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Veröffentlicht am 01.09.2023

Ein Kind, das ebenfalls gerne noch Kind sein möchte

Sieben Tage Mo
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Mental Load. Ein Ausdruck reicht aus, um zu beschreiben, was dieses Buch widerspiegelt.

Überrascht war ich, dass es sich bei Karl und Mo tatsächlich um Zwillinge handelt. Nicht, weil einer von ihnen ...

Mental Load. Ein Ausdruck reicht aus, um zu beschreiben, was dieses Buch widerspiegelt.

Überrascht war ich, dass es sich bei Karl und Mo tatsächlich um Zwillinge handelt. Nicht, weil einer von ihnen behindert und einer eben nicht ist, sondern weil ich damit gerechnet hatte, dass Mo der jüngere Bruder wäre, mit dessen "Babysitting" Karl ab und an beauftragt ist - ich hätte nie erwartet, dass man einzig und alleine einem 12Jährigen nach Schulschluss die Betreuung eines geistig behinderten Gleichaltrigen überlässt, der noch dazu sehr fordernd ist.
"Sieben Tage Mo", aus der Perspektive Karls erzählt, zeugt auch genau von der Überforderung, die sich daraus ergibt, und den für ihn schwierigen Spagat zwischen den Bedürfnissen seines Bruders, den er zweifelsohne liebt, und seinen eigenen Bedürfnissen. Die Mutter ist zwar vor Ort, aber berufstätig, während der Vater jobbedingt ständig auf Reisen ist, woraus folgt, dass sich beide Söhne von ihrem Vater vernachlässigt fühlen, dessen Vorname von Mo inzwischen als Schimpfwort genutzt wird, um damit alles zu belegen, was ihm missfällt. Für mich einer der bedrückendsten Fakten in diesem Buch, da dieses "Synonym" offenbar längst alltäglich geworden ist.
Aber Karl, von seiner Mutter in die Rolle des "häuslichen Pflegers" gepresst, fühlt sich ferner als Kind weithin von der Mutter ignoriert und hat nun ein schlechtes Gewissen, dass er ebenfalls das Bedürfnis nach elterlicher Fürsorge hat, obschon sein Bruder doch eindeutig hilfsbedürftiger ist - und er zudem klar erkennt, dass seine Mutter auch ständig unter Strom steht und ihre Zeit abseits der Arbeit in der Pflege weiterhin davon geprägt ist, ferner die medizinische und therapeutische Betreuung des behinderten Sohnes sicherzustellen, so dass ihr Job eigentlich nie endet.

"Sieben Tage Mo" erzählt nun von einem kurzen Zeitraum im Leben Karls, der von eben diesem Frust geprägt ist, der sich allmählich Bahn bricht; es ist ein bedrückendes Zeugnis eines sehr reflektierten Jungen, der auch als eigenständige Person wahrgenommen werden will und der sich nicht nur mehr als einen freien Nachmittag in der Woche wünscht, sondern generell etwas mehr Beistand und Entlastung. Was mir zudem sehr gut gefallen hat, war die Darstellung der "Außenwelt", die dem behinderten Mo, vor Allem in der Gruppe, völlig anders begegnet als Karl, was diesem zusätzlichen Frust bereitet. Generell ist "Sieben Tage Mo" ein Buch, das ich definitiv in der sechsten oder siebten Klasse auch gerne in der Schule gelesen (die kürzere Länge ist da optimal auch für Nicht-Leseratten) und besprochen hätte; ich halte den Inhalt aber ebenso für ein älteres Publikum noch für mehr als lesenswert, da es, wie eingangs erwähnt, ganz besonders deutlich zeigt, was ein, noch dazu überbordender, Mental Load bedeutet und meines Erachtens weiterhin dazu animieren kann, zu überlegen, wem in seinem Umfeld man ggf. bestimmte Aufgaben einfach mal abnehmen oder leichter machen kann. Oder wem man einfach mal sagen sollte, dass er etwas echt gut macht. Ein eindrückliches Plädoyer für mehr Unterstützung sowie Anerkennung untereinander!

Veröffentlicht am 01.09.2023

Was ihre Mutter ihr mitgegeben hat...

Paradise Garden
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Die in diesem Roman erzählte Geschichte mündet in den nachdenklichsten Roadtrip, von dem ich je gelesen habe: Als Roadnovel würde ich „Paradise Garden“ nicht bezeichnen, da er sich über weite Strecken ...

