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Veröffentlicht am 04.04.2018

Anrührende Umweltgeschichte

Die Geschichte des Wassers
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„Du sagst, es ist unser Instinkt, für unsere Nachkommen zu sorgen. ... Aber eigentlich sorgen wir nur für uns selbst. Uns selbst und unsere Kinder. Höchstens noch für unsere Enkel. Diejenigen, die danach ...

„Du sagst, es ist unser Instinkt, für unsere Nachkommen zu sorgen. ... Aber eigentlich sorgen wir nur für uns selbst. Uns selbst und unsere Kinder. Höchstens noch für unsere Enkel. Diejenigen, die danach kommen, vergessen wir. Und gleichzeitig sind wir dazu in der Lage, Eingriffe vorzunehmen, die hunderte Generationen in der Zukunft beeinflussen, die alles zerstören, für alle, die nach uns kommen. Damit ist der Beschützerinstinkt doch wohl gescheitert.“

Es ist ein äußerst wichtiges Thema, das Maja Lunde im zweiten Band ihres Klimaquartetts „Die Geschichte des Wassers“ abarbeitet. Nach ihrem großartigen Buch „Die Geschichte der Bienen“ versucht sie, an bewährtes anzuknüpfen und verbindet die Thematik Wasser mit sehr persönlichen Geschichten in verschiedenen Zeitebenen.

Aus Norwegen im Jahr 2017 bricht die 70jährige Signe mit ihrem Segelboot „Blau“ auf in Richtung Frankreich, um dort ihrer Jugendliebe Magnus das in seiner Verantwortung abgebaute norwegische Gletschereis vor die Füße zu werfen. Sie ist von Kindheit an geprägt von der Wasserwelt Norwegens, den Fjorden und Gletschern, die sie jahrzehntelang als Umweltaktivistin und Journalistin zu schützen und zu verteidigen versuchte.
In Frankreich 2041 ist der junge Vater David mit seiner kleinen Tochter Lou auf der Flucht vor der Dürre und dem Feuer. Getrennt von seiner Frau Anna und seinem kleinen Sohn August gelangt er in ein Flüchtlingslager, das zunächst gut organisiert wie ein schützender Unterschlupf erscheint, trotz Rationierung von Wasser und Nahrung. Doch schnell ändern sich die Verhältnisse, die Dürre und die Feuer kommen näher und die Lagergemeinschaft zerbricht. David und Lou finden nahe dem Lager ein altes Segelboot, das sie zu ihrer geheimen und hoffnungsvollen Zuflucht machen.
Neben den Zeitwechseln zwischen Gegenwart und Zukunft bestimmt außerdem die Vergangenheit von Signe die Geschichte, sie erinnert sich auf dem Segelboot an ihre Kindheit und an die Zeit, als sie als junge Frau stark, stur und geradlinig ihren Weg zum Schutz des Wassers ging, beeinflusst und getrieben von ihrem Vater und von ihrer ursprünglichen norwegischen Umwelt.

„Das ganze Leben ist Wasser, das ganze Leben war Wasser, wohin ich auch sah, war Wasser. Es fiel als Regen von Himmel oder als Schnee, es füllte die kleinen Bergseen, legte sich als Eis auf den Gletscher, strömte in tausend kleinen Bächen den steilen Berghang hinab und schwoll an zu. Fluss Breio. Es lag spiegelglatt vor dem Ort am Fjord.“

Ich muss zugeben, dass ich diesmal mit einer Erwartungshaltung gelesen habe, die ich mir sonst zu verkneifen versuche, denn mich hat das erste Buch der Autorin im vergangenen Jahr sehr beeindruckt und begeistert. Maja Lunde konnte das hohe Niveau leider nicht halten, zu kurz geraten sind für mich die faktischen Anteile zum Wasser und zu breit getreten die persönlich geprägten Geschehnisse, zu hoffnungsvoll ist mir die Geschichte, auch wenn es kein positives Ende gibt, und zu freundlich erzählt. Ich hatte fast das Gefühl, dass die Autorin vermitteln wolle, alles klärt sich irgendwie, und sei es auch nur vom kleinen privaten Glück bis zum nächsten, solange man die Hoffnung, die Menschlichkeit und das positive Denken nicht verliert, wird man zumindest vorübergehend gerettet. Mir fehlt hier der düster-melancholische Grundton, der mich beim ersten Roman durch die Geschehnisse trug.

