdächtigen sucht und eine regelrechte Hetzjagd veranstaltet, die niemanden unberührt lässt.

Obwohl schnell aufgelöst wird, was vor Jahren eigentlich zwischen Catrin, Callum und Rachel vorgefallen ist, wird es danach nicht weniger spannend. Es bleibt die Frage nach dem Entführer der verschwundenen Kinder, bei der sich die eigenen Vermutungen immer und immer wieder ändern. Viele Überraschungen und Wendungen sorgen dafür, dass es immer spannend bleibt, ohne dass die Ereignisse allerdings je ins Absurde abrutschen. Die Autorin hält grandios die Balance zwischen aufregenden Thriller-Elementen und der emotional bedrückenden Hintergrundgeschichte. Die plausible, unerwartete Auflösung stellt sehr zufrieden, ebenso wie der Ausgang für alle Beteiligten. Und die letzte schockierende Enthüllung ganz am Schluss lässt einen das Buch ganz bestimmt für lange Zeit nicht vergessen.

FAZIT:
"Böse Lügen" ist ein Thriller wie man ihn von Sharon Bolton erwartet: Die unterschiedlichen Figuren mit interessanten Motiven, die atemberaubende Kulisse und der intensive Stil lassen einem kaum Zeit zum Durchatmen, sodass man die Seiten nur so verschlingt. Aufregend, durchdacht und anders. Dafür gibt es 5 Punkte!

Veröffentlicht am 27.04.2017

Berührend und wichtig

Wenn nachts der Ozean erzählt
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Maá sagt, ich soll mir das Essen nie zu genau ansehen, und wenn ich Fliegen oder Würmer darin finde, erklärt sie mir jedes Mal, dass ich besonderes Glück habe, weil ich auf diese Weise Eiweiß bekomme. ...

Maá sagt, ich soll mir das Essen nie zu genau ansehen, und wenn ich Fliegen oder Würmer darin finde, erklärt sie mir jedes Mal, dass ich besonderes Glück habe, weil ich auf diese Weise Eiweiß bekomme. Einmal habe ich sogar einen menschlichen Zahn in meinem Reis gefunden. "Hey Maá, bringt der auch Glück?", fragte ich und Maá sah ihn an und sagte: "Wenn du Zahn brauchst." Sie lachte lange über ihren Witz. Dabei war er eigentlich überhaupt nicht lustig.
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INHALT:
Der junge Subhi ist ein Kind in einem australischen Flüchtlingslager. Er ist dort geboren worden und kennt die Welt "draußen" hinter dem Zaun nicht, seine Heimat ist das Camp. Er vertreibt sich seine Zeit damit, mit einer Quietscheente zu sprechen und auf das Nachtmeer zu warten, das sein Vater ihm von weit her schickt. Seine Tage sind heiß und eintönig - bis eines Nachts plötzlich ein fremdes Mädchen im Lager steht. Jimmie heißt es und kommt von draußen. Die Beiden ergänzen sich perfekt: Er liest ihr das Buch ihrer Mutter vor, sie erzählt ihm Geschichten von hinter dem Zaun. Schnell werden sie zu heimlichen Freunden. Doch als sich die Lage im Flüchtlingscamp immer weiter zuspitzt, scheint es unmöglich, sich weiter zu sehen...

MEINE MEINUNG:
Die Flüchtlingskrise ist uns noch frisch im Gedächtnis, das Leid der Menschen in Kriegsgebieten wie Syrien noch lange nicht vorbei. Und doch lässt das Interesse immer mehr nach, die Grenzen sind schon länger mehr oder weniger zu, Flüchtlinge werden in Camps inhaftiert oder sterben auf dem Weg in eines der sicheren Länder. Gerade an diesem Punkt in Zana Fraillons "Wenn nachts der Ozean erzählt" so wichtig. Ohne den Zeigefinger zu erheben zeigt es wie wichtig es ist, Menschlichkeit zu zeigen und Kriegsflüchtlinge nicht wie Verbrecher zu behandeln. Protagonist Subhi erzählt seine herzergreifende Geschichte aus der Ich-Perspektive und trotz seiner leicht naiven, kindlichen Stimme beschreibt der die Umgebung und die Umstände so wunderschön-traurig, so intelligent, dass das keine Probleme bereitet. Immer mal wieder gibt es auch Kapitel aus Jimmies Sicht, die privilegierter ist als er, aber viele Gedanken mit ihm teilt und ihn wunderbar ergänzt. Vor allem wird eines wieder ganz deutlich: Kinder kennen keinen Rassismus.