Die in diesem Roman erzählte Geschichte mündet in den nachdenklichsten Roadtrip, von dem ich je gelesen habe: Als Roadnovel würde ich „Paradise Garden“ nicht bezeichnen, da er sich über weite Strecken im Wohnblock abspielt, in dem die Jugendliche Billie den Großteil ihres Lebens; jenen, an den sie sich klar erinnern kann; gemeinsam mit ihrer alleinerziehenden Mutter verbracht hat, wobei sie dieses diffuse Gefühl hat, als Kleinkind zunächst mit ihrer Mutter am Meer gelebt zu haben, was von ihrer Mutter ebenso abgetan wird wie genauere Nachfragen bzgl. ihres Vaters.
Trotz ihrer Armut haben ihre Mutter und Billie es gemeistert, mit dem wenigen Geld auszukommen, und ihren Alltag nicht von den Geldsorgen beherrschen zu lassen, doch ihr Leben wird auf die Probe gestellt, als ihre Billie fremde Großmutter aus Ungarn anreist und erschüttert auf die Verhältnisse, in der Tochter und Enkelin leben, reagiert. Hier zeigen sich zudem deutliche Unterschiede zwischen den beiden Mutter-Tochter-Beziehungen, denn während Billie und ihre Mutter sehr innig miteinander sind, ist der Umgang zwischen ihrer Mutter und ihrer Oma eher befremdlich.
Kurz nachdem ihre Mutter plötzlich verstirbt (kein Spoiler; deren Tod ist nicht nur aus der Buchbeschreibung zu erahnen, sondern wird bereits während der ersten Seiten angesprochen), weiß Billie in ihrer Überforderung nicht wohin und kurzerhand haut sie mit dem klapprigen Auto ihrer Mutter und einer kleinen Kiste voller deren Erinnerungsstücke, ab, um nicht nur die Geschichte ihrer Eltern, sondern auch sich, zu finden.

„Paradise Garden“, aus der Sicht Billies erzählt, ist ein sehr berührender Roman, dem man Billies Hilflosigkeit und Verzweiflung nach dem Tod der Mutter regelrecht anmerkt (ich habe während des Lesens auch mehrfach in Betracht gezogen, dass es schließlich einen krassen Mindf***-Plottwist geben könnte, bei dem sich herausstellen würde, dass Billie selbst bereits tot wäre und aus einer Zwischenwelt heraus berichtete); da fand ich es ferner erschreckend, dass ein 14jähriges Mädchen derart wenig Unterstützung erfuhr, nachdem ihre Mutter starb. Die Betreuung, die man ihr zuteilwerden ließ, war da eher rein logistisch; aber auch unterwegs reagierten die Leute, die Billie später mitunter doch ansprachen, da sie als offensichtlich Minderjährige alleine unterwegs war, eher nachlässig und gaben sich bereits mit halbgaren Erklärungen zufrieden – das ließ mich doch überlegen, ob sich das Gros unserer älteren Gesellschaft wirklich dermaßen wenig um die jüngeren Generationen schert. Würde ich noch so gerne glauben, dass Billies Ausreißertum hier zu unrealistisch dargestellt ist: jugendliche Obdachlose in den Städten sprechen doch dafür, dass tatsächlich eventuelle Suchaktionen häufig versanden oder diese Menschen allzu leicht aufgegeben werden.
Da bleibt als Trost nur, dass Billie letztlich doch ein wenig mehr ihrer Familiengeschichte aufzudecken vermag; dennoch bildet „Paradise Garden“ eher eine zeitweilige Aufnahme ab, an dessen Ende unter Anderem einfach nur wieder die Hoffnung (auf ein, in diverser Hinsicht, reicheres Leben) steht, die Billie und ihre Mutter immer verbunden hatte. Aber die Melancholie blieb immer und in diesem Fall habe ich es ferner von Anfang an vorgezogen, den Roman nicht am Stück, sondern Stück für Stück, zu lesen und die Geschichte immer etwas mehr sacken zu lassen.

Veröffentlicht am 29.08.2023

Überraschungsfortsetzung, aber nu reicht's dann wohl auch - oder nicht?

Kalmann und der schlafende Berg
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Wenn ich mit einem nach "Kalmann" nicht gerechnet hatte, dann damit, dass es je eine Fortsetzung geben würde; von daher war ich doch sehr positiv überrascht, als ich die Ankündigung des Titels "Kalmann ...

