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Veröffentlicht am 12.02.2023

Zwischen Adlon Dekadenz und den Abgründen der NS-Zeit

Die marmornen Träume
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Der Marmormann geht um. Im Berlin des Jahres 1939 scheinen die gut situierten Damen des Wilhelmklubs keine anderen Sorgen zu kennen als die Wahl ihrer Kleidung und die Qualität ihres Champagners. Als Ehefrauen ...

Der Marmormann geht um. Im Berlin des Jahres 1939 scheinen die gut situierten Damen des Wilhelmklubs keine anderen Sorgen zu kennen als die Wahl ihrer Kleidung und die Qualität ihres Champagners. Als Ehefrauen hochrangiger Nazi-Funktionäre gelten die schönen Damen dieses exklusiven Zirkels, der täglich im Adlon Hotel zusammentrifft, als unantastbar. Ein Schein, der sich nur so lange aufrechterhalten lässt, bis eine von ihnen brutal ermordet am Spreeufer aufgefunden wird. Schon bald folgen auf das erste weitere Opfer und den mit dem Fall betrauten Gestapo-Ermittlern wird klar, ein brutaler Mörder hat es auf die Juwelen der NS-Elite abgesehen. Doch was ist das Motiv für die Morde? Was haben die Spuren am Tatort zu bedeuten? Und wie konnten die gut bewachten Damen vor aller Augen aus dem Adlon verschwinden? Der einzige Anhaltspunkt, zur Lösung dieser Rätsel, stellt sich indes als das schwerste von allen dar. Jedes der Opfer hat kurz vor ihrem Tod von einer sonderbaren Traumerscheinung berichtet. Ein schauriges Phantom mit marmorner Maske.
Jean-Christophe Grangé hat sich mit Werken wie „Die purpurnen Flüsse“ schon lange ins Herz vieler Thriller-Fans geschrieben. Mit „Die marmornen Träume“, seinem ersten historischen Berlin-Thriller, scheint sich schon bald ein weiteres seiner Werke in die Reihe von Bestsellern einfügen zu können. Das Potential ist da.
„Die marmornen Träume“ ist in meinen Augen ein unfassbar guter Thriller. Hervorragende Recherche, die menschlichen Abgründe, denen man begegnet, die fragwürdigen Protagonisten, die unerwarteten Wendungen – all das und noch mehr vermengt sich hier zu einer einzigartigen Melange von bemerkenswerter Qualität.
Der Schreibstil Grangés lässt schnell eine düstere und drückende Atmosphäre entstehen und entwickelt zugleich einen unwiderstehlichen Sog, der mich Seite um Seite umblättern lies, ohne auch nur an eine Pause zu denken. Die Erzählperspektive wechselt dabei zwischen drei sehr unterschiedlichen Charakteren. SS-Hauptsturmführer Franz Beewen, der brillante Psychoanalytiker und Gigolo Simon Kraus und die regimekritisch eingestellte Psychiaterin und Gräfin Minna von Hassel haben in der Tat nicht viele Schnittstellen, doch dem Autor ist auf geschickte Weise gelungen dieses gegensätzliche Ermittlertrio zusammenzuführen.
Ich will ehrlich sein, trotz der hervorragenden Erzählweise ist dieses Buch wegen seiner Thematik nicht einfach zu lesen. Zumindest galt das für mich. Man befindet sich quasi im Herzen der NS-Elite, ist konfrontiert mit tumber Befehlsbefolgung, zur Alltäglichkeit verkommenen Gewaltexzessen, Kriegsgewinnlern, Rassenhass und Eugenik. Grangé führt seine Leser Stufe um Stufe tiefer in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Natur.
Dennoch, es lohnt sich, sich auf die Geschichte einzulassen. Schon früh legt die Handlung ein rasantes Tempo vor und jedes Mal, wenn ich den Eindruck hatte der Fall nähere sich einer Lösung, kam eine Wendung, die alles auf den Kopf stellte, was ich zu wissen glaubte. Bis zuletzt wollen die zahlreich gestreuten Hinweise nicht zusammenpassen, bis sich in einem verheerenden Finale die wahre Größenordnung hinter den Taten ein für alle Mal offenbart.
Meiner Meinung nach, ist „Die marmornen Träume“ ein Thriller, den man auf keinen Fall verpassen sollte.

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Veröffentlicht am 10.02.2023

Ein sehr gutes Debüt

Das Sanatorium
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Anlässlich der Verlobungsfeier ihres Bruders reist Detective Inspector Elin Warner in die Schweizer Alpen. Schauplatz der Feierlichkeiten ist das Luxushotel Le Sommet, dem seine düstere Vergangenheit als ...

