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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.03.2022

Beeindruckender Familienroman

Dschinns
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Erzählt wird die Geschichte aus sechs unterschiedlichen Perspektiven. Das Stück beginnt mit dem Vater Hüseyin, der sich gerade in der neuen Eigentumswohnung in Istanbul aufhält. Doch er wird diesen ersehnten ...

Erzählt wird die Geschichte aus sechs unterschiedlichen Perspektiven. Das Stück beginnt mit dem Vater Hüseyin, der sich gerade in der neuen Eigentumswohnung in Istanbul aufhält. Doch er wird diesen ersehnten Lebensabschnitt als Rentner, dessen Leben zuvor hauptsächlich aus Arbeit bestand, nicht mehr genießen können, da er kurz darauf an einem Herzinfarkt stirbt. Anschließend folgen seine vier Kinder, die eindrücklich die gegenwärtige Situation der Beerdigung, ihre Rolle in der Familie und ihrer Kindheit schildern, dabei in Erinnerungen verweilen, tiefe Verletzungen freilegen, und die der Wunsch nach Akzeptanz und Liebe eint. Das abschließende Kapitel gibt der Mutter Emine, Hüseyins Ehefrau, eine Stimme und lässt alles aus einem neuen Blickwinkel erscheinen, bevor der Vorhang fällt. Der Wechsel zwischen den Perspektiven ist sprachlich überzeugend und passt sich immer wieder der Lebendigkeit und Intensität der neuen Gedankenwelt an, um ein harmonisches Charakterbild zu erzeugen. Das transportiert die Emotionen ganz nah, man kann sich ihnen nicht entziehen. Gebannt lässt man sich auf jedes Familienmitglied ein und setzt Stück für Stück das Bild zusammen, bis alles an seinem Platz ist, und sich auch die Dschinns einordnen lassen.

Fatma Aydemir beweist ein geschulten Blick für Details und erschuf schonungslose Einblicke, kluge Analysen und erschütternden Einsichten. Sie erzählt detailliert von Rassismus, fehlender Selbstbestimmung und Machtlosigkeit, von der Sehnsucht nach Vergebung und Akzeptanz und der Komplexität des Lebens.

„Dschinns“ war irgendwie ganz anderes als ich gedacht hätte: ein vielschichtiger Familienepos ohne mystische Vorkommnisse, mit einer Intensität, die ich nicht erwartet hätte. Es werden viele schwere Themen aufgegriffen, über die innerhalb der Familie nicht gesprochen wird. Die Weiterentwicklung der Protagonisten war ebenso beeindruckend, wie das grandiose Ende. Es war eine bewegende Lektüre, mit sehr bedrückenden Momenten, die nachdenklich machen, weil die gestellten Fragen und die innere Zerrissenheit der Protagonisten einen nicht mehr loslässt. Kraftvolle Worte und geschickte Wendungen, erfordern aufmerksames Lesen. Und auch, wenn es mir manchmal zu viel wurde, hat es sich gelohnt, dranzubleiben.

Fazit: Ein sprachlich beeindruckendes Buch über die Widersprüchlichkeiten des Lebens, voller Familiengeheimnisse und dem Mut, den Teufelskreis des Schweigens zu brechen, um Veränderung zu bewirken. Ein kraftvolles Leseerlebnis, das mir in Erinnerung bleiben wird.

Veröffentlicht am 31.03.2022

Hype gerechtfertigt?

Das Loft
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Marc und Henning sind seit Kindertagen beste Freunde. Beide teilen sich mit Marcs Freundin Sarah ein Loft. Als Henning vermisst wird, geraten Marc und Sarah unter Verdacht und werden zunächst als Zeugen ...

