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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.01.2023

Unfassbar bedrückend, weil unfassbar glaubwürdig

Wehrlos
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Ich finde den Klappentext ein wenig unglücklich, da der zweite Absatz dem Buchende zum Einen bereits ein wenig vorgreift und es zum Anderen so klingen lässt, als konzentriere sich der Roman stark auf die ...

Ich finde den Klappentext ein wenig unglücklich, da der zweite Absatz dem Buchende zum Einen bereits ein wenig vorgreift und es zum Anderen so klingen lässt, als konzentriere sich der Roman stark auf die Mutter des entführten Kindes, was absolut nicht der Fall ist. Tatsächlich lernt man Mieke eher durch Hörensagen kennen, wenn man es überhaupt „kennenlernen“ nennen kann.
Stattdessen konzentriert sich „Wehrlos“ sehr auf die vierjährige Nele und auch das nur einige Jahre ältere Mädchen, das sie vom Spielplatz gelockt hat – und aufgrund der zahlreichen Szenenwechsel ist den Lesenden bereits von Anfang an bewusst, dass hinter der dieser Entführung ein über die Landesgrenzen hinaus agierendes Verbrechersyndikat steckt, deren Geschäft aus Menschenhandel besteht, wobei Menschen in diesem Fall Kinder bedeutet, die selten das Grundschulalter bereits erreicht haben. Nun weiß ich von einigen anderen Leserinnen, dass sie a) rein gar nichts lesen wollen, in dem Kinder zu Opfern werden, und aufgrund des ersten Absatzes der Beschreibung zu „Wehrlos“ ohnehin die Finger lassen werden oder b) ein wenig mit Romanen hadern, in denen Kindern Schlimmes widerfährt, aber mitunter dann doch zu diesen greifen, weil sie meinen, es würde bestimmt nicht ganz so übel werden. Menschen, die sich der b)-Kategorie zugehörig fühlen: Lasst die Finger von diesem Buch! Es ist wirklich übel, und zwar durchgängig.
Das Einzige, wovor die Geschichte zurückschreckt, ist eine deutliche Ausführung, was mit den Kindern geschieht, nachdem sie den Käufern übergeben wurden; abgesehen davon, dass im Verlauf einmal erwähnt wird, dass später manchmal doch noch „echte“ Geburtsurkunden fingiert werden müssen, wird es hier dabei belassen zu sagen, dass das Gros der Kinder nie wieder auftauchen wird, nie wieder ein alltägliches Leben führen wird… und ich denke, das impliziert bereits, dass es hier eher nicht um fingierte Adoptionen oder Ähnliches geht.

„Wehrlos“ wechselt ständig die Szenerie; mal liest man von Miekes Nachbarin, welche Mieke eher argwöhnisch betrachtet, mal vom Mieter von Miekes Einliegerwohnung, der offensichtlich in sie verliebt ist; aber sehr häufig schwenkt die Geschichte zum „Erziehungsheim im Wald“, das eigentlich nur als Zwischenstation dient, um entführte Kinder vor deren Übergabe zu brechen und für (nicht auf) den jeweiligen Käufer vorzubereiten, und welches dem an Neles Entführung beteiligten Mädchen ein sehr trauriges Zuhause ist. Ebenso viel wie von der Arbeit Bens und seiner Kollegen, oder gar noch mehr, liest man übrigens von den beteiligten Täter
innen, die hier auch mal in der Ich-Form erzählen, was manchmal bedrückend, aber häufig sehr erschreckend ist – diese Einlassungen sind kursiv gesetzt und da muss man sich selbst erschließen, wer überhaupt nun spricht, was zuweilen doch ein wenig anstrengend war: nicht nur wegen dem, was sie teils von sich gegeben haben, sondern auch, weil zumindest ich schwankte: „Ist das nun der Kerl? Der andere? Die eine Frau? Ist das überhaupt jemand der Kidnapper? Erzählt da nu die ganze Zeit dieselbe Person oder sind die das abwechselnd alle? …“