Anlässlich der Verlobungsfeier ihres Bruders reist Detective Inspector Elin Warner in die Schweizer Alpen. Schauplatz der Feierlichkeiten ist das Luxushotel Le Sommet, dem seine düstere Vergangenheit als Sanatorium noch irgendwie anzuhaften scheint. Statt ausgelassenen Feierlichkeiten erwartet die Gäste jedoch schon bald eine schreckliche Wendung. Lauren, die zukünftige Braut, verschwindet spurlos und eine Leiche wird gefunden. Die schlechten Wetterverhältnisse machen es den örtlichen Behörden unmöglich das abgelegene Hotel zu erreichen und so ist Elin bei den Ermittlungen auf sich allein gestellt.
Die Autorin Sarah Pearse hat hier ein sehr starkes Debüt vorgelegt. Der Einstieg in das Buch gelang mir aufgrund des bildhaften und fesselnden Schreibstils ohne Probleme und auch wenn die Handlung seicht startet, wird doch schnell klar, dass ein tödlicher Schatten über den Gästen lauert. Die Atmosphäre, die sich vor allem wegen des spannenden Settings entfaltet, bildet den perfekte Rahmen für die Geschichte.
Elin Warner ist eine interessante Protagonistin mit besonders scharfen Ecken und Kanten. Ihre Probleme und Ängste nehmen einen sehr großen Teil der Erzählung ein, was sie zwar einerseits als Charakter spannend macht, andererseits den Rest der Handlung etwas zu überschatten drohte. Hier hätte ich mir gewünscht, die Autorin hätte den Fokus doch etwas mehr auf die Ermittlungen bzw. den Fall gelegt.
Schließlich fand ich auch die Handlung insgesamt gut aufgebaut. Es gab immer wieder eine spannende Wendung, um die Suche nach dem Täter zu erschweren und die Auflösung am Ende war glaubhaft. Ich muss sagen, die versprochene Gänsehautstimmung habe ich ein bisschen vermisst, insgesamt habe ich mich aber doch sehr gut unterhalten gefühlt. Es ist ein spannender Thriller, der zu fesseln weiß und (besonders) für ein Erstlingswerk echt überzeugend. Ich hoffe wir werden in der Zukunft noch mehr von Sarah Pearse hören.

Veröffentlicht am 06.02.2023

Käsespätzle meets Tajine

Bissle Spätzle, Habibi?
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Amaya ist 30, Schauspielerin und hat, anders als ihre jüngeren Geschwister, in absehbarer Zukunft keine Eheschließung in Aussicht. Letzteres ist ein großes Problem in den Augen ihrer marokkanischen Mama, ...

