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Veröffentlicht am 08.10.2018

Episch und sehr amerikanisch

Manhattan Beach
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Die Pulitzerpreisträgerin Jennifer Egan hat mit ihrem neuesten Roman „Manhattan Beach“ ein vielschichtiges, spannendes und sehr amerikanisches Buch geschrieben, das Familiengeschichte, Frauenschicksal ...

Die Pulitzerpreisträgerin Jennifer Egan hat mit ihrem neuesten Roman „Manhattan Beach“ ein vielschichtiges, spannendes und sehr amerikanisches Buch geschrieben, das Familiengeschichte, Frauenschicksal und ein Sittengemälde New Yorks in den 30er und 40er Jahren in sich vereint und sich locker wegliest. Wer allerdings höchsten Anspruch erwartet, wird enttäuscht werden, allerdings ist ihr Stil gewohnt gekonnt, ihre Recherchearbeit zum Buch äußerst gründlich und die fast episch zu nennende Geschichte verknüpft Wahrheit und Fiktion so geschickt, dass ein Buch vorliegt, bei dem das Lesen großes Vergnügen bereitet.

Im Mittelpunkt der in den 1930er und 1940er Jahren spielenden Geschichte steht die junge Anna Kerrigan, die für Kriegszwecke in der Marinewerft arbeitet. Ihre Mutter kümmert sich um die schwerstbehinderte Schwester Lydia, ihr Vater Eddie ist verschwunden. Annas Leben ändert sich, als sie einen Taucher beim Übungsgang beobachtet, sie kämpft mutig und sehr entschlossen darum, Marinetaucherin zu werden. Und sie trifft Dexter Styles, Verbrecher, Nachtclubbesitzer und Syndikatsmitglied. Für ihn hatte ihr Vater Eddie gearbeitet, bevor er verschwand.
Anna ist als Frauenfigur gezeichnet, die in einer Männerwelt ihren Weg sucht und eisern verfolgt. Sie hat es dabei nicht leicht und muss viele Rückschläge hinnehmen, die immer mit Vorurteilen ihrer Vorgesetzten zu tun haben, nie mit ihren mangelnden Fähigkeiten, denn alle Herausforderungen des Taucherberufes meistert sie gekonnt.
Jennifer Egan schreibt mit der Geschichte der Marinetaucherin Anna eine eindringliche Hommage an Frauen, die in Männerberufen bestehen, sich ihren Weg erkämpfen müssen. Sie taucht dazu in die Vergangenheit eintaucht und ergänzt diese durch Fiktion. Denn in der Realität gab es zu dieser Zeit nie Frauen, die als Taucherinnen in der Marine waren.

Ein großer Teil der Handlung spielt im Gangstermilieu, Anna ist auf der Suche nach ihrem Vater Eddie, und der Erzählstrang über ihn verfolgt seine Kindheit im Heim zu zwielichtigen Geschäften im Gewerkschafts- und Mafia-Umfeld.
Gekonnt verbindet die Autorin die verschiedenen Ebenen des Buches, allerdings erfordert das Lesen große Aufmerksamkeit, denn die Szenenwechsel und Übergänge bewegen sich hart an der Grenze des „Zuviel“, da die Autorin auch öfters Trips in die Vergangenheit und zurück einbaut.

Ich habe diesen ungewöhnlichen Roman sehr gerne gelesen, und auch wenn der Stoff für mehr als ein Buch gereicht hätte schaffte Jennifer Egan es die ganze Zeit, mich zu fesseln und zu beeindrucken. Völlig zu recht wurde ihr Buch mit Erscheinen in den USA von der Presse gefeiert und stand auf der New York Times-Bestsellerliste.

Veröffentlicht am 08.10.2018

Warmherziges Sittengemälde

Die Gesichter
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In seinem neuem Roman „Die Gesichter“ lotet der Autor Tom Rachman eine aufregende Vater-Sohn Beziehung mit viel psychologischem Spürsinn aus, wirft dabei einen warmherzig-kritischen Blick auf einen Ausnahmekünstler ...

In seinem neuem Roman „Die Gesichter“ lotet der Autor Tom Rachman eine aufregende Vater-Sohn Beziehung mit viel psychologischem Spürsinn aus, wirft dabei einen warmherzig-kritischen Blick auf einen Ausnahmekünstler mit dem ihn umgebenden Kunstapparat und schafft mit Leichtigkeit und wie nebenbei eine spannungsgeladene, äußerst lesenswerte und wirklich grandiose Geschichte.