Ich habe den Roman im Verlauf einer längeren Zugfahrt zu lesen begonnen und war, um ehrlich zu sein, ganz froh, dass da noch helllichter Tag war und um mich herum recht reger Trubel herrschte. Abends im Dunkeln, im Leisen, daheim unter eine Decke gekuschelt, hätte mich die Geschichte definitiv zu stark belastet: ich habe „Wehrlos“ bis zu meinem Zielbahnhof auch nicht komplett zu lesen geschafft, sondern das letzte Viertel erst am nächsten Vormittag gelesen, um mich nicht unmittelbar vor dem Einschlafen gedanklich völlig darin zu verlieren.
Den Teil mit der „nahestehenden Person“, die von Mieke provoziert worden war, fand ich letztlich allerdings überflüssig: diese Geschichtenkonstruktion hatte an sich nichts mit der Haupthandlung zu tun und der Plot hätte auch ohne diese Verbindung problemlos funktioniert; generell fand ich das Erschreckendste aber, wie realistisch dieses Buch nun war und wie sehr die Darstellung hier Eltern vermutlich auch panisch werden lassen kann, dass man besser niemandem trauen sollte. Auch die Mahnung, dass man in den sozialen Medien besser zurückhaltend sein sollte, grad in Bezug auf persönliche Infos über die eigenen Kinder, ist hier sehr deutlich; was Delphine de Vigan in ihrem Werk „Die Kinder sind Könige“ vergleichsweise subtil und leise ansprach, wird dem Publikum von Nora Benrath als knallharter Fakt um die Ohren gehauen oder, im literarischen Kontext gesprochen, von den Bösen in dieser Geschichte, die keinen Hehl daraus machen, wie einfach ständig breitgetretene Tagesabläufe ihnen ihre Arbeit machen, oder wie unkompliziert sich „Wunschware“ finden lässt, wenn z.B. Eltern ständig Fotos ihrer Kinder in zig Posen veröffentlichen und noch dazu mit den entsprechenden Hashtags versehen. Zudem wiederholt einer der Täter gleich von Anfang an häufig, dass nur allein ihre „Organisation“ so verdeckt und so verzweigt operiert, dass sie einer Hydra gleiche und es keinen Unterschied mache, wenn sozusagen ein Team abgeschlagen werden würde, was noch weiter zur bedrückenden Atmosphäre beitrug: Wer „Wehrlos“ liest, sieht sich also gleich mit der Tatsache konfrontiert, dass selbst wenn die Geschichte noch eine gute Wendung für Nele nehmen sollte, irgendwo anders im selben Moment womöglich grad ein weiteres Kind bestellt, ein anderes entführt… wird, und es im großen Ganzen betrachtet auf keinen Fall ein Happy End geben wird.

Mir hat „Wehrlos“ nun sehr gut gefallen; klar, die Geschichte an sich war alles andere als schön; aber der Roman spricht eben ein wichtiges Thema an und ist absolut realistisch – auch wenn einen die steten Szenenwechsel, noch dazu die Einlassung der unbenannten Täterfigur(en?), definitiv konfus machen können, aber mir hat es andererseits gefallen, dass diese rasant erfolgenden Wechsel zusätzlich deutlich machten, wie sehr es wichtig ist, dass bei Entführungsfällen keine Zeit verloren wird.
Für mich ist „Wehrlos“ jetzt schon ein Thriller-Highlight dieses Jahres, aber wie eingangs gesagt: Man sollte besser im Vorfeld wissen, worauf man sich hier mit dem Lesen einlässt. Es gibt düstere Thriller – und Thriller wie „Wehrlos“, die einfach nur stockfinster sind.

Veröffentlicht am 06.12.2022

Völlig vorhersehbare clean romance, aber: irgendwie schön

Sehnsucht nach Sunset Rock
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Die Prämisse der Geschichte finde ich definitiv ein wenig konstruiert: da hat die Krebserkrankung eines schwerreichen Magnaten inzwischen gar das Endstadium erreicht und hier wird er sich plötzlich bewusst, ...