Amaya ist 30, Schauspielerin und hat, anders als ihre jüngeren Geschwister, in absehbarer Zukunft keine Eheschließung in Aussicht. Letzteres ist ein großes Problem in den Augen ihrer marokkanischen Mama, die sich führ ihre Kinder nichts sehnlicher wünscht, als eine gesicherte Zukunft in einer harmonischen Ehe. Minder soll Abhilfe schaffen - wäre doch gelacht, wenn sich auf der muslimischen Dating-App nicht ein perfekter Heiratskandidat auftreiben lässt! Und tatsächlich – mit Ismael scheint Amaya den perfekten Schwiegersohn gefunden zu haben. Wäre da nicht das kleine Problemchen, dass nicht Ismael ihr Herz höher schlagen lässt, sondern dessen bester Freund Daniel. Und wie soll sie ihrer Familie bloß beibringen, dass sie einen Schwaben liebt?
Diese Frage bildet den Leitfaden in Abla Alaouis sehr charmanten und gefühlvollen Roman-Debüt und hält den Leser bis zum Ende bei der Stange. Der Schreibstil der Autorin hat mich komplett begeistert. Locker und leicht aber auch mit sehr viel Feingefühl führt sie einen durch diese herzerwärmende Liebesgeschichte und versäumt es nicht, ordentlich Witz zu versprühen. Schon das erste Kapitel hat mich so herzlich lachen lassen, dass ich, ganz begierig auf mehr, nicht anders konnte als weiterzulesen. Besonders toll fand ich darüber hinaus, wie die verschiedenen Figuren ausgearbeitet waren. Selten hatte ich nach so wenigen Seiten schon ein so klares Bild von den Charakteren und die Individualität und Authentizität, mit der sie ausgestaltet wurden, hat das Buch unglaublich bereichert.
Die Handlung hat mich in mancherlei Hinsicht überrascht, vorwiegend weil meine Erwartungen wegen des Klappentextes andere waren, aber das war nicht weiter schlimm. Die Entwicklungen sind schlüssig und die Beweggründe der Figuren nachvollziehbar, daher kann man sich einfach treiben lassen und mitfiebern. Ich fand sehr schön, wie facettenreich und feinfühlig der Stellenwert und die schönen Seiten von Amayas Kultur und Glaube hervorgehoben wurden, aber eben auch die Schwierigkeiten, die sich daraus für sie ergeben. Demgegenüber bot der schwäbische Twist natürlich einen gehörigen Kontrast, wobei ich sagen muss, dass mir der beinahe ein bisschen zu kurz gekommen ist.
Nicht ganz so glücklich war ich mit Amayas Verhalten. Ihre Ängste und Sorgen sind sehr realistisch und nachfühlbar dargestellt, aber mit der Zeit hat sich mein Mitgefühl für sie beinahe erschöpft. Durch das ewige Verheimlichen tut sie nicht nur ihren Eltern Unrecht, sondern ganz besonders Daniel. Er begegnet ihr mit so Viel Geduld und Verständnis und sie hält ihn nicht nur hin, sondern belügt ihn irgendwann auch noch. Das war frustrierend. Und alles nur, weil sie lieber den Kopf in den Sand steckt, statt ihre Probleme anzugehen. Schlimmer war nur, dass sie mit ihrer Vogel-Strauß-Strategie quasi ins Ziel kommt. Für ihre Charakterentwicklung und auch den Abschluss der Geschichte hätte ich mir da wirklich etwas anderes gewünscht.
Abgesehen von diesem Punkt, versteckt sich hinter dem charmanten Cover eine durch und durch bezaubernde Herzensgeschichte, die Multi-Kulti erfolgreich auf die literarische Bühne (zurück-) geholt hat. Bissle Spätzle, Habibi? Ist eine Geschichte, die berührt und Spaß macht, aber auch viel Tiefe und Gefühl mitbringt. Absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 06.02.2023

Ein mega Auftakt!

Silver & Poison, Band 1: Das Elixier der Lügen (SPIEGEL-Bestseller)
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Avery ist keine gewöhnliche Barkeeperin, denn ihre Drinks enthalten ein besonderes Extra. Als Poisoner hat sie die Gabe Magie zu bündeln und auf Getränke zu übertragen. Diejenigen, die sie trinken, erleben ...