Marc und Henning sind seit Kindertagen beste Freunde. Beide teilen sich mit Marcs Freundin Sarah ein Loft. Als Henning vermisst wird, geraten Marc und Sarah unter Verdacht und werden zunächst als Zeugen in Polizeigewahrsam vernommen. Am Tatort wurde eine große Menge Blut gefunden. Ist Henning wohlmöglich tot? Wo ist dann die Leiche? Oder handelt es sich um ein perfides Spiel zwischen Freunden, die sich nicht vertrauen?

Erzählt wird die Story aus zwei Perspektiven: Marc’s und Sarah’s - dazu gibt es immer wieder Einblicke durch die Ermittlerin in diesem Fall. Marc und Sarah, zwei nicht sonderlich sympathische Figuren, erzählen aus ihrer Sichtweise von vergangenen Ereignissen, und geben unabhängig von einander einen Eindruck ihrer Wahrnehmungen und Emotionen, bei dem man das Gefühl hat, zu wissen, in welche Richtung sich die Story entwickeln könnte. Dabei entsteht ein spannendes Beziehungsgeflecht zwischen Marc, Sarah und Henning, und es bilden sich harte Kontraste, die die entstehenden Bilder wieder ins Wanken bringen. Wirklich packen konnte mich der finale Twist, den wohl kaum einer kommen sieht. Besonders gelungen fand ich die Vernehmungen, die taktisch klug und raffiniert ausgearbeitet waren. Wer sagt die Wahrheit? Der psychische Druck auf Marc und Sarah war förmlich spürbar. Das gab nicht nur einen interessanten Einblick in mögliche Verhörstrategien, sonder war auch spannend zu lesen. Darüber hinaus hat es sich etwas gezogen und hätte auch etwas kürzer sein dürfen.

Fazit: Überwiegend unterhaltsam, spannendes Finale und eine clevere Erzählweise, die zum Miträtseln einlädt; streckenweise allerdings langatmig und ein wenig klischeehaft.

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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.03.2022

Neue Detektivin-Buchreihe

Mord im Gewächshaus
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Junge Detektivinnen-Buchreihen im viktorianische London scheinen gerade im Jugend-Crime-Trend zu liegen. Berechtigt, den neben beliebten Vorbildern wie Enola Holmes, Flavia de Luce oder Violet Veil ermittelt ...

Junge Detektivinnen-Buchreihen im viktorianische London scheinen gerade im Jugend-Crime-Trend zu liegen. Berechtigt, den neben beliebten Vorbildern wie Enola Holmes, Flavia de Luce oder Violet Veil ermittelt nun auch Myrtle Hardcastle. Als großer Fan von Krimis, interessiert sich Myrtle natürlich für den Tod ihrer Nachbarin Miss Wodehouse. Entgegen der allgemeinen Meinung, es handle sich um eine natürliche Todesursache, vermutet Myrtle einen Mord, und beginnt, zusammen mit ihrer Gouvernante Miss Judson, auf eigene Faust zu ermitteln.

Die 12-jährige Myrtle Hardcastle ist eine unkonventionelle Heldin, die mit ihren Interessen aus dem Zeitrahmen fällt. Sie ist nicht nur schlau, forsch und ausgesprochen neugierig, sie überzeugt außerdem mit wichtigen Attributen wie Beharrlichkeit, einem Sinn für Gerechtigkeit und messerscharfen Analysen. Außerdem ist sie sehr sympathisch. Alle Charaktere sind interessant und lebendig beschrieben, aber Myrtles Gouvernante Miss Judson ist unverzichtbar und ebenso großartig. Gerade bei den Charakteren sehe ich viel Potential für die Fortsetzungen. Die Story ist mitreißend und spannend erzählt. Man erfährt alles aus der Ich-Perspektive von Myrtle und ist so ganz nah dran. Es gibt einige Wendungen, aber vor allem das unvorhersehbare Ende, hat mich sehr begeistert. Es ist großartig, wie spielerisch die Handlung verläuft. Immer wenn man denkt, man ist der Lösung näher, ergeben sich neue Indizien. Elizabeth C. Bunce hat sich um zeitgemäße Genauigkeit bemüht und unklare Begrifflichkeit und Hinweise in Fußnoten erklärt. Das hat mir sehr gefallen, weil es die Geschichte noch authentischer macht. Auch der Schreibstil passt sich dem viktorianischen Zeitalter an und lässt einen wunderbar in diese Geschichte eintauchen. Jedes Kapitel beginnt außerdem mit einem Auszug aus einem Handbuch für Amateur- und Berufsermittler.