Die Prämisse der Geschichte finde ich definitiv ein wenig konstruiert: da hat die Krebserkrankung eines schwerreichen Magnaten inzwischen gar das Endstadium erreicht und hier wird er sich plötzlich bewusst, dass seine vor zig Jahren verstorbene Frau davon geträumt hat, ein Hotel in ihrer Heimatstadt zu erbauen, weswegen sein letzter Wunsch nun ist, dass dieser Traum noch wahrwerden möge. Da stellt sich natürlich die Frage, wieso er sich diesem Hotelbau nicht selbst schon sehr viel früher verschrieben hat oder wieso seine Krebserkrankung nun das Endstadium erreichen musste, bis seine Tochter plötzlich völlig überhastet agieren muss, um noch ganz schnell vor dem Tod des Vaters einen Hotelneubau vom Zaun zu brechen.
Auch dass Nathan, der sich selbst um den Kauf des mutmaßlichen Hotelgrundstückes bemüht, um dort eine Art Baumhaus-Ferienclub zu errichten, genau da bereits „einfach so“ einen Prototyp errichtet hat, wirkte ein wenig seltsam, zumal er in der direkten Nähe im Wald bereits eine Art Naturferienpark besaß, in dem er sicherlich auf eigenem Grund ein entsprechendes Baumhaus hätte bauen können, ohne sich wundern zu müssen, dass er sein Baumhaus nun noch wieder von einem fremden Grundstück abbauen sollte.
Da wirkte niemand auf mich wie wer, mit dem man größere Geschäfte abschließen sollte.

Aber gut, da ist nun also das Grundstück, auf dem so oder so Hotellerie betrieben werden soll: Der Eine, fest verwurzelt in der zugehörigen Stadt, will alles naturnah gestalten, die Andere, immerhin noch eine Großtante dort vorweisen könnend, erstmal den Wald abholzen – Letzteres sorgte in dem kleinen Städtchen abseits von Nathans empörter Familie für eher wenig Aufruhr, was ich auch schon eher unglaubwürdig fand. Da im Grunde nun beide Hauptfiguren letztlich das gleiche Ziel haben, ist das Ende jedoch von vornherein absehbar, erst recht, wenn man das Genre berücksichtigt sowie den Klappentext, der suggeriert, dass hiermit eine Reihe „mit ganz viel Baumhausromantik“ beginnt.
Da ist „Sehnsucht nach Sunset Rock“ (angesichts der Tatsache, dass sich fast die gesamte Handlung hier vor Ort zuträgt, ist der Titel, so romantisch er auch klingt, dabei doch eher seltsam gewählt) ein absolut typischer Romance-Vertreter; ich habe die Geschichte aber ganz gerne gelesen, zumal ich zuletzt einige teils sehr düstere Thriller gelesen hatte und es mich darum, und auch zur Einstimmung auf die Adventszeit, nach etwas Kuschlig-Romantischem und eher Leichtfüßigem verlangte. Zudem ist Nathans Familie sehr toll, und ich hoffe wirklich, dass es im nächsten Band dann um Nathans Schwester gehen würde. Ein Buch mit ihr als Hauptfigur würde mich wirklich reizen.
Was „Sunset Rock“ angeht, räume ich allerdings ein, dass es ungefähr das komplette letzte Fünftel für mich nimmer gebraucht haben würde; die Geschichte war eigentlich völlig auserzählt, als noch ein dramatischer Auftritt von Nathans Ex stattfand, von der ich mir (wie wohl auch Nathans Schwester) ohnehin nicht erklären habe können, wieso die Beiden je ein Paar waren. Dieser „Konflikt“ war da völlig überflüssig und passte für mich auch nicht so wirklich in das sonstige Gefüge der Handlung; irgendwie hatte das alles was von einer Schauspielerin, die sich einen Cameoauftritt eingeklagt hat, den niemand sehen, und das ganze Team auch nicht drehen, will.

In meinen Augen ist „Sehnsucht nach Sunset Rock“ ein geeigneter Kitschroman, wenn man mal was eher Schmalziges lesen möchte, das ohne besonderen Tiefgang daherkommt und im weitesten Sinne auch eher clean romance ist, denn heiße Szenen fehlen hier eigentlich komplett, ohne dass sie wirklich „fehlen“. Wer es gerne steamy mag, ist von daher eher fehl am Platz; hitzig sind hier allenfalls die ersten Aufeinandertreffen der Konkurrenten um das Grundstück. Also meiner groschenromanbegeisterten Großmutter würde ich diesen Roman durchaus empfohlen haben und ich bin mir sehr sicher, dass sie mir nach dem Lesen vorgeschwärmt hätte, „wie schöööööööön“ diese Geschichte doch war.