Avery ist keine gewöhnliche Barkeeperin, denn ihre Drinks enthalten ein besonderes Extra. Als Poisoner hat sie die Gabe Magie zu bündeln und auf Getränke zu übertragen. Diejenigen, die sie trinken, erleben ihre Gefühle auf einer ganz neuen Ebene. Für den Club ihres Bruders bedeutet das lauter euphorische Gäste, für ihre Zielobjekte hingegen Momente voller Zorn, Schuld oder Angst. Gefühle, die sie unweigerlich in die Arme von Dorian Mars treiben. Die Schuld darüber zerfrisst Avery von innen, doch der Gangsterboss hat sie fest in der Hand und zwingt sie weiter für ihn zu arbeiten. Als eine Reihe rätselhafter Morde die Polizei in ihr Viertel lockt, erhöht sich der Druck auf die Poisonerin. Jemand scheint es gezielt auf Magier abgesehen zu haben und niemand anderes als Adam Hayes ist an dem Fall dran. Ihre Nähe zu Dorians Gang und die Tatsache, dass ihr der attraktive Detective irgendwie unter die Haut geh, sollten Grund genug sein, um sich von ihm fernzuhalten.
Silver & Poison – Das Elixier der Lügen ist der neue Roman von Autorin Anne Lück und der Auftakt zu einer aufregenden Urban-Romantasy-Dilogie aus dem Ravensburger Verlag. Das Cover ist ein absoluter Eyecatcher. Ich liebe die Farbgebung, wie sich die Story im Design widerspiegelt und auch dass die Schrift sich durch den Spiegelungseffekt so schön abhebt. Der farbige Buchschnitt rundet alles nochmal ab. Aber das Buch hat mich nicht nur von außen verzaubert.
Der Schreibstil ist fesselnd und lebendig und transportiert viele Emotionen. Auch das „World-building“ fand ich absolut überzeugend und die Autorin nimmt sich viel Zeit die magische Gesellschaft auszugestalten. Die einzelnen Gaben sind originell und neu und bei all den Geheimnissen, die es im Laufe der Story zu erforschen gibt, kommt ordentlich Spannung auf.
Die Charaktere fügen sich ganz ausgezeichnet ein. Avery hat sehr unter den Entscheidungen ihrer Vergangenheit zu leiden und besonders ihre Auseinandersetzung mit dem Thema Schuld war eine sehr spannende Facette ihrer Figur. Auch Hayes hat mit seiner undurchsichtigen Art gleich zu Anfang mein Interesse geweckt. Zwar hat mir insgesamt gefallen, wie sich die Dinge zwischen ihm und Avery entwickeln, allerdings fand ich den Wandel zwischen seiner anfänglich abweisenden Art zu dem super verständnis- und humorvollen Typen etwas zu hastig. Ebenfalls irritiert hat mich sein Alter. Mit Anfang 20 schon leitender Detective einer New Yorker Sondereinheit? Das scheint mir schon etwas unrealistisch, zumal er ja auch eine Weile beim Militär war.
Aufgrund des Klappentextes hatte ich ein wenig mehr Fokus auf den Mordermittlungen erwartet, aber das war gar nicht weiter schlimm, denn die Handlung entwickelt sich alles in allem sehr spannend und schlüssig. Besonders, dass die Autorin nicht vor dramatischen Einschnitten zurückgeschreckt ist, hat mir sehr gefallen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Handlung ein wenig schneller an Fahrt aufnimmt. Der Anfang hat sich für meinen Geschmack doch ein wenig in die Länge gezogen. Etwas schwach ausgearbeitet fand ich außerdem den Handlungsstrang um Dorian Mars. Dafür, dass von ihm durchweg dieses brutale und skrupellose Bild gezeichnet wird und immerzu darauf gepocht wird, dass ihm keiner entkommen kann, glänzt er überwiegend durch Abwesenheit und Untätigkeit. Ich möchte mich aber mit der Kritik zurückhalten, weil es gut sein kann, dass seine Zeit erst in der Fortsetzung kommt.
Trotz kleinerer Kritikpunkte ist Silver & Poison – Das Elixier der Lügen ein absolutes Januar-Highlight und macht neugierig auf mehr. Der Cliffhanger am Ende lässt einen wünschen, es wäre schon September, da erscheint nämlich die Fortsetzung Die Essenz der Erinnerung.

Veröffentlicht am 06.02.2023

So stürmisch wie der Titel verspricht

Sturmhöhe
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Als das Findelkind Heathcliff auf Wuthering Heights (zu Deutsch: Sturmhöhe), dem Gutshof der Familie Earnshaw eintrifft, ahnt wohl keiner dort, welch Unglück die Familie noch heimsuchen würde. Vollkommen ...