Fazit: Toller Cozy-Crime-Nachschub für alle Fans von Flavia de Lucem - mit toller Atmosphäre, einem kniffligen Fall und Heldinnen voller Witz und Charme.

Veröffentlicht am 31.03.2022

Stimmige Mischung aus Fiktion und Fakten

Der große Fehler
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„In seinem Kopf begann seine eigene Version New Yorks zu entstehen.“

Der Roman beruht auf einer historisch wahren Begebenheit, um die bekannte Person Andrew Haswell Green. Die Geschichte beginnt mit seinem ...

„In seinem Kopf begann seine eigene Version New Yorks zu entstehen.“

Der Roman beruht auf einer historisch wahren Begebenheit, um die bekannte Person Andrew Haswell Green. Die Geschichte beginnt mit seinem Tod, an einem Freitag, dem 13. November 1903, als er vor seinem Haus in New York erschossen wurde. Inspector McClusky untersucht den Fall und geht der Frage des Tatmotivs nach. Andrew H. Green war jemand, der große öffentliche Werke geschaffen hat und sich für moralische Interessen und Fortschritt einsetzte. Das heutige Stadtbild hätte es ohne sein Zutun nie gegeben: ihm verdanken die New Yorker den Central Park, das Metropolitan Museum of Art und die Public Library. Er war ein Pionier und eine spezieller Mensch, der für die öffentliche Wahrnehmung Junggeselle blieb und auf seine Privatsphäre bedacht war. Er blieb gern für sich und liebte es, lange Spaziergänge zu machen oder ein Buch zu lesen. Der Roman erzählt von seinem Leben und ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an New York.

Wer einen spannenden Krimi erwartet, wird von der ungewöhnlichen Mischung überrascht sein. Hier trügt der Klappentext, aber der Roman lässt sich auch schwer irgendwo einordnen. Jonathan Lees Schreibstil ist detailliert, seine Sätze ausschweifend und kunstvoll. Es ergeben sich denkwürdige Sätze, kleine Weisheiten des Lebens und bildhafte Szenen. Die Handlung scheint manchmal stillzustehen, bis sie in Zeitlupe weiterläuft, während auf Gedanken, Beschreibungen und Sinneswahrnehmungen eingegangen wird. Das mag nicht jedem gefallen, aber ich fand den Stil großartig, der meine Vorstellung von Andrew H. Green und New York im 19. Jahrhundert immer lebendiger werden ließ. Hier passte für mich alles zusammen: Die Überschriften der Kapitel, die jeweils die Namen der Tore des Central Parks tragen, die authentischen Figuren und der Erzählstil, bei dem nichts dem Zufall überlassen wurde. Jonathan Lee dokumentiert nicht einfach nur das Leben von Andrew H. Green - zu dessen Zweck er unveröffentlichten Tagebücher, Briefe und historische Dokumente studiert hat -, er füllt die Lücken auf und läßt eine Idee von Andrew H. Green lebendig werden. Für mich war das eine stimmige Mischung aus Fiktion und Fakten.

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Veröffentlicht am 31.03.2022

Unser Vorlese-Highlight des Jahres

Baddabamba und die Insel der Zeit
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„Bekämpft man Gewalt mit Gewalt, so muss einer irgendwann damit aufhören, sonst nimmt die Gewalt kein Ende.“

„Baddabamba und die Insel der Zeit“ ist ein Insel- und Abenteuerroman, geschrieben ...