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Veröffentlicht am 05.12.2022

Blieb doch sehr hinter meinen Erwartungen zurück

Happy New Year – Zwei Familien, ein Albtraum
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“Happy New Year” erzählt vornehmlich von zwei früher eng miteinander befreundeten, heute entfremdeten Paaren, die allerdings noch immer daran festhalten, Silvester zusammen zu verbringen. Auch in diesem ...

“Happy New Year” erzählt vornehmlich von zwei früher eng miteinander befreundeten, heute entfremdeten Paaren, die allerdings noch immer daran festhalten, Silvester zusammen zu verbringen. Auch in diesem Jahr begeben sich Nina und Fredrik mit ihren jüngeren Söhnen zu einer entsprechenden Party bei Lollo und Max, während bei ihnen daheim die jugendlichen Töchter der beiden Paare zum ersten Mal eine gemeinsame Party schmeißen dürfen. Doch am Ende der Nacht ist Jennifer, die Tochter von Lollo und Max, spurlos verschwunden… der Roman wird nun abwechselnd aus den Perspektiven von Nina und Fredrik sowie Lollo erzählt, wobei ich es, je weiter die Geschichte voranschritt, immer merkwürdiger fand, dass Max hier außen vor blieb ebenso wie ich es schade fand, dass mit Smilla, der Tochter Ninas und Fredriks, eher beiläufig umgegangen wurde, zumal so deutlich betont wurde, dass die Elternpaare nur noch wenig Bezug zueinander haben, aber die Töchter waren immerhin noch vertraut genug miteinander, um zusammen mit Freund*innen zu feiern. Zudem sah Lollo Nina eher als unnötig überbesorgte Glucke an, die sich schwerer damit tat, ihre Kinder ein bisschen mehr loszulassen, aber statt sich verstärkt um Smilla zu kümmern, die Jennifer als eine der letzten Personen gesehen haben muss, machte sich Nina eher Gedanken um Lollo – und allenfalls noch um Fredrik, den Jennifers Verschwinden offensichtlich direkt in eine depressive Episode stürzt?
Für mich blieb Smilla hier eindeutig die tragischste Figur, zumal sich für mich vor Allem in einer Szene mit zwei weiteren Jugendlichen aus Jennifers Freundeskreis später zeigte, wie sehr da Halt benötigt wurde.

Generell wartete für mich hier niemand der Erwachsenen mit einem höheren Sympathiefaktor auf: Fredrik deutet schnell eine geheime Verbindung zu Jennifer an, die ihn dem Lesepublikum nur noch verdächtiger macht, und ich habe auch Nina hier für sehr schwer von Begriff gehalten, dass sie eher an eine Ehekrise denkt als daran, dass ihr Mann womöglich etwas mit Jennifers Verschwinden zu tun haben könnte, nachdem es ihn direkt regelrecht zu Boden wirft, als bekannt wird, dass Jennifer noch immer nicht heimgekommen ist.
Lollo wurde von Anfang an als ziemliche Diva geschildert, deren Fassade zwar bald ziemliche Risse bekam, aber auch als verzweifelte Mutter einer verschwundenen Teenagerin wirkte sie noch sehr aufgesetzt, und die dritte Freundin Malena wird zwar im Klappentext erwähnt, spielt aber während der Geschichte kaum mehr eine Rolle als irgendwelche Nachbarn von Lollo und Max, die auch auf deren Silvesterparty zu Gast sind.
Dass hier früher mal innigere Freundschaften geherrscht haben sollten, war für mich kaum greifbar; generell blieben auch die Paarbeziehungen sehr blass. Auf diffuse Weise wirkten für mich hier alle Kontakte zueinander wie Zweckbeziehungen, die nur notdürftig für die Erzählung konstruiert worden waren.

Ich hatte eine hochexplosive Geschichte erwartet voller Reibungen, da diese Ausnahmesituation bestimmt alle zermürben und überfordern würde; stattdessen wurde aber komplett auf Abstand zueinander gegangen und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ich fand es seltsam, dass diese extreme Stresssituation da nicht eine der Figuren wirklich auf Konfrontationskurs gehen ließ.
Was ich allerdings sehr gelungen fand, war, dass sehr gut herüberkam, wie sich die Zeit hier ziehen konnte; denn eigentlich spielte sich alles innert recht kurzer Zeit ab, aber ich hatte schon am ersten Abend nach Jennifers Verschwinden das Gefühl, als wären alle bereits seit Wochen in dieser Ungewissheit gefangen.