„Die Natur gehört uns nicht...Genauso, wie wir nicht ihr gehören. Das Wasser gehört uns nicht, niemandem gehört das Wasser. Und trotzdem machen wir einfach immer so weiter.“

Trotz meiner Kritik ist es ein sehr gut geschriebenes Buch, das Signes Geschichte stellenweise atemlos erzählt und einen guten Eindruck der Machtlosigkeit persönlichen Handelns vermittelt, wenn die Mehrheit mit verbundenen oder fest zugedrückten Augen entscheidet.
Signe, die Kämpferin und Umweltaktivistin, ist allerdings ein Charakter, der letztlich aufgibt, und das nicht nur im Alter. Das ist enttäuschend zu lesen, aber eben auch realistisch und menschlich.
David, zunächst von tiefer Niedergeschlagenheit und Dulden geprägt, stolpert anfangs fast durch die Geschehnisse. Er versucht, den Rest seiner kleinen Familie zu beschützen und setzt dabei Hoffnungen in augenscheinlich hoffnungslose Wege, die ihn gegen Ende des Romanes versöhnter mit seinem Schicksal erscheinen lassen. Auch das ist menschlich und vermittelt einen wirklichkeitsnahen Eindruck.
Vielleicht ist es genau das, was Maja Lunde wichtig ist, neben dem Aufzeigen der Problematik und den Folgen unseres Handelns im Umgang mit Wasser? Dass Versöhnung und Annäherung ein guter Weg sein kann? Denn so wie sich Signe und Magnus trotz unversöhnlicher Standpunkte bezüglich Umweltproblematik annähern, so nähern sich in der Zukunft vormals getrennte soziale Gruppen, symbolisiert durch David und Marguerite.

„...die Kinder heutzutage werden von der Generation vor ihnen gefördert, auch sie kennen keinen Widerstand, ihnen ist alles egal, solange sie nur ihr iPhone7 zum siebten Geburtstag bekommen.“

Ich habe das Buch gerne gelesen, trotz meiner Kritik. Es ist thematisch wichtig und aktuell, sprachlich gut umgesetzt, die Autorin erzählt kritisch und mit gut recherchierten Background vom für uns lebenswichtigen Wasser, verpackt in eine spannende Geschichte , und erinnert dabei eindringlich daran, was Reglementierung von Wasser bedeuten kann und in manchen Ländern heute schon bedeutet.
Und auch wenn ich es nicht als ein großes Werk anspruchsvoller Literatur sehe, gebe ich eine Leseempfehlung mit 3,5 Sternen.

Veröffentlicht am 02.04.2018

Bittersüße Liebe

Fliegende Hunde
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Zwei 16jährige Mädchen in einem tristen Leningrader Satellitenvorort, miteinander verknotet, verwoben und verschlungen von Geburt an, sind sich selbst genug und zugleich unzufrieden mit ihren Körpern. ...

Zwei 16jährige Mädchen in einem tristen Leningrader Satellitenvorort, miteinander verknotet, verwoben und verschlungen von Geburt an, sind sich selbst genug und zugleich unzufrieden mit ihren Körpern. Die eine, Lena, mit Spitznamen wie Bandwurm oder Rechen tituliert, zu lang und schlaksig, mit Glubschaugen, und ihre Freundin Oksana, deren dicker Hintern Anlass zu großem Spott auf dem Schulhof ist, teilten schon immer alles und entdecken ihre Körper nachts auf ganz andere, heimliche und zarte Art, bis Lena für eine Model-Karierre in Shanghai gecastet wird und Oksana daraufhin im Diätwahn einer Online-Community versinkt.

Die Mädchen treiben auseinander, und das, was Anlass zur Unzufriedenheit bot, ist plötzlich sehr gefragt. Lena stellt ihren dürren Körper Agenten und schleimigen Fotografen zur Verfügung und muss Entscheidungen treffen, wie weit sie bereit ist, für den Erfolg zu gehen. Oksana und ihre weibliche Formen, die sie mit Rezepten aus der Zeit der Leningrader Blockade abzuflachen versucht, finden zurückhaltende Bewunderung.