Wenn ich mit einem nach "Kalmann" nicht gerechnet hatte, dann damit, dass es je eine Fortsetzung geben würde; von daher war ich doch sehr positiv überrascht, als ich die Ankündigung des Titels "Kalmann und der schlafende Berg" gesehen habe, denn auch wenn der erste Band 2020, als ich ihn gelesen habe, nicht zu meinen Top-Titeln gehörte: Kalmann, der Protagonist, hatte durchaus Eindruck hinterlassen und um es vorwegzunehmen, wird "Kalmann und der schlafende Berg" in diesem Jahr eher auch nicht zu meinen absoluten Top-Titeln gehören, aber so schnell ebenfalls nicht vergessen werden, obschon mir dieser knackige Roman nu wiederum nicht mehr als einen entspannten Nachmittag auf dem Balkon beschert hat.
Wie auch der nur nach der Hauptfigur benannte erste Band war "... und der schlafende Berg" zwar kurz, aber auch kurzweilig, wobei ich im Übrigen davon abrate, diesen zweiten Band, auch wenn er prinzipiell eine eigenständige Geschichte erzählt, ohne Kenntnis des Vorgängers zu lesen. Es wird doch relativ oft das Geschehen aus "Kalmann" erwähnt und mit der Figur des Kalmann wird man in Band 1 auch eher langsam vertraut gemacht, während man sich im zweiten Band nun schon fast wie zu den Einwohner*innen von Raufarhöfn zählend fühlen kann, die von Kalmann kaum noch überrascht werden können und für die all seine „Eigentümlichkeiten“ längst zum Alltagsbild gehören. Das war selbst mir hier in "Kalmann und der schlafende Berg" dabei nun schon fast ein wenig zu viel bzw. stellenweise zu wenig "Außenwelt".
Kalmann tritt hier als Erzähler auf und entsprechend seiner Art wertet er kaum, er ordnet nicht wirklich ein: er schildert hauptsächlich einfach einen Ist-Zustand – und seine Erlebnisse rund um den 6. Januar, während seiner Zeit in den USA, wirken da eher lückenhaft und stockend. Zum Einen begreift er das ganze Geschehen in Washington, D.C. gar nicht und zum Anderen merkt man, dass ihm generell alles fremd ist und er sich auch in seiner Familie väterlicherseits da nicht als Mitglied, sondern als Besucher, sieht. Das passt zwar zum generell sehr heimatverbundenen Kalmann und seiner ohnehin eher einzelgängerischen Art; ich kann also nicht sagen, dass ich Kalmann da nicht als authentisch empfunden hätte, aber da fehlte für mich einfach die Dynamik, die in Kalmanns isländischem, bewährten Umfeld herrschte. Da war ich wirklich froh, als Kalmanns Erzählung hier bei seinem Rückflug aus den Staaten angelangt war und dass sich die restliche Geschichte auf isländischem Boden ausbreitete.

Vor dem Lesen hatte ich wegen der in der Buchbeschreibung angesprochenen Verstrickung von USA, Island und Kaltem Krieg ein wenig Sorge, dass es hier ein wenig sehr politisch und verschworen wird; ich bin Politthrillern generell nicht sehr zugetan, aber das war hier dann doch noch recht gemäßigt und blieb gut nachvollziehbar.
Ein bisschen schade fand ich den spektakulären Showdown am Schluss, der für mich einem dritten Band definitiv widerspricht, denn auch Band 1 mündete zwar letztlich in großer Aufregung, dort war das Ende aber nicht derart über alle Maßen aufsehenerregend wie nun im Nachfolger und insgesamt ergibt sich für mich da eine derartige Menge an Action, dass es für das gesamte Lebtag eines ferner eher leisen Charakters wie Kalmann, noch dazu in einer so, auch was die Population angeht, eher abgelegenen Einöde ausreicht und zu sehr Gefahr laufen würde, ihn ins Klamaukige abdriften zu lassen, sollte man ihm noch mehr Abenteuer andichten. (Allerdings hatte Band 1 für mich ja auch schon einer Fortsetzung widersprochen. Nun denn.)

Veröffentlicht am 28.08.2023

Überzeugend

Heartbreak
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In diesem Roman laufen die Geschichten der unter Angstzuständen leidenden Marie, die nach einem Jahr urplötzlich von ihrem Freund geghostet worden ist, und des als Schauspieler durchstartenden Newcomer ...

