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Veröffentlicht am 13.04.2023

Wunderschöne Hommage!

Der heutige Tag
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DER HEUTIGE TAG
Helga Schubert

Unsere Ich-Erzählerin betreut ihren 94-jährigen, an Demenz erkrankten Ehemann Derden, liebevoll zu Hause. Zum ersten Mal trafen sie sich vor 66 Jahren, doch sie beide waren ...

DER HEUTIGE TAG
Helga Schubert

Unsere Ich-Erzählerin betreut ihren 94-jährigen, an Demenz erkrankten Ehemann Derden, liebevoll zu Hause. Zum ersten Mal trafen sie sich vor 66 Jahren, doch sie beide waren damals bereits mit anderen Partnern verheiratet und hatten Kinder. Es brauchte ein wenig Zeit, bis sie sich das Jawort gaben, aber ab dem Zeitpunkt waren sie unzertrennlich.
Jetzt, nach 47 Ehejahren, schreiben sie gemeinsam das letztes Kapitel ihrer Ehe.

„Ich gab ihm unter der Decke die Hand und drückte sie. Und er drückte meine Hand. Wie ein Versprechen. In guten und in schlechten Zeiten. Aber es sind gar keine schlechten Zeiten.
Ich bin immer bei dir, auch wenn ich tot bin. Ich werde dich immer beschützen. Und so lange wird es nicht dauern, bis du nachkommst, sagte er.
In der Ewigkeit gibt es keine Zeit mehr, oder? Dann saßen wir noch eine Weile so. Und nichts fehlte. Und zu allem Überfluss sah ich auch noch einen hellen Stern über unserem Glasdach und zeigte auf ihn. Und wollte nicht woanders sein. Ich war glücklich in diesem Moment mit ihm, und die Zeit dehnte sich, und ich hatte keine Angst vor dem Morgen.“ (S. 96)

Zärtlich, geduldig und liebevoll erzählt Schubert Rückblicke aus ihrer Ehe, von seinem Malen, ihrem Schreiben, seiner Krankheit und Geschichten von Freunden und Bekannten, kommt zwischendurch immer wieder ins Hier und Jetzt und lässt uns teilhaben - an ihrem Leben, das sich überwiegend in ihrem Landhaus in Ostdeutschland abspielte. Ihre Beschreibungen sind dabei so lebendig und bildlich, dass wir förmlich den Duft der Rosen in ihrem Garten riechen können. Zwischendurch werden wir dann wieder in die DDR geschickt, nur um dem Eheleben der Protagonisten im Plattenbau beizuwohnen. Nicht immer waren ihre politischen Ansichten die selben, aber ihrer Liebe konnte dem nichts anhaben.

Helga Schubert hat hier eine wunderbare Hommage auf ihren Mann geschrieben.
Ich bin nur so durch dieses kleine Buch, mit seinem schönen Cover geflogen. Dieses Buch, was zärtlicher nicht sein könnte, hat mich an einigen Stellen wirklich tief berührt.
Leseempfehlung für alle, die ruhige und schöne Geschichten lieben und keine Ängste vor dem Älterwerden haben.
4½ / 5

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.04.2023

Sehr beeindruckend!

Macht
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Eines vorab: Dieses wunderschöne Cover, dieser Handschmeichler, der auf einen geschmeidigen und sanften Inhalt schließen könnte, wird dich mit aller Macht in die Tiefe reißen.

TW: Vergewaltigung, Depression

MACHT
Heidi ...

Eines vorab: Dieses wunderschöne Cover, dieser Handschmeichler, der auf einen geschmeidigen und sanften Inhalt schließen könnte, wird dich mit aller Macht in die Tiefe reißen.

TW: Vergewaltigung, Depression

MACHT
Heidi Furre

„Ich versuchte mir einzureden, dass es nicht so schlimm war. Vergewaltigt zu werden ist wie eine Reise an einen Ort, den man schon einmal in einem Film gesehen hat. So war das. Wie wenn einem die Weisheitszähne gezogen werden. Wenn man zum ersten Mal betrunken ist. Ja, so ist es. Jetzt bin ich dran. Ich hatte so viele Porträts von Frauen gesehen, die getötet oder verschwunden waren. Nun war ich auch so ein Gesicht.“ (S.63)

Die 30-jährige Liv wurde vor 15 Jahren vergewaltigt. Sie versuchte es zu verdrängen und das gelang ihr auch, zumindest so lange bis vor 5 Jahren ihr kleiner Sohn Johannes geboren wurde, ab da stürzte alles in sich zusammen - aber nur innerlich. Äusserlich versucht sie sich nichts anmerken zu lassen.
Sie arbeitet in Schichten als Pflegerin, beschmiert die Schulbrote ihre Kinder und geht ins Fitnesscenter. Aber wenn sie ehrlich wäre, und sich jemanden anvertrauen würde, müsste sie zugeben, dass sie in keinem geschlossenen Raum sein kann, keine Straße in einem Wald begehen könnte, dass sie hinter jeder Hecke einen Vergewaltiger erwartet und heimlich Tabletten schluckt - nämlich genau dann, wenn sie weiss, dass der berühmte Schauspieler, der damals eine Frau vergewaltigt haben soll, aber freigesprochen wurde, morgen im Pflegeheim wieder seine Schwester besuchen wird - außerdem müsste sie endlich alles ihrem Ehemann erzählen.