Leider hat sich für mich auch die Lektüre gezogen: Ich habe insgesamt fünf Abende daran gelesen und zwischendrin sogar noch pausiert; dabei hatte ich diesen Roman, den ich eher als Psychodrama und weniger als Thriller ansehe, im Vorfeld als ein Buch eingestuft, das ich bestimmt an einem Abend komplett „fressen“ oder zumindest direkt am nächsten Abend zu Ende lesen würde. Abbrechen wollte ich in diesem Fall aber doch nicht, weil es mich schon interessiert hat, was genau mit Jennifer passiert war. Im Nachhinein hätte ich vor dem letzten Fünftel das Buch aber schließen sollen, und mir mein eigenes Ende ausdenken. Denn die Auflösung fand ich hier absolut schwach und während sich vorher Alles in Allem verlor, war hier plötzlich alles sonnenklar und offensichtlich. Der Schluss wirkte in meinen Augen ein wenig so als wäre die Autorin inzwischen von der ganzen Palaverigkeit ihrer eigenen Figuren gewesen, dass auch sie die Geschichte nur noch schnell zum Ende hatte bringen wollen.

Veröffentlicht am 28.11.2022

Kaum durchschnittliche Geschichte, aber: toll erzählt!

The Dark
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Tanja Geke ist als Synchron- sowie Hörbuchsprecherin derart umtriebig, dass kaum jemand an ihrer Stimme vorbeikommen dürfte, welche ich als sehr angenehm, weil eher belanglos und unauffällig empfinde. ...

Tanja Geke ist als Synchron- sowie Hörbuchsprecherin derart umtriebig, dass kaum jemand an ihrer Stimme vorbeikommen dürfte, welche ich als sehr angenehm, weil eher belanglos und unauffällig empfinde. Ich mag es, wenn Stimmen, die ich im Falle von Hörbüchern teils stundenlang am Stück höre, keine „besonderen Merkmale“ haben, und habe mich daher sehr darüber gefreut, dass Tanja Geke dieses Hörbuch, in dem die Protagonistin zugleich als Ich-Erzählerin auftritt, eingesprochen hat: Das passte für mich auch zur Figur.

Die Rahmenhandlung von „The Dark“ kam mir auf Anhieb sehr bekannt vor; ich mag Locked-In-Thriller sehr gerne und bin mir sehr sicher, dereinst schonmal eine Geschichte rund um Mord in einer abgelegenen Forschungsstation im Polargebiet gelesen, oder als Film gesehen, zu haben, doch nicht zuletzt Meg Goldins „Escape Room“ hat mir bewiesen, dass derartige Handlungen auch komplett neu und anders- sowie einzigartig erdacht werden können. Hauptsächlich war ich neugierig, wie eigen und neu eine Geschichte im ewigen Eis wirken könnte, wo sich schließlich niemand so einfach in einer Höhle einen Kilometer weiter verstecken kann oder Ähnliches.
„The Dark“ spielt sich nun komplett innerhalb der Forschungsstation ab, beginnend mit der Ankunft der Protagonistin Kate bis hin zu ihren letzten Minuten in dieser unwirtlichen Umgebung – und so sehr mir Epiloge häufig auf den Senkel gehen: in diesem Fall hätte ich mir gewünscht, dass es noch ein abschließendes Kapitel gegeben hätte, in dem erläutert worden wäre, wie es den anderen Mitarbeitenden der Forschungsstation weiterhin ergangen ist und wie sie all die Ereignisse so verarbeitet haben. Der Schluss hatte für mich leider so ein „jetzt schnell zurück zum Alltag“-Geschmäckle.