In diesem Roman laufen die Geschichten der unter Angstzuständen leidenden Marie, die nach einem Jahr urplötzlich von ihrem Freund geghostet worden ist, und des als Schauspieler durchstartenden Newcomer Tom, der sich aber vielmehr als Sänger sieht und zunächst damit hadert, dass er jetzt doch eher als Mime wahrgenommen wird, spitz aufeinander zu, ehe sie quasi zu einer gemeinsamen Geschichte werden, nachdem Tom als Sündenbock in eine Ecke gedrängt worden war, in der er mit dem Hass einer ganzen Nation überschüttet wird: Ein wenig ist die Begegnung der beiden Hauptfiguren hier also ein Treffen der Alleingelassenen, die gestern noch geliebt wurden und denen heute ganz andere Gefühle entgegengebracht werden. (Okay, Marie wird eher gar nix mehr entgegengebracht.)

Mich hat „Heartbreak“ zu Beginn direkt eingesogen, da sowohl Marie als auch Tom recht deutlich gezeichnet wurden und ich den Eindruck erhielt, dass der Inhalt stark aufs Psychologische bezogen sein würde; tatsächlich wurden grade eingangs Verhaltensweisen und Empfindungen auch sehr stark reflektiert; Maries Ratlosigkeit angesichts des Sitzengelassenwordenseins sowie Toms Zerrissenheit und seine Schwierigkeiten bzgl. des Umgangs mit seinem Ruhm kamen da sehr deutlich rüber. Ab dem ersten Aufeinandertreffen der Beiden verlief sich dies aber leider doch und zwar nicht (nur) insofern als dass sich beide gegenseitig herausgefordert oder auch unterstützt hätten, sondern die Geschichte wurde ab da einfach oberflächlicher, so dass ich letztlich zwischen den Stühlen sitze, denn insgesamt hat mir „Heartbreak“ sehr gut gefallen, aber als 5-Sterne-Lektüre würde ich den Roman rein dieses Abflachens wegen nicht bezeichnen, wohingegen er mir für eine 4-Sterne-Wertung eigentlich zu viel bietet.

Den Erzählstil fand ich toll, die tiefgründigeren oder einfach nur ernsteren Szenen waren nie zu lässig dargestellt, ohne dass sich der Roman insgesamt nicht doch leichtfüßig gelesen haben ließ. Bislang für mich doch eines der diesjährigen Highlights und müsste ich den Roman als Reise beschreiben, dann wie folgt: Ein wenig wie ein Roadtrip einer zufälligen Fahrgemeinschaft, die Gemeinsamkeiten untereinander aufdeckt und zu einem Team wird.

Veröffentlicht am 19.08.2023

Irgendwo teilt jemand deine Sorgen. Vielleicht schon direkt neben dir.

Irgendwo wartet das Leben
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Am Ende der 10. Klasse wurde den daran Interessierten unserer Stufe eine Art dreitägiges Selbstfindungsseminar angeboten, zu dem sich kaum 15 Leute anmeldeten, worunter sich zu meiner anfänglichen Überraschung ...

Am Ende der 10. Klasse wurde den daran Interessierten unserer Stufe eine Art dreitägiges Selbstfindungsseminar angeboten, zu dem sich kaum 15 Leute anmeldeten, worunter sich zu meiner anfänglichen Überraschung aber auch (generell war es eine sehr unerwartete, und erstaunlicherweise absolut cliquenfreie, Mischung an Teilnehmenden) gar die zwei "obercoolsten" Jungs unserer Stufe befanden, die, denen nichts etwas anhaben konnte, die, denen alles zuflog bzw. zugeflogen wurde, die, für die es immer perfekt lief... die, die doch bestimmt nur mitfuhren, um sich darüber (und wahrscheinlich über uns anderen Teilnehmenden) lustigmachen zu können. Pustekuchen: Beide waren von Anfang an, wie alle Anderen, absolut begeistert und sehr ernst mit von der Partie, waren ferner allen (und zugegeben teils wirklich albern anmutenden) Übungen gegenüber sehr aufgeschlossen und bemühten sich sogar, diverse Entspannungsübungen noch zu modifizieren und ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich, als wir Vertrauensübungen durchführten, verwundert war, dass generell die Lässigsten unter uns, die sonst doch keine Gefahr scheuten, dort die meisten Probleme damit zu haben schienen, sich auf die Anderen zu verlassen: die Dynamik während dieser drei Tage war da sehr wechselhaft und während einer Gesprächsrunde, in der es um Träume und vor Allem auch Ängste ging, brach es aus unserem absolut coolsten Obercoolen als Erstes heraus und plötzlich war da alles anders, nachdem jeder von uns offenbarte, womit er am Meisten haderte: Das war definitiv der Moment, in dem uns ALLEN klar wurde, dass wir zwar alle unterschiedlich, aber doch ziemlich gleich waren, dass wir uns vielfach mit denselben Sorgen rumschlugen, die aber häufig für uns behielten, um nicht zu riskieren, dass die Anderen schlecht von uns denken könnten, weil sich zum Beispiel längst erfolgreich eingeredet wurde, dass man den prügelnden Vater, den saufenden Vater, die tote Mutter, das Mobbing durch diese eine Clique in der Nachbarschaft etc. eben einfach ganz bestimmt verdient habe oder dass man im Gegenteil keine Selbstzweifel haben und keinen Druck verspüren dürfte, weil man immerhin aus dieser hochangesehenen, schwerreichen Familie stammte und als Millionärssohn könne es einem ja nur gut gehen - und dass es uns allen die Pubertät derbe erleichtert haben würde, hätten wir uns schon zu Beginn der Mittelstufe, oder wenigstens währenddessen, zusammengesetzt und diese Unterhaltungen geführt.

