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Veröffentlicht am 30.06.2021

Eine kaleidoskopische Darstellung von Ehre und Moral in der russischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts

Anna Karenina
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Anna Karenina gehört zweifelsohne zu den größten Werken des russischen Autors Lew Tolstoi und ist längst nicht mehr aus der Weltliteratur wegzudenken. Der Inhalt dürfte also den allermeisten schon bekannt ...

Anna Karenina gehört zweifelsohne zu den größten Werken des russischen Autors Lew Tolstoi und ist längst nicht mehr aus der Weltliteratur wegzudenken. Der Inhalt dürfte also den allermeisten schon bekannt sein.

Auf knapp 1000 Seiten begleiten wir Leben und Alltag zahlreicher Charaktere, die dem russischen Adel angehören. Grob kann man die Geschichte in zwei wesentliche Handlungsstränge einteilen: Die verhängnisvolle Affäre Anna's mit dem Grafen Wronski einerseits und die steten Bemühungen Konstantin Lewin's seinen Platz in der Welt zu finden.

Ich will gar nicht beschönigen, dass dieses Buch eine wirkliche Herausforderung ist. Es zu Lesen ist ein regelrechtes Mammutprojekt, daher ist Durchhaltevermögen angesagt. Und nicht nur die Länge des Buches sondern auch die Erzählweise des Autors kann zur Belastungsprobe werden. Tolstoi erzählt nicht einfach die Geschichte seiner Figuren, sondern entführt uns in ihr Leben. Das umfasst neben den Spannungsreichen Momenten auch teilweise langatmige Episoden des Alltags. Wir lernen die Sorgen und Ängste der Figuren kennen, lesen über ihre politischen Meinungen und ethischen, wie auch moralischen Überzeugungen und das in einem Ausmaß, dass die Ausführungen bisweilen langweilig werden können.
Ist man aber bereit, sich diesen Widrigkeiten zu stellen, wird einen dieses Buch nicht so leicht wieder freigeben.

Quasi nebenbei zeichnet Tolstoi ein geradezu kaleidoskopisches Bild der russischen Gesellschaft dieser Zeit, wo man neben der unantastbaren und über alles erhabenen Moralvorstellungen des Adels auch viel über Politik, Religion und Kultur des zaristischen Russlands lernt. Besonders in der Figur von Lewin erlebt man ein ständiges Für und Wider zu den verschiedenartigstenThemen. Interessanterweise wird durch diese Einschübe der Fokus von der ursprünglichen Roman-Handlung immer wieder umgeleitet. Ich kann es nicht besser beschreiben, als das man das Gefühl bekommt, das Leben der Figuren im Stillen zu begleiten und in allen, noch so unbedeutenden Einzelheiten erleben.
Und obwohl gerade diese minuzöse Ausgestaltung von "Nebensächlichkeiten" zu besagten langatmigen Textpassagen geführt haben, sind gerade diese der Grund dafür, dass ich zu den Charakteren eine innigere Bindung aufbauen konnte, wie selten zuvor bei einem Buch. Zeitweise kann man geradezu vergessen, dass es sich bei Anna, Oblonski, Lewin, Kitty und wie sie alle heißen um keine realen Personen handelt. Die Erzählung lässt einen über das Fiktive hinaus denken, dass man den beinahe Eindruck bekommt, sie alle seinen historische, reale Figuren, die so einst durch Moskau und St.Petersburg gewandert sind.
Sie sind derart fehlerhaft und unperfekt für sich, wie auch in ihren Beziehungen untereinander, dass sie über die Maßen real erscheinen. Diese Empfindung hat mich nachhaltig beeindruckt und die Schicksale der Charaktere lassen mich auch lange nach Beendigung des Buches nicht los.

Ich möchte nicht zu ausschweifend werden, daher noch ein paar letzte Worte zu der Schmuckausgabe des Coppenrath Verlags, die ich gelesen habe. Grundsätzlich handelt es sich um eine wunderschöne Ausgabe, die mit vielen entzückenden und liebevoll gestalteten Illustrationen und "Beilagen" kommt. Eine Kleinigkeit, die mich durchaus etwas gestört hat, war dass das eingearbeitete Lesebändchen zu kurz ausgefallen ist, um es bequem auf der ganzen Breite des Buches nutzen zu können.
Außerdem bringt diese Ausgabe einiges auf die Waage, daher eignet es sich nicht wirklich für die Handtasche oder das In-der-Hand-Lesen, es sei denn, man möchste das zufällig noch mit Krafttraining verbinden. (Tatsächlich habe ich es einmal ungünstig über eine Kante schwebend abgelegt und bin beim Vorbeigehen mit dem Oberschenkel genau gegen die Ecke des Buches gelaufen.. das gab nen saftigen blauen Fleck) Was ich also sagen will, diese Ausgabe ist etwas schwer zu handhaben.

Insgesamt war "Anna Karenina" für mich ein großer Genuss und die Schmuckausgabe macht im Regal viel her. Ob man die jetzt haben muss, darf jeder für sich selbst entscheiden, allerdings kann ich die Geschichte an sich aus tiefster Überzeugung weiterempfehlen.