„Manchmal ist es schlimmer zu sagen, ich bin vergewaltigt worden, als tatsächlich vergewaltigt zu werden.“ (S. 135)

Liv hat viele Zwänge. Einer lässt sie bei jeder Gelegenheit zählen, wie viele Frauen sich in einem Raum befinden - wie viele von ihnen wurden bereits vergewaltigt? Ein anderer zwingt sie in jeder Parfümerie den Duft ihres Peinigers aufzutragen.

„In den Umkleidekabinen war einiges los. Die Leute kamen und gingen, die Frauen um mich herum zogen sich um, duschten, schminkten sich, föhnten sich die Haare. Es war gut, dass sie da waren, sie waren auch nackt. Ich zählte nach, wir waren zu acht im Raum. Eine von zehn Frauen in Norwegen wird Opfer einer Vergewaltigung. In diesem Fall war ich diejenige, die in dieser Umkleide die Statistik erfüllte.“ (S. 27/28)

Macht ist schwere Kost, ein bedrückendes Buch und ich habe mich beim Lesen immer wieder gefragt, wer hier Macht über wen hat. Der ganze Schreibstil des Debüts schrie förmlich mit all seiner Wut und Metaphern nach Hilfe!
Ein Buch, welches mir unter die Haut ging und lange in Erinnerung bleiben wird, aber bestimmt nicht für jedermann geeignet ist.
Sehr lesenswert!
4/ 5

Aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzt von Karoline Hippe

  • Einzelne Kategorien
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  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.04.2023

Gelungene Fortsetzung

Sturmtage
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STURMTAGE - Die Schwestern vom Waldfriede III
Corina Bomann

Berlin - Zehlendorf, 1939:
In dem 3. Teil der Walfriede-Saga steht Frau Dr. Helene Jacobs im Vordergrund.
Die junge Assistenzärztin wird dem ...

STURMTAGE - Die Schwestern vom Waldfriede III
Corina Bomann

Berlin - Zehlendorf, 1939:
In dem 3. Teil der Walfriede-Saga steht Frau Dr. Helene Jacobs im Vordergrund.
Die junge Assistenzärztin wird dem leitendenden Chefarzt Dr. Hintze, einem überzeugten NSDAP-Anhänger, unterstellt. Das dieser nichts von weiblichen Chirurgen hält, lässt er Helene täglich spüren.
Als Helene wieder einmal vor dem gesamten Operationsteam bloßgestellt wird, sucht sie eine Auszeit im Waldfriede-Park und lernt dort den Gärtner Timo kennen.
Helene, die sich fest vorgenommen hat, sich niemals zu verlieben, und konsequent alle Heiratsvermittlungen seitens ihrer Eltern erfolgreich im Keim erstickt, kann sich dem natürlichen Charme Timos nicht verwehren.
Helenes Eltern sind alles andere als begeistert, als sie von ihrer Verbindung zu einem Gärtner erfahren. Doch dann bricht der 2. Weltkrieg aus und es kommt viel schlimmer.

Auch in dieser Fortsetzung treffen wir wieder auf unsere Bekannten aus dem 1. und 2. Band, Schwester Hanna und Dr. Conradi.
Gemeinsam versuchen diese den Krieg, trotz rationierten Lebensmitteln, mangelnden medizinischen Utensilien und täglichen Bombenangriffe, zu überstehen.

Corina Bomann hat es wieder wunderbar verstanden historische Fakten mit ihrer fiktiven Frau Dr. Helene Jacobs zu verknüpfen.
Ich bin nur so durch diese 620 Seiten geflogen. Etwas wirklich Neues habe ich nicht erfahren, aber das habe ich auch nicht erwartet. Ich hatte auf eine gute Leseunterhaltung gehofft und wurde nicht enttäuscht.
4½ /5

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.04.2023

Ein echter Glattauer

Die spürst du nicht
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DIE SPÜRST DU NICHT
Daniel Glattauer


Die österreichische Grünen-Politikerin Elisa Strobel-Marinek fährt mit ihrer Familie und Freunden in die Toscana. Gemeinsam haben sie dort für den Urlaub eine Villa ...