"Irgendwo wartet das Leben" hat mich sehr an diese drei Tage erinnert, nicht nur, weil die darin beschriebene Schulklasse ähnlich "groß" wie unsere damalige Gruppierung ist, sondern weil dort abwechselnd einige der Schüler
innen fokussiert werden und diese dort jeweils ihre eigenen Gedanken und Empfindungen beschreiben und dort ebenso klar wird, dass sie alle doch auch ihre Probleme haben, selbst wenn niemand sonst diese (dort) sieht, wie z.B. der Schüler, dessen Vorname zu einem eher abschätzigen Spitznamen verballhornt wird und der es gemäß der Anderen "doch gewöhnt ist, dass er so genannt wird; dem macht das nichts aus" und der sich dadurch aber eben doch getroffen fühlt und lieber beim echten Vornamen genannt werden möchte.
Orchid Mason ist als Neue in diesem Fall diejenige, die, die Dynamiken herausfordert und die Schüler*innen animiert, zu sich zu stehen anstatt sich unbedingt einfügen zu wollen und auch anzusprechen, was einen bewegt und was einem womöglich eben auch wehtut und sie zudem dazu bringt, sich gegenseitig Komplimente zu machen und zu äußern, was man (ggf. auch völlig Unerwartetes) an den Anderen schätzt - auch da erkannten Einige, dass sie eine ganz andere Außenwirkung haben als sie glaubten.
Es ist ein sehr psychologisches Buch: viel echtes Geschehen im Sinne von Abenteuer und Spannung gibt es da nicht und auch wenn die Kurzbeschreibung recht "magisch" angehaucht ist, so hat der Inhalt rein absolut gar nichts mit Fantasy zu tun. Dies ist ein ganz simpler zeitgenössischer Roman, der mir als Erwachsene sehr gut gefallen hat und der mir als 12Jährige Mut gemacht hätte, meine Perspektiven Anderer zu hinterfragen und daran zu glauben, dass niemand von uns frei von Sorgen, geschweige denn Macken und Eigenarten, war.
Das ist einer der Jugendromane, die zum Reflektieren einladen und angesichts seiner nachdenklichen Art sehe ich die Altersempfehlung "ab 11" auch als ganz gut getroffen an. Ich hatte zunächst überlegt, dass dies ein Buch für meine 9jährige Nichte sein könnte, die eine echte Leseratte ist und sich auch schon Bücher aus dem Regal genommen hat, die bei uns zur Schullektüre der 7. Klasse gehörten, und prompt in deren Inhalt versank, aber jene erzählten alle "wildere" Geschichten und an sich denke ich weiterhin, dass "Irgendwo wartet das Leben" sie durchaus ansprechen könnte; der Schreibstil ist toll und die jeweiligen Kapitel übrigens megakurz (also ideal, um Kinder, die noch lesen üben sollen, dazu zu bringen, "nur ein Kapitel zu lesen" ohne dass die Kinder an ihre Frustrationsgrenzen geraten); aber noch nicht jetzt. Dafür halte ich sie dann doch noch zu unstet, wobei ich einer introvertierteren, absolut schüchternen und vor Allem gedankenversunkeneren Version von ihr dieses Buch ohne zu zögern sofort in die Hand drücken würde. So werde ich es aber erst noch 1-3 Jahre beiseitelegen.