Bear Bavinsky, gefeierter Ausnahmekünstler, schillernde und exzessive Gestalt, Vater vieler Kinder und Mann zahlreicher Frauen, ist der leuchtende Mittelpunkt im Leben seines Lieblings-Sohnes Pinch. Bear malt wie besessenen mit großem Erfolg, verbrennt viele seiner Bilder, die ihn nicht zufrieden stellen, lebt Beziehungen zu seinen Frauen und Kindern immer solange, wie sie nicht kompliziert werden. Sein erklärter Lieblingssohn bewundert ihn und eifert ihm nach, doch mit einer einzigen Bemerkung über ein Gemälde von Pinch zerstört Bear alle Hoffnungen seines Sohnes auf ein Künstlerleben. Desillusioniert gibt Pinch das Malen für lange Zeit auf, träumt aber immer davon, seinem Vater menschlich und künstlerisch nahe zu sein. Und auch wenn es ihm gelingt, aus dem großen Kreis seiner Halbgeschwister derjenige zu bleiben, den der Vater zu seinem Lieblingskind und Nachlassverwalter bestimmt, steht er lange Zeit im übergroßen Schatten seines Vaters hintenan. Letztlich schlägt er sich als Lehrer an einer zweitklassigen Sprachschule in London durchs Leben. Nach dem Tod seines Vaters trifft Pinch eine ungeheuerliche Entscheidung und erreicht auf völlig überraschende Weise endlich das eigene innere Leuchten.

Die äußerst komplexe Vater-Sohn-Beziehung steht im Mittelpunkt der Geschichte. Bear als unglaublicher Charakter, talentiert und übermächtig, hält zwar in Bezug auf sein Leben und das seines Sohnes die Fäden in der Hand, ist allerdings als Familienmensch und Vater ein totaler Versager. Pinch, lange Jahre in seinem Schatten stehend und sprichwörtlich von seinen Tischabfällen lebend, lechzt immer wieder nach der Anerkennung von Bear, will dieser großen warmen Sonne um jeden Preis nahe sein, auch nachdem Bear sich neuen Frauen und Familien zuwendet. Es ist erstaunlich tiefsinnig beschrieben, was Pinch zu diesem Zweck auf sich nimmt, wie wenig er eigenes Licht ausstrahlt und wie lange er ohne es wirklich zu merken eigene Interessen komplett hintenan stellt. Umso erstaunlicher und für mich auf sehr überraschende und skurrile Art geschieht seine Emanzipation gegenüber dem mächtigen Vater nach dessen Tod.

Auch Bear muss um Anerkennung kämpfen auf künstlerischem Gebiet. Und das ist das zweite äußerst spannende Thema, dem sich der Autor zuwendet: der Kunstmarkt mit vielen Licht- und Schattenseiten, kapitalistischen Denkweisen versus wahrer Leidenschaft, Vermarktung, Spekulation und unzähligen skurrilen Galeristen, Sammlern, Journalisten. Was macht einen Künstler aus, genügt Talent für Erfolg oder braucht er Aufmerksamkeit durch Skandale und Ausschweifungen? Welche Hebel kann man manipulativ in Bewegung setzen?

Es ist grandios, wie warmherzig Tom Rachman seine Figuren beschreibt, wie nahe er den Leser an sie heran lässt, wie miteifernd und mitfühlend man die Geschichte dadurch verfolgt. Wortgewaltig und emotionsgeladen sind die zwischenmenschlichen Konflikte, manchmal skurril und oft mit erstaunlichem Witz geschrieben. Tief berührend ist das Schicksal von Pinch, der zeitlebens um Anerkennung buhlt. Tom Rachman kann großartig schreiben und hat eine wirklich gute, anspruchsvolle, emotionsgeladene, spannende und erstaunlich moralische Geschichte zu erzählen, wenn man sich ganz darauf einlässt.

Veröffentlicht am 08.10.2018

Coming of age auf britisch

Weit weg von Verona
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In ihrem Erstling „Weit weg von Verona“ trifft die gefeierte britische Autorin Jane Gardam den Ton einer altklugen und launigen 13jährigen einfach perfekt. Skurril und aberwitzig, trocken und „very British“ ...