Beide vermissen einander schmerzlich, und auf der Suche nach Trost setzt sich Lena mit der Belagerung und der Hungersnot von Leningrad ab 1941 auseinander, zunächst auf der Suche nach irrwitzigen Diätrezepten aus Ledergürteln oder Büchern für das online-Forum, das möglichst authentische Belagerungsernährung praktiziert, und süchtig nach Likes und Kommentaren, wendet sie sich bald den erschütternden Fakten und Geschichten aus dieser Zeit zu.

Als Lena nach drei Monaten nach Hause kommt, stellt sich unter anderem die drängende Frage, ob die Liebe und Sehnsucht der Mädchen füreinander heimlich bleibt oder nicht.

Authentisch, mit Vorsicht und Verstand, gleichzeitig mit viel Witz und einer ordentlichen Portion Zynismus zeichnet die junge Autorin Wlada Kolosowa ihre Figuren, lässt sie durchs Erwachsenwerden stolpern und bleibt dabei ganz nahe am Leben. Ernste Themen wie (Homo)Sexualität, Magersucht, Pornografie, Schönheitswahn und nicht zuletzt der vorgezeichnete triste und hoffnungslose russische Alltag einer Plattenbau-Stadt werden angesprochen, und das in einer leichtfüßigen, aber dennoch nicht oberflächlichen Sprache, jung und zugleich abgeklärt und voller Leben.

Der Roman hatte mich nach kurzer Zeit gepackt, hat mich positiv überrascht, obwohl ich anfangs kaum Erwartungen an das Buch hatte. Es ist ein sehr lesenswertes und etwas bitteres Buch über zwei Mädchen, die lieber ängstlich vor ihrer Liebe flüchten und sich falschen Idealen unterwerfen als zueinander zu stehen, ein Buch von zarter und verkannter jugendlicher Liebe, dem die für meinen Geschmack etwas übertriebene historische Faktenreiterei zur Hungersnot in Leningrad nicht wirklich geschadet hat.
Das Buch „Fliegende Hunde“ ist in meinen Augen ein anspruchsvoller Debütroman, für den ich gerne vier Sterne vergebe.

Veröffentlicht am 02.04.2018

Spurensuche

Ein mögliches Leben
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Hannes Köhler hat in seinem Buch „Ein mögliches Leben“ einen spannende und interessante Geschichte über einen deutschen Wehrmachtssoldaten in Amerikanischer Kriegsgefangenschaft am Ende des zweiten Weltkrieges ...

Hannes Köhler hat in seinem Buch „Ein mögliches Leben“ einen spannende und interessante Geschichte über einen deutschen Wehrmachtssoldaten in Amerikanischer Kriegsgefangenschaft am Ende des zweiten Weltkrieges zu erzählen. Er verknüpft dies geschickt mit der Familiengeschichte des alten Franz, der sich mit seinem Enkel Martin auf eine Reise in die Vergangenheit und zu den Orten seiner Gefangenschaft in den USA begibt, die er sich seit vielen Jahren gewünscht hat und die er als uralter Mann endlich unternimmt.

Ganz nahe ist man dem Alten und seinen Erinnerungen an die Zeit seiner Gefangenschaft in den USA, vom Zeitpunkt der Gefangennahme in der Normandie, bei der seine Erleichterung und gleichzeitige Scham über das Davonkommen vom Krieg spürbar ist, bei den Anfeindungen und Übergriffen strammer Hitlergetreuer Deutscher im Lager in sengender texanischer Sonne und bei seinem fast gelöstem Lagerleben in Utah, wo er für einen amerikanischen Offizier als Übersetzer und Fahrer arbeiten darf.
Man spürt in den Erinnerungen seinem Wandel zum Demokraten und den Gründen für sein schweigsames und gegenüber Frau und Tochter abgeschottetes Leben in Deutschland nach. Erst der Enkel Martin schafft es, obwohl sich die beiden Männer bei Beginn der Reise eigentlich fremd sind, dass Franz sich öffnet und auch gegenüber der einstmals verstoßenen Tochter Barbara Sprache und Erklärungen zu finden vermag.