Subhi ist ein für sein Alter sehr gewitzter Junge voller Träume und Fantasie. Mit seiner jungen Unschuldigkeit ist er der perfekte Erzähler: Er sieht zwar auch die Grausamkeit einiger der Aufseher und den Dreck des Camps, aber er findet auch in den kleinen Dingen immer wieder einen Grund zur Freude. Er traut sich oft nicht, für sich einzustehen und lässt daher seine Badeente in diesen Momenten für sich sprechen. Im Laufe der Handlungen wird er aber immer mutiger - und findet letztendlich auch die Kraft, über sich hinauszuwachsen. Jimmie ist neugieriger und abenteuerlustiger als Subhi, schließlich traut sie sich ganz allein in das Flüchtlingscamp, verfolgt aber genau wie er ihre eigenen Träume. Sie hat ein gut entwickeltes Unrechtsbewusstsein und insbesondere die Hingabe, mit der sie Subhi eine Freude machen will, lässt sie sehr sympathisch werden. Und auch bei den Nebenfiguren hat die Autorin voll ins Schwarze getroffen: Mit Subhis bestem Freund Eli, der ihn wie ein Löwe beschützt; seiner zickigen Schwester, die sich trotzdem um ihn kümmert und dem Aufseher Harvey, der sich als einziger für die Menschen einsetzt, wird das Buch wunderbar lebendig.

Die erste Hälfte beschäftigt sich größtenteils mit der Einführung in die Lebensumstände und der Charakterisierung der Personen. Vielfach erwähnt Subhi sein "Nachtmeer", das ihm, so glaubt er, von seinem Vater geschickt wird und das ihm die verschiedensten Schätze bringt. Vieles, was in diesen Nächten geschieht, ist nicht real, eine Mischung aus Metaphorik und Fantasie - darauf muss man sich einlassen. Die Freundschaft zwischen Jimmie und Subhi ist dafür umso glaubwürdiger, obwohl die beiden sehr schnell einen Draht zueinander finden. Zwischen ihnen herrscht ein Verständnis ohne vieler Worte zu bedürfen, was sehr berührt. Genauso wie die Art, wie sie füreinander einstehen. Füreinander überwinden sie ihre größten Ängste und geben sich gegenseitig Kraft. Als sich im letzten Drittel dann die Zustände im Camp geradezu überschlagen, wird es richtig dramatisch, sowohl für Jimmie als auch für Subhi. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist es nicht mehr möglich, sich von den Seiten loszureißen, weil man so stark mit den Charakteren mitfühlt, mitleidet und mithofft. Letztendlich bleibt ein leiser Hoffnungsschimmer, aber auch viel Traurigkeit über die Erlebnisse der Flüchtlinge. Das Nachwort zu den Umständen in Australien und auch anderen Ländern sollte unbedingt gelesen werden.

FAZIT:
Es macht ziemlich betroffen, dass ein Buch wie dieses noch immer so dringend notwendig ist. Zana Fraillon erzählt in "Wenn nachts der Ozean erzählt" eindrücklich, sensibel und menschlich die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem australischen Mädchen und einem Flüchtlingsmädchen. Zwischenzeitlich wird auf einiges zu detailreich eingegangen, berührend ist der Roman nichtsdestotrotz. Knappe 4,5 Punkte.

Veröffentlicht am 27.04.2017

Böse und makaber, teilweise auch überzogen

Dark Side
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Der Reporter mit dem unwahrscheinlichen Namen Nat U. Rally trägt einen zerknitterten Hut und eine fadenscheinige Jacke mit Flicken an den Ellbogen. Er kaut Kaugummi und macht sich mit einem Stift Notizen ...

Der Reporter mit dem unwahrscheinlichen Namen Nat U. Rally trägt einen zerknitterten Hut und eine fadenscheinige Jacke mit Flicken an den Ellbogen. Er kaut Kaugummi und macht sich mit einem Stift Notizen auf einem winzigen Schreibblock. Aber immerhin hat er genug Anstand, so zu tun, als sei er befangen.
"So ist das hier in Purgatory", sagt er. "Alles ziemlich Retro."
"Das habe ich bemerkt."
"Wir arbeiten beim Tablet immer noch mit Druckwalzen, wussten Sie das?"
"Es überrascht mich nicht mehr", sagt Justus.
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INHALT:
Auf der dunklen Seite des Mondes befindet sich Purgatory, eine vom Millionär und Verbrecher Fletcher Brass gegründete Kolonie. An diesem Ort tummeln sich die schlimmsten Verbrecher, denn die Gesetze der Erde gelten dort nicht. Ehrbare, vertrauenswürdige Menschen sind schwer zu finden, bis Polizist Damien Justus auf den Mond flüchtet, um seine Familie zu beschützen. Direkt nach seiner Ankunft geschieht ein Attentat und er scheint der einzige zu sein, der wirklich an der Lösung des Falles interessiert ist. Doch dass sich ihm die Behörden und Obrigkeiten in den Weg stellen, ist nicht sein einziges Problem: Hunderte Kilometer entfernt startet ein Androide einen mörderischen Feldzug und sein Ziel ist Purgatory...