In ihrem Erstling „Weit weg von Verona“ trifft die gefeierte britische Autorin Jane Gardam den Ton einer altklugen und launigen 13jährigen einfach perfekt. Skurril und aberwitzig, trocken und „very British“ folgt man auf verdrehten Gedanken und Wegen der Jessica Vye in Cleveland Sands und Cleveland Spa an der nordöstlichen Küste Englands, grandios übersetzt von Isabel Bogdan.
Es ist eines der unterhaltsamsten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe.

Zentrum der Geschichte ist die 13jährige Jessica, die sich in der Schule langweilt und aus Prinzip immer die Wahrheit sagt. Letzteres macht sie nach eigener Einschätzung ziemlich unbeliebt. Sie lebt an der ostenglischen Küste zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges, als Luftangriffe der Deutschen das Land heimsuchten. Ihr Vater, ehemals Housemaster einer Schule, verdingt sich nunmehr als Hilfsgeistlicher und schreibt philosophische Zeitungsartikel. Die Mutter ist Hausfrau, eine etwas schnoddrige, und der kleine Bruder ist die Nervensäge der Recht unkonventionellen Familie.
Jessica möchte Schriftstellerin werden, spricht gerne wie Shakespeare in Blankversen und versucht alle Klassiker der örtlichen Bibliothek zu lesen - in alphabetischer Reihenfolge.
Ermutigt wird sie von einem Schriftsteller, der an Jessicas Schule sprach als sie neun Jahre alt war, gebremst von ihrer missmutigen Englischlehrerin Miss Dobbs, die in ihren Bemühungen nur die Flausen einer Heranwachsenden sieht.
Mitten im Lesen, Schreiben, in ihrer ersten Liebe und den Luftangriffen, bei ihren alltäglichen Verrücktheiten mit Freundinnen oder mit der Familie sucht Jessica ihren Weg, erzählt schnoddrig und mäandernd von ihren Erlebnissen und lässt sich von nichts und niemandem einschüchtern.

Das Buch besitzt eine sprachliche Spitzfindigkeit und treibende Dynamik, die beim Lesen große Freude macht. Jane Gardams erster Roman zeigt sehr deutlich, warum sie für ihre Trilogie „Old Fith“ so gefeiert wurde. Einfach eine schöne Geschichte erzählt das Buch hier, unterhält auf höchstem Niveau und ist nicht zuletzt dank der hervorragenden Übersetzung rundum gelungen.

Veröffentlicht am 08.10.2018

Zeitreise

Ida
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Wenn ein Buch schon alleine wegen des Namens der Autorin und dem der Romanheldin so viele Vorschusslorbeeren erntet, ist es schwer, dieses ohne hohe Erwartungshaltung zu lesen. Thematisch höchst interessant, ...

Wenn ein Buch schon alleine wegen des Namens der Autorin und dem der Romanheldin so viele Vorschusslorbeeren erntet, ist es schwer, dieses ohne hohe Erwartungshaltung zu lesen. Thematisch höchst interessant, bereits mit Preisen ausgezeichnet und von der Kritik viel gelobt kommt der Roman „Ida“ als Debüt der Autorin Katharina Adler daher.

Die Geschichte der Ida Adler, erzählt von ihrer Urenkelin Katharina Adler, beginnt, wenn auch nicht chronologisch berichtet, am Ende des 19.Jahrhunderts und endet 1945. Die Krankheitsgeschichte der berühmten Patientin Sigmund Freuds, als Hysterikerin eingestuft und durch sich selbst aus dessen Behandlung entlassen, ist geschickt verknüpft mit Idas Familiengeschichte. Höchst interessant mit wenigen eingestreuten Notizen Freuds, löst sich der Roman jedoch weit von Der Hysteriegeschichte und verleiht Ida Adler mit ihrem unglaublichen Überlebenswillen trotz der zeitgeschichtlichen Widrigkeiten und Wirrnisse eine starke Stimme. Nicht minder interessant ist der Werdegang des Österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer, Idas Bruders, und seines Umfeldes, wozu zum Beispiel Friedrich Adler, der den kaiserlichen Ministerpräsidenten Stürgkh erschoss, gehört.
Entspannt, mit Liebe zu Details des Wiener Lebens ist die Familiengeschichte erzählt, und obwohl manche Passagen bemüht und angestrengt wirken ergibt sich ein rundes Bild vom Leben der Jüdin, die bei Kriegsausbruch gezwungen war, ihre Heimat zu verlassen und mit Hilfe der Sozialdemokraten eine wahre Odyssee bis zur Ankunft in den USA hinter sich bringen musste.