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Veröffentlicht am 30.06.2021

Intensiv und frei von Illusionen

Schicksal
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Mit ihrem neuen Roman "Schicksal" lässt uns die israelische Autorin Zeruya Shalev tief eintauchen in die emotionalen Abgründe ihrer Protagonistinnen Atara und Rachel. Die Autorin liefert uns einen gänzlich ...

Mit ihrem neuen Roman "Schicksal" lässt uns die israelische Autorin Zeruya Shalev tief eintauchen in die emotionalen Abgründe ihrer Protagonistinnen Atara und Rachel. Die Autorin liefert uns einen gänzlich ungefilterten Blick auf Themen wie Liebe, Schuld und Vergebung und konfrontiert ihre Leser mit der konfliktgeprägten Geschichte Israels, die Generation um Generation mitgeformt hat.

Um ihr eigenes Leben, ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart besser zu verstehen, macht sich Atara nach dem Tod ihres Vaters Meno auf die Suche nach Rachel. Rachel - die erste Frau Menos und ein Familiengeheimnis, von dem Atara bereits in früher Kindheit gelernt hat, es niemals zu erwähnen. Doch kaum haben sich die beiden Frauen gefunden, deren Leben auf so scheinbar unabänderliche Weise miteinander verstrickt sind, nimmt ein gänzlich ungeahntes Schicksal seinen Lauf...

Dieser Roman war mein erstes Buch von Zeruya Shalev und konnte mich in vielerlei Hinsicht überraschen. Erwartet hatte ich eine Geschichte, die mich historisch näher an die Hintergründe des Generationen andauernden Konflikts zwischen Juden und Arabern heranführt. Doch die Autorin ist keineswegs darauf hinaus, eine vollständige Schilderung der Israelischen Geschichte zu liefern. Viel eher brodeln die alten politischen Verstrickungen aus der Pionierszeit Israels unter den reichlich modernen Beziehungsdramen der heutigen Zeit.
So lesen wir darüber, wie Rachel, die in ihrer Jugend eine Kampfgenossin der Untergrundorganisation der Lechi war, sich erst im Hohen Alter von 91 Jahren eingesteht, was sie diesem scheinbar aussichtslosen Kampf um Freiheit geopfert hat.
Währenddessen lebt Atara in einer zänkischen Beziehung mit ihrem zweiten Ehemann Alex und sucht geradezu verzweifelt nach Möglichkeiten, sich nach dem Tod ihres Vaters von dessen Prägungen freizusprechen. So wirklich erfolgreich ist sie damit allerdings nicht.
Allgemein werden also die belasteten Beziehungen der Protagonistinnen in der Erzählung vordergründig behandelt.

Die wechselnde Erzählperspektive zwischen Atara und Rachel, haben es ermöglicht, tief in ihre Gedanken und Emotionen einzutauchen und so die Protagonistinnen auf eine desillusionierte und sehr intime Weise kennenzulernen. Immer wieder erlebt der Leser, wie sich die Protagonistinnen in ihrer Gedankenwelt verlieren und abschweifen in Ereignisse der Vergangenheit. So erfährt man nach und nach Rachels und Ataras Lebensläufe und kann mitverfolgen, wie ihre Wege allmählich miteinander verflochten werden.

Die Autorin bewegt sich dabei sprachlich allzeit auf einem sehr hohen Niveau. Mit ihren teils sehr poetischen Ausführungen hat Zeruya Shalev einen literarisch hoch interessanten Roman geschrieben.
Leider wirkten sich diese bildgewaltigen und teils langwierigen Ausführungen meinem persönlichen Empfinden nach teilweise aber auch negativ auf die Spannung in der Geschichte aus.
Diese subjektive Erzählweise hat es mir gleichfalls erschwert Zugang zu den diversen Begleitcharakteren zu finden, denen man im Laufe der Geschichte begegnet. Schlussendlich ist mir so keine der Figuren so wirklich sympathisch im Gedächtnis geblieben.

Insgesamt kann ich Zeruya Shalev's "Schicksal" nur mit verhaltenem Enthusiasmus weiterempfehlen. Grundsätzlich finde ich den Roman lesenswert, kann aber nur dazu raten, etwaige Erwartungshaltungen hinsichtlich der Handlung und des Inhalts runterzuschrauben. Es ist kein Roman, der darauf abzielt, Erwartungen zu erfüllen.
Obwohl die Geschichte einen ersichtlichen Spannungsbogen hat, wird diese häufig durch die ausschweifenden Erzählungen überlagert, man sollte diesem Buch also mit einer gewissen erzählerischen Aufgeschlossenheit begegnen.
Wer sich aber dazu entschließt Atara's und Rachel's Schicksal auf den Grund zu gehen, wird sich auf eine sprachlich hochwertige und zutiefst emotionale Reise begeben, die den Leser mit ganz essenziellen Fragen des Lebens konfrontiert.

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