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Veröffentlicht am 13.04.2023

Menschen im Freibad

Seemann vom Siebener
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"Es ist so schön, ich würde jetzt gerne einen Vogel freilassen."

Ein deutsches Freibad, irgendwo in einer Kleinstadt. Hier treffen an einem heißen Sommertag die Menschen auf einander. Jemand ist mit dem ...

"Es ist so schön, ich würde jetzt gerne einen Vogel freilassen."

Ein deutsches Freibad, irgendwo in einer Kleinstadt. Hier treffen an einem heißen Sommertag die Menschen auf einander. Jemand ist mit dem Auto verunglückt und soll heute beerdigt werden. Ein anderer ist schon vor Jahren im Sprungbecken verstorben, unter dem Siebenmeterturm. Die Spuren dieser Todesfälle ziehen sich durch die Geschichten.
Einfühlsam wird das Innenleben mehrerer Personen dargestellt, mit allem was sie denken und erinnern. Jede dieser Person ist für einen langen Augenblick des Buches das Zentrum ihrer Welt und ihrer Wahrnehmung. Danach wendet sich die Geschichte wieder einer anderen zu. Hauptfigur ist ein namenloses Mädchen, das in Ich-Form berichtet und heute zum ersten Mal seit Langem wieder das Haus verlässt.
Diese Darstellung der Menschen ist sehr authentisch und intensiv. Die Geschichten wachsen, je nachdem, welche Person wieder aufgegriffen und weiter erzählt wird. Man kann sich alles sehr gut vorstellen, ist nahezu dabei, wenn im Freibad jeder die eigenen Gedanken mitbringt und die anderen Menschen beobachtet.
Der Stil ist schön, poetisch und manchmal besonders. Er zieht den Leser mitten hinein in den heißen Sommertag. Jeder, der jemals einen Nachmittag träge im Freibad vergammelt hat oder dort früher einmal jugendlich herumtobte, wird sich hier wiederfinden. Manchmal ist es dort auch etwas langweilig.
Doch alle Geschichten sind miteinander verknüpft. Spannung entsteht, weil vor lauter Wahrnehmung und Betrachtung Fragen offen bleiben. Einige der Menschen hier haben schlimme Dinge erlebt. Das kann man zunächst nur erahnen. Doch es gibt Befreiung.
Ein ruhiger Sommerroman vom Sein

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Veröffentlicht am 07.04.2023

Ein gutes Buch

Muss ich das gelesen haben?
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Teresa Reichl ist Poetry Slamerin, hat Preise gewonnen und steht rund hundert Mal im Jahr auf der Bühne. Sie hat Germanistik und Anglistik studiert, um an Gymnasien zu unterrichten. Hier hat sie es sich ...

Teresa Reichl ist Poetry Slamerin, hat Preise gewonnen und steht rund hundert Mal im Jahr auf der Bühne. Sie hat Germanistik und Anglistik studiert, um an Gymnasien zu unterrichten. Hier hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, den Literaturkanon zu diversifizieren. Die Liste von Büchern, die in den Schulen und Universitäten gelesen werden, seien alle von weißen Männern der oberen gesellschaftlichen Klassen verfasst. Das bemängelt und analysiert sie und macht Vorschläge, welche Bücher man in den Kanon mit aufnehmen sollte.

Die feministische Sicht auf einige bekannte Klassiker ist ein erhellender Perspektivwechsel. Was wir als große Menschheitsfragen in der Schule kennen gelernt haben, sind in Wahrheit Fragestellungen alter weißer Männer einer priviligierten Gesellschaftsschicht. Jede andere Literatur wurde unterdrückt. Reichl beschreibt, wie Frauen aktiv am Schreiben und Veröffentlichen gehindert wurden. Trotzdem haben sie geschrieben und publiziert, doch später wurden ihre Bücher verdrängt.

Nach den Frauen betrachtet sie andere "marginalisierte" Gruppen, deren Bücher in der allgemein bekannten Literatur kaum zu finden sind, wie zum Beispiel homosexuelle oder nicht-binäre Menschen, Menschen schwarzer Hautfarbe oder nichtchristlichen Glaubens und noch andere. Eine ausführliche Leseliste (auch online) und Quellenangaben vervollständigen das Ganze.