Halb fiktional als Romanbiografie erzählt ist das Buch eine Mischung aus wenigen hinterlassenen Materialien der Ida Adler, viel zeitgeschichtlicher Recherche und mit Fantasie der Autorin gefüllten Lücken.
Stilistisch wirkt auf mich sehr störend, dass man diese Übergänge ziemlich deutlich mitbekommt. Das Buch hätte sehr gut funktionieren können, aber vielleicht fehlt der Autorin die Schreiberfahrung, und so entstehen trotz der durchaus gewollten zeitlichen und inhaltlichen Sprünge und der Unterschiedlichkeit der Geschichte zu viele Versatzstücke, die für mich einfach nicht gut zusammenpassen wollen. Sprachlich holprig und etwas mühsam zu lesen wird der Roman dadurch.
Es ist dennoch ein lesenswertes und interessantes Buch, wenn man darüber hinwegsehen kann und sich vordergründig faktisch auf Ida Adlers Geschichte einlässt.

Veröffentlicht am 02.09.2018

Kalt und Bizarr

Die Hochhausspringerin
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Die Geschichte in einer bizarren und optimierten Welt, dystopisch und doch nicht allzu fern unserer digitalisierten Gegenwart, in der Brainhacking und Gehirnoptimierung bereits existieren, erzählt die ...

Die Geschichte in einer bizarren und optimierten Welt, dystopisch und doch nicht allzu fern unserer digitalisierten Gegenwart, in der Brainhacking und Gehirnoptimierung bereits existieren, erzählt die Autorin Julia von Lucadou in ihrem beeindruckendem Debüt „Die Hochhausspringerin“.

Totale Transparenz, Perfektionismus, Optimierung prägen das Leben der jungen Riva, eine Sportlerin und ein Star im Hochhausspringen, der ausbrechen möchte aus dem vergitterten Leben. Hitomi, eine Überwacherin weit weg von Riva, soll sie zurückholen ins perfekte gläserne Leben, dazu bewegen wieder zu trainieren und gefügig machen. Beiden Frauen droht im Falle von Hitomis Scheitern die Existenzvernichtung, der Abstieg und die Ausweisung aus dem leuchtenden Lebenszentrum in die Peripherien, ohne Bezug zur übrigen Gesellschaft, ein Leben in Schmutz, sich selbst überlassen und ohne Möglichkeit des Dienstes an der Gesellschaft.
In einer scheinbar perfekten, klinisch reinen, technisierten Gesellschaft, in der Entspannung und Ausgeglichenheit ebenso Pflicht sind wie das perfekte Funktionieren, um dienen zu können, ist das wohl das schlimmste Abseits, in das ihre Mitglieder geraten können.

Julia von Lucadou stellt auf sehr diffizile Weise die Menschlichkeit in einer perfekten Gesellschaft in Frage, unterwirft ihre Charaktere einer Prüfung, was bleibt wenn man all den Glanz, den Ruhm und die obligatorische Optimierung von Körper und Geist abkratzt. Sie wandelt dabei gekonnt auf dem schmalen Pfad von Begehrlichkeiten und Auflehnung, von verlangter Ausgeglichenheit und verhaltenem Zögern, setzt ihre Figuren existenziellen Entscheidungsfragen aus, und all das in einer glitzernden,völlig bizarren, detailliert gruseligen schönen neuen Welt a la „Big Brother“ oder „1984“.

Die Sprache fügt sich nahezu perfekt in das Geschehen ein. Knapp und kalt mit hackenden Sätzen liest sich der Roman mit zukunftsträchtigen Wortschöpfungen, die man aus dem normalen Sprachgebrauch (Gottseidank) nicht kennt.
Spannend entwickelt sich die Geschichte, mit hinreichendem Background zu den Figuren und einigen Überraschungen halte ich diesen Roman für äußerst gelungen, beängstigend, schockierend und aufrüttelnd, wenn man sich vor Augen führt, wie nahe wir schon an der hier beschriebenen optimierten Gesellschaft leben.

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