Ein smarter und komplexer Roman
Seltene ErdeIch habe so eine Ahnung, dass dieses Buch dereinst in den literarischen Kanon aufgenommen wird: Ich habe lange kein so schlau konstruiertes und sprachlich so feines Buch mehr gelesen. Die Motive der verschiedenen ...
Ich habe so eine Ahnung, dass dieses Buch dereinst in den literarischen Kanon aufgenommen wird: Ich habe lange kein so schlau konstruiertes und sprachlich so feines Buch mehr gelesen. Die Motive der verschiedenen Erzählebenen greifen so kunstvoll ineinander, die Sprache ist so reich und ausgewählt und die Beobachtungen der Autorin sind so akkurat in Worte gefasst. Und zum Grübeln bringt es einen auch. Wirklich, es hat mich richtig umgehauen!
Worum geht es? Es ist ein Roman, der auf drei Erzählebenen, das Thema Geschichtenerzählen verhandelt. Es geht im weitesten Sinne ums Erinnern, um die Deutungshoheit von Geschichten... darum, wer was weglässt, wenn eine Geschichte erzählt wird und warum. Konkret geht es auf der Hauptebene um zwei Frauen, die eine Beziehung miteinander eingehen: Therese und Lenka. Therese ist vom Leben überfordert und weiß nicht, wohin mit sich. Als sie die 20 Jahre ältere Astrophysikerin Lenka kennenlernt, die, enttäuscht vom Leben auf der Erde, auf außerirdisches Leben hofft, schließt sie sich ihr an (endlich ein Lebensziel! Endlich etwas zu tun!) und folgt ihr nach Südamerika. Ziel ist ein Dorf, in dem es immer wieder Ufo-Sichtungen gegeben haben soll. In verschiedenen Rückblenden wird erzählt, was die Frauen im Leben bisher geprägt hat. Interessante familiäre Verwicklungen kommen hier zum Tragen – insbesondere was die Beziehung zwischen Therese und ihrer Familie, allen voran ihrer Großmutter angeht. Auf einer weiteren Ebene erfahren wir mehr von Lenchen, der Schwester von ebendieser Großmutter. Hier bringt uns die Erzählerin in den Hungerwinter 1946/47, und damit in eine Zeit, in der die sogenannte Wahrheit immer auch politisch war und man sich so manche Geschichte zur Ehrenrettung bzw zur Gesichtswahrung erzählt hat. Lenchen arbeitet hier in einem Säuglingsheim und pflegt den kriegsversehrten Vater. In einer dritten Ebene wird es noch einmal spannend. Hier fliegen wir nämlich mit der Voyager 1 durchs All, also mit der Raumsonde, die man in den siebziger Jahren mit einem Abbild der Menschheit in Form von Grußworten, Bildern und Musik ins All entsandt hat, um Kontakt zu anderen Kulturen aufzunehmen. Auch hier begleitet uns wieder die Frage: Welche Geschichte erzählen wir von uns? Und welche Sachen verschweigen wir lieber? Und wie lässt sich überhaupt ein wahrhaftiges Bild der Menschheit zeichnen, wenn wir es nicht einmal schaffen, dies von der Großmutter- zur Enkelgeneration zu erreichen.
Also, wie gesagt... es ist ein wunderbar komplexes und smartes Buch, das mir noch lange nachhängen wird. Ich kann es nur empfehlen und hoffe, es finden sich viele weitere begeisterte Leser und Leserinnen!