Der Stil ist respektlos und erfrischend. Die zahlreichen Fußnoten machen das Ganze sehr persönlich. Man spürt, dass es der Autorin sehr wichtig ist. Sie ist und war immer eine leidenschaftliche Leserin, und ihre Botschaft ist, dass Lesen toll ist. Deshalb ist das Buch nicht nur für den Deutschunterricht an Schulen und Unis interessant. Es ist ein Buch für alle, die Deutschunterricht hatten und sich darin immer wieder veralbert und dumm fühlten, und die dennoch genussvoll Bücher lesen.

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Veröffentlicht am 05.04.2023

Sehr spannende Science-Fiction für Jugendliche

Die letzte Erzählerin
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"Du trägst mich und meine Geschichten durch die Jahrhunderte in die Zukunft, zu einem anderen Planeten. Da kann ich mich glücklich schätzen."

Ein Komet bedroht die Erde. Drei Raumschiffe voller Menschen ...

"Du trägst mich und meine Geschichten durch die Jahrhunderte in die Zukunft, zu einem anderen Planeten. Da kann ich mich glücklich schätzen."

Ein Komet bedroht die Erde. Drei Raumschiffe voller Menschen fliehen auf einen fernen Planeten, darunter die dreizehnjährige Petra, ihr kleiner Bruder Javier und ihre Eltern. Sie werden für Jahrhunderte in tiefen Schlaf versetzt, bis das Reiseziel erreicht ist. Doch als Petra erwacht, sind ihre Eltern verschwunden und niemand erinnert sich mehr an die Erde. In der Gesellschaft, zu der die Besatzung des Raumschiffes geworden ist, zählt nur noch das "Kollektiv". Erinnerung und Individualität sind so gut wie ausgerottet. Doch Petra erinnert sich an Geschichten, die ihre Großmutter auf der Erde ihr erzählt hat. Schon bald weiß sie sich zu schützen und erzählt die Geschichten weiter.

Die Autorin hat schon einige Kinder- und Jugendbücher geschrieben und auch Preise gewonnen. Das Buch ist schön ausgestattet mit einem ausgefallenen Cover, Lesebändchen, geschmücktem Innenteil und farbigem Buchschnitt.

Die Geschichte ist sehr spannend erzählt und erlebt überraschende Wendungen, die Petra immer wieder vor neue Herausforderungen stellen.
Die Sprache ist gut lesbar, bildhaft und emotional. Es gibt berührende Szenen, wenn zum Beispiel Petra sich an ihre Großmutter erinnert, die sie sehr geliebt hat, aber auf der Erde zurücklassen musste. Auch die Erinnerung an ihre Familie ist eher traurig, denn auch die gibt es nicht mehr. Petra ist allein. Doch sie entwickelt sich von einem verschreckten, alleingelassenen Kind zu einer mitfühlenden, verantwortungsvollen Anführerin, die eine Flucht plant. Das ist fesselnd bis zur letzten Seite. Eine beeindruckende Heldin. Und auch die anderen Figuren sind glaubhaft und authentisch dargestellt.

Faszinierend ist die Idee, welche Funktion Geschichten für den Einzelnen haben. Sie bewegen uns, wir wissen mit ihrer Hilfe, wer wir sind und wo wir stehen. Und doch erzählt sie jede und jeder mit Recht ganz neu. Da darf sich auch die Handlung ändern, alles kann neu und anders werden, wenn es nur hilft, die neue Situation zu bewältigen und zu verstehen. Petra erzählt die Geschichten ihrer Großmutter, und ".. von jetzt an lebt die Geschichte durch mich und in meiner Version weiter."

Fazit: Ein spannendes Jugendbuch mit einer mutigen Heldin in einer dystopischen aber nicht hoffnungslosen Zukunft. Denn solange wir Geschichten haben, haben wir als Menschen eine Zukunft.

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Veröffentlicht am 30.03.2023

Bewegend und großartig

Morgen und für immer
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"Morgen und für immer" will der kleine Kajan für seinen Großvater Klavier spielen, doch das Klavier ist zerschossen und der Großvater liegt im Sterben. Der zweite Weltkrieg ist in vollem Gange. Kajans ...