Ich habe das Hörbuch definitiv gerne angehört; ich habe mir die einzelnen Crewmitglieder gut vorstellen können, die ganze abgeschottete Atmosphäre kam gut herüber…; aber: ich fand die Handlung im Gesamten nicht überzeugend. Da schleppt Kate sehr viel seelisches Gepäck aus ihrer Vergangenheit mit sich herum, schnell wird eine Tablettenabhängigkeit ihrerseits offensichtlich, und immer wieder wird erwähnt, welch strenges Auswahlverfahren die Bewerbenden um jegliche Posten auf der Forschungsstation durchlaufen hatten müssen und wie eindringlich geprüft wurde, ob man mit dieser monatelangen Isolation umgehen würde können – sorry, aber Kate mit ihrem Trauma und ihren Tabletten; was sie schluckte, hätte während eines Bluttests auffallen müssen; wäre während des Bewerbungsprozess sofort aussortiert worden, wäre der tatsächlich so krass gewesen. Dass sie von allen Bewerber*innen um die Anstellung als Arzt am Stabilsten gewesen soll, spricht ansonsten definitiv sehr viel mehr gegen ihre Konkurrenz als dass es für Kate spricht.

Nun gibt es bald noch einen weiteren Toten in der Station, deren Technik zudem extrem manipuliert wird, so dass es bald für alle ums Überleben geht, und ich habe zwar relativ begeistert mitgerätselt, wer für das alles verantwortlich wäre, war aber auch sehr fassungslos, weil das alles immer mehr einem Selbstmordkommando glich: Offensichtlich gehörte die Täterperson ja zur Crew und war demzufolge ohne Strom, Wärme, Wasser etc. auch nicht sehr viel sicherer als alle Anderen dort. Da habe ich es übrigens sehr bedauert, dass in dieser Situation häufig auf Expeditionen anno dazumal verwiesen wurde, die komplett ohne die heute verfügbare Technik ins Eis gingen, und überlebten, aber offensichtlich niemand wusste, wie diese Menschen das zu überleben vermocht hatten. Da hätte ich doch etwas mehr „ganz früher haben die Leute das so machen müssen“ als „das geht alles gar nicht“ erwartet und ich fand es auch ein bisschen erschreckend, wie vollkommen abhängig man sich selbst dort von der modernen Technik gemacht hatte und die einzige Notfallvorsorge prinzipiell bloß in „wir haben Generatoren“ bestand. Da führte die Darstellung bei mir eher dazu, dass ich wissen wollte, wie Expeditionen vor 70 Jahren abliefen als dass mich die Täterschaft noch sonderlich brennend interessierte.
Was für mich letztlich übrigens aber vollkommen unerklärlich war: die Motivation der schuldigen Person. Die Auflösung klang für mich nach „strategisch geplantem Durchdrehen“ und ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Krimi/Thriller mit einem derart im Unklaren verbleibenden Motiv konsumiert zu haben; „The Dark“ blieb für mich da eine Art Schachtelpuppe, die vollständig aus sinnfreien Verbrechen bestand. Schräg, dass schließlich auch entsetzt beteuert wurde, man würde dieser einen ganz bestimmten Person doch nichts antun wollen – nachdem man längst dafür gesorgt hatte, dass ALLE zu erfrieren drohten.
Da fand ich den Roman doch eher schwach und kaum den durchschnittlichen Locked-In-Thriller rund um „eingeschneit mit einem Killer in einer Berghütte festsitzend“ erreichend, was schade war, denn das Antarktis-Setting, bei dem niemand „so einfach“ den Berg hinabklettern kann, um Hilfe zu holen, hätte hier für so viel mehr Spannung(en) sorgen können.

Ich tue mich ein wenig schwer mit der Einstufung dieses Romans: Den Plot an sich fand ich vielversprechend, die Geschichte ist wirklich gut erzählt; ich habe mich an keiner Stelle gelangweilt; aaaaaber: ich fand die Handlung an sich halt eher fehlkonstruiert. Bedauerlich.

Veröffentlicht am 19.11.2022

Spannung in und aus Schweden

Kalt und still
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Der „erste Fall“ für Hanna Ahlander ist natürlich nicht ihr erster Fall, sondern lediglich ihr erster Fall in einem neuen Umfeld: Infolge einer gegen ihr Dafürhalten eingestellten Ermittlung gegen einen ...