DIE SPÜRST DU NICHT
Daniel Glattauer


Die österreichische Grünen-Politikerin Elisa Strobel-Marinek fährt mit ihrer Familie und Freunden in die Toscana. Gemeinsam haben sie dort für den Urlaub eine Villa gemietet. Die ältere Tochter Sophie Luise durfte ihre Freundin Aayana als Begleitung mitnehmen. Aayana lebt erst seit zwei Jahren in Österreich. Sie ist ein Flüchtlingskind aus Mogadischu. Vor vier Jahren, als Aiyana zehn Jahre alt war, floh die somalische Familie aus einem Lager in Äthiopien durch die Wüste nach Libyen, und landete irgendwann über Lampedusa in Österreich. Mittlerweile hat die Familie den Asyl-Status erhalten.
Gerade als die Familien es sich mit Wein und den kleinen italienischen Köstlichkeiten so richtig gemütlich machen wollen, passiert ein tragischer Unfall, der folgenschwere Konsequenzen haben könnte.
Was ab jetzt passiert müsst ihr selbst entdecken.

Was war das schon wieder für ein gutes Buch?
Glattauer hat mich zu einem Zuschauer, ja, zu einem Voyeur gemacht. Während ich zu Beginn noch gefühlt im Theater saß, zitierte er mich später in den Gerichtssaal. Zwischendurch entließ er mich nur kurz - um diverse Kommentare und deren Antworten zu lesen.
Ein kritischer, zeitgenössischer Gesellschaftsroman mit so vielen wichtigen und tragischen Themen - und das in einem besonderen Schreibstil: Je nach Charakter änderte sich der Stil und die Ausdrucksweise des Erzählenden.
Ein beeindruckendes, bereicherndes, tiefgründiges und gefühlvolles Buch mit unglaublich inspirierenden Dialogen, gepaart mit der typischen Ironie des Autors.

Fazit:
Ich hatte hohe Ansprüche und wurde nicht enttäuscht!
Große Leseempfehlung
5/ 5

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Veröffentlicht am 26.03.2023

Highlight

Jägerin und Sammlerin
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TW: Depression und Essstörungen.

JÄGERIN UND SAMMLERIN
Lana Lux

„Du bist ungeschickt. Du bist ein Trampel. Pass doch auf. Du machst alles kaputt. Hör auf zu quasseln, du machst mich völlig verrückt. ...


TW: Depression und Essstörungen.

JÄGERIN UND SAMMLERIN
Lana Lux

„Du bist ungeschickt. Du bist ein Trampel. Pass doch auf. Du machst alles kaputt. Hör auf zu quasseln, du machst mich völlig verrückt. Beeil dich, wegen dir sind wir immer zu spät. Iss deinen Teller leer. Iss nicht so viel von dem Süßen. Das kannst du nicht tragen. Das steht dir nicht. [...] Du hast wirklich keine Entwicklung gemacht, seit du sechs Jahre alt bist. [...] Ich sehe jetzt schon, dass aus dir nichts wird. Du bist wie dein Vater. Ihr habt mein Leben zerstört.[...] Du bist eine Enttäuschung. Du bist eine Lügnerin. Du hast keinen Willen. Du hast keine Selbstdisziplin. Du musst dich mehr anstrengen. Aus dir könnte was Grossartiges werden. Du bist faul. Hör auf zu fressen! Du ekelst mich an. Ich glaube dir gar nichts mehr.“ (S.118)
All das sind Sätze, die Alina in ihrer Kindheit und Jugend regelmässig von ihrer Mutter hörte.

Alina steht kurz vor dem Abitur und hat Bulimie.
Sie hat kein Selbstwertgefühl und findet sich hässlich. Immer wieder bekommt sie Fressattacken und stopft alles in sich hinein, so lange, bis sie es wieder erbricht. Sie schämt sich und sucht Hilfe bei ihrer Mutter Tanya, die sie aber nur mit Vorwürfen begegnet.

Wow, was für ein Buch!

Es ist der zweite Roman von Lana Lux, den ich nach dem

highlight Kukolka unbedingt lesen musste.
Auch dieses Buch konnte mich komplett überzeugen. Diese toxische Mutter-Kind-Geschichte hat mich tief berührt.
Der Schreibstil und der Buchaufbau sind unglaublich gut und im letzten, dritten Teil schildert Mutter Tanya ihre Sicht.
Eine tief-traurige Geschichte, die es leider viel zu oft auf der Welt gibt.
Auch dieses Buch wird in meine

highlights2023 einziehen.

Absolute Leseempfehlung
5+/ 5

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