"Morgen und für immer" will der kleine Kajan für seinen Großvater Klavier spielen, doch das Klavier ist zerschossen und der Großvater liegt im Sterben. Der zweite Weltkrieg ist in vollem Gange. Kajans Eltern engagieren sich für den Kommunismus im Lande - Albanien. Als dessen Botschafter darf Kajan eines Tages nach Ostberlin reisen und auf einem Konzert spielen. Hier beginnt seine irre Reise, die ihn durch einen Fluchttunnel unter der Mauer hindurch bis in die USA und nach New Orleans führt, später zurück nach Albanien ins Straflager. Doch das Ende der Geschichte ist versöhnlich.
Kajan und die Personen aus dem Roman sollen tatsächlich gelebt haben. Der Autor ist albanisch-italienischer Liedermacher und Sänger und hat sie von Kajan selbst erfahren. Dies ist sein Debüt; es war in Italien ein großer Erfolg.
Die Lebensgeschichte Kajans ist warmherzig erzählt und klingt bei aller Grausamkeit auch immer wieder poetisch. Die Sprache ist angenehm und flüssig zu lesen, die Hauptperson kommt einem sehr nah. Kajan ist ein sensibler Mann, der das Pech hat, in einer finsteren Zeit und in einem totalitären Land zu leben.
Albanien war von 1945 bis 1990 ein kommmunistisches Land unter der Führung des Diktators Enver Hoxha. Ein Land, in dem Überwachung, Verhaftung und Mord an der Tagesordnung sind, in dem Denken und freie Rede brutal bestraft werden. Selbst innerhalb der Familien wird spioniert und verraten.
Das ist Kajans Heimat. Er ist keiner, der ein großes Ziel verfolgen würde. Eigentlich will er nur Klavier spielen und mit seiner Familie glücklich sein. Doch immer wieder gerät er in unerwartete Situationen. Immer wieder nimmt sein Leben eine überraschende Wendung, und er muss sich auf neue Lebensumstände einstellen, ein neues Land, eine neue Sprache. "Vielleicht ist die Liebe", so heißt es, "eine Fahrkarte an den Ort, an den du willst."
Eine bewegende und fesselnde Geschichte. Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 26.03.2023

Klassische Gruselgeschichte für Jugendliche

Gallant
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Olivia ist stumm und lebt im Waisenhaus. Sie glaubt, keine Verwandten zu haben, da kommt ein Brief ihres Onkels und lädt sie in sein Anwesen ein. Doch hier findet sie keine liebende Familie vor, sondern ...

Olivia ist stumm und lebt im Waisenhaus. Sie glaubt, keine Verwandten zu haben, da kommt ein Brief ihres Onkels und lädt sie in sein Anwesen ein. Doch hier findet sie keine liebende Familie vor, sondern einen alten Fluch, ein verfallendes Herrenhaus und einen Cousin, der sie nicht hier haben möchte. Ihr Onkel ist schon lange tot.

Die Figuren bleiben blass, bis auf Olivia. Wir lernen sie als stumme Waise kennen, die viel zu leiden hat. Die Einladung ist eine Erlösung für sie. Doch wo genau sie landet, bleibt unklar. Die weitere Handlung geschieht ausschließlich im Haus, das eigentlich zwei Häuser ist, und auch im Garten, in dem sich eine magische Grenze befindet.

Die Geschichte ist ausgesprochen gruselig. Anspielungen und Hinweise, die nur halb verständlich sind, lassen furchtbare Dinge ahnen. Blut fließt wenig, dafür kommt viel Asche vor. Ghule treten auf, Geister Verstorbener, die nur Olivia sieht. Sie kann mit ihnen reden und manchmal auch interagieren. Doch viele Einzelheiten in der Geschichte sind nicht richtig logisch oder bleiben unklar. Insgesamt handelt sich um eine professionell erzählte, klassische Gruselgeschichte. Stil und Sprache sind flüssig zu lesen. Immer wieder überraschen originelle, schöne Formulierungen.

Das Buch selbst ist schön ausgestattet mit ansprechendem Cover und erhabener Schrift. Es gibt Abbildungen, die auch in der Story eine Rolle spielen.

Ein Buch mit Schwächen, aber einer tollen, runden Geschichte.

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