Der „erste Fall“ für Hanna Ahlander ist natürlich nicht ihr erster Fall, sondern lediglich ihr erster Fall in einem neuen Umfeld: Infolge einer gegen ihr Dafürhalten eingestellten Ermittlung gegen einen Kollegen, der verdächtigt wird, Gewalt gegenüber seiner Frau ausgeübt zu haben, wird sie auf ihrer bisherigen Dienststelle bei der Stockholmer Citypolizei, wo sie auf häusliche Gewalt spezialisiert ist, geschasst und vorerst beurlaubt, mit der dringenden Empfehlung, sich einen neuen Job zu suchen. Als ihr Lebensgefährte sich zeitgleich von ihr trennt und sie auffordert, in Bälde aus seiner, bislang von beiden bewohnten Wohnung auszuziehen, flüchtet sie sich auf Geheiß ihrer Schwester in das abgelegene Åre, wo eine 18jährige Schülerin nach einer Luciafeier spurlos verschwunden ist – und wo Hanna bald in Kontakt mit der dortigen, personell unterbesetzten Polizeidienststelle kommt… Tatsächlich beginnt die Hanna-Ahlander-Reihe somit reichlich typisch für eine Reihe Regionalkrimis: Man wird mit einer Gegend vertraut gemacht, in der sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, und in der die Polizei kaum mal etwas zu tun hat; dennoch wird deren Unterbesetzung ausschweifend beklagt und als total überraschend ein Kapitalverbrechen geschieht, taucht ebenso überraschend eine spezialisierte Person von sonstwo auf, die sich gleich in Pussemuckel anwerben lässt, wo ab da Roman um Roman ständig Schwerverbrechen passieren werden.
Was mir allerdings gefallen hat, war, dass der Fokus hier nicht ausschließlich auf Hanna lag, sondern die Perspektive immer wieder zwischen wesentlichen Figuren geswitcht ist; so wurden neben Hanna auch noch der örtliche Polizist und Ermittlungsleiter Daniel, der erst vor drei Monaten Vater geworden ist und sich nun schwertut, seiner Familie gerecht zu werden, sowie die Familie der verschwundenen Amanda, insbesondere ihre Eltern, näher beleuchtet. Häufig nervt es mich in Krimis, wenn neben dem Fall noch sehr viel Privatleben geschildert wird, aber hier empfand ich das als sehr angemessen und ausgewogen, da eben alles auch einen Bezug zur Polizeiarbeit hatte (wie ergeht es Opferfamilien; wie sehr belastet die Arbeit am Fall, grad wenn es noch dazu privat zuletzt große Veränderungen gegeben hat…?).
Das Einzige, was mich hier nun genervt hat, war, dass Hanna Blessuren an der verschreckten Reinigungskraft, die das Haus ihrer Schwester putzte, entdeckte und sofort stur deren Hintergründe klären wollte; das passte zwar einerseits zu ihrem Engagement und ihrer Profession in Sachen häuslicher Gewalt, aber andererseits unternahm sie hier sofort einen absoluten Alleingang, noch ehe sie überhaupt von der lokalen Polizei als Unterstützung angefragt worden war, und schreckte da auch nicht vor Einbruch zurück. Auch wenn sie dabei letztlich Relevantes entdeckte: Das hätte man auch deutlich „offizieller“ in die Handlung einbauen können; mir ist es da echt ein wenig aufgestoßen, dass Hanna, die sich dem Schutz vor körperlichen Übergriffen verschrieben hatte, da dann doch selbst in gewisser Weise ebenfalls übergriffig wurde und der Reinigungskraft, von der sie sicher war, dass sie ein Gewaltopfer war, und von der sie ganz genau wusste, wie sehr es sie zuvor erschreckt hatte, im vermeintlich leeren Haus von deren Schwester plötzlich Hanna gegenüberzustehen, letztlich in ein weiteres, fremdes Haus nachstellte und da wiederum plötzlich neben ihr auftauchte.

Generell bin ich aber an weiteren Hanna-Ahlander-Bänden interessiert; die Auflösung, nachdem bereits mehrere Verdächtige präsentiert worden waren, war hier zwar nicht völlig unerwartet, aber eben doch auch keine „Klischee-Lösung“, die man gleich zu Anfang schon hätte vorhersehen können; ich mochte es eben, wie auch die Auswirkungen der psychischen Belastung auf diverse Figuren beschrieben wurden und auch der Lokalkolorit der einsamen, in Schnee versinkenden Gegend und die Gefährdung durch die unwirtliche, eisige Wetterlage wurden sehr gut und quasi fühlbar (ich habe mich tatsächlich beim Lesen zum Schluss hin mit einer Wärmflasche eingemummelt) herübergebracht. Durchaus ein gelungener Reihenauftakt!