MEINE MEINUNG:
"Dark Side" ist, ganz wie der Titel vermuten lässt, Science Fiction der düsteren Sorte. In der Zukunft, in einem nicht näher benannten Jahr, wurde der Mond kolonisiert und ist mittlerweile bewohnt. Er ist aber auch unterteilt ins zwei Seiten: Die der erdnahen Umlaufbahn, die zum Urlaub einlädt - und die dunkle Seite, die Purgatory beherbergt. Anthony O'Neills Grundidee rund um die Erschließung des Mondes ist prinzipiell nicht neu, die vielen wissenschaftlichen und technischen Details lassen die Geschichte aber sehr real wirken. Da nie eine aktuelle Jahreszahl erwähnt und stattdessen des Öfteren auf Ereignisse aus dem 19. und 20. Jahrhundert Bezug genommen wird, muss man sich allerdings fragen, ob der Autor hier eine alternative Realität geschaffen hat, was ein wenig verwirrend ist.

Alle agierenden Figuren sind stark überzogen und verhalten sich selten gemäßigt: Der machthungrige, vor nichts zurückschreckende Herrscher Fletcher Brass; seine intrigante Tochter QT; der permanent essende und dementsprechend stark übergewichtige Chief der Polizei - sie alle besitzen schlechte Eigenschaften in so ausgeprägter Art, dass sie teilweise wie Karikaturen wirken, gleichzeitig sind sie aber auch schwer zu durchschauen. Auch Damien Justus, Protagonist und Polizist, macht da keine wirkliche Ausnahme. Er ist so rechtschaffen und über alle Korruption erhaben, dass es schon wieder unrealistisch ist. Erst zum Ende hin verliert er auch mal die Beherrschung, bis dahin hat er sich aber schon fast als Übermensch etabliert. Die vielen unterschiedlichen, fast ausnahmslos ziemlich irren Personen sind interessant, aber weil viele für ein Kapitel ausführlich eingeführt werden, um dann ziemlich plötzlich zu sterben, wirkt diese Art der Erzählung auch teilweise ziellos. Am spannendsten ist zumindest zu Anfang der durchgedrehte Androide, der, getrieben von einem gefährlichen Kodex, jeden niedermetzelt, der sich ihm in den Weg stellt. Da er als Roboter aber logischerweise keine Entwicklung durchmacht, hätte durchaus auch etwas weniger Augenmerk auf seinen Taten liegen können.

Obwohl sich die Action in Grenzen hält, wird es durch die vielen Ideen des Autors und die brutale Welt, in der sich die Figuren befinden, dennoch nur selten langweilig. Intrigen, Verrat und kriminelle Aktionen stehen auf der Tagesordnung, sind Normalität - eine Tatsache, an die man sich als Leser erst gewöhnen muss. Weil Purgatory eine Brutstätte des Bösen ist, sogar stolz mit dem eigenen Ruf wirbt, begleitet man größtenteils unausstehliche, selbstsüchtige Figuren - die allerdings, so wirkt es, zumeist dazu da sind, dem Androiden zufällig und ungewollt auf seiner Reise zu helfen (was sie nicht selten mit dem Tod bezahlen). Nachdem der Handlungsstrang um Justus' Ermittlungen und der um den mordenden Androiden beinahe die ganze Zeit getrennt voneinander verlaufen, werden sie letztendlich gut und sinnvoll, wenn auch nicht sonderlich überraschend, miteinander verbunden. Mit dem abgeschlossenen Ende wird der Roman wohl ein Einzelband bleiben, was gefällt - auch wenn der Mond sicherlich noch die ein oder andere dunkle Ecke bieten könnte, ist die Geschichte von Damien Justus doch erzählt.