Die Geschichte entwickelt nach einem für mich etwas langweiligem Einstieg in der Gegenwart einen Sog, dem man sich nicht zu entziehen vermag. Die Erinnerungen des alten Franz an seine Gefangenschaft, sein Freundschaft zu einem Mitgefangenen, seine Zerrissenheit zwischen der ihm eingebläuten Kameradschaft gegenüber den deutschen Mitgefangenen und der humanistisch-demokratischen Gesinnung, die in ihm wächst, sind beim Lesen fast greifbar und halten gepackt.
Fast atemlos, ein bisschen mäandernd und mit vielen Rückblicken auf die familiäre Basis und die nationalsozialistische Prägung zur Zeit der Machtübernahme durch Hitler bis zum Kriegseintritt erinnert sich Franz und man ist hier wirklich dicht bei ihm.
Ich liebe diese Art des Erzählens mit langen, aber nicht bandwurmlangen Sätzen ohne wörtliche Rede, bei der man den für mich intensivsten Eindruck der Gedanken des Protagonisten hat.

Was mich ein bisschen gestört hat ist der für mich nicht besonders interessante Einstieg in die Geschichte in der Gegenwart, bei der Martins Leben im Vordergrund steht, während er seinen Großvater trifft und sich mit ihm auf die Reise in die USA begibt. Das bewog mich dazu, einen Stern abzuziehen, weil hier ein bisschen Durchhalten gefordert ist, auch wenn es nicht allzu viele Seiten sind.

Insgesamt hat mich das Buch beeindruckt, hervorragend recherchiert bietet es eine für mich spannende, ungewöhnliche und interessante Geschichte über einen POW (Prisoner of War) und dessen Wandel aus nationalsozialistischer Erziehung und Kameradendenken heraus zum humanistischen Demokraten, sein Zwiespalt, der sich für mich auch in der Familiengeschichte widerspiegelt.

Veröffentlicht am 02.04.2018

Wirklich gute Unterhaltung

Das Geheimnis der Muse
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„...aber gibt es überhaupt so etwas wie künstlerischen Triumph, eine ganze Geschichte, eine richtige Art, durch eine Glasscheibe zu schauen? Es kommt immer auf den Lichteinfall an.“

Ein ungewöhnliches ...

„...aber gibt es überhaupt so etwas wie künstlerischen Triumph, eine ganze Geschichte, eine richtige Art, durch eine Glasscheibe zu schauen? Es kommt immer auf den Lichteinfall an.“

Ein ungewöhnliches Kunstwerk, geschaffen in den 1930er Jahren kurz vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges in Andalusien, gelangt als sensationeller Fund an eine Kunstgalerie ins London der 1960er Gemälde verbindet die Geschichten zweier junger Frauen aus verschiedenen Zeiten, die der 19jährigen Künstlerin Olive Schloss, die 1936 in der Nähe von Málaga lebte und arbeitete, und die von Odelle Bastien, einer jungen Kreolin aus Trinidad stammend, die in London 1967 ihren Traum vom Schreiben verwirklichen möchte. Das surrealistische Gemälde, das dem Andalusier Isaac Robles zugeordnet wird, verwickelt Odelle in eine geheimnisvolle Geschichte über Wahrheit und Täuschung, über Sein und Schein und über geheimnisvoll gesponnene Fäden, sie sie zu entwirren sucht.

Auf spannende und höchst interessante Art wird man beim Lesen zum einen in die Andalusische Hitze Südspaniens im Jahr 1936 zu Olive Schloss geführt, mit den gehrenden Konflikten zwischen Republikanern und Faschisten, zwischen denen sich die Familie Schloss zunächst scheinbar sorglos auf einer dörflichen Finca nahe Málaga dem südlichen Flair ergibt. Zum anderen begleitet man Odelle auf ihrer Spurensuche in London 1967 zwischen ihrem Job in der Skelton Kunstgalerie mit ihrer Vorgesetzten, der exzentrisch anmutenden Majorie Quick, und ihrem Verehrer und Besitzer des ungewöhnlichen Gemäldes Lawrie Scott.
Sehr geschickt schafft es die Autorin, das Geheimnis um die beiden jungen Frauen häppchenweise preiszugeben, das Tuch oft nur für einen kurzen neugierigen Blick zu lüften und dem Rätsel langsam näher zukommen. Beide Frauen sehen sich Konflikten in künstlerischer Hinsicht und auch bezüglich leidenschaftlicher Liebe ausgesetzt, die ihr Leben auf den Kopf stellen.

