Beeindruckender Familienroman
DschinnsErzählt wird die Geschichte aus sechs unterschiedlichen Perspektiven. Das Stück beginnt mit dem Vater Hüseyin, der sich gerade in der neuen Eigentumswohnung in Istanbul aufhält. Doch er wird diesen ersehnten ...
Erzählt wird die Geschichte aus sechs unterschiedlichen Perspektiven. Das Stück beginnt mit dem Vater Hüseyin, der sich gerade in der neuen Eigentumswohnung in Istanbul aufhält. Doch er wird diesen ersehnten Lebensabschnitt als Rentner, dessen Leben zuvor hauptsächlich aus Arbeit bestand, nicht mehr genießen können, da er kurz darauf an einem Herzinfarkt stirbt. Anschließend folgen seine vier Kinder, die eindrücklich die gegenwärtige Situation der Beerdigung, ihre Rolle in der Familie und ihrer Kindheit schildern, dabei in Erinnerungen verweilen, tiefe Verletzungen freilegen, und die der Wunsch nach Akzeptanz und Liebe eint. Das abschließende Kapitel gibt der Mutter Emine, Hüseyins Ehefrau, eine Stimme und lässt alles aus einem neuen Blickwinkel erscheinen, bevor der Vorhang fällt. Der Wechsel zwischen den Perspektiven ist sprachlich überzeugend und passt sich immer wieder der Lebendigkeit und Intensität der neuen Gedankenwelt an, um ein harmonisches Charakterbild zu erzeugen. Das transportiert die Emotionen ganz nah, man kann sich ihnen nicht entziehen. Gebannt lässt man sich auf jedes Familienmitglied ein und setzt Stück für Stück das Bild zusammen, bis alles an seinem Platz ist, und sich auch die Dschinns einordnen lassen.
Fatma Aydemir beweist ein geschulten Blick für Details und erschuf schonungslose Einblicke, kluge Analysen und erschütternden Einsichten. Sie erzählt detailliert von Rassismus, fehlender Selbstbestimmung und Machtlosigkeit, von der Sehnsucht nach Vergebung und Akzeptanz und der Komplexität des Lebens.
„Dschinns“ war irgendwie ganz anderes als ich gedacht hätte: ein vielschichtiger Familienepos ohne mystische Vorkommnisse, mit einer Intensität, die ich nicht erwartet hätte. Es werden viele schwere Themen aufgegriffen, über die innerhalb der Familie nicht gesprochen wird. Die Weiterentwicklung der Protagonisten war ebenso beeindruckend, wie das grandiose Ende. Es war eine bewegende Lektüre, mit sehr bedrückenden Momenten, die nachdenklich machen, weil die gestellten Fragen und die innere Zerrissenheit der Protagonisten einen nicht mehr loslässt. Kraftvolle Worte und geschickte Wendungen, erfordern aufmerksames Lesen. Und auch, wenn es mir manchmal zu viel wurde, hat es sich gelohnt, dranzubleiben.
Fazit: Ein sprachlich beeindruckendes Buch über die Widersprüchlichkeiten des Lebens, voller Familiengeheimnisse und dem Mut, den Teufelskreis des Schweigens zu brechen, um Veränderung zu bewirken. Ein kraftvolles Leseerlebnis, das mir in Erinnerung bleiben wird.