FAZIT:
Auch wenn die Idee selbst erst einmal konventionell erscheint, bringt Anthony O'Neill in "Dark Side" so viele böse, makabre und originelle Ideen unter, dass einem das bekannte Grundgerüst kaum noch auffällt. Die Figuren sind aber an vielen Stellen so überzeichnet, dass sie teilweise an Glaubwürdigkeit verlieren, und Überraschungen gibt es weniger als erwartet. Aufgrund der spannenden Herangehensweise an die Abgründe der Menschheit aber definitiv einen Blick wert. 3,5 Punkte!

Veröffentlicht am 30.03.2017

Frostig und rau

Sweetgirl
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Der Schnee blieb jetzt schon auf der Motorhaube liegen. Sie unterbrachen die Radiosendung für eine Unwetterwarnung, und nach dem Sirenenton meldete sich Lester Hoffstead, der beliebteste Wettermann im ...

Der Schnee blieb jetzt schon auf der Motorhaube liegen. Sie unterbrachen die Radiosendung für eine Unwetterwarnung, und nach dem Sirenenton meldete sich Lester Hoffstead, der beliebteste Wettermann im Norden Michigans. Aufgeregt ratterte er die düsteren Prognosen herunter, die er von seinem Doppler-Radar ablas, bis ich mit einer heftigen Bewegung das Radio ausschaltete. Nichts für ungut, Lester, aber dass ein verdammter Blizzard unterwegs war, merkte ich selbst.
Ich stemmte die Tür auf und spürte den Ansturm der Kälte. Ich zog die Schnur meiner Kapuze zu und und lief los, suchte Deckung unter den Bäumen.
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INHALT:
Mal wieder ist die 16-jährige Percy auf der Suche nach ihrer drogensüchtigen Mutter. Seit diese sich wieder den Rauschmitteln zugewandt hat, ist die Schülerin so etwas wie die Erwachsene im Haus. Doch dieses Mal tobt ein Schneesturm, als sie sich auf die Suche begibt, was die Sache deutlich erschwert. Ihre erste Anlaufstelle ist der gefährliche Dealer Shelton, der nicht nur einen der Abstürze ihrer Mutter verursacht hat. Doch stattdessen findet Percy in seinem Haus ein halb erfrorenes Baby. Sie kann das kleine Mädchen nicht einfach dort liegen lassen, also nimmt sie es mit. Und wird fortan von Shelton durch Schnee und Eis gejagt, denn er scheint zu allem bereit.

MEINE MEINUNG:
Ein rauer, kalter Winter in Michigan und eine Suche, aus der eine Flucht wird, das sind die Ausgangspunkte von Travis Mulhausers Roman "Sweetgirl". Ein ehrlicher, schnörkelloser Roman um ein junges Mädchen, das viel zu früh erwachsen werden musste, und einen brutalen Kriminellen, der seine eigenen Taten auch noch für richtig hält. Abwechselnd wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive von Percy und der personalen Perspektive von Shelton erzählt. Der Stil wird in seinen Kapiteln deutlich einfacher und dreckiger, was die beiden Stimmen gut voneinander abgrenzt.

Percy ist eine absolut toughe Protagonistin: Früh hat sie lernen müssen, auf sich selbst und zusätzlich ihre Mutter aufzupassen, weshalb sie es sich nicht leisten kann, lange zu überlegen. Sie handelt sicherlich etwas überstürzt, aber sie ist auch erst 16 Jahre alt und zeigt dafür einiges an Mut und Weitsicht. Ihre intelligente, emphatische Art lässt sie nur noch sympathischer werden. Shelton wirkt anfangs wie im Klappentext angekündigt: Unterbelichtet und brutal nimmt er keine Rücksicht auf Verluste. Dass seine Lebensweise größtenteils damit zusammen hängt, dass er schon früh wegen seines Aussehens gehänselt wurde, wird erst später klar. Er macht zwar tatsächlich eine kleine Entwicklung durch, allerdings verbringt er trotzdem seine meiste Zeit mit Drogen, was bald ermüdet. Nebenfiguren gibt es nur wenige: Percys Mutter im Drogenrausch, die selten weiß wo sie ist, oder ihr Stiefvater in spe, der zwar Alkoholiker ist, aber ein gutes Herz besitzt. Sie unterstützen die Geschichte, haben aber nicht so einen großen Stellenwert wie Percy und Shelton.