Als das Findelkind Heathcliff auf Wuthering Heights (zu Deutsch: Sturmhöhe), dem Gutshof der Familie Earnshaw eintrifft, ahnt wohl keiner dort, welch Unglück die Familie noch heimsuchen würde. Vollkommen verzückt in dem fremdartigen Jungen eine wesensgleiche Seele gefunden zu haben, verliebt sich Tochter Catherine in ihn, während ihr Bruder Hindley dem Eindringling neidet und stets voller Verachtung begegnet. Nachdem Hindley mit dem Tod des alten Mr. Earnshaw zum Oberhaupt der Familie wird, nutzt er also die erste Gelegenheit, um Heathcliff zu verstoßen.
Gedemütigt durch diese Behandlung, erfährt Heathcliffs jähzorniges Naturell neuen Brennstoff, als Catherine bei der Wahl ihres zukünftigen Gatten den wohlhabenden Nachbarn Linton ihm vorzieht. Streben nach grausamer Vergeltung und alles verzehrender Hass lenken fortan Heathcliffs Geschicke und so beschwört er einen Sturm herauf, der über drei Generationen hinwegwüten wird und am Ende auch ihn selbst zerstören soll.
Die in Leinen gebundene und mit Goldfolienprägung ausgestaltete Ausgabe vom Nikol-Verlag ist ein wirklicher Hingucker im Regal und das zeitlose Design hat es mir durchaus angetan. Vermutlich in Anpassung an das kompakte Format, ist die Schriftart relativ klein gewählt (da sind andere Ausgaben vielleicht etwas angenehmer für die Augen), dafür lässt sich das Buch aber hervorragend überall hin mitnehmen. Der Erzählung vorangestellt findet man auch einen Stammbaum der Familien Earnshaw und Linton. Das Buch ist zwar beschränkt auf einen festgelegten Kreis von Protagonisten, aber bei den Namen kommt man doch leicht durcheinander, daher war das eine sehr wertvolle Stütze beim Lesen.
Sturmhöhe wollte ich wirklich schon seit einer ganzen Weile lesen und endlich hat sich für mich der richtige Moment dafür aufgetan. Natürlich kann man sagen, dass das Warten auf den richtigen Zeitpunkt und die richtige Stimmung, um ein Buch zu lesen, nur dazu führt, dass man es vielleicht nie lesen wird, allerdings ist das in diesem Fall doch gar kein schlechter Rat. Denn Sturmhöhe ist kein Buch, dass man so nebenbei zum Lesen in die Hand nimmt. Dafür ist es zu aufwühlend, zu fordernd und ja, auch sprachlich anspruchsvoll. Ich kann also nur empfehlen, es mit der erforderlichen Zeit und Ruhe anzugehen.
Wie wohl die meisten, wusste ich vorher schon, dass die Geschichte von Catherine und Heathcliff keine schöne ist. Liebe und Hass spielen eine zentrale Rolle, aber keineswegs ist es eine Liebesgeschichte. Und obwohl ich das wusste, war es trotzdem fast überwältigend wie viel Boshaftigkeit, Grausamkeit und menschliche Niedertracht einem in diesen Zeilen begegnet. Schwierig wurde das Lesen auch dadurch, dass ich, mit Ausnahme von Nelly, keiner Figur gegenüber Sympathien entwickeln können. Normalerweise tu ich mich schwer damit Bücher zu lesen, in denen mir die Figuren so vollkommen abgehen. In diesem Fall liegt hierin aber auch der besondere Reiz. Keiner der Protagonisten ist auf dieselbe Weise, aus denselben Gründen oder ganz und gar schlecht und es ist faszinierend, wie sich diese Facetten Menschlicher Schlechtigkeit nach und nach enthüllen. Und auch wenn es keine positiven Gefühle sind, so hat die Darstellung der verschiedenen Charaktere doch sehr viele Emotionen bei mir ausgelöst. Meistens schwankte ich zwischen Abscheu und Mitleid. Besonders der Teil der Handlung über die jüngste Generation, die durch Heathcliffs grenzenlose Rachsucht mit in den Abgrund gezogen wird, hat mich nachhaltig berührt. Emily Bronte hat meisterhaft dargestellt, was Grausamkeit, Vernachlässigung und Lieblosigkeit mit Kindern anzustellen vermag.
Jetzt fragt man sich vielleicht, warum sollte man sich diese Geschichte überhaupt antun, wenn es so wenig einnehmende Aspekte gibt und dazu sage ich: Emily Brontes Erzählkünste machen es zu einer einzigartigen Leseerfahrung. Die Zerstörungskraft von Liebe und Hass wie Catherine und Heathcliff sie empfinden scheint vor der Kulisse des sturmgeplagten Gutshofs und der kargen Moorlandschaft erst richtig entfesselt zu werden. Die Handlung, Figuren und Atmosphäre sind enorm gut aufeinander abgestimmt und das kreiert beim Lesen einen Sog, dem ich persönlich sehr schnell verfallen bin. Faszinierend ist auch, wie viel sie mit nur einem einzigen Satz zu transportieren vermag. Deshalb nochmal der Hinweis das Buch nicht „mal eben nebenbei“ zu lesen, sondern so aufmerksam wie möglich. Ansonsten entgehen einem wohlmöglich noch die vielen Feinheiten, die teilweise in einem einfachen Nebensatz Erwähnung finden.
Auch sehr geschickt ist die Art und Weise wie die Geschichte erzählt wird. Der erste Erzähler, Mr. Lockwood, hat im Grunde einen ähnlichen Kenntnisstand wie der Leser und führt an die Schrecken und Geheimnisse von Wuthering Heights und dem Herren Heathcliff heran. Ellen Dean, die Haushälterin übernimmt den Großteil der weiteren Erzählung und das ist ein Gewinn, denn die Grausamkeiten durch die Perspektive einer freundlichen und zur Empathie fähigen Person zu erleben, macht es um einiges erträglicher.
Schließlich hat Sturmhöhe mir auch sprachlich sehr gefallen. Man muss sich vielleicht zunächst an die Ausdrucksweise gewöhnen, doch die Übersetzung von 1938 ist toll und jeder der gerne zu britischer Literatur des 19.Jh. greift, oder im Allgemeinen zu älteren Klassikern, wird das mit Sicherheit zu schätzen wissen.