„Bekämpft man Gewalt mit Gewalt, so muss einer irgendwann damit aufhören, sonst nimmt die Gewalt kein Ende.“

„Baddabamba und die Insel der Zeit“ ist ein Insel- und Abenteuerroman, geschrieben in der Pandemie, der Erwachsene in ihre Lese-Kindheit zurück katapultiert und Kinder begeistern wird.

Es geht um ein kleines Mädchen, das auf einer seltsamen Insel landet. Mithilfe ihrer neuen Freunde muss sie sich auf die gefährliche Reise durch den Dschungel und den bevorstehenden Kampf mit der Teufelskrake vorbereiten, um wieder nach Hause reisen zu können.

Alle Figuren sind überaus einzigartig und liebenswert. Die verträumte 10-jährige Paula ist die kleinste in ihrer Familie, liebt es auf ihrem Pferd Henry zu reiten und in Bücher einzutauschen. Dank ihrer schnellen Auffassungsgabe und der Kraft, der sich immer wiederholenden Routine, wird sie innerlich und äußerlich immer stärker. Der zurückhaltende Baddabamba ist eine sehr interessante Figur: Mit seiner gewählten Ausdrucksweise und seinem ruhigen Charakter ist der Gorilla der gelassene Fels in der Brandung, und „der Meister in allen möglichen Kampfarten“. Anna Bella ist die coolste Sau im ganzen Land; rotzig, frech, ganz im Hier und Jetzt, nimmt sie alles etwas lockerer. Bei ihr darf Paula so viel Cola trinken, wie sie möchte, solange sie sich keine Sorgen macht. Carissima ist die Oma mit den vielen Gemütszuständen und dem Specht im Haar. Sie erinnert mit ihren roten Haaren ein wenig an Pipi Langstrumpf, wenn sie die stärkste Oma der Welt ist.

„Das schaffe ich nie!“ erwiderte Paula. „Dieser Satz ist ein Satz“, sagte Baddabamba, „den ich jetzt gerade zum letzten Mal von dir gehört habe, Paula.“

Fast alles auf der Insel hat mit Zeit zutun: das Uhrzeitmeer, der Zeilupen-Sumpf oder Zukunftsträumen. Die Zeit findet sich in Kleinigkeiten wieder, in den Figuren, ihren Fähigkeiten und raffinierten Zusammenhängen, gekonnt verstrickt, bis zum Schluss. Es gibt allerhand Wesen auf der Insel: bösartige Hubbanesen, eine gefährliche Teufelskrake, fliegende Krokodile, Spiegel-Igel, Spazierstock-Haie und, und, und. Die spannenden Szenen sind unglaublich fesselnd geschrieben und der letzte Satz des Buches hat mich wirklich restlos begeistert. Das Vor- und Nachsatzpapier zeigt eine Karte der Insel und im Buch finden sich, neben illustrierten Vignetten, drei doppelseitige s/w-Bilder, der Rest wird der Fantasie überlassen.

Dieses Buch hat uns absolut begeistert. Es ist randvoll gefühlt mit faszinierenden Einfällen rund um Zeit und ausgeklügelten Erklärungen. Ein gelungenes Leseerlebnis, mit unaufdringlich klugen Worten und versteckten Weisheiten, unvergesslichen Charakteren, spannender Handlung, bildlicher Erzählweise und fantasievollen Ideen. Wer bereits „Die Luftpiraten“ von Markus Orths kennt, weiß um die sprachlichen Qualitäten und das Ideenfeuerwerk, das seine Kinderbücher einzigartig macht. Ein großartiger Kinderbuchschatz, der mit einem abgeschlossenem Ende ganz für sich alleine steht, aber sehr große Lust auf die Fortsetzung und ein Wiedersehen mit Baddabamba macht.

Zum Schluss finden wir: Jeder braucht einen Rudi auf seinem Abenteuer. Ihr wollten wissen, was das bedeuten soll? Ihr findet die Antwort im Buch. Viel Spaß!

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