Egal zu welcher Jahreszeit man den Roman liest, die Kälte Michigans, die verschneiten Berge und der eisige Wind greifen auf einen über. Die Beschreibungen sind realistisch, atmosphärisch und prägnant, manchmal aber auch regelrecht poetisch. Percys Flucht verläuft jedoch anders als ich mir das vorgestellt hatte: Der Feind ist weniger der bedrohliche Shelton als viel mehr der Winter, der sich ihr immer wieder in den Weg stellt. Das Ganze hätte mir deutlich besser gefallen ohne die Kapitel aus Sheltons Sicht, die bereits nach kurzer Zeit sehr eintönig wirkten. Er geht in den Wald, um das Kind zu suchen, atmet Lachgas ein, geht in seine Hütte zurück, raucht einen Joint, geht wieder raus, und so weiter und so fort. Teilweise sind die Geschehnisse durchaus skurril, vor allem die Art und Weise wie irgendwann Leichen den Weg säumen, aber witzig ist hier nichts. Schwarzer Humor hin oder her, es geht ums nackte Überleben, da kann man wenig lustig finden. Leider lässt die Spannung auf den letzten 50 Seiten enorm nach, weil das Ganze doch schneller vorbei ist als gedacht. Der Schluss stellt zufrieden, weil er einen positiven Ausblick gibt - aber irgendwie hatte ich mir mehr erwartet.

FAZIT:
Travis Mulhauser fängt die klirrende Kälte Michigans in "Sweetgirl" wunderbar ein, wodurch die Flucht durch die Berge noch dramatischer wird. Allerdings lässt die Spannung durch häufige Wiederholungen in den Kapiteln des Dealers immer wieder nach und das große Etwas fehlt. Für verschneite Winterabende (oder zur Abkühlung im Sommer) aber sicherlich das Richtige. Gute 3 Punkte.

Veröffentlicht am 28.03.2017

Es gibt gute Zeitreise-Romane und diesen

Forever 21
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"Ihre Vergangenheit lastet auf Ihnen. Daran werden Sie heute unter Saturn-Einfluss erinnert, wenn Sie auf die Zeichen achten. Eine selbstlose Tat im Dienste der Liebe ermöglicht Ihnen einen Wachstumsprozess. ...

"Ihre Vergangenheit lastet auf Ihnen. Daran werden Sie heute unter Saturn-Einfluss erinnert, wenn Sie auf die Zeichen achten. Eine selbstlose Tat im Dienste der Liebe ermöglicht Ihnen einen Wachstumsprozess. Sorgen Sie dafür, dass die Dornenhecke des schlafenden Bewusstseins durchbrochen wird."
Ava ließ die Zeitung sinken und eine Gänsehaut überzog ihre Arme. Jedes Mal, wenn sie bisher gesprungen war, hatte sie kurz darauf irgendwo ihr Horoskop entdeckt. Stets hatte der erste Satz für ihr Sternzeichen den gleichen Wortlaut: Ihre Vergangenheit lastet auf Ihnen. Beim ersten Mal hatte Ava weder dem Horoskop noch den schicksalsschweren Zeilen eine Bedeutung zugemessen. Ein Fehler, wie sich herausgestellt hatte. Ein sehr schmerzhafter Fehler.
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INHALT:
Seit die 21-jährige Ava etwas Schreckliches getan hat, wird sie vom Universum - oder etwas anderem Übernatürlichen - dafür bestraft: Sie springt durch die Zeit in die Körper anderer Menschen, um zwei Liebende zusammen zu bringen. Gelingt ihr das nicht schnell genug, verwandelt sich das Blut in ihren Adern in ätzende Säuren, die ihr schlimme Schmerzen bereitet. Als sie schon fürchtet, nie wieder ein normales Leben führen zu können, trifft sie auf Kyran. Dieser lindert nicht nur ihr Leid - er erkennt auch sie selbst und nicht nur den Körper, in dem sie steckt. Doch ihre Liebe scheint unmöglich, schließlich muss sie immer wieder weiterziehen...

MEINE MEINUNG:
Die Reise durch Raum und Zeit - ein Thema, das die Menschheit seit langem fasziniert. Was, wenn man die Vergangenheit ändern könnte? Ava hat genau diese Fähigkeit und gleichzeitig ist diese ein schmerzhafter Fluch. Eine interessante Idee. Aber es gibt eben gute Zeitreise-Romane und dann gibt es da "Forever 21". Auf 288 Seiten wird hier gefühlt jede Idee in die Handlung geworfen, die Lilly Crow je hatte, ob das nun Sinn ergibt oder nicht. Der Schreibstil ist bildlich und teilweise durchaus schön zu lesen, aber viel zu detailreich in den unnötigsten Szenen, während Hintergründe so gut wie gar nicht beleuchtet werden.