Glaubhaft verknüpft Jessie Burton die Geschichte mit den historischen Gegebenheiten in Spanien, bei denen die Gefahr durch die Faschisten in der lange republikanisch beherrschten Gegend um Málaga immer greifbarer wird und wo sehr persönlich motivierte Greueltaten von Faschisten und extremen Anarchisten an der Tagesordnung waren.
Und in London 1967 bekommt man die Borniertheit und knöcherne verstaubte ignorante Überheblichkeit und Dummheit der ehemaligen Kolonialmacht gegenüber einer Einwanderin aus der Karibik zu spüren, die sich trotz ihrer hohen Universitären Bildung zunächst als Schuhverkäuferin und später als Sekretärin verdingen muss.

Mir hat die Geschichte um das Gemälde und um die beiden Frauen Olive und Odelle gut gefallen, als Unterhaltungsliteratur, die greifbare und dreidimensionale Charaktere mit glaubhaft nachvollziehbaren Konflikten erzeugt, eine gute, ungewöhnliche und stellenweise überraschende Geschichte spannend erzählt.
Und auch wenn mir nach der Auflösung ganz am Ende des Buches einiges etwas zu schön gezeichnet war und sich etwas zu gut fügte, glitt das Buch im Rahmen dessen, als was man es sehen sollte - nämlich einfach gute Unterhaltung - nie in Trivialitäten und Klischees ab, was mich zu einer Leseempfehlung und die Vergabe von vier Sternen veranlasst.

Veröffentlicht am 02.04.2018

Liebe und Emanzipation

Olga
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Vom späten 19.Jahrhundert bis in die 1970er Jahr entspinnt sich das Schicksal der Protagonistin Olga in Bernhard Schlinks neuestem Roman, der mit viel Wärme und einen umwerfenden Bezug zum Zeitgeschehen ...

Vom späten 19.Jahrhundert bis in die 1970er Jahr entspinnt sich das Schicksal der Protagonistin Olga in Bernhard Schlinks neuestem Roman, der mit viel Wärme und einen umwerfenden Bezug zum Zeitgeschehen in den Bann zu ziehen vermag.

Erzählt wird das Schicksal eines deutsch/polnischen Waisenmädchens, das in Pommern bei der kühlen Großmutter aufwächst und sich abseits aller Konventionen in den Sohn des ortsansässigen reichen deutschstämmigen Gutsherren verliebt. Olga geht unter Berücksichtigung der damaligen Zeit einen sehr emanzipierten und ungewöhnlichen Weg. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend schafft sie es, ohne entsprechenden Schulbesuch der Schule für höhere Töchter den Zugang zum Lehrerinnenseminar zu erhalten und später als Lehrerin zu arbeiten.
Schon seit ihrer Kindheit ist sie eine einsame Außenseiterin, die Verbindung zu ihresgleichen sucht. Jenseits der üblichen Verbandelungen zwischen Grundbesitzern und armen Pächtern trifft sie sich mit Herbert, dem Gutsbesitzersohn, auf Augenhöhe, und die beiden verlieben sich ineinander.
Olga hat den unabdingbaren Wunsch und Willen zur Unabhängigkeit, während Herbert rastlosen Bewegungsdrang verspürt und als Kämpfer nach Eintritt ins Garderegiment in die Ferne zieht, zuerst nach Deutsch-Südwestafrika in den Kolonialkrieg Anfang des 20. Jahrhunderts im heutigen Namibia. Olga steht diesem Kampf wie auch dem späteren deutschen Größenwahn sehr skeptisch gegenüber.
Sie erlebt den ersten und schließlich auch den zweiten Weltkrieg, wird vertrieben aus ihrer Heimat und findet neue Heimat. Stets handelt sie so, dass sie ihre Ideale erhält und ihnen treu bleibt, im Gegensatz zu den ihr am Herzen liegenden Männern.

Eindringlich und behutsam beschreibt Bernhard Schlink dieses Frauenschicksal einer klugen, belesenen, menschlichen Person, die leise und scheinbar mühelos lebt, aber dennoch gehört wird und ihren Weg verfolgt. Fast ein bisschen distanziert ist der anfängliche Stil, als man das junge Liebespaar Olga und Herbert aus der Ferne betrachtet, nahe und berührend hingegen der letzte Teil, als Olga selbst durch Briefe zu Wort kommt.

Ein sehr lesenswertes Buch ohne ganz große Überraschungen ist Olgas Lebensgeschichte, dennoch nicht zuletzt durch den geschichtlichen Hintergrund spannend und anregend, einfach empfehlenswert.