Schicksalsfäden
Die UnsterblichenVorschusslorbeeren begleiteten das Erscheinen des Romans „Die Unsterblichen“ von Chloe Benjamin. Das Buch wurde von der Amerikanischen Presse gefeiert, ihr erster Roman „The Anathomy of Dreams“ war preisgekrönt. ...
Vorschusslorbeeren begleiteten das Erscheinen des Romans „Die Unsterblichen“ von Chloe Benjamin. Das Buch wurde von der Amerikanischen Presse gefeiert, ihr erster Roman „The Anathomy of Dreams“ war preisgekrönt. Und ihr zweites Buch enttäuschte mich nicht, denn auch wenn es auf der Erfolgswelle der Familienromane schwimmt, erzählt das Buch eine ganz besondere Geschichte, die spannend und sehr lesenswert ist.
Im Sommer 1969 erfahren die vier Kinder Varya, 13, Daniel, 11, Klara 9 und Simon, 7, von einer Wahrsagerin den Tag ihres Todes. Wie gehen sie damit um und wie verändern Sie sich und ihre Lebenswege im Angesicht des bekannten Endes? Was fangen sie mit der kostbaren Lebenszeit an, die ihnen bleibt? Wird ihnen das Wissen um den Tod zum Verhängnis?
Grenzgängerisch und grenzwertig sind die Erfahrungen, die Simon, Klara, Daniel und Varya machen und von denen der Roman in vier Abschnitten erzählt, in denen die Autorin jeweils einen Lebensweg ein Stück verfolgt.
Simon geht in den 1980er Jahren nach San Francisco, ohne Bewusstsein für Gefahr, auf der Suche nach Liebe und Lust. Klara verwirklicht ihren Traum und wird Zauberkünstlerin und Grenzgängerin zwischen Wirklichkeit und Magie, auf den Spuren ihrer Großmutter, die bei einem spektakulären Trick ums Leben kam. Daniel führt ein auf den ersten Blick normales Leben, als Militärarzt findet er Ordnung und Sicherheit nach den Anschlägen von 9/11, lebt aber in Düsternis wegen des Wissens um seinen Tod. Und Varya beschäftigt sich mit Altersforschung an Primaten, lebt dabei selbst wie ein Labortier abgeschottet und auf halber Kraft, so als müsste sie unbedingt selbst zu ihrer vorausgesagten Lebensspanne beitragen.
Eindrucksvoll, gekonnt und spannend beschreibt das Buch die vier Lebenswege, die nicht losgelöst voneinander stehen, sondern durch geschickt plazierte Querfäden und mäanderndes Erzählen von vergangener Familiengeschichte miteinander verknüpft sind. Chronologisch schließen die Abschnitte jeweils aneinander an, und das ist keineswegs langweilig, denn die Autorin liebt Abschweifungen innerhalb ihres Erzählfadens, so wie ich auch.
Die zentrale Frage des Romans ist für mich, ob das Wissen um den eigenen Tod Entscheidungen beeinflusst und wie die Figuren mit diesen Entscheidungen - den eigenen und denen ihrer Geschwister - umgehen. Es scheint so, als würden Simon, Klara, Daniel und Varya eben dadurch ihren Tod zwangsläufig herbeiführen, dass sie Dinge tun, die sie ohne dieses Wissen vermieden hätten. Trotz des verbindenden Erlebnisses mit der Wahrsagerin scheinen sich die familiären Beziehungen immer mehr auszudünnen und aufzulösen, über lange Zeiten leben die Geschwister getrennt und zerstritten, ohne Kontakt zueinander. Lediglich der Tod und sein Wissen um ihn scheint als verbindendes Element zu stehen. Trauer kommt oft vor Liebe, und der Verlust oder die Angst davor wirkt oft bestimmend für den zwischenmenschlichen Umgang.
Der Roman berührt vielleicht gerade dadurch so sehr, weil es keine Fantasy-Elemente gibt sondern nur die Wirklichkeit und das zunehmend düstere Schicksal, zu dessen Erfüllung die Geschwister letztlich allein beitragen.
Für mich ist es ein wirklich wunderbares Buch, das eine tragische und spannende Geschichte mit großer Lust am Fabulieren erzählt und von mir eine unbedingte Leseempfehlung bekommt.