Ava ist eine unausstehliche Protagonistin. Sie beschreibt sich selbst als schöne junge Frau, der immer alles zugeflogen ist und die deswegen gemein und arrogant war. Schade nur, dass sich das entgegen ihrer Aussagen kein bisschen verändert hat. Sie ist die wahrscheinlich oberflächliste Hauptfigur, die mir je untergekommen ist, und beurteilt andere Leute grundsätzlich nach ihrer Kleidung und ihrem Aussehen. Ihr Love-Interest Kyran erscheint dagegen zu Anfang wie ein intelligentes Kerlchen und ist mit seiner nerdigen Art durchaus ganz nett. Dann jedoch entwickelt er plötzlich gruselige Stalker-Tendenzen, indem er allen Ernstes eine Spy-App auf ihrem Handy installiert. In dem Moment hatte er alle meine Sympathien verloren. Hinzu kommt, dass er sich, nachdem er Ava für wenige Stunden kennt, in einen kompletten Volltrottel verwandelt, der im Grunde sein gesamtes Leben für sie wegwirft. Nennenswerte Nebenfiguren gibt es nicht, da man keine von ihnen für mehr als 50 Seiten kennenlernt - Ausarbeitung ist da natürlich nicht möglich.

Wer erwartet, dass ein Band der Reihe ein Paar von Liebenden behandelt, das Ava zusammenbringen muss, liegt weit daneben - so wie ich. Tatsächlich werden in diesen nicht mal 300 Seiten ganze vier Zeitsprünge unternommen, wodurch es einem unmöglich gemacht wird, sich an die Situation zu gewöhnen. Der fertige Roman wirkt wie eine Idee, grob skizziert und mit Szenen gefüllt, aber noch ohne das entscheidende Grundgerüst. Vor allem bildet sich schnell ein Schema heraus: Ava gelangt in den neuen Körper, liest ein wenig aussagekräftiges Horoskop, trifft sofort auf die Liebenden und jammert über ihre Situation. Dann schreit sie die Turteltauben einmal kräftig an und schon fallen sie sich in die Arme. Ende der Szene, weiter geht es. Die einzelnen Sprünge sind viel zu kurz, selten länger als einen Tag, wodurch die Handlung schnell sehr gehetzt wirkt. Ava löst ihre Fälle grundsätzlich nur durch Zufall - landet aus Versehen im richtigen Cafè, trifft die entscheidende Person, findet ein Paket mit der Adresse. Sie selbst tut eigentlich nichts außer sich permanent in ihrem Leid zu suhlen.

Den roten Faden muss man schon bald mit der Lupe suchen. Es geht grob darum, dass Ava durch ihre Sprünge bestraft werden soll, aber die gesamten Hintergründe werden absichtlich extrem kryptisch behandelt, Fragen werden keine beantwortet. Als sie Kyran trifft, ist es natürlich eine Verbindung auf den ersten Blick, die für den Leser überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Die beiden treffen sich für ein paar Stunden, dann zieht Ava weiter und geboren ist die große Liebe. Die einzelnen Sprünge haben keinen Zusammenhang, außer dass ein Medaillon mehrmals auftaucht, und einen Schmetterlingseffekt durch ihre Taten gibt es schon gar nicht. Warum ein Zeitreiseroman, wenn diese Zeitreisen doch nur loses Beiwerk sind? Das kann wohl nur die Autorin beantworten, für den Leser ergibt das alles nämlich keinen Sinn. Bis zum Schluss erfährt man nichts Tiefgehendes, stattdessen verstricken sich die Hauptfiguren einfach weiter in blödsinnige Aktionen. Dass das Buch dann auch noch abrupt endet, macht es nur noch schlimmer und lässt mit einem unzufriedenen Gefühl zurück. 15€ für ein Buch, das so offensichtlich unfertig ist, sind definitiv zu viel.

FAZIT:
"Forever 21" ist definitiv kein Glanzstück des Zeitreise-Genres. Die Idee ist spannend, aber die Umsetzung furchtbar. Viel zu viel wurde in die wenigen Seiten gepresst, weswegen die gesamte Handlung gehetzt und undurchdacht wirkt. Das Ganze lebt nur von Zufällen und aberwitzigen Dialogen. Hier konnte ich nichts Positives erkennen. 1 Punkt.

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